Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi

vanderbeke_choi Etwas mageres Buch von Birgit Vanderbeke, die ich sonst sehr schätze. Handlungsort ist einmal mehr Südfrankreich; diesmal wird die etwas merkwürdige Geschichte der Koreanerin Choi aus Gwangju erzählt, die nach dem Tod ihres Ehemannes in das kleines Provence-Dorf M** zieht und sich dort mit einem Restaurant und später auch einem Hotel etabliert. Sie führt erfolgreich einen Kampf gegen die lokale und nationale Bürokratie, stärkt die alternative Szene vor Ort, führt japanische Architektur-Konzepte ein, heilt die Kranken, verköstigt die Gesunden und bringt so ganz nebenbei mindestens drei »böse Männer« um oder ist doch wenigstens an ihrem Tod mittelbar beteiligt. Das Buch ist nicht witzig genug, um die Morde als Satire zu kennzeichnen. Überhaupt neigt die Geschichte zur Idylle der Frauen und Gutmenschen. Wahrscheinlich ist es humorig gemeint, aber ich habe nicht lachen können.

Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2007. Pappband, Lesebändchen, 124 Seiten. 16,90 €.

Karen Duve: Taxi

duve_taxi Nach ihrem Regenroman erst mein zweites Buch von Karen Duve und wieder ist der vorherrschende Eindruck: Diese Frau kann einfach erzählen. Auch dieses Mal haut mich der Inhalt nicht besonders vom Hocker, aber ich muss eingestehen, dass ich die über 300 Seiten gern und zügig gelesen habe. Duve verarbeitet offensichtlich ihre eigenen Erfahrungen als Taxifahrerin, aber das Buch bleibt weder im Autobiografischen noch im Anekdotischen stecken. Besonders letzteres ist eine erzählerische Klippe, an der zu scheitern der Stoff anbietet. Duve hat das so gelöst, dass sie den Stoff auf zwei Ebenen verteilt: Die eine bleibt klar anekdotisch, während auf der anderen eine Art statischer Entwicklungsroman erzählt wird.

Ich-Erzählerin ist Alex Herwig, die nach einer abgebrochenen Ausbildung zur Versicherungskauffrau nichts mit sich anzufangen weiß und deshalb beginnt, Taxi zu fahren. Es braucht einige Zeit, bis sie feststellt, dass dies ihr Grundproblem nicht beseitigt, sondern nur verschiebt. Sie lässt sich aus lauter Trägheit auf eine Beziehung mit ihrem Kollegen Dietrich ein – einem Taxi fahrenden Künstler – und pflegt darüber hinaus noch einige andere Herrenbekanntschaften, da sie sich eigentlich nicht binden will. Die Handlung umfasst mehr als fünf Jahre, wobei nur die erste und die letzte Phase dieses Zeitraums erzählt werden. Die Protagonistin, die schon zu Anfang kein sehr positives Menschenbild pflegt, entwickelt mit den Jahren eine ernsthafte Depression begleitet von solider Misanthropie. Das alles bleibt erträglich, weil der Text einerseits nirgends ins Wehleidige gerät, anderseits die innere Unbeweglichkeit der Heldin immer von ihrem anekdotisch-bewegten Leben als Taxifahrerin gekontert wird. Erzählerisch ist das gut gemacht, und selbst seine Poetik liefert das Buch en passant mit:

»Die Unterhaltungsfunktion von Büchern ist ja auch längst überholt«, sagte Rüdiger. »Wer sich unterhalten lassen will, k-kann das viel besser tun, indem er den Fernseher anstellt. Die Funktion von Büchern kann heute nur noch in der geistigen Erfrischung bestehen. […]«

Einzelne sprachliche Schwächen – so wird etwa »gegenüber« im Deutschen immer noch mit Dativ konstruiert – muss man heutigen Autoren wohl insgesamt nachsehen. Auch die etwas merkwürdige Typographie des Bandes – die Sätze aus dem Taxifunk werden in einer im Vergleich zu Grundschrift deutlich kleineren, zudem serifenlosen Schrift, die auch noch halbfett gesetzt ist, wiedergegeben – lässt sich tolerieren.

Intelligente, gut erzählte und humorvolle Unterhaltung.

Karen Duve: Taxi. Frankfurt/M.: Eichborn, 2008. Pappband, 313 Seiten. 19,95 €.

Einiges über Heinrich von Kleist

Im Jahr 2007 sind zwei umfangreiche Kleist-Biografien erschienen: Zum einen von dem renommierten Germanisten Gerhard Schulz bei C. H. Beck, zum anderen vom Journalisten und Kulturwissenschaftler Jens Bisky bei Rowohlt Berlin. Diesen beiden Bänden tritt ein deutlich schmaleres Bändchen von Peter Staengle, Mitherausgeber der Brandenburger Kleist-Ausgabe, an die Seite, das 2006 beim Kleist-Archiv Sembdner in Heilbronn erschienen ist.

schulz_kleistAls gänzlich missraten muss leider Gerhard Schulzens Kleist-Biografie angesehen werden. Das Buch neigt zur Stilblüte, ist allgemein geschwätzig in dem Sinne, dass dem Autor zu irgend einem Detail im Lebens Kleists immer auch noch etwas anderes einfällt, was mit der Sache aber wenig bis nichts zu tun hat, bleibt im Einzelnen oberflächlich, weist zahlreiche offenbare Widersprüche auf, die unvermittelt nebeneinander stehen und was der Mängel mehr sind. Für all dies können hier nur Pars pro Toto einige Beispiel geliefert werden. Sätze wie etwa der folgende, finden sich durchgängig:

Kleist hatte allerdings schon früh in seiner Potsdamer Zeit die Klarinette gewählt und sich darin unterrichten lassen, jenes [sic!] Instrument, von dem man sagte, [sic!] daß es der menschlichen Stimme am nächsten komme, obwohl [sic!] es damals anders klang als heute.

Welche logische Beziehung mag hier durch das Wort »obwohl« ausgedrückt sein? Und was mag das nächste Zitat sagen wollen?

Und so war es damals auch eher förderlich für Kleist, daß sein eigener Aufsatz zunächst in der großen Verborgenheit des Ungedruckten blieb.

An anderer Stelle wird Kleists Abschied vom Militär mit Schillers Desertion in Beziehung gesetzt, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass beide zuvor im Militär waren und nachher nicht mehr. Da findet sich eine gute Seite Text zu Prinz Louis Ferdinand, auf der auch Theodor Fontanes bekanntes Gedicht zitiert wird, um nachher altklug anzumerken, es stimme »nur bedingt«, und in folgender Passage zu gipfeln:

Ob Kleist und Louis Ferdinand einander je begegnet sind, ist nicht überliefert. Sehr früh hat Kleist jedoch in Potsdam einen der «Genossen» des Prinzen kennengelernt: Peter von Gualtieri, der sich Pierre nannte, wie er es überhaupt vorzog, französisch zu sprechen und zu schreiben, selbst an Goethe.

Man denke: Auf Französisch selbst an Goethe! Das waren wilde Zeiten!

Was die kulturellen und intellektuellen Zeitumstände angeht, herrscht bei Schulz im besten Fall Verwirrtheit vor:

Im gleichen Jahre 1777, in dem Heinrich von Kleist geboren wurde, verfaßte sein Landesherr, der Preußenkönig Friedrich II., einen Essay über Regierungsformen und Herrscherpflichten. Darin betrachtete er «die große Wahrheit, daß wir gegen die anderen so handeln sollen, wie wir von ihnen behandelt zu werden wünschen», als «Grundlage der Gesetze» – elf Jahre später erhob Kant diese Wahrheit zum kategorischen Imperativ und «Grundgesetz» der «praktischen Vernunft», also der Sittlichkeit schlechthin.

Auch wenn es ein beliebter Irrtum ist, wird die Gleichsetzung von Goldener Regel und kategorischem Imperativ auch durch Wiederholung nicht richtiger.

An der Schwelle zum technisch-industriellen Zeitalter waren die Naturwissenschaften erst allmählich im Begriff, eigenständig zu werden und sich zu differenzieren – Physik schloß oft noch die Chemie mit ein. Demzufolge bildete Mathematik auch nicht die Zuträgerin von Anwendbarem, sondern war reine Wissenschaft aus der Denkschule vor allem von Leibniz.

Newtons die neue Physik begründendes Buch von 1687 trägt den Titel Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Und Daniel Bernoulli und Leonhard Euler dürften sich für die »Denkschule vor allem von Leibniz« auch herzlich bedankt haben.

Aber auch was Kleist selbst angeht, kann sich Schulz zu keiner auch nur einigermaßen stimmigen Meinung entschließen:

Kleist war seinem Wesen nach ein geselliger, der Freundschaft fähiger wie ihrer bedürftiger Mensch.

[…] der eher Menschenscheue […]

[…] so gesellig er war, so einsam konnte und wollte er zuweilen sein […]

Immer so, wie’s gerade passt, nicht wahr Gevatter?

Das alles sind wohlgemerkt nur wenige von zahlreichen Funden, die sich bereits auf den ersten 100 Seiten dieses Buches machen lassen. Auch dieses Werk wäre wohl besser »in der großen Verborgenheit des Ungedruckten« geblieben!

bisky_kleistIm Gegensatz dazu macht Jens Biskys Biografie einen soliden Eindruck. Auch Bisky liebt zwar die Abschweifung und die ausführliche Darstellung von Informationen zur Zeit Kleists, die man auch andernorts leicht finden könnte, doch insgesamt ist sein Buch ein Zeugnis beeindruckenden Fleißes. Das geht soweit, dass dem Leser an einigen Stellen gänzlich unnötig die absonderlichsten Theorien zu Kleist referiert werden, nur um anschließend zu betonen, all dies sei Spekulation oder Irrtum. Dies macht die Lektüre in manchen Passagen mühsam. Besonders der Fachmann hat Mühe, das Wesentliche unter dem Beiläufigen und Selbstverständlichen herauszufiltern, während der Laie die Lektüre angesichts der schieren Masse von Material wohl gern einstellen würde. An einigen Stellen neigt Bisky auch zur Überinterpretation, so etwa, wenn er versucht, Einheit und Sinn in Kleists frühe Briefe zu bringen, wo etwa Staengle sehr bodenständig und richtig urteilt:

Kleists Briefe in dieser Zeit beschwören ein Bild verzweifelter Orientierungslosigkeit.

Schwächen finden sich auch in der Darstellung der spezifisch deutschen Aufklärung – Lessings Position fehlt komplett; Kants Projekt wird weder von Kleist noch von Bisky richtig verstanden – und der zeitgenössischen Philosophie. Beides ist aber in Bezug auf Kleist zu verschmerzen.

Über einzelne sprachliche Eigenheiten (»Hier wird mit der Zauberrute der Analogie gedacht« oder »Hier liegt der Knüppel beim Hund«) mag man hinwegsehen wollen. Was schmerzlich fehlt ist ein Werkregister, das einen gezielten Zugriff auf die Analyse einzelner Texte Kleists erlauben würde. Die Interpretationen selbst sind nach meinem Geschmack zu oberflächlich und bleiben zu sehr dem offensichtlichen verhaftet, sind aber für jemanden, der sich über Kleist Orientierung verschaffen will, wahrscheinlich nützlich und eine eigene erste Lektüre stützend. Die Erzählungen kommen leider (einmal mehr) deutlich zu kurz.

staengle_kleist Peter Staengles Darstellung konzentriert sich in der Hauptsache auf das Leben Kleists und gibt zu den Werken und ihrer Interpretation eher verhalten Auskunft. Das, was wir über Kleists Leben wissen, wird knapp, präzise und korrekt referiert. Dort, wo Staengle Hinweise zur Interpretation der Werke gibt, sind sie ebenso kurz, wie in die richtige Richtung weisend. Man wünscht sich bald, Staengle und nicht Bisky hätte die umfangreichere Darstellung verfasst. Das Buch ist in dem, was es leisten will und leistet, nahezu als tadellos zu bezeichnen, allerdings liefert es oft eben nur die äußere Schale für das, weswegen Kleist für uns von Interesse ist: das Werk. Wie oben bereits gesagt, sind Staengles Zugriffe normalerweise bodenständig und sehr konkret; er benennt das, was wir wissen, ebenso direkt und ungekünstelt wie das, was wir nicht wissen. Insgesamt sicherlich die angenehmste Lektüre unter den drei Neuerscheinungen.

loch_kleist Es bleibt am Ende nur noch auf die bereits 2003 bei Wallstein erschienene Biografie Kleists von Rudolf Loch hinzuweisen: Sie ist unter den umfassenden Biografien immer noch die lesbarste und ausgewogenste, die den Anspruch einer Einführung in Leben und Werk zurzeit aufs Beste einlöst. Loch ist ein ausgewiesener Kenner Kleists, was besonders seinen Werkdeutungen zugute kommt. Sicherlich bleibt auch hier vieles ungesagt und die Interpretation zeigt alles in allem eine Neigung zur Glättung der Texte, aber eine radikale Problematisierung, wie sie für das Verständnis Kleists letztendlich nötig ist, kann von einer Gesamtdarstellung mit Fug nicht erwartet werden. Auch vom Inhalt abgesehen ist dies sicherlich das schönste Buch unter den hier vorgestellten: Nicht nur hat es einen sehr angenehmen Satzspiegel, es verfügt auch über lebende Kolumnentitel und ist fadengeheftet!

Wem also im Wesentlichen eine Lebensbeschreibung mit kurzen Abrissen zu den Werken genügt, greife zum Buch von Staengle, wer eine umfassendere Darstellung sucht, lasse die Finger von den beiden neueren Publikationen, sondern greife zum Buch von Loch.

Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie. München: C.H. Beck, 2007. Leinen, Lesebändchen, 608 Seiten. 26,90 €.

Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie. Berlin: Rowohlt Berlin, 2007. Pappband, Lesebändchen, 528 Seiten. 22,90 €.

Peter Staengle: Kleist. Sein Leben. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner, 2006. Broschur, 241 Seiten. 8,– €.

Rudolf Loch: Kleist. Eine Biographie. Göttingen: Wallstein, 2003. Pappband, fadengeheftet, 542 Seiten. 37,– €.

Gisbert Haefs: Caesar

haefs_caesar Nach Hannibal und Alexander hat Haefs nun auch das dritte militärische Genie der Antike zum Roman verarbeitet. Von den drei Romanen ist dieser wohl am weitesten von seiner thematischen Hauptfigur entfernt, so als sei Caesar wegen der reicheren Quellenlage für Haefs am uninteressantesten. Protagonist ist nicht Caesar, sondern Aurelius, ein alternder, entlassener Centurio, der von Cicero als Spion auf den in Gallien befindlichen Caesar angesetzt wird, was sich aber nur als eine etwas umständliche Einführung erweist, da dieser Handlungsfaden nie zum Tragen kommt.

Aurelius wird von Caesar reaktiviert, macht Karriere bis zum Legaten und ist an Caesars Feldzügen in Gallien und während des Bürgerkriegs mehr oder weniger direkt beteiligt. Er verliebt sich gleich zu Beginn des Romans in die Edelkurtisane und ägyptische Spionin Kalypso, besteht im wesentlichen unversehrt die üblichen albernen Abenteuer, bekommt vom Autor einen gallischen Erzfreund verpasst und verschwindet zum Schluss in der Privatheit, aus der er zu Anfang herausgerissen worden ist. Der Kreis der Erzählung ist ausgeschritten.

Jedes zweite Kapitel liefert eine Paraphrase einer der Biographien aus den Vitae parallelae des Plutarch, wobei mir unklar geblieben ist, wer der Erzähler dieser Kapitel sein soll. Wahrscheinlich handelt es sich um eine historisch identifizierbare Figur, aber mir schien es die Mühe des Rätselratens nicht zu lohnen. In diesen Kapiteln wird die römische Geschichte von den Gracchen bis zur Ermordung Caesars in lockerer Folge nacherzählt. Diese Chronik liefert die informativsten und unterhaltendsten Teile des Buchs.

Leider bleibt die Titelfigur des Romans blass. Zwar sind alle handelnden Figuren aufs Tiefste beeindruckt von Caesar, und er erweist sich bei jeder Gelegenheit als in jeder Hinsicht überlegener, vorausschauender, die Situation beherrschender, politischer und militärischer Stratege. Zum Glück gibt es aufgrund der personalen Anbindung an Aurelius nicht allzu viele Gelegenheiten, an denen uns Haefs mit diesem genialischen Pappkameraden langweilen kann. Ganz zum Schluss wird Caesar dann auch noch ein grundstürzend alberner Plan zur Reformation des römischen Reiches untergeschoben, das er mittels Inflation ruinieren und so von seiner Unersättlichkeit heilen will, ein ebenso hanebüchenes wie naives Projekt, das weder zum zuvor gezeichneten Charakter der Romanfigur noch zum historischen Caesar so recht passen will.

Insgesamt wohl der schwächste der drei Heldenromane, den ich mehr aus alter Sympathie für den Autor als mit Vergnügen zu Ende gelesen habe.

Gisbert Haefs: Caesar. Heyne Taschenbuch 47086. München: Heyne, 2008. 512 Seiten. 8,95 €.

Gudrun Schury: Ich wollt, ich wär ein Eskimo

schury-busch Der Aufbau-Verlag legt zum Busch-Jahr eine umfangreiche neue Biografie des Malers, Dichters und Zeichners vor. Alles in allem ist das Buch recht gelungen, allerdings liefert das Buch für Leser früherer Biografien (z. B. der von Gert Ueding) keine wirklichen Überraschungen oder neue Einsichten. Im Gegenteil werden die dort gewonnenen Erkenntnisse oft in einem plaudernden Ton verwässert und popularisiert, so dass das Gesamtbild eher an Schärfe verliert. Dies wird aber wahrscheinlich nur die Germanisten unter den Lesern stören.

Das Buch ist durch eine abwechselnde Kapitelfolge strukturiert: Auf ein chronologisches Kapitel, das dem Lebensweg Buschs folgt, folgt immer ein eher thematisch gewichtetes Kapitel usw. Dieser grundsätzlich zu begrüßende Einfall wird zudem nicht pedantisch gehandhabt, so dass ein lockerer, gut lesbarer Text entstanden ist. Schurys Darstellung zeichnet sich dabei durch ihre unübersehbare Begeisterung für Busch aus, wenn sie auch nicht geneigt ist, Buschs grundlegend pessimistischer Weltsicht beizutreten. Einerseits ist diese Begeisterung sicherlich erfrischend, andererseits tendiert die Darstellung ein wenig zur Breite; eine Kürzung hätte vielen Kapiteln und dem Buch insgesamt sicherlich gut getan.

Hervorzuheben sind fraglos die Kapitel zur Arbeitsweise Buschs bei der Erstellung der Bildergeschichten und diejenigen zum »alten« Busch, der zuerst das Zeichnen, dann das Malen und schließlich auch das Dichten gänzlich einstellt. Man wünschte man sich aber, etwas mehr über den noch vorhandenen Bestand an Gemälden Buschs zu erfahren, nachdem man gelesen hat, dass Busch wohl mit einiger Regelmäßigkeit unter seinen späten Bildern Autodafés abgehalten hat.

Busch wird von Schury nicht nur, aber auch gemäß seinem Selbst­ver­ständ­nis dargestellt, nach dem er ein gescheiterter Künstler war: Seine Ambitionen, sich als Maler zu etablieren, kamen über die Anerkennung im Kollegenkreis nie wesentlich hinaus, und auch der Versuch, als ernsthafter Dichter aufzutreten, muss als aus guten Gründen gescheitert angesehen werden. Busch hat dieses Missverhältnis seines Ruhms lange geschmerzt, dass er für Werke berühmt und geliebt war, die er selbst nicht für voll nehmen konnte und wollte, die ihm höchstens als Nebenarbeiten galten. So hat sein Interesse an weiteren  Bil­der­ge­schich­ten schon früh nachgelassen, und nach Maler Klecksel (1884) sind sie nicht über erste Notizen und Entwürfe hinausgekommen. Schury betont zu Recht, dass es nicht jedem geben sei, Wiederholung und Selbstkopie zu vermeiden. Überhaupt gewinnt man mehr und mehr Respekt vor Buschs Fähigkeit, sich von Ruhm und finanziellem Erfolg nicht blenden zu lassen. Er hat von seiner Zeit und seinen Zeitgenossen alles in allem wenig gehalten, und seinen Erfolg bei ihnen sah er viel eher als eine Bestätigung denn als eine Widerlegung dieser Sichtweise an. Auch in diesem Sinne gehört Busch in die Reihe der großen Pessimisten des 19. Jahrhunderts.

Gudrun Schury: Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch. Berlin: Aufbau, 2007. Pappband, bedruckter Vorsatz, 16 Farbtafeln u. zahlreiche Abbildungen, Lesebändchen, 412 Seiten. 24,95 €.

Weiland zu Radebeul …

Wir Deutschen sind merkwürdige Leute. Nicht etwa, daß wir uns ruhig gestehen: auch wir wollen uns einmal ausruhen und leichte Bücher lesen, auch wohl ruhig einmal einen richtigen Quark – das ist kein Mann, der nicht aus vollen Kräften banal sein kann – nein, wenn wirs schon tun, dann lügen wir uns irgend ein Brimborium darum herummer. Es gibt Leute, denen dieser Karl May – mir ist der Bursche immer als Ausbund der Fadheit vorgekommen – lieb und teuer ist. Aber sie sagens nicht. Sie malen ihm eine Glorie an: ihr meint, das sei einfach ein Unterhaltungsschriftsteller für die reifere Jugend gewesen? Gott bewahre, ein Philosoph war das, ein Mann mit den allegorischsten Hintergedanken, ein schwerer, vollbärtiger, sächsischer Denker, weiland zu Radebeul, jetzt in der Unsterblichkeit.

Kurt Tucholsky
Nette Bücher

May und Kafka

Der Bamberger Verleger Lothar Schmid, der seit 1951 mitverantwortlich für die gleichzeitige Glorifikation und Verhunzung des Schreiberlings Karl May und seiner sogenannten Werke ist, versucht den Freistaat Sachsen dazu zu bringen, den Nachlass seines Zugesels für die Summe von 15 Millionen Euro zu kaufen. Dort scheint man allerdings realistischere Vorstellungen vom »Wert« eines solchen Überbleibsels zu haben und bietet – gnädig genug – für den Haufen Unsinn immerhin noch 3,5 Millionen Euro an. Lothar Schmid jault deshalb. Immerhin, so sagt er in einem Interview mit Eckart Baier für das Börsenblatt des deutschen Buchhandels (Heft 16-2008, S. 17), hätten »Nachlassteile [sic!] eines anderen berühmten Autors, Franz Kafka, den siebenfachen Preis erzielt«. Etwas erstaunt fragt Baier nach:

Ist es denn legitim, Karl May mit Franz Kafka zu vergleichen?
Schmid: Selbstverständlich. Beide sind auf ihre Art geniale und wichtige Schriftsteller.

Wohlgemerkt: »auf ihre Art«!

Benn

benn Opulente Bildbiographie Gottfried Benns, die sowohl die altbekannten Porträts in hoher Qualität als auch viel unbekanntes oder zumindest seltenes Material vereint. Der Band dokumentiert das gesamte Leben von der Herkunft aus dem Mansfelder Pfarrhaus bis zum Tod des vereinnahmten und gefeierten Dichters. Der Großteil der begleitenden Texte stammt aus Benns Werken und Briefen – so gleich zu Anfang das wundervolle, aber eher selten zu findende 1886 –; hier und da finden sich auch Urteile oder Kommentare von Zeitgenossen.

Der Band geht mit der politisch zum Teil schwierigen Biographie Benns offen um: Er dokumentiert sowohl Benns naive Begeisterung für den Nationalsozialismus als auch seine späteren Versuche, sich in der Wehrmacht vor staatlichen Zugriffen zu schützen. Immerhin scheinen sich im Jahr 1938 Goebbels und Göring persönlich mit der Frage des Ausschlusses von Gottfried Benn aus der Reichsschrifttumskammer beschäftigt zu haben, ein Akt der Benn umso mehr erschreckte, als er mit der Behauptung von Benns politischer Unzuverlässigkeit verbunden war. Eine solcher Verdacht war durchaus dazu geeignet, Benn auch als Angehörigen der Wehrmacht noch persönlich zu gefährden.

Besonders im zweiten Teil sind die Abbildungen zahlreicher Auto- graphen – Notizen, Reinschriften, aber auch aus Benns Tages- kalendern oder Notizbüchern – erfreulich, die wenigstens einen kleinen Einblick in Benns Arbeitsweise geben.

Insgesamt ein gelungener Band, der als Begleitung oder Ergänzung einer Benn-Biographie durchweg zu empfehlen ist.

Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. Zusammengestellt von Holger Hof. Stuttgart: Klett-Cotta, 2007. Leinenrücken, Fadenheftung, Kunstdruckpapier, 280 Seiten mit ca. 450 schwarz-weißen Abb. 59,– €.

Kurt Tucholsky: Schloß Gripsholm

tucholsky_gripsholm Über die Jahre hinweg wahrscheinlich die fünfte oder sechste Lektüre; das Buch ist so zu einem der Lieblingsbücher geworden, die sich einem mit der Zeit aufdrängen. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen verbreiteten Geschmack, denn seit Tucholsky Anfang 2006 gemeinfrei geworden ist, haben zahlreiche Verlage Ausgaben vorgelegt, was für die anhaltende Beliebtheit des Buches spricht.

Tucholsky hat Schloß Gripsholm im Winter 1930/31 in einer schwierigen Lage geschrieben: Er war seit einiger Zeit immer wieder krank, hatte sich seit Jahren konsequent verausgabt und sah sich als Journalist einem immer schlechteren Markt gegenüber. Schloß Gripsholm ist der bewusste Versuch an den frühen erzählerischen Erfolg von Rheinsberg (1912) anzuknüpfen, ohne sich allzu deutlich zu wiederholen, um sich auf dem Buchmarkt auch als Erzähler und nicht nur als Autor von Sammelbänden zu etablieren. Als Romanautor oder Erzähler wäre er dem Druck zur kontinuierlichen Produktion kürzerer Texte wenigstens zum Teil entkommen. In die gleiche Richtung zielt Tucholsky auch mit einem Filmmanuskript, das er 1931 schreibt, das aber nie produziert werden wird.

Erzählt wird die Ferienreise von Kurt (auch Peter oder Fritz genannt) und Lydia (meist als »Prinzessin« angesprochen) nach Schweden. Von Stockholm aus machen sich die beiden auf die Suche nach einem Ferienort und finden Schloss Gripsholm, in dem sie in einem Anbau zweieinhalb Räume als Ferienwohnung mieten können. Nachdem die beiden Hauptfiguren etabliert sind, setzt das Buch zu Anfang des zweiten Kapitels unvermittelt neu ein und erzählt von der neunjährigen Ada, die in einem Kinderheim in Läggesta, ganz in der Nähe des Schlosses lebt. Das Kinderheim wird geleitet von einer herrschsüchtigen Direktorin, der Frau Adriani. Ada leidet heftig unter Heimweh nach ihrer Mutter in Zürich und der herzlosen und von Angst regierten Atmosphäre des Heims. Die Rettung dieses Kindes aus der Gewalt der Frau Adriani durch Kurt und Lydia ist der ernste Strang dieser ansonsten in Urlaubsharmonie und Liebe schwelgenden Geschichte.

Als Nebenfiguren kommen noch Kurts Freund Karlchen und Lydias Freundin Billie hinzu, die zeitweilig aus dem Urlaubspaar ein -trio machen. Mit Billie zusammen kommt es sogar zu einer – dezent geschilderten – Nacht zu dritt, die sicherlich nicht nur Tucholskys erotische Fantasie widerspiegelt, sondern auch ein bewusstes Kalkül des Autors auf die Schaulust seiner Leser darstellt.

Bei aller Ernsthaftigkeit, mit der im Erzählstrang um Ada das Thema Herrschaft und Gewalt behandelt wird, ist das Buch doch insgesamt geprägt von einem heiteren und verspielten Ton, von einer Lust am Wortspiel und der Pointe. Selbst dort, wo es um existenzielle Themen geht, findet das Buch beinahe immer die Wendungen, die Gedanken und Gefühle kurz und gewitzt auf den Punkt bringen:

«Die Leute fressen einen auf», sagte ich. «Das Schlimmste ist: sie stellen die Fragen und sie ziehen die Kreise und sie spannen die Schnüre – und du hast zu antworten, du hast nachzuziehen, du hast zu springen … du kannst dir nichts aussuchen. Wir sind nicht hienieden, um auszusuchen, sondern um vorliebzunehmen – ich weiß schon. Aber daß man lauter Kreuzworträtsel aufbekommt: Rom gibt dir eins auf und Rußland eins und Amerika und die Mode und die Gesellschaft und die Literatur – es ist ein bißchen viel für einen einzelnen Herrn. Finde ich.»

«Wenn man sich das recht überlegt», sagte Karlchen, «sind wir eigentlich seit neunzehnhundertundvierzehn nicht mehr zur Ruhe gekommen. Spießerwunsch? Ich weiß nicht. Man gedeiht besser, wenn man seinen Frieden hat. Und es kommt alles nach – es wirkt so nach … Weißt du noch: der allgemeine Irrsinn in den Augen, als uns das Geld zerrann und man ganz Deutschland für tausend Dollar kaufen konnte? Damals wollten wir alle Cowboys werden. Eine schöne Zeit!»

«Lieber Mann, wir haben das Pech, nicht an das zu glauben, was die Kaffern Proppleme nennen – damit trösten sie sich. Es ist ein Gesellschaftsspiel.»

«Arbeiten. Arbeit hilft», sagte die Prinzessin.

Das ganze Buch ist eine milde Utopie, nicht nur die Geschichte eines Urlaubs, sondern auch selbst ein Urlaub von der Wirklichkeit – des Autors und der Leser.

Kurt Tucholsky: Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte. Zürich: Manesse Verlag, 2006. Leinen, Fadenheftung, Lesebändchen, Dünndruck, 256 Seiten. 17,90 €.

Frank Jöricke: Mein liebestoller Onkel, …

joericke_onkel … mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage. Der Titel ist auch schon das Originellste am Buch. Das Buch ist eine Ansammlung von kurzen, anekdotischen Erzählungen um die Figuren einer Familie. Jede Erzählung ist mit einer Jahreszahl von 1967 bis 2003 überschrieben und viele mit einem spezifischen Ereignis des Jahres eingeleitet. Allerdings ist der Zusammenhang mit dem Rest des Erzählten oft eher zufällig, so dass sich die vorgebliche Struktur als ebenso oberflächlich erweist wie der Rest des Buches.

Der Humor des Buches lebt ausschließlich von der Überzeichnung alltäglicher Ereignisse und normaler Verhaltensweisen. Deshalb geraten nahezu alle Figuren zu Karikaturen und der Ich-Erzähler zu einem überheblichen Zyniker. Mancher mag das lustig finden; mir sprach mehr der Satz

Ich mag dieses altkluge Gewäsch nicht hören. [S. 156]

aus der Seele. Aber das ist eine Geschmacksfrage. Dass der Autor durchaus Potenzial zu Besserem hat, zeigt sich vereinzelt in der Zeichnung der Mutter, die ihm hier und da beinahe zu einer wirklichen Figur gerät (etwa auf S. 115 f.). Dass er dies bemerkt und den stilistischen Bruch gerade noch verhindert, in dem er in sein übliches Geschwätz zurückwechselt, beweist, dass er besser zu schreiben versteht, als er es in diesem Buch zeigt. Nur macht es eben dieses Buch nicht besser.

Wer schlichte Unterhaltung sucht, bei der er seinen Kopf nicht groß gebrauchen und seine Aufmerksamkeitsspanne acht Seiten nicht übersteigen muss, wird sicherlich gut bedient. Wer allerdings nicht liest, um seine Zeit zu vertun, sollte auf ein späteres Buch des Autors hoffen. Positiv erwähnt werden sollte vielleicht noch der Schutz- umschlag von Cornelia Niere, der ein echter Blickfang ist.

Frank Jöricke: Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage. Münster: Solibro-Verlag, 2007. Pappband, Lesebändchen, 248 Seiten. 19,90 €.