Der elektronische Goethe

Goethe_DigibibDie Digitale Bibliothek hatte schon sehr früh zwei umfangreiche Textsammlungen zu Johann Wolfgang von Goethe herausgebracht: Bd. 4 enthielt eine umfangreiche Werkauswahl und Bd. 10 versammelte die Briefe und Tagebücher in der Fassung nach der sogenannten Sophienausgabe sowie eine frühe Fassung der Sammlung der Gespräche Goethes durch Woldemar von Biedermann. Nun bringt die Digitale Bibliothek einen Sonderband, der die beiden Bände zusammenfasst und so die umfassendste elektronische Quelle zu Goethe darstellt.

Da Goethe ohne Frage nicht nur für das 19., sondern auch noch für das 20. Jahrhundert einer der einflussreichsten deutschsprachigen Schriftsteller ist, bedarf eine elektronische Fassung seiner umfangreichen Schriften kaum einer Rechtfertigung. Was ist Goethe nicht alles zu Recht und zu Unrecht zugeschreiben worden, wer hat sich in den vergangenen 250 Jahren nicht alles auf Goethe berufen. Das Internet ist eine neue, reiche Quelle sogenannter zugeschriebener Zitate für die keinerlei Beleg angeführt werden und in vielen Fällen auch nicht anzuführen sind. Eine elektronische Ausgabe in dem Ufang, wie die Digitale Bibliothek jetzt anbietet, ist da eine solide Grundlage zur Überprüfung und Recherche.

Sie wird aber auch für den einen oder die andere Leser/in eine sinnvolle Ergänzung zur gedruckten Werkauswahl in seinem bzw. ihrem Bücherschrank sein. Denn wer hat schon vor, die Briefe Goethes in ihrer Gesamtheit zu lesen? Da braucht man eine durchsuchbare Quelle, in der man effizient nach Stichwörtern suchen und die Fundstellen vergleichen kann. Das alles bietet die seit vielen Jahren gut ausgereifte Software der Digitalen Bibliothek. Ähnliches gilt natürlich auch für die Sammlung der Gespräche, die zwar in der reproduzierten Sammlung von 1889 ff. nicht auf dem neusten Stand ist, für die allermeisten Belange auber vollständig ausreichen dürfte.

Grundlage der Werkauswahl sind in der Hauptsache die etwas ältliche aber recht umfangreiche Berliner Ausgabe der Werke Goethes und die immer populäre Hamburger Ausgabe. Auch dies ist nicht ideal, für praktische Zwecke völlig ausreichend. Die Briefe und Tagebücher werden – wie bereits erwähnt – nach der grundlegenden Sophien-Ausgabe präsentiert.

Abgerundet wird die umfangreiche Zusammenstellung durch den Text der kurzen Goethe-Biographie von Anja Höfer – gedruckt in der Reihe »dtv-portrait« – und dem sehr nützlichen »Who’s who bei Goethe« von Michael Lösch (ebenfalls im Druck bei dtv), einem ausführlichen Figurenlexikon zu den Werken Goethes. Insgesamt umfasst die CD-ROM mehr als 46.000 Bildschirmseiten, was in etwa 23.000 Buchseiten entsprechen dürfte. Der Preis von 19,90 € ist bei einem solchen Angebot kaum der Rede wert.

Johann Wolfgang von Goethe – Leben und Werk. Digitale Bibliothek Sonderband 30. Berlin: Directmedia Publishing, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) – MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 19,90 €.

Software für Mac- und Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

Ein Lesebuch des Aberglaubens

hdwb AbberglaubensEs ist ein seltener Fall, dass ein Nachschlagewerk das erste seiner Art ist und dennoch über viele Jahrzehnte hinweg nach Inhalt und Umfang ein unverzichtbares Standardwerk bleibt. Das »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens« ist eine solche Ausnahmeerscheinung. Es wurde zu Anfang des 20. Jahrhunderts konzipiert und erschien unter erheblichen Schwierigkeiten zwischen 1927 und 1942 in zehn Bänden. Viele seiner Einträge sind inzwischen überholt, aber dennoch ist das Lexikon als ganzes bis heute ein unverzichtbares Hilfsmittel für alle, die sich mit Volksglauben, Sagen, Märchen und anderen Formen der Volksliteratur beschäftigen. Nun ist in der Digitalen Bibliothek eine CD-ROM-Ausgabe des Werks erschienen.

Dabei ist das »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens« (HDA) nicht nur als Nachschlagewerk geeignet, sondern es ist eine nahezu unerschöpfliche Quelle zum Schmökern: Viele Artikel sind eine Sammlung zahlreicher Überlieferungen, die hier zum ersten Mal auf engstem Raum zusammengefasst sind, sich überschneiden, ergänzen, auch widersprechen. Man bekommt ein Eindruck von der reichhaltigen und lebendigen Überlieferung des Volksglaubens, der sich auf alle Lebensbereiche erstreckt und über viele Jahrtausende auch auf die Hochkultur und besonders die Kunst auf vielfältigste Weise eingewirkt hat. Und man lernt von Gebräuchen, die heute nahezu vergessen sind:

Teller (und Tellerwurf). Die alteuropäische, im Kaukasus und wohl auch anderwärts noch bestehende Speisesitte, Fladenbrote als T. für eine Auflage von Fleisch zu benützen, hat vielfach die T.form von Gebildbroten auf Weihnachten und Ostern bestimmt, wie dies Gebäckmodel aus dem 15. und 16. Jh. und neuere Gebäcke in Form von Korb-T.n wie etwa im Lüneburgischen, dartun.

Nach der Bibel hatten die Juden den Brauch nebst einem Widderpaar tellerförmige Brote ins Opferfeuer zu werfen. Vorläufig fehlen Belege dafür, daß eine solche Übung im Mittelmeerkreis etwa zum Aberglauben des T.wurfes geführt hätte, um eine Feuersbrunst zu löschen. Sicher war keine Speisung sondern ein Bannen und Binden des Elementes zu seiner Besänftigung beabsichtigt, wenn es 1601 in den Aufzeichnungen des Pfarrers Noll zu Rüdesheim heißt: »Gegen Blitzfeuer (sic!) Schreibe folgendes (Satorformel) (s.d.) auf einen T. und wirf ihn in das Feuer, dann wird es verlöschen«. Vorschrift und Anwendung sind in späteren Tagen in Süd- und Mitteldeutschland vielfach in Geltung geblieben. Man wirft in der Tat aber auch wohl mit Opferabsicht Speck-T. oder einen T. aus Zinn – dem »Silber der Armen« – ins Feuer.

Mag ein solcher Eintrag eher obskur erscheinen, so liefern die umfangreichen Einträge etwa über den Glauben an eine »Endschlacht«, der sich in zahlreichen Kulturen wiederfindet, oder auch der gleich nachfolgende über »Engel« ein unvergleichlich reiches Bild von den Weltkonzepten früherer Zeiten, die heute in unserer mehr und mehr dem Glauben an die Vernunft anhängenden offiziellen Kultur drohen, komplett vergessen und durch gänzlich andere Glaubenskonzepte ersetzt zu werden. Mit dem Vergessen geht aber auch einher, dass uns Nachgebornenen eine wesentliche Grundlage zum Verständnis der Kultur, Kunst und Literatur früherer Epochen verloren zu gehen droht.

Ich will nicht verschweigen, dass das HDA auch seine Schwächen hat: Es ist besonders in den späten Bänden lückenhaft geblieben. Bei wichtigen Stichwörter wie z. B. »Teufel« oder »Zahl« wird zwar auf den Nachtrag verwiesen, die entsprechenden Artikel sind aber nie geschrieben oder gedruckt worden. Auch bemängeln moderne Kritiker, dass der dem HDA zugrunde gelegte Begriff des Aberglaubens zu eng war und bestimmte Geheimkünste und magische Wissenschaften ausschloss. Diese Kritik ist berechtigt, ändert aber garnichts an der Fülle des gelieferten Materials und ebensowenig daran, dass das HDA bis heute keinen gleichwertigen oder gar überlegenen Nachfolger gefunden hat. Wer sich mit dem Phänomen des Volksglaubens beschäftigen will, kommt auch heute noch am HDA nicht vorbei!

Das HDA ist 1986 erstmals wieder nachgedruckt worden und erfreut sich seitdem ungebrochener Beliebtheit bei Laien und Fachleuten. Die gedruckte Fassung in 10 kartonierten Bänden kostet derzeit 148,– €; die CD-ROM der Digitalen Bibliothek wird bis zum 31.12.2006 für 75,– € (danach 90,– €) angeboten und hat den für ein Nachschlagewerk unersetzlichen Vorteil einer Volltextsuche. Außerdem lassen sich durch das Register der digitalen Ausgabe auch die Einträge des Nachtragbandes nahtlos in die Stichwortliste einfügen. Kopier-, Markierungs- und Notizfunktionen gehören zum Standard der Software der Digitalen Bibliothek und genügen allen praktischen Ansprüchen. Alle Einträge der CD-ROM sind mit einer wortgenauen Konkordanz zur gedruckten Ausgabe versehen, so dass Zitate aus der digitalen Ausgabe auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Der CD-ROM liegt eine gedruckte Einführung in die Benutzung der Software bei. Inzwischen bietet die Digitale Bibliothek auch Software für MAC- und Linux-User an, die von der Homepage des Verlages heruntergeladen werden können.

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. v. Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer. Digitale Bibliothek Bd. 145. Berlin: Directmedia Publishing, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) – MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis bis 31.12.2006: 75,– €, danach 90,– €.