David Foster Wallace: Der bleiche König

Das ist wie diese Kiste in der Physik: Wenn du das Experiment beobachtest, wird das Ergebnis vermasselt.

Wallace-Koenig„Der bleiche König“ ist der Roman, an dem David Forster Wallace bereits seit einigen Jahren gearbeitet hatte, als er sich umbrachte. Wallaces Agentin und sein Lektor haben aus dem umfangreichen Nachlassmaterial einen fragmentarischen Roman zusammengestellt, dessen im Original gut 530 Seiten einen unbekannten, aber kaum zu großen Bruchteil des Umfangs darstellen, den das Buch nach dem Willen des Autors hätte schließlich haben sollen. Das Fragment erschien 2011, drei Jahre nach dem Tod Wallaces; es wurde in diesem Jahr zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch vorgelegt, übersetzt von Ulrich Blumenbach, der auch schon Wallaces „Infinite Jest“ übersetzt hat.

Das Thema des Romans ist so ungewöhnlich, wie man es von Wallace erwarten darf: Der Hauptteil der Handlung spielt Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in einem Prüfzentrum der US-amerikanischen Steuerbehörde IRS in Peoria, Illinois. Zahlreiche Figuren, darunter auch ein Alter ego des Autors, werden jeweils mit ihren Vorgeschichten vorgeführt und interagieren miteinander. Anders kann man die rudimentäre Handlung kaum beschreiben, denn eine Fabel im klassischen Sinne hat der Roman nur sehr hintergründig: Man kann als Leser den Verdacht entwickeln, dass der treibende Konflikt einer eventuell beabsichtigten oder noch geplanten Handlung der zunehmende Einsatz elektronischer Datenverarbeitung – in der Hauptsache unter Verwendung von Lochkarten – bei Vorbereitung und Durchführung von Steuerprüfungen ist. Doch liefert diese Fabel kaum eine Struktur für den vorliegenden Text.

Das eigentliche Thema des Buches scheint aber Langeweile zu sein: Wallace ist fasziniert von der tagtäglichen Existenz des normalen Steuerprüfers, die darin besteht, sich acht Stunden lang mit der trockensten, langweiligsten Materie der Welt, sprich: Steuererklärungen zu befassen. Er scheint zu glauben, dass die Voraussetzung für das Ausüben einer so eintönigen Tätigkeit in bestimmten Charaktereigenschaften liegt, die wiederum in den Vorgeschichten der Figuren entwickelt werden sollen. Das alles kann man schön und gut finden; auch dem artistisch durchaus anspruchsvollen Plan, Langeweile erzählen zu wollen, kann man Sympathie entgegenbringen. Das Problem aber ist die konkrete Umsetzung des Projekts: Zwar sind die skurrilen Vorgeschichten der meisten Figuren gerade noch interessant, doch das aus ihnen resultierende, einander ununterbrochen totquatschende Personal des Prüfzentrums hat immer nur für wenige Seiten meine Aufmerksamkeit fesseln können. Eine Ausnahme bildet vielleicht der nur in einem späten Kapitel eine Rolle spielende Shane Drinion, eine blasse Kopie des Vulkaniers Spock, der mit seiner emotionalen Isolation und seinem umfassenden Desinteresse die einzige positive Identifikationsfigur des Romans darstellt. Er ist es denn auch, der den Lektüreeindruck in einem Satz zusammenfasst:

»Hört sich anstrengend an«, sagt Drinion.

David Foster Wallace: Der bleiche König. Ein unvollendeter Roman. Aus dem amerikansichen Englisch von Ulrich Blumenbach. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2013. Kindle-Edition, 1702 KB, 640 Seiten (gedruckte Ausgabe). 23,99 €.

David Foster Wallace: Das hier ist Wasser

Wallace_WasserWas tut man, wenn man einen Autor hat, der ein zwar berühmtes, aber nur schwer lesbares Buch geschrieben hat, das zudem so dick ist, dass man es nur in einer ziemlich teuren Ausgabe verkaufen kann? Man sucht einen kürzeren, eingängigeren Text von ihm und hofft, dass seine Leser anschließend auch den Ziegelstein kaufen, selbst wenn sie ihn dann ungelesen ins Regal stellen.

Und was tut man, wenn der konsumierbarere Text zu kurz ist für ein eigenständiges Buch? Man setzt ihn in einer größeren Schrift. Und wenn er dann immer noch zu kurz ist? Dann macht man eine zweisprachige Ausgabe draus, damit der Buchhandel etwas hat, das im Regal nicht vollständig verloren geht.

So geschehen mit David Foster Wallace’ einziger Abschlussrede für einen College-Jahrgang, die er im Jahr 2005 gehalten hat. Wallace plädiert darin für eine andere Art der Aufmerksamkeit, die die unvermeidliche Routine im Leben eines Erwachsenen wenigstens erträglich machen soll. Der wichtigste Satz der ganzen Rede lautet:

The capital-T Truth is about life before death. It is about making it to thirty, or maybe even fifty, without wanting to shoot yourself in the head.

David Foster Wallace hat sich 2008 im Alter von 46 Jahren erhängt.

David Foster Wallace: Das hier ist Wasser / This is Water. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. KiWi 1272. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012. Broschur, 62 Seiten. 4,99 €.

Unendlicher Spaß? Deutscher Humor!

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat zur Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Infinite Jest von David Foster Wallace für 100 Tage ein Leserblog aufgemacht. Hier darf eine handverlesene Auswahl von Autoren seine Leseeindrücke des Buches niederschreiben. Im Grunde eine richtige Idee: Warum sollen solche Initiativen nicht von den Verlagen ausgehen? Und warum sollen nicht einige gute Leser (und viele Autoren sind gute Leser) den Ton vorgeben, in dem über ein Buch gesprochen wird?

Auf den ersten Blick ist das alles auch eine Bereicherung, die Beiträge sind bunt gemischt vom Erlebnisbericht bis zur theoretischen Auseinandersetzung. Leider ist das alles aber auch einmal mehr sehr deutsch geraten. In ihrem heutigen Beitrag schreibt die Berliner Schriftstellerin Annett Gröschner das folgende:

Doofe Sportarten

Ich mag amerikanische Autoren, seitdem ich lesen kann, aber ich habe ihrer Vorliebe für Baseball nie irgendetwas abgewinnen können und mir auch nie die Mühe gemacht, die Regeln zu verstehen. Mit Football und Tennis geht es mir ähnlich. In der Hochzeit der deutschen Tennisleidenschaften der Achtziger mit ganzen Nächten voller Grand-Slam-Turniere und Wimbledon-Wettbewerbe im Fernsehen, bin ich lieber zum Fußball gegangen. Tennis ist immer irgendwie mit Boris Becker verbunden und das spricht nicht gerade für diesen Sport.

Ich schwächele etwas mit meinem Spaß, weil das Tennisturnier im Roman nicht aufhören will. Ich habe vor lauter Langeweile vorgeblättert, das geht noch 40 Seiten so weiter und dann kommt Orin mit Football. Auch nicht gerade meine Lieblingssportart. Ich sehne mich nach einem blutigen Boxkampf oder einer grundsoliden 100-m-Freistil-Staffel, aber leider wäre Hal sowohl als Boxer als auch als Schwimmer eher unglaubhaft. O.K., ich muss da jetzt durch.

Das ist nun nichts als Doofes Gemaule; soll sie doch was anderes lesen oder weiterblättern, wenn ihr die verständliche Vorliebe des Autors für bestimmte nationale Sportarten nicht passt.

Ich habe also spontan einen Kommentar abgesetzt:

Wenn einem ein Buch so gar nicht passt, sollte man sich vielleicht einfach ein eigenes schreiben. Es ist aber zu befürchten, dass Figuren wie Lothar Matthäus oder Lukas Podolski ebenso wenig für den Fußball sprechen wie Boris Becker für das Tennis.

Es mag nicht ganz genau dieser Wortlaut gewesen sein, aber es ist ziemlich nahe dran. Der Kommentar wurde einfach gelöscht. Es ist das gute Recht eines Bloginhabers, so etwas zu tun. Habe ich also einen zweiten Kommentar geschrieben:

Darf ich fragen, warum mein Kommentar gelöscht wurde?

Durfte ich offensichtlich auch nicht, denn auch dieser Kommentar verschwand im digitalen Orkus. Also eine Mail an den Verantwortlichen Guido Graf geschrieben:

Sehr geehrter Herr Graf,

ich habe heute versucht, einen Kommentar auf http://www.unendlicherspass.de/2009/09/07/doofe-sportarten/ abzugeben. Er ist gelöscht worden, obwohl er – meiner unmaßgeblichen Meinung nach – keinen anstößigen Inhalt hatte. Auch meine Nachfrage, warum der Kommentar gelöscht worden sei, wurde kommentarlos gelöscht.

Ist das die Art, wie KiWi mit seinen Lesern umzugehen wünscht? Ich bin ein wenig vor den Kopf gestoßen.

Mit bestem Gruß, Marius Fränzel

Und gleich bekam ich eine zackige Antwort:

Sehr geehrter Herr Fränzel,

wo der Spaß endet – darüber kann man sicher streiten, aber in diesem Fall schien meiner – leider maßgeblichen – Meinung nach die Grenze überschritten.

Ich möchte Sie nicht davon abhalten, das mit Helge Malchow zu diskutieren. Meine – s.o. – Meinung ist nicht automatisch identisch mit der des Verlags.

Beste Grüße,

Guido Graf

Tja, selbst der Unendliche Spaß endet an den Grenzen des deutschen Humors!

Zum Tod von David Foster Wallace

There is something about a mass-market Luxury Cruise that’s unbearably sad. Like most unbearably sad things, it seems incredibly elusive and complex in its causes and simple in its effect: on board the Nadir—especially at night, when all the ship’s structured fun and reassurances and gaiety-noise ceased—I felt despair. The word’s overused and banalified now, despair, but it’s a serious word, and I’m using it seriously. For me it denotes a simple admixture—a weird yearning for death combined with a crushing sense of my own smallness and futility that presents as a fear of death. It’s maybe close to what people call dread or angst. But it’s not these things, quite. It’s more like wanting to die in order to escape the unbearable feeling of becoming aware that I’m small and weak and selfish and going without any doubt at all to die. It’s wanting to jump overboard.

David Foster Wallace
A Supposedly Fun Thing I’ll Never Do Again