Wolfgang Frühwald: Goethes Hochzeit

fruehwald Wolfgang Frühwald hat in der Insel Bücherei ein kleines Bändchen vorgelegt, dass sich um den Lebenskomplex Goethes zur Zeit seiner Hochzeit im Oktober 1806 dreht. Unmittelbar vorausgegangen war die Niederlage des preußischen Heeres bei Auerstedt und das Eindringen der marodierenden französischen Soldaten in Weimar. Dabei soll es, nach Darstellung der Zeitgenossen, zu einer kritischen Situation im Hause Goethes gekommen sein, die angeblich durch das todesmutige Dazwischentreten Christianes entschärft worden sein soll. Die Lage im Hause Goethe entspannte sich rasch, als sich hohe französische Offiziere einquartierten und damit weiteren Übergriffen ein Riegel vorgeschoben wurde.

Weiter in den Fliegenden Goethe-Blättern …

In eigener Sache: Fliegende Goethe-Blätter

Da mir derzeit wieder einmal allerhand über Goethe zufliegt, habe ich mich endlich aufgerafft, ein altes Projekt umzusetzen:

Die Fliegenden Goethe-Blätter erscheinen in unregelmäßigen Abständen. Sie enthalten höchst subjektive Überlegungen, Kritiken, Betrachtungen und Anmerkungen Ihres Verfassers.

Die Fliegenden Goethe-Blätter wollen nicht neutral, nicht ausgewogen, nicht politisch oder anderweitig korrekt sein, sie wollen nicht recht haben oder recht behalten. Sie wollen nicht darstellen, was man »auch sagen« könnte. Sie gehen von der Grunderfahrung aus, dass zu Goethe nicht nur alles bereits gesagt worden ist, sondern dass auch alles noch einmal gesagt werden wird – und dass es keine Dummheit gibt, die nicht irgendwann einen Dummen findet, der sie verteidigt.

Die Fliegenden Goethe-Blätter sind weder einer bestimmten Richtung der Goethe-Forschung, noch einer bestimmten Methode oder Theorie der Germanistik oder der Germanistik schlechthin verpflichtet. Auch anderen Theorien gegenüber verhalten sie sich nach Möglichkeit synkretistisch.

Goethe ist den Fliegenden Goethe-Blättern kein Objekt der Verehrung, weder Dichterfürst noch Übermensch, weder Zentrum deutscher Geistigkeit noch hölzerne Literaturscheuche. Goethe ist der Glücks- und Pechfall der deutschen Literatur, eitler Selbstbespiegler, der vor einem Fensterkreuz ohne Glas sich wendet und dennoch wohlgefällig sein eigen Abbild zur Kenntnis nimmt.

Alles weitere wird sich weisen müssen …

Zum Anfang habe ich die hier mit der Zeit zu Goethe entstandenen Sachen dorthin kopiert. Von nun an werden hierorts nur in einigen besonderen Fällen Hinweise auf Rezensionen aktueller Lektüre zu oder von Goethe zu finden sein; Notizen, Glossen, Gedanken zu Goethe und seinem Umfeld etc. werden nur am neuen Ort zu finden sein.

Goethe ist allemal Beckenbauer

Langsam wird es hier Zeit für eine Kategorie »Goethe in der modernen Welt«. Da schreibt Stefan Benz bei Echo Online, angeregt durch ein angebliches Zitat von Claus Peymann:

Goethe ist allemal der Beckenbauer der Schaubühne: schöne Strategien, ausgefeilte Spielzüge, aber wenn’s hart auf hart geht, zieht er doch lieber zurück. Da ist Shakespeare ganz anders, vorne ein deftiger Reißer und hinten ein blutiger Klopper. Wo der kickt, rollen Köpfe. Eisenfuß Brecht aus Peymanns Traditionsverein kommt nur noch selten auf Linksaußen zum Einsatz, nachdem er mehrfach Sponsoren aus der Wirtschaft beschimpft hat. In der Abwehr steht die antike Dreierkette Aischylos, Euripides und Sophokles wie festgemauert. Dahinter lauert Torwart Samuel Beckett und seine Abseitsfalle des Absurden. Molière sorgt im Mittelfeld für Spielwitz, Ibsen ist ein Dauerläufer, der dahin geht, wo’s weh tut, während Tschechow meist nicht vom Fleck kommt, aber wortreich darüber meckern kann, warum das Spiel so langweilig ist.

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Nachtrag 14.09.2007: In der Financial Times Deutschland macht sich Georg Blank zum Depp, indem er zwar Stefan Benz nachplappert, es aber auch nicht wirklich auf irgend einen Punkt bringt:

Zum Glück gab es ein paar Geistesgrößen, die noch immer hervorgekramt werden, wenn man den Intellekt der Deutschen belegen will. Auch wenn der Vergleich manchmal hinkt, wie Claus Peymann, Intendant der Ruhr-Triennale, eindrucksvoll belegt: „Schiller ist für mich der Gerd Müller unter den Autoren: Goethe ist besser, aber Müller schießt die Tore.“

Ist Goethe dann der Beckenbauer? Technisch versiert, sehr erfolgreich und noch lange nach seiner aktiven Zeit sehr populär? Für solche Fußball-Fragen ist in Deutschland der Innenminister zuständig. „Ich bin nicht der oberste Techniker der Nation, ich muss nur dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden“, sagte Wolfgang Schäuble (CDU). Er möchte nicht Sportlern, sondern Terroristen die Rote Karte zeigen und lieber Computer als Urin durchsuchen.

Goethes Stoßseufzer

faz.net meldet die Aktivitäten von »Goethes Stellvertreter auf Erden«, womit sie Hilmar Hoffmann meint, worauf man ja auch nicht so ohne weiteres käme, und spekuliert über dessen Innenleben:

Wahrscheinlich hat sich der frühere Goethe-Präsident Fausts Stoßseufzer zu Herzen genommen: „Ach Gott! Die Kunst ist lang! Und kurz ist unser Leben!“

Wahrscheinlich hätte sich Goethe hier Fausts Stoßseufzer zu Herzen genommen:

O! glücklich! wer noch hoffen kann
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.
Was man nicht weiß das eben brauchte man,
Und was man weiß kann man nicht brauchen.

Brieffreundschaft

Philipp Mattheis präsentiert auf jetzt.de, einem Ableger von sueddeutsche.de, eine Liste von 33 Glaubenssätzen der 18-Jährigen:

Jedes Jahr veröffentlicht das Beloit College in Wisconsin, USA, die „Mindset List“ für Dozenten. Die Liste soll ihnen helfen, sich besser in die Welt der heute 18-Jährigen einzudenken und ihren Unterricht deren Gedankenwelt anzupassen. Viele der 1989 in den USA geborenen Schüler wissen einfach nicht, dass Deutschland einmal geteilt war und haben, dank elektrischer Fensterheber, noch nie ein Autofenster herunter gekurbelt. Typisch – blöde Amis, könnte man jetzt sagen. Aber wer der 1989 in Deutschland Geborenen weiß noch, dass „Twix“ mal „Raider“ hieß?

Um älteren Lesern die Welt der heute 18-Jährigen näher zu bringen, haben wir 33 Glaubenssätze zusammen gestellt.

Das allein wäre hier nicht weiter erwähnenswert, aber Glaubenssatz Nr. 25 ist literarischer Natur:

25. Der letzte Mensch, der eine „Brieffreundschaft“ hatte, war Goethe.

Unglaublich, dass die Kids angeblich noch wissen, was eine »Brief- freundschaft« ist; noch unglaublicher, dass sie den Namen Goethe in diesen Zusammenhang einordnen können.

            Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
»Versäumt nicht zu üben
Die Kräfte des Guten.

Hier winden sich Kronen
In ewiger Stille,
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen!
Wir heißen euch hoffen.«

Horst Günther: Das Bücherlesebuch

buecherlesebuchDer Titel Bücherlesebuch ist etwas unspezifisch; im Mittelpunkt dieses Buchs steht der Gedanke, wie eine private Bibliothek aufzubauen wäre. Zwar werden auch öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken behandelt, auch dem Bibliographienwesen wird ein wenig Raum gewidmet, aber der Hauptteil des Buches besteht aus Empfehlungen zur europäischen Literatur, ergänzt um einige kurze Abschnitte zu Fachbereichen wie Philosophie, Geschichte, Jura, Naturwissenschaften, Kunst und einigen anderen. Sogar für ein Musikarchiv als Ergänzung der Bibliothek wird plädiert.

Die Stärke des Buches liegt in Günthers ganz subjektivem Ansatz, der um seine eigene Perspektive weiß, weder das deutliche Urteil scheut, noch glaubt, damit sei die Sache erledigt: »Man lege seiner Neugier keine Zügel an …« [S. 131], ist wahrscheinlich der Satz, der den Geist des Buches am besten zusammenfasst. Erfrischend ist es, etwa solche Einschätzungen zu lesen:

Was Thomas Mann betrifft, so nehme man einmal eine Seite aus dem Tod in Venedig und lege sie neben eine aus Goethes Wahlverwandtschaften und prüfe, wer schreiben kann. Er hat ja seine Verdienste, aber man lasse sich doch nicht einreden, daß ein Dokument des deutschen Zusammenbruchs wie der Doktor Faustus ein Meisterwerk sei. Er hat auf das Trauma mit einer opportunistischen Geschichtsdeutung reagiert, die dem gebildeten Philister ein Verhängnis mundgerecht vorlegt. [S. 102]

Das ist unfraglich ungerecht, aber eben von einer subjektiven Ungerechtigkeit, die aus einem Überblick heraus gewonnen ist und die Dinge in Relation zu setzen versteht. Solch klärende Subjektivität ist im Gespräch von Leser zu Leser – wohlgemerkt nicht unter Literaturwissenschaftlern, denn die sind einer höheren Objektivität verpflichtet, ohne sie in den meisten Fällen zu erreichen – meist nützlicher als abwägende Versuche, allem gerecht zu werden.

Kernstück ist eine sehr knapp gehaltene Geschichte der europäischen Literaturtradition beginnend beim Gilgamesch-Epos und endend im 20. Jahrhundert. Günthers Empfehlungen sind nicht überraschend und können sicher in ähnlicher Zusammenstellung an zahlreichen Stellen gefunden werden. Auch hier ist es der persönliche Zugriff Günthers, seine eigene Lesegeschichte, die das Buch aus der Masse heraushebt. Hier spricht – ich habe es schon gesagt – ein Leser zu Lesern, ohne Dünkel und auf gleicher Augenhöhe.

Günther behandelt sein breites Thema in kurzen, prägnanten Abschnitten, die es auch erlauben, im Buch zu blättern, kursorisch zu lesen, sich das eine anzueignen und das andere zu ignorieren. Eine kurzweilige und anregende Lektüre für alle leidenschaftlichen Leser und solche, die es erst noch werden wollen.

Horst Günther: Das Bücherlesebuch. Vom Lesen, Leihen, Sammeln: von Büchern, die man schon hat, und solchen, die man endlich haben will. Wagenbach Taschenbuch 200. Berlin: Klaus Wagenbach, 1992. 166 Seiten. 8,50 €.

Zwei Hohlköpfe

Wie sich Schiller und Goethe doch einmal nützlich machen:

Zwei  Hohlköpfe
(Originalhöhe der Büsten ca. 8 cm)

Unter dem Motto »Schiller & Goethe zerstreut« vertreibt inkognito diese beiden Hohlköpfe, die von unten befüllt werden können. Danach liefert Schiller durch drei Löcher in seinem Kopf das erdverbundene Salz, während Goethe durch nur zwei Löcher der ganzen Sache Pfeffer gibt. Welch passende Allegorie auf … ja, auf was eigentlich?

Torquato Quatscho

goethe.jpgIch gehe nicht mehr oft ins Theater. So mehr als zwei oder drei Mal im Jahr sind es nicht. Zumeist gehe ich in Stücke, die ich gut kenne, von Autoren, die ich gut kenne. Deshalb gehe ich wahrscheinlich so selten ins Theater.

Heute war ich in »Torquato Tasso« in Recklinghausen; ich mag nicht sagen, in Goethes »Torquato Tasso«, denn dass die Schaupieler Text von Goethe sprachen, erschien mehr als Zufall. Eine ¾ Stunde bin ich geblieben, dann war es genug – ich wusste ja, wie das Stück ausgeht.

Goethe hat zwischen 1780 und 1789 langsam und gründlich einen ruhigen und diffizilen Text geschrieben, ihn sorgfältig immer wieder erwogen, sich am Ende große Mühe gemacht mit drei noch zu schreibenden Szenen, die nicht und nicht geraten wollten. Das Stück hat ihm am Herzen gelegen. Er selbst hat nicht geglaubt, dass es für die Bühne sei – und er verstand etwas von der Bühne, wenigstens der seiner Zeit, denn er war lange Zeit Intendant. Als ihn die Weimarer Schauspieler schließlich damit überrumpelten, dass sie die Rollen einfach schon gelernt hatten, hat er doch noch eingewilligt, aber eine Streichfassung erstellt, die dann schließlich gespielt werden durfte. Dass es gut sei, das Stück zu spielen, hat er dennoch nicht geglaubt. Und dabei kannte er nicht ’mal das moderne Regietheater.

Da sind zum Beispiel Torquato und Antonio: Bei Goethe sind sie zwei Planeten, die um die Sonne Herzog Alfons II. d’Este kreisen. Sie bewegen sich auf derselben Umlaufbahn in derselben Geschwindigkeit – nur eben auf entgegengesetzten Seiten, und so ist es am Ende auch gar kein Wunder, dass es gerade Antonio ist, der von Torquato nicht lassen will. Torquato, immer angespannt, jeder eigenen und fremden Emotion nachlauschend, spontan und zum Überschwang neigend, ist ein Klischee der Goethezeit: ein Genie. Antonio ist ganz der klassische Hofmann – ein weiteres Klischee, das für die meisten Leser der Goethezeit ausreichte, um ihn zur negativen Gegenfigur zu machen –, immer kontrolliert und misstrauisch, immer rational abwägend und vorsichtig bis zum Zynismus, den Menschen dort eher abgeneigt, wo Torquato sich ihnen zuneigt.

Auch in der Inszenierung von Frank Hoffmann ist der Figur Antonios ein Klischee eingeschrieben. Natürlich nicht mehr das Klischee des Hofmanns – denn wer unter den heutigen Zuschauern hätte noch das Buch von Baldassare Castiglione gelesen –, sondern das der Niete im Nadelstreifen. Auch damit gerät er in einen perfekten Gegensatz zu dem wilden Affen, der aus Torquato gemacht worden ist. Und so stehen die beiden einander testosteronschwanger gegenüber und schreien einander und dann zur Abwechslung auch einmal den Herzog an, dumme Männer, nichts weiter. Hier und da setzt sich in all der Aufgeregtheit doch einmal ein einzelner Satz Goethes durch und man erstaunt für einen Moment über den Glanz, der erscheint – aber gleich muss wieder um den Teich gerannt, ein Brett umgeworfen, geschrieen und gequiekt werden.

Natürlich macht Frank Hoffmann nichts anderes als das, was Goethe auch getan hat: Er eignet sich eine Kunstfigur an und transponiert sie in die eigene Zeit – witzigerweise stimmen sogar die übersprungenen Zeitspannen ungefähr überein. Nur eines versäumt Hoffmann: Sich zehn Jahre Zeit zu nehmen, um einen eigenen »Tasso« zu schreiben. Stattdessen nimmt er den Text Goethes und legt die eigene Zeit und Kultur darüber. Dass er dabei ein filigranes sprachliches Gebilde von einem Panzer überrollen lässt, scheint er billigend in Kauf zu nehmen – schließlich muss auch er leben, und er hat keinen Herzog Karl August, der ihm wie nebenbei das eine oder andere Haus schenkt oder ihn zwei Jahre auf Urlaub nach Italien fahren lässt.

Das Schlimmste an all dem ist – so fürchte ich –, dass die Inszenierung Recht und ich mit meinem Kopfschütteln Unrecht behalte. Das Stück war schon damals nichts fürs Theater; heute ist es da schon ganz egal, was am Ende auf die Bühne kommt. Hauptsache, es ist was los im Haus. Auf die paar intellektuellen Spinner, die die Unterschiede bemerken, kommt es nun wirklich nicht an. Scheiß auf Goethe: Das Volk will sich amüsieren, die Schauspieler was zum Fressen haben! Und das auf hohem Niveau! Also Theaterzettel raus und los: Goethe »Torquato Tasso«; Regie: Frank Hoffmann …

Von der Höhe der Alpen (2)

Früh aufgestanden befand ich mich bald zwar unter freiem Himmel jedoch in engen von hohen Gebirgskuppen umschlossenen Räumen. Ich hatte mich an den Fußpfad, der nach Italien hinunterging, niedergelassen und zeichnete, nach Art der Dilettanten, was nicht zu zeichnen war und was noch weniger ein Bild geben konnte: die nächsten Gebirgskuppen, deren Seiten der herabschmelzende Schnee mit weißen Furchen und schwarzen Rücken sehen ließ; indessen ist mir durch diese fruchtlose Bemühung jenes Bild im Gedächtnis unauslöschlich geblieben.

Mein Gefährte trat mutig zu mir und begann: »Was sagst Du zu der Erzählung unsres geistlichen Wirts von gestern abend? Hast Du nicht, wie ich, Lust bekommen Dich von diesem Drachengipfel hinab in jene entzückenden Gegenden zu begeben? Die Wanderung durch diese Schluchten hinab muß herrlich sein und mühelos, und wann sichs dann bei Bellinzona öffnen mag, was würde das für eine Lust sein! Die Inseln des großen Sees sind mir durch die Worte des Paters wieder lebendig in die Seele getreten. Man hat seit Keislers Reisen so viel davon gehört und gesehen, daß ich der Versuchung nicht widerstehen kann. Ist Dir’s nicht auch so? fuhr er fort; Du sitzest gerade am rechten Fleck, schon einmal stand ich hier und hatte nicht den Mut hinabzuspringen. Geh voran ohne weiteres, in Airolo wartest Du auf mich, ich komme mit dem Boten nach, wenn ich vom guten Pater Abschied genommen und alles berichtigt habe.«

So ganz aus dem Stegreife ein solches Unternehmen, will mir doch nicht gefallen – »Was soll da viel Bedenken! rief jener, Geld haben wir genug, nach Mayland zu kommen, Kredit wird sich finden, mir sind von unsern Messen her dort mehr als ein Handelsfreund bekannt.« Er ward noch dringender. Geh! sagte ich, mach’ alles zum Abschied fertig, entschließen wollen wir uns alsdann.

Mir kommt vor, als wenn der Mensch, in solchen Augenblicken, keine Entschiedenheit in sich fühlte, vielmehr von früheren Eindrücken regiert und bestimmt werde. Die Lombardie und Italien lag als ein ganz Fremdes vor mir; Deutschland als ein Bekanntes Liebwertes, voller freundlichen einheimischen Aussichten und, sei es nur gestanden: das was mich so lange ganz umfangen, meine Existenz getragen hatte, blieb auch jetzt das unentbehrlichste Element, aus dessen Grenzen zu treten ich mich nicht getraute.

Johann Wolfgang von Goethe
Aus meinem Leben