James Shapiro: Contested Will

Shapiro-Contested-WillDer seltene Fall eines Buches über die Frage nach der Urheberschaft von Shakespeares Werken, das von einem Stratfordianer verfasst ist.

Wie auch hier bereits dargestellt, gibt es seit dem 19. Jahrhundert eine breite populär- und fachwissenschaftliche Diskussion der Frage nach dem Autor von Shakespeares Werken. Es stehen derzeit wohl in der Hauptsache noch drei Kandidaten zur Diskussion: Francis Bacon, Christopher Marlowe und Edward de Vere. Shapiro geht nur auf zwei dieser Kandidaten ausführlich ein, während er den Fall Marlowe, der allerdings auch auf extrem spekulativen Grundlagen beruht, für erledigt zu halten scheint. Auch Bacon behandelt er eher als historische Position, da mit der Spekulation um dessen Autorenschaft der erste ernsthafte und umfangreiche Versuch unternommen wurde, den Stratforder Kaufmann durch eine Person zu ersetzen, die den modernen Ansprüchen an einen Autor besser gerecht wird. Die einzige noch lebendige Theorie aber dürfte die um Edward de Vere sein, wenn auch hier einige der extremeren Spielarten, in denen Edward de Vere kurz davor ist, als sein eigener Großvater aufzutreten, ebenfalls als weitgehend erledigt angesehen werden dürfen.

Shapiros Darstellung verfolgt zwei Ziele: Zum einen möchte er die historische Entwicklung der alternativen Verfassertheorien darstellen und auf diese Weise verständlich machen, warum Menschen überhaupt auf den Gedanken verfallen, sich einen besseren Autor für Shakespeare Stücke zu wünschen. Zum anderen führt er in einem eigenen Kapitel eine ganze Reihe von Argumenten auf, die insbesondere Edward de Vere als Verfasser ausschließen. In einem Epilog findet sich zudem eine Kritik an der allgemein weitgehend spekulativen biographischen Tradition, in der auch die meisten Biographien des Stratforders stehen. Das seit dem 18. Jahrhundert Stufe für Stufe entstandene Bild vom Zusammenhang zwischen der Biographie und dem Werk eines Autors wird zu Recht für die Elizabethanische Zeit als nicht zielführend zurückgewiesen.

Das Buch beweist nicht in einem positivistischen Sinne – und will dies auch gar nicht –, dass der Stratforder William Shakespeare der Autor der ihm zugeschriebenen Werke ist. Es zeigt aber einleuchtend auf, dass zum einen die vorgeschlagenen Alternativen noch sehr viel unwahrscheinlichere Kandidaten sind, und dass es zum anderen zwischen etwa 1592 und 1610 einen wohlbekannten Londoner Schauspieler und Stückeschreiber gegeben hat, dem ein gebildeter Teil des Publikums und zahlreiche Kollegen die unter dem Namen Shakespeare veröffentlichten Stücke zugeschrieben und zugetraut haben und von dem zumindest einige dieser Kollegen wussten, dass er aus Stratford stammt. Man kann sich nun dagegen wehren wollen und all dies auch weiterhin einer Art von Verschwörung zuschreiben, allerdings muss man dabei wohl zugleich eingestehen, dass es auch nicht ein einziges authentisches, auf eine solche Verschwörung hinweisendes Dokument gibt.

Am Ende bleibt es dabei: Wir verstehen es nicht, aber es scheint tatsächlich so zu sein, wie es zu sein scheint.

James Shapiro: Contested Will. Who wrote Shakespearte? London: Faber and Faber, 2010. Pappband, Fadenheftung, 367 Seiten. Derzeit wohl nur im Taschenbuch für ca. 13,– €.

Allen Lesern ins Stammbuch (58)

// WAS IST EIN BUCH?

Dies ist 1 Titel aus den 37 000 Titeln der Jahrestitelproduktion der Bundesrepublik und Westberlins; auf den Markt geworfen von einem der 2 494 Verlage, in der Hoffnung, mit dieser Ware, die auf den Regalen von 6 920 Buchhandlungen in 888 Orten feilgeboten wird, einen Anteil am 3-Milliarden-Umsatz zu ergattern, einen, wenn’s beliebt, großen Profit. Hier hört die Schöngeisterei auf, hier beginnt das große kapitalistische Catch as catch can aller gegen alle, hier zählt, wie bei Waschmitteln und Heringskonserven, nichts als die Zahl. Jetzt hast du bezahlt, jetzt haben sich die Investitionen bezahlt gemacht, in jeder Kasse klingelt ein Teil deines Gehalts, deines Lohnes, gleichgültig, ob der Gehalt sich lohnt, du hast deine Konsumentenpflicht getan, deinen Beitrag zur Kapitalverwertung, zur Akkumulation, zur Niederringung der Konkurrenz geleistet (der Prozeß der Kapitalkonzentration ist auch hier weit fortgeschritten, zurück bleiben ein paar ideologische Fetzen, die kaum verschleiern, daß die Druckfreiheit einer 60-Millionen-Gesellschaft auf die Freiheit von 276 Unternehmern zusammengeschmolzen ist, die über 75 % aller Titel beherrschen, während sie ihrerseits wieder von den Banken beherrscht werden, daß von den 7 000 Buchhandlungen 6 000 kaum der Rede wert sind, weil 1 000 80 % aller Umsätze an sich gezogen haben, daß aus der stattlichen Zahl von 564 Grossisten nur 17 zählen, der Rest sich in 20 % des Umsatzes der Branche teilt). //

Bernward Vesper
Die Reise (1977)

Jahresrückblick 2012

Wie bereits Ende letzten Jahres ein Rückblick auf die drei besten und die drei schlechtesten Lektüren des Jahres.

Die drei besten Lektüren des Jahres 2012:

Echte Höhepunkte fehlten in diesem Jahr, insbesondere im Bereich der Neuerscheinungen, die ich gelesen habe. Vieles Gute, manches Ordentliche, aber nichts Außerordentliches war dabei. Daher fällt die Auswahl ein bisschen klassikerlastig aus:

  1. Herman Melville: Moby-Dick – auch nach vielen Durchgängen immer wieder ein Abenteuer.
  2. William Faulkner: Als ich im Sterben lag – da ich seit Jahren gern mehr Faulkner lesen würde, bin ich für die Neuübersetzungen bei Rowohlt sehr dankbar.
  3. Mario Vargas Llosa: Die jungen Hunde – eine beeindruckend dichte Erzählung über eine Gruppe Jugendlicher im Peru der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Die drei schlechtesten Lektüren des Jahres 2012:

  1. Birgit Vanderbeke: Das lässt sich ändern – gänzlich überflüssige und unglaublich naive Gutmenschenfabel.
  2. Émile Zola: Der Traum – religiöse Schmonzette, stilistischer und inhaltlicher Ausreißer des Zyklus.
  3. Hans Werner Wüst: »… wenn wir nur alle gesund sind!« – schlecht edierte und motivierte Sammlung vorgeblich jüdischer Witze.

 

Birgit Vanderbeke: Das lässt sich ändern

Vanderbeke_DaslaesstBirgit Vanderbeke ist bei der Gesellschafts-Utopie angekommen. Bereits »Sweet Sixteen« ließ so etwas befürchten, aber nun ist es geschehen. Erzählt wird die Geschichte der Erzählerin, die aus einem betuchten bürgerlichen Haus stammt, und des Handwerkers Adam Czupek, die gegen den Widerstand der bürgerlichen Eltern ein Paar werden und mit zwei Kindern aufs Land ziehen, wo sie zusammen mit einem benachbarten Bauern und einer befreundeten türkischen Familie beginnen, sich ein autarkes Leben aufzubauen. Das Haus, indem sie wohnen, ist geerbt, das Geld von dem sie leben und das Haus renovieren, verdienen sie an Krankenkassenpatienten, der Filz für die autarke Jurte kommt per LKW aus der Türkei und wird mittels einer Telefon-Transaktion bezahlt, aber sonst ist man echt total unabhängig von der Gesellschaft, bis vielleicht auf die Wochenendgäste des Bauern, die man braucht, damit der seinen Hof nicht verkaufen muss. Aber sonst: total autark! Und die Philosophie zum Lebensentwurf liefern die Texte von »Ton Steine Scherben« und »Die Ärzte«. Zum Glück bekommt gerade keines der Kinder einen Hirntumor, denn bis man einen Positronen-Emissions-Tomografen auf dem Sperrmüll findet, das kann dauern.

Stilistisch ist das Buch entgegen den früher sehr disziplinierten und kargen Texten Vanderbekes (»Ich sehe was, was Du nicht siehst« ist wohl immer noch das Muster) ungewöhnlich geschwätzig, ja einzelne Phrasen wiederholen sich ohne jede Notwendigkeit. Den absoluten Tiefpunkt erreicht Vanderbekes Sprache auf Seite 98 beim Wort »Spannkraft«, ein Wort aus der Doppelherz-Reklame, nicht aus dem Ingenieurs-Handbuch.

Ein dummes, überflüssiges Buch aus der Kategorie gut gemeint. 

… solch einen Quark mußt Du mir künftig nicht mehr schreiben; das können die Andern auch.

Birgit Vanderbeke: Das lässt sich ändern. München: Piper, 2011. Pappband, Lesebändchen, 147 Seiten. 16,95 €.

Mario Vargas Llosa: Die jungen Hunde

Endlich, sagte Fina, jetzt hat’s ihn erwischt, er ist verliebt.

vargas-llosa-hundeDiese Erzählung erschien zum ersten Mal 1967 in Barcelona, da Vargas Llosa damals bereits in Spanien lebte und in seiner Heimat Peru kein Verlag das zumindest für die 60er Jahre sowohl stilistisch als auch thematisch ungewöhnliche Buch drucken wollte. Die Erstveröffentlichung enthielt bereits die jetzt bei Suhrkamp erstmals auch von einem deutschen Verlag realisierte Kombination des Textes von Vargas Llosa und der 35 Schwarz-Weiß-Fotografien Xavier Miserachs’. Zwar dokumentieren die Bilder offensichtlich die frühen 60er Jahre in Spanien während die Erzählung selbst in den späten 20er und den 30er Jahren in Lima spielt, doch bis auf das veränderte Kostüm illustrieren die Bilder das von der Erzählung präsentierte Lebensgefühl ganz exzellent.

Der Text verweigert eine einfache Einordnung seiner Erzählform: Er wird offensichtlich als biografische Erinnerung eines älteren Erzählers an seine Jugend präsentiert, dort schwankt die Erzählperspektive ständig zwischen einer nahen, kollektiven Wir- und einer distanzierteren, auktorialen Position, wobei der Wechsel zumeist mitten im Satz stattfindet. Da zudem die wörtliche Rede nicht ausgezeichnet wird, kann es zumindest anfänglich zu Irritationen beim Leser kommen:

Auch ihnen, die wir anfangs noch aufpassten, Cuéllar, Kumpel, rutschte es immer öfter raus, ganz aus Versehen, Kamerad, ganz automatisch, Amigo: Pichulita, und er knallrot, wie?, oder kreidebleich, du auch, Chingolo?, die Augen aufgerissen, Mann, entschuldige, war keine böse Absicht, er also auch?, sein Freund? …

Doch liest sich der Text nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sehr flüssig (was sicherlich auch der Neuübersetzung zu danken ist, die Suhrkamp der Erzählung spendiert hat), und wenn man ihn in einem Zug liest, gewöhnt man sich so vollständig an den ständigen Perspektivwechsel, dass man gegen Ende bewusst nachschaut, ob er denn überhaupt noch benutzt wird. Wenigstens mir erging es so.

Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe von fünf Schulfreunden, wobei das Schicksal des jungen Cuéllar im Zentrum steht. Cuéllar wird kurz nachdem er in die Klasse der anderen gekommen ist und sich als ein exzellenter Schüler erwiesen hat, nach einer Sportstunde von einem Hund angefallen und durch einen Biss um sein Geschlechtsteil gebracht. Zwar überlebt er die Attacke, doch ist er von dem Augenblick an ein Außeseiter in der Gruppe, auch wenn das lange Zeit keiner seiner Freunde auch nur wahrnehmen will. Offensichtlich wird Cuéllars Lage aber, als die ersten der Clique Freundschaften mit Mädchen beginnen: Cuéllar, der inzwischen den Spitznamen Pichulita (Schwänzchen) trägt, reagiert zuerst aggressiv, sondert sich dann ab, kehrt jedoch immer wieder zur Gruppe zurück. Er huldigt dem Machismo auf seine Weise, indem er ein herausragender und waghalsiger Sportler und Autofahrer wird, aber er traut sich aus verständlichen Gründen nicht, eine Freundschaft mit einem Mädchen zu beginnen. Als er sich schließlich doch gegen seinen Willen verliebt, wird er für eine Weile geselliger und normaler, doch spitzt sich seine Lage durch diese Verliebtheit nur noch weiter zu, da sie seine Verzweiflung über die Unmöglichkeit einer sexuellen Erfüllung einer Beziehung zum Grundgefühl seiner Existenz werden lässt.

Es macht den Rang Vargas Llosas aus, dass er darauf verzichtet, Cuéllar ein noch tragischeres Ende nehmen zu lassen als ohnehin sein Leben schon war. Die Freunde verlieren sich über Studium, Arbeit und Gründung einer Familie wie zu erwarten mehr und mehr aus den Augen; Cuéllar lebt für eine Weile in den Bergen, geht dann in den Norden Perus und wird Opfer seines riskanten Fahrstils. Der Leser bleibt mit dem Erzähler ratlos zurück, wie diesem Jungen auf Erden zu helfen gewesen wäre; sein Elend ließ sich erzählen, aufzuheben war es nicht.

Ein beeindruckend dicht erzählter Text, dem es wie nebenbei gelingt, das Lebensgefühl wohl einer ganzen Generation junger Männer darzustellen. Unbedingt lesenswert!

Mario Vargas Llosa: Die jungen Hunde. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Mit Fotografien von Xavier Miserachs. Berlin: Suhrkamp, 2011. Pappband, Fadenheftung, 98 Seiten, davon 48 Seiten mit 35 Schwarz-Weiß-Fotografien. 24,90 €.

Mario Vargas Llosa: Tante Julia und der Schreibkünstler

Wie konnte er die Parodie eines Schriftstellers sein und zugleich der Einzige, der aufgrund der Zeit, die er seinem Beruf widmete, und des geschaffenen Werks diese Bezeichnung in Peru verdiente?

978-3-518-42255-7Wahrscheinlich der beste Roman Vargas Llosas (wenn ich auch zu wenig von ihm gelesen habe, um das wirklich beurteilen zu können, aber alles andere fiel deutlich ab), den Suhrkamp dadurch aufwertet, dass man ihn neu hat übersetzen lassen. Wohl um die Neuübersetzung als solche kenntlich zu machen, hat man den Titel variiert: Während die alte Übersetzung nicht sehr glücklich »Tante Julia und der Kunstschreiber« hieß (das Kunstwort Kunstschreiber sollte vielleicht an Kunstreiter erinnern?), ist der Schreibkünstler der Neuübersetzung beinahe noch unglücklicher gewählt, da das Wort zum einen sehr gekünstelt daherkommt und zum anderen eher einen Kalligraphen als einen Schriftsteller bezeichnet. Mit dem im spanischen Original »La tia Julia y el escribidor« verwendeten escribidor haben beide Wörter nur entfernte Verwandtschaft, denn das bedeutet auf Deutsch schlicht Schreiberling, was den unschlagbaren Vorteil hat, dass sich im Titel noch gar nicht entscheidet, welcher der beiden im Text vorkommenden Autoren denn dieser Schreiberling sein soll. Warum das im Deutschen gebräuchliche und passende Wort (von der wundervoll altertümelnden Variante Skribent will ich hier ganz schweigen) in beiden Fällen nicht zur Anwendung gekommen ist, blieb mir bislang unverständlich. (Die englische Übersetzung macht aus dem escribidor übrigens einen scriptwriter, was die lustige Folge hat, dass der Übersetzungsautomat von Google für escribidor als erste Wahl Drehbuchautor vorschlägt. Da sage nochmal einer, Literatur habe keine Folgen.)

Das Buch ist in alternierenden Kapiteln erzählt: In den ungerade bezifferten erzählt der halbautobiographische Ich-Erzähler Mario von seinen Erlebnissen des Jahres 1954. Mario ist 18 Jahre alt und studiert eher aus Pflicht als mit Lust Jura in Lima. Um sich ein wenig nebenbei zu verdienen, arbeitet er außerdem als Nachrichtenredakteur bei einem kleinen Radiosender, indem er Meldungen aus den Zeitungen umarbeitet. Eigentlich will Mario aber Schriftsteller werden, nur hat er bislang mit seinen Bemühungen weder bei seinem literarisch beschlagenen Freund Javier noch bei den lokalen Zeitschriften Glück gehabt. Zu Anfang des Romans treten zwei neue Personen in Marios Leben: Seine angeheiratete Tante Julia, eine 32-jährige, geschiedene Bolivianerin, die ihre Schwester in Lima besucht und auf der Suche nach einem neuem Ehemann ist, und Pedro Camacho, ein 50-jähriger Autor, ebenfalls Bolivianer, der beim Radiosender anfängt, um die täglichen Hörspielserien – vier an der Zahl – zu schreiben, zu produzieren und auch in ihnen mitzuwirken.

Während sich Mario mit seiner Tante Julia, die ihn als halbes Kind behandelt, zuerst nicht gut versteht, lernt er Pedro Camacho sehr bald zu respektieren. Zwar sind die von ihm produzierten Radio-Novellas nicht seine Welt, doch im Gegensatz zu ihm geht Camacho das Schreiben völlig mühelos von der Hand. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen Mario und Pedro eine nähere Bekanntschaft, die der einzige soziale Kontakt zu sein scheint, den Camacho überhaupt pflegt. Auch mit seiner Tante versteht sich Mario immer besser: Die beiden gehen miteinander ins Kino, beginnen Händchen zu halten und sich sogar zu küssen, wobei das ganze lange Zeit nur ein Flirt bleibt und erst langsam in eine Verliebtheit übergeht.

In den gerade bezifferten Kapiteln (mit Ausnahme des letzten, das eine Art von Epilog liefert) dagegen wird immer eines der Hörspiele von Pedro Camacho nacherzählt. Camacho ist ein Meister der Seifenoper und wird in kurzer Zeit zum Star des Radiosenders; die Einschaltquoten und damit auch die Werbeeinnahmen vervielfachen sich. Allerdings legt Camacho von Anfang an bestimmte Marotten an den Tag: Vorlieben für gewisse religiöse Kulte, einen Hass auf Argentinier und ähnliches. Doch da er so erfolgreich ist, dass angeblich sogar der Staatspräsident seinen Hörspielen folgt, ist er für lange Zeit unantastbar. Aber die Belastung, vier Serien am Tag produzieren zu müssen, fordert Tribut: Je länger Camacho schreibt, desto mehr verliert er die Kontrolle über seine Geschichten. Zuerst tauchen Figuren  auch in Serien auf, zu denen sie ursprünglich nicht gehörten. Wird in diesem Fall noch an einen künstlerischen Trick geglaubt – man vermutet, Camacho ahme Balzac nach –, so wechseln Figuren bald auch ihre Namen oder haben plötzlich einen anderen Beruf, ebenso verändern sich ihre körperlichen Eigenschaften oder verwandtschaftlichen Beziehungen. Camacho, dem von Anfang an klar ist, dass er die Kontrolle verliert, versucht sich dadurch zu helfen, dass er einen bedeutenden Teil seines Personals sterben lässt, vergisst aber natürlich gleich wieder, wer nun schon tot ist und wer noch lebt.

»Alle sind ertrunken«, präzisierte die ausländische Dame. »Sein Neffe Richard und auch Elianita und ihr Mann, der Rotfuchs Antúnez, dieser Dummkopf, und selbst das Kind ihrer Blutschande, der kleine Rubencito. Sie waren auf dem Schiff, um sie zu verabschieden.«
»Bloß komisch, dass der Leutnant Jaime Concha ertrunken ist, der war schon bei dem Brand von Callao umgekommen, in einer anderen Serie, vor drei Tagen«, fiel die junge Frau wieder ein und lachte sich halb tot; sie hatte aufgehört zu schreiben. »Diese Radioserien sind ein Witz geworden, meinen Sie nicht?« [S. 325]

Während Camacho mit seinen Serien kämpft ist die Liebesgeschichte zwischen Julia und Mario ernsthaft geworden. Da aber nun die Eltern von Mario drohen, der Sache ein Ende zu machen, versuchen die beiden Verliebten durch eine Heirat vollendete Tatsachen zu schaffen. Doch um heiraten zu können, braucht der noch minderjährige Mario entweder die schriftliche Einwilligung seiner Eltern oder er muss einen Bürgermeister finden, der bereit ist, die Trauung auch ohne dieses Dokument vorzunehmen. Nachdem alle Versuche in Lima gescheitert sind, machen sich Julia und Mario zu einer Odyssee durch die Provinz auf, um irgendwo auf dem Dorf heiraten zu können …

Der Roman ist nicht nur äußerst witzig und erfindungsreich, er ist zugleich auch eine intelligente Auseinandersetzung mit der Schriftstellerei: Während der junge Autor Mario verzweifelt mit seinen Texten um Bedeutung kämpft, nur um dann von seinem Freund Javier in Grund und Boden kritisiert zu werden, hat er zugleich das Beispiel eines Schreibers vor Augen, der praktisch alles Material seines Lebens problemlos in triviale Literatur umgießt und auf diese Weise in kurzer Zeit große Mengen Text produziert. Der Witz besteht aber nun gerade darin, dass der Ich-Erzähler Mario mit seiner Geschichte von dem Vielschreiber Pedro und seiner Liebe zu Julia nichts anderes macht als der von ihm als Schreiberling angesehene Camacho. Und die im Buch wiedergegebenen Hörspiele machen mit ihrem Gebrauch und der Verwechslung der Versatzstücke klar, dass alles immer auch anders hätte sein können, dass die fiktive Welt immer nur eine Folge von Entscheidungen ihres Schöpfers ist, die leicht auch ganz anders hätten ausfallen können.

Das Buch ist zweifellos ein Glücksfall der Literatur! Die Neuübersetzung ist gut und flott zu lesen; ob sie tatsächlich besser ist als die alte von Heidrun Adler, ist eine Frage, die jemand mit besseren Spanisch-Kenntnissen entscheiden muss. Ich will’s bis zum Beweis des Gegenteils gern glauben.

Mario Vargas Llosa: Tante Julia und der Schreibkünstler. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2011. Pappband, 447 Seiten. 22,90 €.

Jules Verne: Die Eissphinx

Verne-Eissphinx Gleich im Anschluss an den »Arthur Gordon Pym« Edgar Allan Poes habe ich auch Jules Vernes sogenannte Fortsetzung, »Die Eissphinx«, noch einmal gelesen und das, obwohl ich an die erste Lektüre alles andere als gute Erinnerungen hatte. Das hat sich denn auch bestätigt. Es handelt sich um einen zweibändigen, über weite Strecken überaus langweiligen Roman. Erzählt wird von einer Antarktis-Expedition, die der Bruder des Kapitäns der Jane aus Poes »Pym« unternimmt, um eben den verschollenen Bruder und mögliche weitere Überlebende zu retten. Erzähler ist ein amerikanischer Geologe namens Jeorling, den es eher zufällig auf das Schiff des Kapitäns Len Guy verschlägt und der diesen zuerst für verrückt hält, da der den »Pym« als einen Tatsachenbericht und nicht als einen Roman liest.

Es ist unnötig die überaus ausführlichen Umstände der Reise nach Tsalal, zum Pol und darüber hinaus nachzuerzählen. Über viele Seiten geschieht spannenderweise gar nichts, was dann aber sicherlich nochmal irgendwo wiederholt wird, um auch ja nichts auszulassen. Die titelgebende Eissphinx kommt zwar am Ende doch noch vor, ist aber ein kompletter McGuffin, dessen Geheimnisse spätere Expeditionen werden lüften müssen.

Das Buch ist ein typisches Produkt des Schnell- und Vielschreibers Verne, der die Niederschrift mit vagen und halbfertigen Ideen beginnt, und, wenn ihm dann im Prozess der Niederschrift die Einfälle ausbleiben, das Geschriebene solange wiederholt und variiert, bis ihm dann doch schließlich ein neuer Gedanke in den Schoß fällt. Das Ergebnis ist ein planloses, redundantes und seitenschindendes Hin- und Herfahren seines Helden, das schließlich darin gipfelt, dass er ankommt, wo er ankommen muss, und dort gar nichts Interessantes vorfindet, was aber auch wieder ausführlich beschrieben wird.

Die anonyme Übersetzung, die 1898 bei Hartleben erschienen ist, ist höchst mäßig und offensichtlich ohne jegliche Ambitionen erstellt worden. Hinzukommt, dass die von mir benutzte elektronische Ausgabe des Textes zahlreiche schwere Scannfehler aufweist, die die Lektüre hier und da doch deutlich stören.

Jules Verne: Die Eissphinx. Wien, Pest, Leipzig: Hartleben, 1898. In: Ders.: Bekannte und unbekannte Welten. Das erzählerische Werk. Hg. v. Wolfgang Thadewald. Digitale Bibliothek Bd. 105. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2004. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.2; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Kurt Kreiler: Der Mann, der Shakespeare erfand

978-3-458-17452-3 Worauf man sich wahrscheinlich mit den meisten ernsthaften Shakespeare-Lesern würde einigen können, ist, dass uns die Person des Stratforder Kaufmanns, der angeblich der Autor von Shakespeares Werken sein soll, nicht wirklich überzeugt. Andererseits werden die meisten im selben Atemzug einwenden, dass es um die anderen Kandidaten nicht so sehr viel besser bestellt ist.

Allerdings wird seit etwa 90 Jahren ein möglicher Autor von Shakespeares Werken diskutiert, der alle Eigenschaften in sich vereint, die uns notwendig erscheinen, um das Genie Shakespeares zu erklären: Er ist Adeliger und Höfling, er hat eine breite höhere Bildung genossen, er hat Frankreich und – was wichtiger ist – Italien bereist, in seiner Bibliothek fanden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit all jene Bücher, die Shakespeare gelesen haben sollte etc. pp. Es handelt sich um Edward de Vere, den 17. Earl of Oxford, geboren 1550, gestorben 1604, Lebemann, Frauenheld, stets tief verschuldet, lange Zeit in London und am Hofe Elizabeth I. lebend und nachweislich Autor diverser Gedichte, die er unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlichte. Auch war er fraglos der Theaterwelt seiner Zeit verbunden – nur, ob er der Autor von Shakespeares Werken war, scheint fraglich.

Kurt Kreiler, der sich seit längerem darum bemüht, den Autor Edward de Vere dem deutschen Publikum nahe zu bringen, hat nun die erste umfangreiche deutschsprachige Biografie über ihn vorgelegt. Das Buch muss in zweierlei Hinsichten betrachtet werden: Zum einen als Biografie eines elisabethanischen Autors, zum anderen als Kampfschrift zur Shakespeare-Frage. Was die biografische Seite angeht, so ist Kreiler zu attestieren, dass er ein beeindruckender Kenner des Lebens und der Lebensumstände de Veres ist. Wie auch im Falle des Stratforder Shakespeares ist die Quellenlage gemessen an heutigen Vorstellungen eher dünn. So greift auch Kreiler zu dem üblichen Trick der Biografen, fehlende persönliche Details durch allgemeine Historie zu ersetzen. Dabei wird unvermeidlich vieles erzählt, was man eventuell bereits anderswo gelesen hat. Andererseits finden sich bei Kreiler auch immer wieder interessante Einzelheiten. Nur als Biografie betrachtet ist das Buch verdienstvoll und lesenswert.

Natürlich würden sich nur sehr wenige Leser für Edward de Vere interessieren, wenn nicht die These im Raum stünde, er habe Shakespeares Werke verfasst. Kreiler vertritt diese These geschickt, indem er deutlich macht, dass der Autor der »italienischen Stücke« seine Kenntnisse nicht aus einer auch noch so breiten Lektüre gewonnen haben kann, sondern höchstwahrscheinlich Italien bereist haben muss. Da sich eine solche Reise nicht in das Leben des Stratforder Kaufmanns hinein konstruieren lässt, erscheint er schlicht als unzureichende Persönlichkeit. De Vere dagegen hat die Vorzüge, die wir Shakespeare zuschreiben möchten: Er hat Italien selbst besucht, kennt die meisten Orte, an denen die Stücke spielen, aus eigener Anschauung, könnte all jene Kenntnisse, die Shakespeare nicht aus den Büchern seiner Zeit hätte extrahieren können, vor Ort in sich aufgenommen haben usw.

Das Bild ist verführerisch, nur ist es eben ein Bild und kein Beweis und sei es nur einer mittels Indizien. Denn leider ist die uns suggerierte Alternative zwischen einem Stratforder Stubenhocker einer- und einem weltmännischen Earl andererseits künstlich. Warum sollte ein Shakespeare allein auf Lektüre angewiesen sein, um die entsprechenden Kenntnisse zu erwerben? Was hinderte ihn daran, sich mit Italienreisenden, wenn nicht sogar mit Italienern selbst zu unterhalten? Das Problem der Shakespeare-Frage besteht nicht darin, den Unbekannten aus Stratford durch einen attraktiveren Autor zu ersetzen, sondern darin, dass wir über die Person Shakespeares und seine Arbeitsweise kaum konkretes, durch Quellen belegtes Wissen haben. Daher kann jeder das Bild malen, das zu seiner eigenen Theorie am besten passt.

So verweist Kreiler etwa auf das Stück The Jew, das bereits 1579 von Stephen Gosson erwähnt wird. Kreiler schreibt:

Gossons Beschreibung läßt aufhorchen: »Es handelt von der Gier derer, die Weltliches wählen, und von der blutdürstigen Gesinnung der Wucherer.« […]

Kein Zweifel: Gosson bezieht sich mit dem Wort »the greedinesse of wordly chusers« auf die Kästchen-Szene und mit »bloody minders of Usurers« auf die blutdürstige Gesinnung Shylocks in The merchant of Venice. [S. 214]

Kein Zweifel? Gleich im nächsten Absatz formuliert Kreiler selbst den ersten Zweifel, in dem er einräumt, es könne zu Shakespeares Der Kaufmann von Venedig ein Vorläufer-Stück gegeben haben, auf das sich Gosson bezieht und von dem das Shakespeare-Stück eine Bearbeitung darstellt. Das wäre zu Shakespeares Zeit kein ungewöhnliches Vorgehen und ist auch schon für andere Stücke unterstellt worden. Und geht es denn bei Shakespeare tatsächlich um das, was Gosson behauptet oder ist dessen Beschreibung nicht eher sehr oberflächlich? Und stammt diese Oberflächlichkeit daher, dass Gosson das Stück nur unvollständig verstanden hat oder gar nur vom Hörensagen her kannte, oder daran, dass es sich eben nicht um Shakespeares Stück handelt, sondern nur um eine uns nicht überlieferte Vorlage? Kein Zweifel? Ich wenigstens habe da noch erhebliche, ganz zu schweigen von Kreilers im Anschluss vorgenommener sogenannter Datierung von Shakespeares Stück, in der er ohne weiteres Portia mit Elizabeth I. gleichsetzt, um anschließend einfach Portias Freier mit denen Elizabeth’ zu identifizieren. Da wird der »neapolitanische Prinz« des Stücks als Don Juan d’Austria identifiziert, da der sich als Admiral in Neapel aufgehalten habe, was an sich schon fabelhaft genug wäre, was aber völlig unsinnig wird (und Kreiler weiß dies auch), wenn man sich Don Juan d’Austria als Bewerber um die Hand der Königin vorstellen soll. Derartige Holzwege der Spekulation sind leider typisch für alle Alternativtheorien und eben auch für Kreilers Buch.

Dass man mich richtig versteht: Edward de Vere ist eindeutig der beste Kandidat, der bislang als Autor für Shakespeares Stücke vorgeschlagen wurde. Er wäre eine sehr elegante und in vielen Einzelheiten passende Lösung der Shakespeare-Frage, so viel eleganter und passender als der Stratforder Kaufmann, dass das allein zu genügen scheint, die These stark zu machen. Nur ist das allein eben noch kein Beweis der Tatsache, sondern höchstens die Grundlage für eine Glaubensgemeinschaft.

Schauen wir uns noch kurz an, was gegen die de-Vere-These spricht und wie Kreiler damit umgeht: Was Kreiler selbstverständlich nicht lösen kann, ist die Frage, warum alle Zeitgenossen de Veres, die wussten, wer sich hinter dem Pseudonym Shakespeare versteckte, geschwiegen haben bzw. sich einzig in Anspielungen ergingen, die nur mit detektivischem Spürsinn zu enträtseln sind. Während man Freunden und Angehörigen de Veres noch als Motiv unterstellen kann, dass sie das für sie Offensichtliche aus Gründen der Standesehre verschwiegen haben, bestand für die Gegner und Feinde de Veres – und solche hatte er hinreichend – keinerlei Grund für eine solche Zurückhaltung. Aber selbst nach de Veres Tod findet sich keine einzige Quelle, die Shakespeare und de Vere eindeutig und klar miteinander identifiziert. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass alle derartigen Quellen verloren gegangen sind – was immer noch wahrscheinlicher ist als die Annahme, sie hätten niemals existiert –, aber glaubhaft ist das nicht. Hier ist der Punkt, wo die de-Vere-These an Verschwörungstheorien grenzt, was eher gegen als für sie spricht. Natürlich kann Kreiler diesen Eindruck nur abzuschwächen versuchen, aufheben kann er ihn nicht.

Das größere Problem stellt aber der Tod de Veres im Jahr 1604 dar. Da die akademische Shakespeare-Forschung ihren Autor noch mindestens acht, wenn nicht gar zehn Jahre nach diesem Datum aktiv sein lässt, muss Kreiler eine weitgehend veränderte Chronologie der Stücke entwickeln. Nach dem Motto »Wo gehobelt wird, fallen Späne« wird dabei einmal mehr Perikles, Fürst von Tyrus für unecht erklärt; Cymbeline und Das Wintermärchen werden aufgrund dünner Indizien deutlich vordatiert. Die eigentliche Crux stellt aber Der Sturm dar: Hier geht die Forschung davon aus, dass das Schiffsunglück zu Anfang des Stücks angeregt wurde von den Berichten über das Scheitern der Sea-Adventurer auf den Bermudas im Jahr 1609. Allgemein wird angenommen, der Autor des Stückes habe neben zwei Buchveröffentlichungen aus dem Jahr 1610 auch einen Brief gekannt, der 1610 geschrieben, aber erst 1625 abgedruckt wurde. Kreiler wendet ein, dass zum einen auch andere Quellen die entsprechende Vorlage geliefert haben könnten und dass zum anderen Der Sturm bereits 1605 in Eastward Ho! parodiert worden sei. Das alles geschieht auf einer halben Seite (vgl. S. 548).

Ein wenig mehr erwarte ich hier schon: Zumindest müsste man mir vorführen, was die früheren Deuter an Übereinstimmungen zwischen dem Stück und den Vorlagen (von denen Kreiler selbst nur eine erwähnt) gefunden haben bzw. nicht gefunden haben. Und auch die angebliche Parodie hätte ich gerne vorgeführt bekommen, anstatt mich mit der blanken Behauptung bescheiden zu müssen. Nicht, dass ich ohne Augenschein anderen Forschern von Haus aus mehr glauben würde als Kreiler; ihm glaube ich aber eben auch nicht.

Alles in allem ein interessantes und über Strecken informatives Buch, das die Vorteile der ohnehin starken Theorie der Autorenschaft de Veres an Shakespeares Werken deutlich herausarbeitet, aber aufgrund des unvermeidlich spekulativ bleibenden Ansatzes auch nicht über den Status einer Glaubensfrage hinausheben kann. Die Auseinandersetzung mit den Einwänden gegen die These bleibt insgesamt dünn, was den Verdacht erregt, Kreiler habe keine schlafenden Hunde wecken wollen. Meine Position zur Shakespeare-Frage wurde durch die Lektüre nicht verändert: Es wäre nett, wenn sich die Autorenschaft de Veres nachweisen ließe, doch bis auf weiteres sollten wir annehmen, dass die Werke Shakespeares weder von ihm noch von dem Stratforder Kaufmann geschrieben wurden, sondern von einem Mann, der ungefähr zur selben Zeit lebte und Shakespeare hieß, über den wir aber sonst gar nichts wissen.

Kurt Kreiler: Der Mann, der Shakespeare erfand. Edward de Vere, Earl of Oxford. Frankfurt/M.: Insel, 2009. Pappband, 595 Seiten. 29,80 €.

Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi

vanderbeke_choi Etwas mageres Buch von Birgit Vanderbeke, die ich sonst sehr schätze. Handlungsort ist einmal mehr Südfrankreich; diesmal wird die etwas merkwürdige Geschichte der Koreanerin Choi aus Gwangju erzählt, die nach dem Tod ihres Ehemannes in das kleines Provence-Dorf M** zieht und sich dort mit einem Restaurant und später auch einem Hotel etabliert. Sie führt erfolgreich einen Kampf gegen die lokale und nationale Bürokratie, stärkt die alternative Szene vor Ort, führt japanische Architektur-Konzepte ein, heilt die Kranken, verköstigt die Gesunden und bringt so ganz nebenbei mindestens drei »böse Männer« um oder ist doch wenigstens an ihrem Tod mittelbar beteiligt. Das Buch ist nicht witzig genug, um die Morde als Satire zu kennzeichnen. Überhaupt neigt die Geschichte zur Idylle der Frauen und Gutmenschen. Wahrscheinlich ist es humorig gemeint, aber ich habe nicht lachen können.

Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2007. Pappband, Lesebändchen, 124 Seiten. 16,90 €.

Zum 200. Geburtstag von Friedrich Theodor Vischer

Verhalten des Hunds, wenn ein Fremder lockt. Da sieht man die Charaktere. Der eine folgt und schmeichelt: Kalfakter – schlecht. Der andere fletscht die Zähne, brummt, beißt sogar: Charakter, aber unschön harter Charakter. Ein dritter, und das ist der gute Hund, bleibt sitzen, wedelt ganz schwach und flüchtig und blinzt den Fremden an mit einem Blick, der höchst verständlich sagt: bedaure – könnte vielleicht ein ganz angenehmes Verhältnis werden – habe aber schon einen Herrn – bedaure wirklich. Dies ist der schöne Charakter, Würde mit Anmut; so ist mein Pudel.

Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer