John Updike: Terrorist

Da ich aus didaktischem Anlass gerade aufs Thema gestoßen bin, werde ich einige weitere, unsystematisch ausgewählte Erzählungen anhängen, die sich – mehr oder minder direkt – mit den Anschlägen vom 11. September 2011 beschäftigen. Darunter ist Updikes »Terrorist« wahrscheinlich eine der bekanntesten. Sie erschien bereits ein Jahr vor Don DeLillos »Falling Man« und ist inhaltlich weit geradliniger und erzählerisch schlichter und richtet sich deutlich an ein breiteres Lesepublikum.

Erzählt wird die Geschichte des zu Anfang kurz vor seinem High-School-Abschluss stehenden, knapp 18-jährigen Ahmed Mulloy, Sohn einer irischstämmigen US-Amerikanerinnen und eines Ägypters, der bald nach Ahmeds Geburt aus dem Leben der Mutter verschwunden ist. Ahmed ist ein etwas schüchterner, unsicherer junger Mann von einigem Stolz, ans einer Schule zugleich ein guter Schüler und ein Außenseiter. Seine Identität definiert er hauptsächlich über seine Zugehörigkeit zu einer muslimischen Gemeinde, deren Imam Ahmeds Isolation und seine Verachtung der moralischen Laxheit seiner Schulkameraden, ja der US-amerikanischen Gesellschaft überhaupt systematisch fördert und verschärft. Der Imam ist es auch, der Ahmeds Berufswahl nach dem Schulabschluss entscheidend beeinflusst; so wird er LKW-Fahrer in einer der Moschee nahe verbundenen Möbelspedition.

Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Ahmed soll einige Tage nach dem 11. September 2004 einen mit Sprengstoff beladenen Laster in einem der Tunnel von New Jersey nach New York zur Explosion bringen. Doch greift kurz zuvor Ahmeds ehemaliger Beratungslehrer, ein atheistischer, desillusionierter Jude, der auf dem originellen Namen Jack Levy hört und der, um ihn während des Romans zu beschäftigen und auch nach dem Schulabschluss mit Ahmed zu verbandeln, vom Autor durch ein Verhältnis mit Ahmeds Mutter geschleift wird, bedeutend in die Handlung ein. Wie es am Ende ausgeht, soll nicht verraten werden, denn immerhin bilden die letzten 70 Seiten die einzige gelungene Passage des Buches.

Ansonsten leidet das Buch sehr darunter, dass es sich bei praktisch allen Figuren des Buches um Idioten handelt. Der Leser ist daher gezwungen, sich seitenweise durch mit Plattitüden und Klischees angefüllte, stilistisch unerhebliche Dialoge zu arbeiten, in denen Updike nicht nur das letztlich recht schlichte Gemüt Ahmeds, sondern auch die Gehaltlosigkeit der US-amerikanischen Alltagskultur widerspiegelt. Zumindest das muss man dem Autor zugestehen, dass er Ahmeds Verachtung der ihn umgebenden Realität über weite Strecken teilt, wenn er auch weder seine Alternative schätzt, geschweige denn die Konsequenzen billigt, die sein junger, naiver Protagonist aus dieser kritischen Haltung zieht.

Alles im allem ist das Buch trivial und über weite Strecken langatmig. Es ist die Behandlung des Themas islamistischer Terrorismus, wie man sie von einem routinierten US-Autor erwarten würde, könnte aber auch sowohl inhaltlich als auch formal ebenso gut zum Beispiel von Stephen King stammen. Ich werde bei Gelegenheit meine alte Einschätzung John Updikes durch eine erneute Lektüre der Rabbit-Romane noch einmal justieren müssen.

John Updike: Terrorist. Deutsch von Angelika Praesent. rororo 24473. Reinbek: Rowohlt, 2008. Broschur, 397 Seiten. 9,95 €.

John Updike: Gertrude und Claudius

978-3-570-19528-4 Erzählung der Vorgeschichte des Hamlet Shakespeares von der Hochzeit von Hamlets Eltern bis zum Anschluss an die zweite Szene des ersten Aktes bei Shakespeare. Reizvoll ist die Entscheidung Updikes, kenntlich zu machen, dass er aus drei verschiedenen Quellen schöpft, in dem er in den drei Teilen des Buches die Figuren unter verschiedenen  Namen (Amleth, Hamblet, Hamlet / Gerutha, Geruthe, Gertrude / Horwendil, Horvendile, Hamlet)  auftreten lässt. Damit hört aber die Treue zu den Quellen auch fast schon wieder auf. Wahrscheinlich soll es ein Ausdruck von Ironie gelten, dass alle Handelnden durchweg als Figuren modernen Zuschnitts auftreten. Was im Text allerdings daraus entsteht, ist und war zu allen Zeit Schwulst:

Gerutha erfuhr in diesem Augenblick ein Frauengeheimnis: zu lieben ist ein Vergnügen, das jenem, geliebt zu werden, entspricht, ihm antwortet, wie die Kamine zu beiden Seiten eines Saales einander ihre Wärme entgegenstrahlen. Die Liebe einer Frau ist ein Strömen, das, einmal ausgelöst, nur unter großen Schmerzen zum Versiegen gebracht werden kann. Die des Mannes ist im Vergleich dazu ein jähes Sprudeln. Sie eilte in ihrer schimmernden Nacktheit zum Bett, neben dem, auf einem kleinen Tisch, eine einzelne Kerze brannte, fand auf dem Kopfpolster ihre Nachtmütze, zusammengefaltet wie ein dicker rauher Liebesbrief, und in den Schatten von Horwendils dann und wann donnernden Schlummer geschmiegt, schlief sie ein.
[…]
Horwendil ließ es seither nicht an Tatenlust fehlen, wahrlich nicht, viele Ausrufe des Lobs und des Entzückens kamen ihm über die kundigen Lippen, wenn sie über ihren Leib hinglitten, und seine Stoßkraft entlud sich jedesmal so reichlich, daß er eine Kumme hätte füllen können, aber empfindsame Prinzessin, die sie war, spürte sie etwas Abstraktes in seiner Leidenschaft: sie war ein Ausdruck seiner allgemeinen Vitalität, nicht mehr. Er wäre mit jeder Frau wollüstig gewesen, und natürlich hatte seine Lust einer ganzen Reihe von Frauen gegolten, bevor sie da war.

Dies ist nur ein Beispiel aus dem ersten Teil; der geduldige Leser kann aber in allen Teilen solche missratenen Passagen finden.

Darüber hinaus macht Updikes Buch nur noch eines deutlich: Dass Shakespeares Entscheidung, Hamlet in das Zentrum seines Stücks zu stellen, statt seine Mutter und seinen Onkel, einmal mehr sein Genie unter Beweis stellt. Sowohl die »unglückliche« erste Ehe Gertrudes als auch ihre sexuell erfüllte zweite sind ödes Klischee, von Updike breitgetreten und bis ins Detail ausgeschwätzt. All das kennt man aus hundert anderen Büchern in gleicher Weise und in mehr als einem Dutzend origineller, konziser und präziser. Updike dagegen bleibt in Erfindung und Ausführung trivial.

John Updike: Gertrude und Claudius. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Lizenzausgabe. Hamburg: Gruner + Jahr, 2006. Leinenrücken, Lesebändchen, 269 Seiten. 10,– €.

Volker Hage: John Updike

hage_updikeUpdike gehört zu jenen nordamerikanischen Autoren, die über die Jahre auch eine treue deutsche Leserschaft erworben haben. Seit dem Weltbestseller »Ehepaare« (»Couples«, 1968, dt. 1969) ist das Erscheinen eines Romanes von Updike auch in Deutschland ein wichtiges literarisches Ereignis. Updike ist mit einer bewundernswerten Produktivität und Kontinuität gesegnet und hat weit mehr als das von ihm zu Anfang seiner Karriere angestrebte Soll von einem Buch pro Jahr vorgelegt. Etwa alle zwei Jahre erscheint ein umfangreicher Roman und man ist schon sehr beschäftigt, wenn man auch nur als Leser mit Updikes Produktion Schritt halten will.

Volker Hage hat seit 1983 sechs umfangreiche Interviews mit John Updike geführt und kann wohl als einer der deutschen Kenner des Werks bezeichnet werden. Mit diesem Band legt er die erste deutsche Biographie Updikes überhaupt vor, dessen Romane komplett, dessen Erzählungen weitgehend und dessen Essays und Gedichte wenigstens in Auswahl auf Deutsch vorliegen. Da das äußere Leben Updikes nicht so sehr abwechslungsreich verlaufen ist, ist das schmale Bändchen zugleich eine Einführung in das Werk, die die Romane (inklusive des 2006 erschienenen Buchs »Terrorist«) und die wichtigsten Erzählungen in den Mittelpunkt stellt.

Hage geht mit Updike insgesamt sehr freundlich um, selbst an den Stellen, an denen er seine Bücher offensichtlich nicht besonders goutiert: So fällt etwa die Besprechung von »Terrorist« ungewöhnlich distanziert aus, zugleich lobt Hage an dem Buch aber, was er nur loben kann. Eine solche Herangehensweise ist für eine so kurze und zugleich konkurrenzlose Biographie sicherlich angemessen.

Allerdings handelt es sich bei dem Büchlein in anderer Hinsicht um eine Mogelpackung: Umfang, Layout und Aufbau des Bandes machen ihn zu einem typischen Vertreter der »rororo Monographien«. Nun scheint man bei Rowohlt schließlich doch bemerkt zu haben, dass man sonst über keine Biographie des Hausautors Updike verfügt, und so hat man sich entschlossen, den Band durch einen festen Pappeinband und einen Schutzumschlag aufzuwerten. Diese »Zusatzausstattung« lässt man sich vom Käufer mit einem satten Aufschlag honorieren: Mit 16,90 € kostet das Buch beinahe das Doppelte eines Bandes der Monographien-Reihe. Die Verantwortlichen des Rowohlt-Verlages mögen sich einmal das Preis-Leistungs-Verhältnis der Reihe »dtv portrait« anschauen, die zwar nur mit einem Softcover, dafür aber mit Fadenheftung ausgestattet ist – und das zum selben Preis wie die »rororo Monographien«.

Das Buch kann uneingeschränkt zur Einführung empfohlen werden, macht aber zugleich das Fehlen einer umfangreichen und kritischen Updike-Biographie spürbar.

Volker Hage: John Updike. Eine Biographie. Reinbek: Rowohlt, 2007. Pappband, 159 Seiten. 16,90 €.