Gert Loschütz: Dunkle Gesellschaft

60652369_86ce5fb369Ein ungewöhnliches Buch, auf das ich über die Shortlist des Deutschen Buchpreises gestoßen bin.

Loschütz arbeitet mit dem bewährten Muster von Rahmen- und Binnenerzählungen: In der Rahmenhandlung lebt der Erzähler und Protagonist Thomas in einem kleinen Dorf, das er in nächtlichen Spaziergängen erkundet. Beherrschendes Element des Rahmens ist der kontinuierliche Regen, der schließlich in einer Flutkatastrophe kulminiert, aus der der Erzähler mit den anderen Bewohnern des Dorfes in ein Flüchtlingslager gerettet wird. Während seiner nächtlichen Gänge durchs Dorf erinnert sich der Erzähler an zehn Episoden aus seinem bewegten Leben, beginnend mit seiner Ausbildung zum Schiffskapitän in der Nähe von London, über unterschiedlichste Beschäftigungen auf diversen Schiffen und an unterschiedlichen Orten bis hin zur Affäre mit einer Nachbarin in dem Dorf, das schließlich überflutet wird.

Allen zehn Binnenerzählungen ist gemeinsam, dass sie rätselhafte Elemente enthalten: Phantastisches, Unheimliches, Ominöses, Traumhaftes – jede Erzählung präsentiert eine andere Spielart des Mysteriösen. Keines dieser Elemente wird aufgelöst, keine der Episoden wird erklärt oder erklärt eine andere. Verbunden sind sie bloß als Erinnerungen des Erzählers und Protagonisten; eigentlich kann der Leser nicht einmal sicher sein, dass es sich tatsächlich in allen Details um Erinnerungen handelt und nicht um Phantasien, die die Erinnerungen überlagern.

Ich muss zugeben, dass mir Literatur dieser Art nicht sehr liegt; ich habe eine Abneigung gegen Erzählungen, die aus dem Umbestimmten und Undeutlichen versuchen, Stimmungen zu erzeugen und damit einen Mangel an konkreten Inhalten, an Handlung und Gedanken zu überspielen. Aber dieser erste Eindruck (wahrscheinlich genährt aus meinem Vorurteil) hat sich im Laufe der Lektüre verloren, was auch daran liegen mag, dass die Variation von Stimmungen, Motiven und Erzählton in den Binnenerzählungen und die immer detaillierter werdende Rahmenerzählungen eine gelungene Mischung von Abwechslung und Kontinuität bilden.

Wie gesagt: Ein ungewöhnliches Buch, das im Laufe der Lektüre gewinnt und dem man deshalb einige Seiten mehr als gewöhnlich Kredit einräumen sollte, falls es einen nicht gleich zu Anfang packt.

Loschütz, Gert: Dunkle Gesellschaft. Roman in zehn Regennächten
FVA, 2005; ISBN 3-627-00129-X
Gebunden
219 Seiten – 19,90 Eur[D]