Sebastian Schmidt-Hofner: Das klassische Griechenland

Als ich 2015 und 2016 die ersten fünf Bände der C. H. Beckschen „Geschichte der Antike“ gelesen und hier besprochen habe, war der sechste Band gerade noch nicht erschienen. Er wurde dann zwar nachgekauft, gelesen habe ich ihn aber erst jetzt, als eher überraschend noch ein siebter Band „Byzanz“ erschienen ist, der in Kürze ebenfalls hier vorgestellt werden wird. Schmidt-Hofners Band schließt die Lücke zwischen „Das archaische Griechenland“ und dem Anschlussband zur römischen Geschichte „Der Hellenismus“. Zwar liefert das Schlagwort vom klassischen Griechenland den Titel des Buches, allerdings spielt ein Konzept von Klassik bei der Darstellung keine Rolle; nur der Epilog geht auf wenigen Seiten relativierend auf dieses Klischee ein, das die allgemeine Wahrnehmung der Hochzeit der griechischen Antike immer noch weitgehend bestimmen dürfte.

Entscheidend sind für Schmidt-Hofners Auffassung dieser Zeit die beiden im Untertitel genannten Begriffe von Krieg und Freiheit. Seine Erzählung umfasst die Zeit von den sogenannten Perserkriegen über die zahlreichen innergriechischen Verwerfungen und Auseinandersetzungen bis hin zum Aufstieg Makedoniens als Führungsmacht und dem Übergang zum nächsten Perserkrieg unter Alexander III. Dabei nehmen die Schilderungen der Konflikte einen breiten Raum ein, wobei Schmidt-Hofner nicht nur stets klar macht, aus welchen Quellen er schöpft, sondern auch immer eine kritisch reflektierenden Abstand zu diesen Quellen und ihren tradierten Interpretationen einnimmt. Daraus ergibt sich notwendig, dass die griechische Lebenswelt und Kultur im engeren Sinne etwas zu kurz kommen – auf Skulptur und Malerei etwa geht das Buch nur ganz am Ende ein, um klar zu machen, dass dem Autor dieses Manko durchaus bewusst ist –, wobei allerdings Schwerpunkte gesetzt werden, die deutlich machen, dass hier noch ein weiter Hallraum zu entdecken wäre. Es sollte aber betont werden, dass sich Schmidt-Hofner in Sprache und Dichte der Darstellung deutlich an ein akademisches Publikum wendet; für den interessierten Laien ohne Vorkenntnisse dürfte der Band eine eher anspruchsvolle Lektüre bilden.

In einzelnen Details ist man als halber Fachmann immer anderer Meinung, aber alles in allem ist die Aufgabe, die hochkomplexe Zeit des 5. und 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung kompakt auf 350 Seiten zu portraitieren, exzellent gelöst. Der Band reiht sich so ungebrochen in diese überaus empfehlenswerte Reihe ein.

Sebastian Schmidt-Hofner: Das klassischen Griechenland. Der Krieg und die Freiheit. C. H. Beck Paperback 6152. München: Beck, 2016. Klappenbroschur, 368 Seiten. 16,95 €.

Peter Scholz: Der Hellenismus

Niemand hat das Recht zu tun, was er will, doch alles ist zum Besten geordnet.

Ptolemäischer Rechtsgrundsatz

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Der chronologisch dritte Band von Becks „Geschichte der Antike“ – der Band zur Griechischen Klassik soll im kommenden Jahr erscheinen – ist nach dem originellen Band zum archaischen Griechenland eine kleine Enttäuschung. Es ist dem Autor zugutezuhalten, dass es eine undankbare Aufgabe ist, die Geschichte des Hellenismus nachzuzeichnen, da ein Großteil des historischen Stoffs von den Haupt- und Staatsaktionen der Diadochenreiche gebildet wird. In seinem Resümee schreibt Peter Scholz:

Die von Alexander gleichsam begründete, mit seinem Tod einsetzende Epoche des Hellenismus bietet, was die Lektüre der vorangehenden Seiten vermitteln wollte, eine schwer überschaubare Fülle von Herrschern und ihren Familien, von großen Protagonisten und kleinen Akteuren, eine ermüdende Vielzahl kleiner Konflikte und großer Kriege, von Morden an Herrschern und Mitgliedern der jeweiligen Herrscherfamilien, von schwierigen Herrscherwechseln und damit im Zusammenhang stehenden höfischen Intrigen. Aus den zahllosen Einzelereignissen, die kaum Anspruch erheben können, im allgemeinen historischen Gedächtnis zu verbleiben, lassen sich jedoch im Überblick einige besonders charakteristische Merkmale und Errungenschaften des hellenistischen Zeitalters herausarbeiten, die es verdienen, als Merkmale der hellenistischen Geschichte erinnert zu werden. (S. 302 f.)

Leider liegt das Hauptgewicht des Textes nicht auf den „charakteristischen Merkmalen“, die nur zwischendurch auf wenigen Seiten zusammengefasst werden, sondern auf der Auflistung und Nacherzählung eben der „ermüdenden Vielzahl“ jener Daten, die sich in ähnlicher Zusammenstellung auch in jeder anderen Darstellung der Epoche finden lässt.

Scholz beginnt seine Darstellung mit einer ausführlichen Schilderung der Karriere Alexanders III. als Gewaltmensch, wobei das Bild dieses historischen Protagonisten letztlich widersprüchlich bleibt. Während Scholz einerseits bei jeder sich bietenden Gelegenheit Alexanders Egozentrismus betont, kann er es andererseits nicht umgehen, seine innovativen, wenn auch vielleicht ungelenken Versuche zur Vereinigung der griechisch-makedonischen und persischen Kultur zu schildern, die dem Bild des ausschließlich an der Selbststilisierung zum Heros Egomanen widersprechen. Auch Scholz’ These, Alexander habe auf nichtmilitärische Probleme ausschließlich ad hoc und ohne genügendes Gesamtkonzept reagiert, überzeugt nur, wenn man moderne Maßstäbe der Soziologie bzw. politischen Theorie anlegt. Alexanders Gesamtentwurf für sein Reich mag uns unzureichend erscheinen, aber zum einen war etwas ähnliches nie zuvor unternommen worden und zum anderen hatte kein Zeitgenosse jemals auch nur ansatzweise über politische Probleme dieser Größenordnung nachgedacht. Betrachtet man etwa versuchsweise Platons Analyse der Staatsformen als Anhalt für den theoretischen Horizont der Zeit, so kann von Alexander fairerweise kein substantielles Konzept für eine Durchstrukturierung seines Reichs erwartet werden. Reflektiert man gar die Reaktionen von Alexanders Mitstreitern auf seine Annäherung an persische Sitten und Rituale, so kommt man kaum umhin, ihn bei aller Egozentrik immerhin für einen originellen Kopf halten zu müssen, was immer man von seiner allgemeinen Tendenz zu Massenschlächtereien auch sonst halten mag.

Nach Alexanders Tod folgt Scholz all den oben angedeuteten Wirren und Verwicklungen der Geschichte des östlichen Mittelmeerraumes bis zum Aufstieg der Römer als neue Ordnungsmacht. Warum es den Römern gelingt, eine zwar weiterhin fragile, im Vergleich zur Epoche des Hellenismus aber immerhin kontinuierliche Herrschaft im östlichen Mittelmeerraum zu errichten, wird von Scholz nicht mehr im Detail thematisiert. Bei ihm bleibt es bei einer Kritik des wesentlich auf die Person des Königs bezogene Staatsform der hellenistischen Reiche, in der jeder Herrscherwechsel, ja, sogar jeder militärische Erfolg letztlich zu einer immer erneuten Destabilisierung des gesamten internationalen Systems führen. Der Eindruck, der dem Leser bleibt, ist, dass es keinem der Nachfolger Alexanders gelungen ist, auch nur in Ansätzen die Idee zu einer Staatsform zu finden, die nicht wesentlich von dem Individuum an der Spitze und seiner Individualität abhängig ist. Im Primat der staatlichen Struktur über den Herrscher scheint eine der Pointen der Überlegenheit und des Erfolgs der Römer zu bestehen. Mag sein, dass dies die historische Lehre aus dem Chaos des Hellenismus ist.

Peter Scholz: Der Hellenismus. Der Hof und die Welt. C. H. Beck Paperback 6153. München: Beck, 2015. Klappenbroschur, 352 Seiten. 16,95 €.

Elke Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland

Zur Ergänzung von Clives „1177 v. Chr.“ habe ich im Anschluss diesen kurzen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum archaischen Griechenland, also der Zeit zwischen dem Ende der sogenannten Dunklen Jahrhunderte bis zum Beginn der Klassischen Zeit (ca. 800–500 v.u.Z.) gelesen. Die Autorin liefert bewusst keine geschlossene historische Erzählung der Epoche, sondern behandelt sie unter verschiedenen thematischen Aspekten, bei denen sie jeweils die schriftlichen und archäologischen Quellen nebeneinanderstellt und abgleicht.

Es beginnt mit einer kurzen Darstellung der Dunklen Jahrhunderte, deren Umfang in den letzten Jahrzehnten nicht nur bedeutend zusammengeschmolzen ist, sondern die sich inzwischen auch als bei weitem nicht so einheitliches Phänomen präsentieren, wie das noch zu meiner Studienzeit der Fall war. Zwar bleibt der allgemeine Niedergang der sogenannten mykenischen Palastkultur festzustellen, doch das übrige Griechenland bietet in dieser Zeit durchaus kein einheitliches Bild von Kulturverfall oder Isolation von der übrigen Welt des östlichen Mittelmeeres.

Es folgt eine knappe Behandlung der Frage, inwieweit sich in Homers Epen die Darstellung der fiktiven, heldischen Vorzeit und der rezenten Kultur zur Zeit der schriftlichen Fixierung der Epen mischen. Auch wird die Frage kritisch erörtert, wie wahrscheinlich es ist, dass für „Ilias“ und „Odyssee“ eine längere orale Tradierung existierte, bevor sie niedergeschrieben wurden. Anschließend wird die Lebenswelt des archaischen Griechenland anhand der Themenkomplexe Kolonisation, Polis, Bauern, Aristokraten, Tyrannis und Bürgerschaft aufgefächert. Im Zentrum jedes Abschnitts stehen konkrete Fallstudien, in denen für konkrete Orte das Bild der schriftlichen Überlieferung mit den archäologischen Befunden abgeglichen wird. Es entsteht auf diese Weise ein differenzierter Überblick der archaischen Griechen Kultur, Politik und Gesellschaftsstruktur. Der einzige Aspekt, der stets nur am Rande behandelt wird, ist der Krieg als zentrale Form der außenpolitischen Auseinandersetzung. Bis auf diesen einzigen Mangel fand ich die gesamte Darstellung exzellent und jeweils auf den Punkt. Es ist erfreulich zu sehen, dass inzwischen die eher märchenhaft gehaltenen Einführungen, die noch zu meiner Studienzeit durchaus gängig waren und die die Komplexität der antiken Welt prinzipiell verflachten, durch differenzierte und durchweg anspruchsvolle Darstellungen abgelöst wurden.

Das Buch ist in einer leicht akademischen Diktion geschrieben und zielt daher wohl eher auf Leser mit einer historischen oder archäologischen Vorbildung oder einem akademischen Hintergrund. Zahlreiche historische oder archäologische Begriffe werden schlicht als bekannt vorausgesetzt, so dass dem echten Laien das eine oder andere  Nachschlagen während der Lektüre nicht erspart bleiben dürfte. Der Band ist Auftakt einer insgesamt sechsteiligen „Geschichte der Antike“ (von der bis dato fünf Bände erschienen sind); es ist nicht unwahrscheinlich, dass der ein oder andere Band dieser Reihe hier noch besprochen werden wird.

Elke Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer. C. H. Beck Paperback 6151. München: Beck, 2015. Klappenbroschur, 302 Seiten. 16,95 €.

Hesiod: Theogonie

Hesiod-TheogonieIm Jahr 2008 erschienen zwei Bücher Raoul Schrotts: zum einen eine Übersetzung von Homers „Ilias“ und zum anderen mit unmittelbarem Bezug zu dieser Übersetzung der Band „Homers Heimat“, der einen kleinen Sturm im Wasserglas der Al­ter­tums­wis­sen­schaf­ten auslöste. Schrott macht sich in diesem Buch in einer komplexen und quel­len­ge­sät­tig­ten Argumentation für die Hypothese stark, Homer als einen kilikischen Autor zu lesen, seine Herkunft und die von ihm verarbeitete lebensweltliche Wirklichkeit also in den östlichen Mittelmeerraum, genauer an die Südost-Küste der Türkei zu verlegen.

Schrotts gerade erschienene „Theogonie“ stellt eine Variation desselben Themas dar: Er liefert zu seiner Übersetzung des Textes einen umfangreichen Anhang, in dem er den Einflüssen nachspürt, den die Mythen des östlichen Mittelmeerraums auf den griechischen Ent­wurf der Göt­ter­welt gehabt haben könnten. Er behauptet im Falle Hesiods nicht, dass ihm – wie er das für Homer wahrscheinlich ma­chen möchte – eine schriftliche Fassung der verarbeiteten Mythen vorgelegen habe, sondern geht in diesem Fall von einer mündlichen Tradierung der entsprechenden Stoffe aus. Schrott steht mit dieser Sicht, die von einer vielfältigen Verbindung und Verschränkung der diversen Kulturräume des Mittelmeers ausgeht, durchaus nicht allein; er ist nur derjenige, der diese Einsichten außerhalb der reinen Fach­dis­kus­sion zuerst thematisiert hat.

Wen die Verknüpfungen der alten Kulturen im Mittelmeerraum in­ter­es­sie­ren, findet hier reichhaltigen Stoff und Anregungen zur weiteren Lektüre. Verständlicherweise ist auch Schrotts Übersetzung sehr stark von seiner Grundthese beeinflusst. Es kann sich daher hier und da lohnen, eine zweite, konservativere Übersetzung zu Schrotts Text der „Theogonie“ parallel zu lesen.

Hesiod: Theogonie. Übersetzt und erläutert von Raoul Schrott. München: Hanser, 2014. Bedruckter Pappband, bedruckte Vorsätze, 216 Seiten. 19,90 €.

Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike

Schwertheim-KleinasienDer Band bietet einen Marsch durch die Geschichte Kleinasiens von den ersten fassbaren archäologischen Spuren bis zur Gründung Konstantinopels als zukünftiger Hauptstadt Ostroms. Angesichts dieses Zeitraums und der Kürze des Bandes darf man nicht zu viel erwarten. Auf vielen Seiten bleibt dem Autor praktisch nichts anderes übrig, als eine gedrängte Chronologie des historischen Ablaufs zu liefern, wobei besonders in der Zeit des Hellenismus die Verhältnisse so komplex sind, dass wenigstens ich der Darstellung ohne einen daneben liegenden historischen Atlas nicht folgen konnte.

Dies wird dann bei der Darstellung der römischen Zeit in Kleinasien wieder etwas besser, wobei aber auch hier der Versuch, gleichzeitig die religiöse Entwicklung des Christentums und die politische Entwicklung Roms zu beschreiben, den Leser letztlich etwas unbefriedigt zurücklässt. Das Dilemma des Autors, einerseits kein wesentliches Details vernachlässigen zu wollen, andererseits nicht mehr als knapp 120 Seiten für seine Darstellung zur Verfügung zu haben, ist dem Text auf beinahe jeder Seite abzulesen.

Dabei handelt es sich bei Kleinasien tatsächlich um einen der spannendsten und spannungsreichsten Kulturräume der Antike, der aber in den großen Überblicksdarstellungen der antiken Geschichte beinahe immer etwas stiefmütterlich abgehandelt wird. Ich selbst bin gespannt, ob ich mir die Zeit nehmen werde, Christian Mareks umfangreiches Buch zum Thema wenigstens auszugsweise zu lesen.

Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike. Von den Hethitern bis Konstantin. BR 2348. München: C.H. Beck, 22011. Broschur, 128 Seiten. 8,95 €.

Karl-Wilhelm Welwei: Die griechische Frühzeit

Welwei-Griechische-FrühzeitEin kurzer Überblick über die Zeit von Beginn der europäischen Zivilisation auf Kreta bis zum Übergang der archaischen Periode zur klassischen Antike. Der im vergangenen Jahr verstorbene Althistoriker Karl-Wilhelm Welwei war zu Recht als einer der besten Kenner des antiken Griechenlands bekannt; entsprechend detailreich und dicht ist seine Darstellung geraten. Welwei behandelt alle wichtigen Aspekte der historischen Entwicklung, wobei er angenehmerweise gar nicht erst versucht, für die sogenannten Dunklen Jahrhunderte (ca. 1200–800 v.u.Z.) eine Erklärung zu liefern. Zwar erwähnt er die als mitursächlich anzunehmenden Erdbeben, deren Zerstörungen sich faktisch nachweisen lassen, doch verzichtet er darauf, die Spekulationen des 19. und 20. Jahrhunderts (barbarische Eroberer, Seuchen, rassische Degeneration etc.), für die es keinerlei archäologische Belege gibt, auch nur zu erwähnen.

Im zweiten Teil der Darstellung liegt das Hauptgewicht auf der verfassungsrechtlichen Entwicklung verschiedener lokaler Ethnien, die schließlich zu der Form der athenischen Demokratie führte, die das populäre Bild des klassischen Zeitalters prägt. Nebenbei wird in einem kurzen Kapitel auch die kulturelle Entwicklung in Architektur, Plastik, Keramik und Dichtung behandelt, wobei auf den wenigen Seiten nur die ganz großen Linien angedeutet werden können.

Die gedrängte Darstellung zielt eher auf ein studentisches Publikum ab, ist also für eine allererste Einführung in das Thema nur bedingt geeignet. Wer allerdings bereits eine allgemeine Idee von der historischen Entwicklung der griechischen Frühzeit hat, wird kaum einen auch nur annähernd kompakten und zugleich kompetenten und informativen Überblick zum Thema finden.

Karl-Wilhelm Welwei: Die griechische Frühzeit. 2000 bis 500 v. Chr. BR 2185. München: C.H. Beck, 22007. Broschur, 128 Seiten. 8,95 €.