Aus gegebenem Anlass (XX) – Bloomsday

– Wie lautet denn Ihre Hamlet-Idee? fragte Haines Stephen.
– Nein, nein! schrie Buck Mulligan voller Qual. Ich bin im Moment Herrn Thomas von Aquin und den fünfundfünfzig Gründen, auf die er die Sache gestellt hat, nicht gewachsen. Wartet, bis ich ein paar Pinten intus habe.
Er wandte sich Stephen zu und sagte, während er säuberlich die Spitzen seiner primelgelben Weste herunterzog:
– Du kriegtest es auch unter drei Pinten selber gar nicht hin, Kinch, was?
– Es hat so lange gewartet, sagte Stephen lustlos, es kann auch noch länger warten.
– Sie reizen meine Neugier, sagte Haines liebenswürdig. Handelt es sich um ein Paradoxon?
– Ach was, sagte Buck Mulligan. Oscar Wilde und die Paradoxa haben wir hinter uns. Die Sache ist ganz einfach. Er weist per Algebra nach, daß Hamlets Enkel Shakespeares Großvater ist und er selber der Geist seines eigenen Vaters.
– Was? sagte Haines und zeigte mit zögerndem Finger auf Stephen. Er selber?
Buck Mulligan schlang sein Badetuch wie eine Stola um den Hals, und indem er sich in hemmungslosem Gelächter krümmte, sagte er Stephen ins Ohr:
– O du Schatten von Kinch dem Älteren! Japhet auf der Suche nach einem Vater!
– Wir sind morgens immer etwas müde, sagte Stephen zu Haines. Und es ist nicht mit ein paar Worten zu erzählen.
Buck Mulligan, der sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, hob die Hände.
– Die heilige Pinte allein kann Dedalus die Zunge lösen, sagte er.
– Also ich finde, erklärte Haines Stephen, während sie hinter ihm hergingen, daß der Turm und die Klippen hier doch irgendwie an Helsingör erinnern. An den Felsen, der in die See nickt über seinen Fuß. Heißt es nicht so?

James Joyce
Ulysses

Aus gegebenem Anlass (XVII) – Bloomsday

Doch Malachias’ Erzählung begann sie mit kaltem Grausen zu erfüllen. Er beschwor die Szene vor ihnen herauf. Die geheime Tür in der Täfelung neben dem Kamin glitt zurück, und in der Mauerhöhlung erschien … Haines! Wem von uns lief es da nicht eiskalt über den Rücken? Er hatte in der einen Hand ein Portfolio mit keltischer Literatur, in der anderen aber eine Phiole, auf welcher das Wort Gift zu lesen stand. Überraschung, Grausen, Ekel malten sich auf allen Gesichtern, indessen er sie mit einem gräßlichen Grinsen betrachtete. Ich sah einen solchen Empfang voraus, begann er mit schauerlichem Lachen, für welches, so scheint es, der Geschichte die Schuld zu geben ist. Ja, es ist wahr. Ich bin der Mörder von Samuel Childs. Und welche Strafe ist mir geworden! Das Inferno hat keine Schrecken mehr für mich. Davon mag meine Erscheinung wohl künden. Donner und Ewigkeit, wie soll ich überhaupt wohl Ruhe finden, murmelte er dumpf, wo ich die ganze Zeit durch Dublin wandere mit meinen lumpigen paar Liedern und er hinter mir her ist wie ein Gespenst oder ein Nachtmahr? Meine Hölle und die Irlands liegt in diesem Leben. Wie habe ich nicht versucht, das Verbrechen in mir zu tilgen! Zerstreuungen, Saatkrähenschießen, die ersische Sprache (er zitierte ein weniges davon), Laudanum (er hob die Phiole an seine Lippen), Wohnen unter freiem Himmel. Vergebens! Sein Geist umschleicht mich. Nur im Rausch noch finde ich Hoffen … Ah! Vernichtung! Der schwarze Panther! Mit einem Schrei war er jäh wieder verschwunden, und die Täfelung glitt an ihre Stelle zurück. Einen Augenblick später erschien sein Kopf in der Thür gegenüber und sagte: Trefft mich am Bahnhof Westland Row um zehn nach elf. Fort war er!

James Joyce:
Ulysses

Aus gegebenem Anlass (XII) – Bloomsday

So isses, klar. Wat sächste? Inner Flüsterkneipe. Stockvoll. Ick säi di, Jung. Bantam, zwo Tage alkoheilfro. Säuft nischt wie billigen Rotwein. Ab durch die Mitte! Hier, kuckmal, kuck doch mal her. Kruzitürken, ich schlag doch lang hin. Und zum Frisör ist er auch gewesen. Zu voll zum sprechen. Mit ’nem Kerl von der Eisenbahn. Wie kommste da denn zu? Ne Oper, die ihm gleicht? Rose of Castille. Rows of cast. Polizei! Bißchen H2O für ’nen Herrn, dem die Sinne schwinden. Kuck doch mal Bantam seine Blümchen. Ach herrjemineh, der fängt gleich an zu hollern. O Colleen Bawn, mein schickes Miezchen. Mensch, halt doch die Klappe! Hau dem Kerl mal die Schluckluke zu, aber feste. Hatte den Gewinner heute, bis ich dann den todsicheren getippt hab. Der Deubel soll dem Stephen Hand die Rübe abreißen, daß er mir die biestige Mähre angedreht hat. Traf ’n Telegrammjungen, der grad ’n Tele von dem graußen Bass sei’m Sattelplatz zum Polizei-Depot brachte. Steckt ihm ’n Vierpenny und macht das Ding über Dampf auf. stute groß in form sofort setzen. Ne ganze Guinee auf so ne Niete. Toller Kram, das. So wahr wies Evangelium. Grober Unfug? Aber sicher, glaub ich ja auch. Klare Sache. Landet er glatt für im Stock, wenn der Polyp hinter das Spielchen kommt. Madden setzt auf Madden seins ’nen madigen Einsatz. O Wollust, du unsere Zuflucht und unsere Stärke. Aufbruch. Mußt du schon gehn? Ab zu Mama. Auf Abruf bereit. Versteck mir bloß einer die roten Ohren. Wenn er mich sieht, sitz ich drin. Muß in die Heia, unser Bantam. Orrevoah, mong viöh. Vergiß nicht die Bliemchen für sie. Von wem hast du den Tip gehabt eigentlich, für das Füllen? Unter uns Pastorentöchtern. Mal ehrlich. Von Meister Iste, ihrem vertrauten Manne. Kein Schmu, von dem ollen Leo. Also alles was recht ist, so wahr mir Gott. Ich laß mich kielholen, wenn ich das. So ein Dreckskerl von einem scheinheiligen Lügner. Weshalb haste mir nischt jesacht davon? Ja, also, sag ich, wenn das nich die typisch jiddsche mloche is, ja, dann will ich ne missemeschune haben. Und von Schäbigkeit zu Schäbigkeit, Amen.

James Joyce:
Ulysses

Aus gegebenem Anlass (VIII) – Bloomsday

De omnibus zusammis

– Wir hatten’s nur in Erwägung gezogen, sagte Stephen.
– Die gesamte Intelligenz, sagte Myles Crawford. Die Jurisprudenz, die klassische Philologie …
– Der Rennsport, warf Lenehan ein.
– Literatur, Presse.
– Wenn Bloom hier wäre, sagte der Professor. Die edle Kunst der Reklame.
– Und Madame Bloom, fügte Mr. O’Madden Burke hinzu. Die Muse des Gesanges. Dublins erste Favoritin.
Lenehan gab ein lautes Husten von sich.
– Ähem, sagte er sehr leise. Ah, bloß ein frischchen bisse Luft! Ich hab eine Erkältung erwischt im Park. Das Tor stand offen.

James Joyce:
Ulysses

James Joyce: Dubliner

Es gab keinen Zweifel: Wenn man erfolgreich sein wollte, musste man von hier weggehen. In Dublin konnte man nichts erreichen.

Joyce_Dubliner

Nach der »Porträt«-Neuübersetzung bei Manesse legt jetzt auch dtv mit »Dubliner« eine neue Joyce-Übersetzung vor. »Dubliner« war im Jahr 1914 Joyces erstes Buch, nachdem er zuvor beinahe ein Jahrzehnt lang versucht hatte, einen Verleger dafür zu finden. Der Band enthält fünfzehn Erzählungen, die alle in Dublin in dem Jahrzehnt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spielen. Obwohl die Erzähungen inhaltlich voneinander unabhängig sind, bilden sie zusammen ein musivisches Porträt der Stadt Dublin. Geordnet sind sie grob nach dem Lebensalter ihrer Protagonisten von der Kindheit bis zum späten Erwachsenenalter. Sie spielen im Arbeiter- oder Bürgermilieu, thematisieren eine erhebliche Breite von Lebenssituationen und sind für die meisten heutigen Leser wahrscheinlich eher unauffällig; »Dubliner« ist sicherlich das zugänglichste Buch von Joyce.

Dass Joyce so erhebliche Schwierigkeiten hatte, für die Sammlung einen Verleger zu finden, kann nur historisch verstanden werden: Zwar hatte sich der Naturalismus auf dem europäischen Kontinent inzwischen gut etabliert und war in der Avantgarde auch schon wieder überwunden worden, doch im katholischen und kulturell konservativen Irland stand man der ungeschönten und nicht durch eine idealisierte Gegenwelt gemilderten Darstellung der sozialen Wirklichkeit noch misstrauisch gegenüber. Hinzu kam die offensichtliche Skepsis einiger Figuren in religiösen Fragen, die ebenso unkommentiert stehen blieb wie die Frömmigkeit anderer. So erwies sich Joyce bereits mit seinem ersten Buch als der Zeit voraus, wenn auch vorerst nur der Zeit in Irland. Es ist eine Ironie mehr, dass eines der übergreifenden Darstellungsziele der »Dubliner« eben die Thematisierung der irischen Provinzialität war.

Die Neuübersetzung von Harald Raykowski ist gelungen und eine gute Alternative zu der von Dieter E. Zimmer von 1969. Zimmer hält sich in der Regel enger an die grammatikalischen Strukturen des Originals; dagegen merkt man seinem Wortschatz an, dass seine Übersetzung inzwischen mehr als 40 Jahre alt ist. Raykowski vermittelt dem heutigen Leser den umgangssprachlichen Ton besonders der Dialoge besser. Sicherlich würde ich in einigen wenigen Problemfällen der Übersetzung Zimmers klar den Vorzug, aber diese Bedenken werden vom positiven Gesamteindruck durchaus aufgewogen.

Besonders für Erstleser der Erzählungen oder Joyce-Einsteiger eine gute Wahl.

James Joyce: Dubliner. Aus dem Englsichen übersetzt von Harald Raykowski. dtv 14069. Müchen: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012. Broschur, 318 Seiten. 9,90 €.

Aus gegebenem Anlass (VI): Bloomsday

What did Bloom do at the range?
He removed the saucepan to the left hob, rose and carried the iron kettle to the sink in order to tap the current by turning the faucet to let it flow.

Did it flow?
Yes. From Roundwood reservoir in county Wicklow of a cubic capacity of 2,400 million gallons, percolating through a subterranean aqueduct of filter mains of single and double pipeage constructed at an initial plant cost of £5 per linear yard by way of the Dargle, Rathdown, Glen of the Downs and Callowhill to the 26 acre reservoir at Stillorgan, a distance of 22 statute miles, and thence, through a system of relieving tanks, by a gradient of 250 feet to the city boundary at Eustace bridge, upper Leeson street, though from prolonged summer drouth and daily supply of 12½ million gallons the water had fallen below the sill of the overflow weir for which reason the borough surveyor and waterworks engineer, Mr Spencer Harty, C.E., on the instructions of the waterworks committee, had prohibited the use of municipal water for purposes other than those of consumption (envisaging the possibility of recourse being had to the importable water of the Grand and Royal canals as in 1893) particularly as the South Dublin Guardians, notwithstanding their ration of 15 gallons per day per pauper supplied through a 6 inch meter, had been convicted of a wastage of 20,000 gallons per night by a reading of their meter on the affirmation of the law agent of the corporation, Mr Ignatius Rice, solicitor, thereby acting to the detriment of another section of the public, selfsupporting taxpayers, solvent, sound.

What in water did Bloom, waterlover, drawer of water, watercarrier returning to the range, admire?
Its universality: its democratic equality and constancy to its nature in seeking its own level: its vastness in the ocean of Mercator’s projection: its umplumbed profundity in the Sundam trench of the Pacific exceeding 8,000 fathoms: the restlessness of its waves and surface particles visiting in turn all points of its seaboard: the independence of its units: the variability of states of sea: its hydrostatic quiescence in calm: its hydrokinetic turgidity in neap and spring tides: its subsidence after devastation: its sterility in the circumpolar icecaps, arctic and antarctic: its climatic and commercial significance: its preponderance of 3 to 1 over the dry land of the globe: its indisputable hegemony extending in square leagues over all the region below the subequatorial tropic of Capricorn: the multisecular stability of its primeval basin: its luteofulvous bed: Its capacity to dissolve and hold in solution all soluble substances including billions of tons of the most precious metals: its slow erosions of peninsulas and downwardtending promontories: its alluvial deposits: its weight and volume and density: its imperturbability in lagoons and highland tarns: its gradation of colours in the torrid and temperate and frigid zones: its vehicular ramifications in continental lakecontained streams and confluent oceanflowing rivers with their tributaries and transoceanic currents: gulfstream, north and south equatorial courses: its violence in seaquakes, waterspouts, artesian wells, eruptions, torrents, eddies, freshets, spates, groundswells, watersheds, waterpartings, geysers, cataracts, whirlpools, maelstroms, inundations, deluges, cloudbursts: its vast circumterrestrial ahorizontal curve: its secrecy in springs, and latent humidity, revealed by rhabdomantic or hygrometric instruments and exemplified by the hole in the wall at Ashtown gate, saturation of air, distillation of dew: the simplicity of its composition, two constituent parts of hydrogen with one constituent part of oxygen: its healing virtues: its buoyancy in the waters of the Dead Sea: its persevering penetrativeness in runnels, gullies, inadequate dams, leaks on shipboard: its properties for cleansing, quenching thirst and fire, nourishing vegetation: its infallibility as paradigm and paragon: its metamorphoses as vapour, mist, cloud, rain, sleet, snow, hail: its strength in rigid hydrants: its variety of forms in loughs and bays and gulfs and bights and guts and lagoons and atolls and archipelagos and sounds and fjords and minches and tidal estuaries and arms of sea: its solidity in glaciers, icebergs, icefloes: its docility in working hydraulic millwheels, turbines, dynamos, electric power stations, bleachworks, tanneries, scutchmills: its utility in canals, rivers, if navigable, floating and graving docks: its potentiality derivable from harnessed tides or watercourses falling from level to level: its submarine fauna and flora (anacoustic, photophobe) numerically, if not literally, the inhabitants of the globe: its ubiquity as constituting 90% of the human body: the noxiousness of its effluvia in lacustrine marshes, pestilential fens, faded flowerwater, stagnant pools in the waning moon.

James Joyce:
Ulysses

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Wenn es doch bloß aufklaren würde.

Da James Joyce am 13. Januar 1941 gestorben ist, wurde sein Werk Anfang dieses Jahres gemeinfrei, was es vor allen Dingen von den autoritären Verhinderungsaktionen seines Enkels Stephen befreit. Das Freiwerden der Texte gibt nun nicht nur Gelegenheit zum Nachdrucken, sondern natürlich auch zur Neuübersetzung. Überraschend schnell wurde dies mit Joyce’ erstem Roman, »A Portrait of the Artist as a Young Man« realisiert und das, obwohl mit der Übersetzung von Klaus Reichert (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1972) eine sehr gute Übertragung ins Deutsche bereits vorliegt.

Auf die Frage, ob denn angesichts dieser Übersetzung der Aufwand einer neue Übertragung lohne, antwortete der Übersetzer Friedhelm Rathjen bei der Vorstellung seiner Neuübersetzung im Museum Folkwang: »Es gibt Bücher, von denen kann es gar nicht genug Übersetzungen geben.« Dass es sich beim »Porträt« um ein solches Buch handelt, steht, glaube ich, nicht zur Debatte. Rathjen will seine Übersetzung auch nicht als besser als die Reichertsche verstanden wissen, die er selbst sehr schätzt und mit der er, wie er selbst sagt, »aufgewachsen sei«. Nur sei Reicherts Übersetzung eben schon 40 Jahre alt und zeige für den heutigen Leser dieses Alter auch deutlich. Besonders was die Wiedergabe der Umgangssprache angehe, dränge sich eine Aktualisierung für heutige Leser förmlich auf.

Joyce’ erster Roman hat eine lange Entstehungszeit, die Joyce selbst mit den Daten 1904 bis 1914 am Schluss des Textes dokumentiert. Joyce hat in diesen zehn Jahren allerdings nicht kontinuierlich an dem Text gearbeitet, sondern die Entstehung ruhte in langen Phasen dieses Zeitraums. Zuerst entstand jene Fassung, die Joyce-Leser unter dem Titel »Stephen Hero« (deutsch: »Stephen der Held«, ebenfalls von Klaus Reichert, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1972) kennen und die Fragment geblieben ist. Joyce hatte diesen Text als eine große Bekenntnis-Schrift angelegt, als eine Rechtfertigung für sein Sein und Handeln, aus der sich die Gründe für seinen Weggang aus Dublin sollten ablesen lassen. Dem Mythos nach, den Joyce selbst in die Welt gesetzt hat, hat er zu irgendeinem Zeitpunkt versucht, dieses Manuskript zu verbrennen, was aber angesichts seines unbeschadeten Zustands eher unwahrscheinlich erscheint. Joyce bemerkte aber, dass »Stephen Hero« nicht recht gelingen wollte. Erst als er auf den Bekenntnis-und Rechtfertigungs-Charakter des Textes verzichtete und den Erzähler einen deutlichen Abstand zum Protagonisten Stephen Dedalus einnehmen ließ, gelang die Bearbeitung des Stoffs.

»Ein Porträt des Künstlers als junger Mann« erzählt in personaler Perspektive von Aufwachsen des jungen Intellektuellen Stephen Dedalus im Irland der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Die Erzählung ist in fünf große Abschnitte gegliedert, die grob Altersstufen des Heranwachsenden entsprechen. Die Sprache und der Stoff der Erzählung sind dem jeweiligen Alter des Protagonisten angepasst und entwickeln sich von Kapitel zu Kapitel, von Abschnitt zu Abschnitt. Stephen ist ein begabtes Kind, das trotz dem ökonomischen Niedergang seiner Familie eine hervorragende Ausbildung an jesuitischen Schulen und der katholischen Universität Dublins erhält. Als Pubertierender durchläuft er eine Phase großer Verunsicherung und früher sexueller Erfahrung, die von einer Periode übergroßer Frömmigkeit und religiöser Disziplin abgelöst wird. Aufgrund dieser Hinwendung zur Religion wird Stephen aufgefordert, die Ausbildung zum jesuitischen Geistlichen aufzunehmen, doch scheint gerade dieses Angebot den ersten Anstoß zu Stephens letztlicher Abwendung von aller Religion zu liefern. Stephen wird zum Künstler (Joyce und Stephen sind sich des Zusammenhangs des Wortes Artist mit den Septem artes liberales dabei noch sehr bewusst) und beschäftigt sich als Student dementsprechend mit den ästhetischen Theorien des Aristoteles und Thomas von Aquin. Als Künstler wendet er sich nicht nur von der Religion, sondern auch von dem ihm von seinen Kommilitonen zugemuteten irisch-nationalistischen Engagement ab. Ihm wird bewusst, dass er Irland verlassen muss, um seinen eigenen Weg zu Kunst und Dichtung gehen zu können. Unmittelbar bevor Stephen Irland verlassen wird, bricht der Text der Erzählung ab.

Die Erzählung ist besonders im letzten Teil sehr anspruchsvoll: Es wird wohl nicht viele Leser geben, die den intellektuellen Eskapaden Stephens, seinen freien Variationen über Thesen des Aristoteles und des Aquinaten werden folgen, geschweige denn diese mit Vergnügen werden lesen können. Es scheint mir wenig zweifelhaft, dass das »Porträt« heute vergessen wäre, wenn ihm nicht das Jahrhundertbuch »Ulysses« gefolgt wäre, zu dem es so etwas wie eine Vorschule und -geschichte darstellt. Nicht, dass das Buch missraten wäre – das ist es in keinem Sinne –, es wäre für sich aber wohl kaum auf ein breites Interesse oder Verständnis gestoßen.

Die Neuübersetzung Rathjens muss an keiner Stelle den Vergleich mit der Reicherts scheuen. Sie bietet eine sprachlich präzise, gute Alternative an, die all jenen, denen das Original sprachlich unzugänglich bleibt, zur Lektüre empfohlen werden kann. Der kommentierende Anhang beschränkt sich auf das Notwendigste; die in den Text der Erzählung eingefügten Endnotenziffern, die auf den Kommentar verweisen, sind eine etwas vorlaute Lösung, die beim Versuch einer unbefangenen Erstlektüre eher stören werden. Mit dem als Nachwort angeklebten Essay von Marcel Beyer konnte wenigstens ich nichts anfangen.

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen. Zürich: Manesse, 2012. Leinen, Lesebändchen, 348 Seiten. 24,95 €.

Frank Zumbach: Joyce’ Ulysses

3-492-23138-1 Kurze Einführung in den Ulysses von James Joyce, deren Hauptintention in einer Hilfestellung für Erstleser liegt. Dafür ist das Büchlein gut geeignet, wenn es mir auch zu wenig systematisch ist. Auch das große Gewicht, das Zumbach auf die autobiografische Unterfütterung des Textes legt, scheint mir für eine solche Einführung verfehlt. Aber das sind Ansätze, die sich aus der jeweils individuellen Begegnung mit dem Ulysses ergeben; da muss am Ende jeder Leser seinen eigenen Gang gehen.

Der Hauptteil des Buches erzählt die Handlung des Ulysses kapitelweise nach. Das ist für Einsteiger wahrscheinlich die wichtigste Orientierungshilfe.  Auch die Anspielungen auf die Episoden der Odyssee und die Referenz der einzelnen Kapitel auf Körperteile und Organe erläutert Zumbach. Die Nacherzählungen sind hier und da etwas lückenhaft, an anderer Stelle, so etwa beim Circe-Kapitel, muss man der Leistung des Nacherzählers aber durchaus Respekt zollen.

Den einzigen wirklichen Mangel würde ich darin sehen, dass Zumbach ein Grundprinzip der Textgestaltung nicht deutlich genug herausarbeitet: Im Ulysses wird nicht die Form an den Inhalt angepasst, sondern die Form erzeugt den Inhalt. So ist es zum Beispiel nicht so, dass Bloom in Nausikaa nach Sandymount versetzt wird, weil die Familie Dignam dort wohnt, sondern die Familie Dignam wohnt dort, damit das nachfolgende Kapitel, Die Rinder des Sonnengottes, mit der Formel »Deshil Holles Eamus« beginnen kann. »Deshil« meint hier nämlich soviel wie »der Sonne entgegen«, englisch »sunward«, was zugleich eine Anspielung darauf ist, dass sich Leopold Bloom nun seinem geistigen Sohn Stephen Dedalus nähert. Daher muss Leopold Bloom nach Westen gehen, der untergehend Sonne entgegen, und deshalb verfrachtet ihn Joyce an den Strand von Sandymount. Es ist im Ulysses die Sprache, die die Fabel hervorbringt, nicht umgekehrt.

Unverständlich ist, warum das Bändchen nicht lieferbar ist, da offenbar eine erhebliche Nachfrage besteht. Bei Amazon werden derzeit für gebrauchte Exemplare Fantasiepreise von knapp 50,– € bis über 80,– € verlangt. Es sei an dieser Stelle nochmals beklagt, dass Suhrkamp Hugh Kenners Buch über den Ulysses – bei Amazon schon für 2,90 € zu bekommen – nicht mehr druckt, das meiner unmaßgeblichen Meinung nach immer noch die beste Einführung ins Buch liefert.

Frank Zumbach: Joyce’ Ulysses. Serie Piper 3138. München: Piper, 32004. 144 Seiten. 7,90 €.

Zum Tod von Hans Wollschläger

Und in dem slozze was ein tavel bereitet die was us dem birckenholz Finlants und was getragen von vier zwercmaennern ienes lants doch sie warn verzawbert also daz sie niht kunten sich rueren noch regen. Und es lagen uf diser tavel gar furhtbære swerter und messer die da gemacht werden in ein groz hœl von bœzer geister hant und werden gemacht us wize flamen und bevestiget in dem gehürne von bueffelen unde hirschen so aldort leben in wunderbær vuelle. Und waren schuezzelen da und geschirre und waren gemacht durch den zawber Mahounds us mers sant und us luft von eim hecsemeister mit sin odem welchen er in sie eineschnobt daz sie werden als wie groze blazen. Und es lag spise uf dere tavel so lecker lieplich unde rich als niht iemant sihs kœnt herrelicher noch lieplicher erdenken. Und es war da ein vaz von silber swelchs kont geoffent werden uf listriche art und lagen dar inne seltsæne visch sonder hawbt und dis zeugschaft ist war obe schon ungleubic leut wol mœhten bestriten daz es ein mœgelich dinc biz daz sie es saehen. Und dise visch liegen in eim œlichten wazzer so us dem lant Portugal gebraht und ist so vil vet dar inne daz es gelichet dem saft von geslahen œlvruht. Und insgeliche wunderhaftic ze schawen in deme sloz was wie sie durh zawberschaft da ein gemischede berihten uz manecvalt vruhtbaere weizzen von Chaldaea swelchs mit dem bistant von gewizze bœze geister so sie dar eine bannen uf swellet gar wunderbærliche als wie ze eim mehtic berc. Und sie machen die slangen da gelernic daz sie sih ufhin winden an lange stocholz uz dem ert grunt und uz dise slangen schuopen brawen sie ein gebrawe als wie met.

James Joyce
Ulysses
deutsch von Hans Wollschläger

Ein Wort zu Dieter H. Stündel

Im SPIEGEL Nr. 6/5.2.07 hat auf S. 178 Elke Schmitter noch einmal Dieter H. Stündel und seiner »ÜbelSätzZung« von Joyces »Finnegans Wake« gedacht. Das Warum ist dem Artikel nicht zu entnehmen. Allerdings bietet dies einen schönen Anlass, einmal folgenden kurzen Wortwechsel zwischen zwei der besten Joyce-Kenner Europas zu dokumentieren:

F. S.: Du, ich habe mir nochmal die Übersetzung von diesem Stündel angeschaut. Der kann ja gar kein Englisch.

F. R.: Das macht nichts; Deutsch kann er ja auch nicht.