Alan Bennett: The Uncommon Reader

bennett_reader Der Titel spielt auf eine im angelsächsischen Raum recht bekannte zweibändige Essaysammlung Virginia Woolfs an, die The Common Reader überschrieben ist, was wiederum ein Ausdruck Dr. Johnsons ist. Im Mittelpunkt von Bennetts Erzählung steht nun allerdings eine äußerst ungewöhnliche Leserin: Queen Elizabeth II., die beim Gassigehen mit ihren Corgis hinter ihrem Palast zufällig auf einen Bücherbus stößt, der die Dienerschaft ihrer Majestät mit Lesestoff versorgt. Höflich, wie sie ist, betritt sie den Bus und trifft dort auf einen ihrer Küchenjungen, Norman Seakins. Und da sie nun einmal die Gelegenheit hat, entleiht sie als weiteres Zeichen ihrer königlichen Gnade einen Roman von Ivy Compton-Burnett, an deren Adelung sich die Königin noch gut erinnern kann.

Dies ist der Beginn einer neuen Beschäftigung der Queen: Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren liest sie einen Roman, liest einfach nur, um zu lesen. Der junge Norman Seakins wird zum Pagen befördert und mit den königlichen Lektürewünschen betraut. Und Elisabeth II. wird zu einer leiderschaftlichen Leserin; bald sind ihr die öffentlichen Obliegenheiten und Repräsentationspflichten nur mehr lästig, und ihre Majestät kehrt bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihren Büchern zurück. Und als sei all dies nicht schon schlimm genug, denkt sie schließlich darüber nach, selbst ein Buch zu schreiben, etwas im Stil Prousts vielleicht …

Diese kleine Erzählung hat einen wundervollen Humor und transportiert auf ihren etwa 120 Seiten viele Erfahrungen, die jeder ernsthafte Leser im Verlauf seiner Lesegeschichte auch selbst gemacht hat. Sowohl der Widerstand des Hofstaates gegen das veränderte Verhalten der Königin, als auch das gänzliche Unverständnis der königlichen Familie, bieten einen wundervoll ironischen Blick auf das Haus Windsor – besonders Prinz Philip hat mir viel Freude gemacht:

‘We have a travelling library,’ the Queen said to her husband that evening. ‘Comes every Wednesday.’
‘Jolly good. Wonders never cease.’
‘You remember Oklahoma?’
‘Yes. We saw it when we were engaged.’ Extraordinary to think of it, the dashing blond boy he had been.
‘Was that Cecil Beaton?’ said the Queen.
‘No idea. Never liked the fellow. Green shoes.’
‘Smelled delicious.’
‘What’s that?’
‘A book. I borrowed it.’
‘Dead, I suppose.’
‘Who?’
‘The Beaton fellow.’
‘Oh yes. Everybody’s dead.’
‘Good show, though.’
And he went off to bed glumly singing ‘Oh, what a beautiful morning’ as the Queen opened her book.

Das Büchlein erscheint im August in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die souveräne Leserin bei Wagenbach.

Alan Bennett: The Uncommon Reader. London: Faber and Faber, 2008. Paperback, 121 Seiten. Ca. 11,– €.

Frank Jöricke: Mein liebestoller Onkel, …

joericke_onkel … mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage. Der Titel ist auch schon das Originellste am Buch. Das Buch ist eine Ansammlung von kurzen, anekdotischen Erzählungen um die Figuren einer Familie. Jede Erzählung ist mit einer Jahreszahl von 1967 bis 2003 überschrieben und viele mit einem spezifischen Ereignis des Jahres eingeleitet. Allerdings ist der Zusammenhang mit dem Rest des Erzählten oft eher zufällig, so dass sich die vorgebliche Struktur als ebenso oberflächlich erweist wie der Rest des Buches.

Der Humor des Buches lebt ausschließlich von der Überzeichnung alltäglicher Ereignisse und normaler Verhaltensweisen. Deshalb geraten nahezu alle Figuren zu Karikaturen und der Ich-Erzähler zu einem überheblichen Zyniker. Mancher mag das lustig finden; mir sprach mehr der Satz

Ich mag dieses altkluge Gewäsch nicht hören. [S. 156]

aus der Seele. Aber das ist eine Geschmacksfrage. Dass der Autor durchaus Potenzial zu Besserem hat, zeigt sich vereinzelt in der Zeichnung der Mutter, die ihm hier und da beinahe zu einer wirklichen Figur gerät (etwa auf S. 115 f.). Dass er dies bemerkt und den stilistischen Bruch gerade noch verhindert, in dem er in sein übliches Geschwätz zurückwechselt, beweist, dass er besser zu schreiben versteht, als er es in diesem Buch zeigt. Nur macht es eben dieses Buch nicht besser.

Wer schlichte Unterhaltung sucht, bei der er seinen Kopf nicht groß gebrauchen und seine Aufmerksamkeitsspanne acht Seiten nicht übersteigen muss, wird sicherlich gut bedient. Wer allerdings nicht liest, um seine Zeit zu vertun, sollte auf ein späteres Buch des Autors hoffen. Positiv erwähnt werden sollte vielleicht noch der Schutz- umschlag von Cornelia Niere, der ein echter Blickfang ist.

Frank Jöricke: Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage. Münster: Solibro-Verlag, 2007. Pappband, Lesebändchen, 248 Seiten. 19,90 €.

P.G. Wodehouse: Reiner Wein

wodehouse-reinerwein Das Bändchen präsentiert so etwas wie eine Autobiographie Wodehouses, angeregt angeblich durch das Schreiben eines Journalisten, der Wodehouse im Jahr 1957 eine Reihe von Frage zugesandt habe, die der Befragte unerwartet ausführlich beantwortet. Eine wirkliche Autobiographie entsteht dabei natürlich nicht, wenn auch Wodehouse recht ausführlich über seine Anfänge als Autor plaudert. Aber Wodehouse ist zu verspielt und nimmt sich selbst nicht ernst genug, um tatsächlich eine Selberlebensbeschreibung zu liefern. Stattdessen wimmelt das Buch von Anekdoten, Witzen, Wortspielen. Selbst wenn konkrete Ereignisse im Leben des Autors geschildert werden, gerät alles rasch zur Posse:

Seinerzeit wurden Hollywood-Autoren in kleinen Käfigen gehalten. Diese beherbergten, in Reihen angeordnet, je einen Autor mit einem langfristigen Vertrag auf Wochenlohnbasis. Jedermann konnte sehen, wie ihre Gesichtchen bang durch die Gitterstäbe guckten, und hören, wie die Bedauernswerten winselnd darum baten, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden. Der Anblick ließ nur ganz Abgebrühte kalt.

Ich will nicht gerade behaupten, man habe die Autoren mißhandelt. In den besseren Studios war bei Einführung des Tonfilms Freundlichkeit die Regel. Oft blieb einer der Mogulen stehen und steckte einem der Betroffenen ein Salatblatt zu. Und das gleiche galt für die menschlicheren Regisseure, ja, zwischen Regisseur und Autor entwickelte sich oft eine schon fast rührende Freundschaft. Ich erinnere mich an eine Episode, die mir ein Regisseur einst erzählte und welche dies glänzend illustriert:

Eines Morgens war er unterwegs ins Büro – gedankenverloren wie immer, wenn er sich den Tagesablauf durch den Kopf gehen ließ –, als er plötzlich spürte, wie etwas an seinen Frackschößen zerrte. Er sah hinunter und erblickte seinen Lieblingsautor Edgar Montrose (»Autor des Monats«) Delamere. Das Bürschchen hielt ihn mit eisernem Griff fest und schaute mit Augen zu ihm hoch, in denen eine fast menschlich wirkende Warnung lag.

Auch Wodehouses Betrachtungen zum Boxen, Fernsehen, Landleben, seinen Arbeitsstil usw. usf.  geraten rasch auf ähnliche Pfade.

Zur Qualität dieser Wodehouse-Ausgabe und der hervorragenden Übersetzungen von Thomas Schlachter ist an anderer Stelle schon das Nötigste gesagt worden. Auch dieses Bändchen ist für Wodehouse-Freunde ein Muss, für alle anderen Leser eine wärmste Empfehlung.

P.G. Wodehouse: Reiner Wein. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2007. Pappband, Fadenheftung, 215 Seiten. 19,95 €.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca

hamilton-paterson Ein Buch mit zwei Ich-Erzählern als Protagonisten: Gerald, Engländer, der sein Geld als Ghostwriter für Sportstars verdient, und Marta, Staatsangehörige des fiktiven »Woinowien« (wahrscheinlich nach dem polnischen »Woiwod«, Herzog), eine junge Komponistin, gerade dabei einen Film-Score zu schreiben. Beide leben als Nachbarn in der Toskana und finden einander unerträglich. Der Leser kann sich in beide Meinungen leicht einfühlen. Beide zeichnen sich durch »tragische Dummheit« aus, wie der Autor Gerald während einer seiner zahlreichen unerträglichen Raunzerein einmal äußern lässt.

Das Buch weist über die erste Hälfte hin keinerlei erkennbares Thema auf. Da das auch dem Autor aufgefallen ist, versorgt er uns auf der Seite Geralds mit obskuren Kochrezepten und auf Martas mit der Geschichte ihrer Gangsterfamilie. Wenigstens das letztere zeigt im weiteren Gang der Handlung noch einige belanglose Konsequenzen. Ansonsten geistern noch Gerald nächster Kunde, ein zu verbiographierender Popstar, der vor Geralds endloser Arroganz am Ende doch noch Gnade findet, und Martas Auftraggeber, ein italienischer Regisseur, der gesellschaftskritische Pornos dreht. Er ist zwar als einzige Figur in der Lage, wenigstens ein annähernd menschliches Gespräch zu führen, quatscht am Ende aber auch bloß seitenweise Unfug über das Kino und die Gesellschaft daher, der wahrscheinlich witzig gemeint ist.

Klassischer Humor erschöpft sich in einigen bemühten Slapstick-Einlagen und einem zaghaften Versuch, eine Komödie der Irrungen zu starten, mit der der Autor aber gleich seine eigene Gangstergeschichte stört, weshalb er den Versuch nach wenigen Seiten durch eine umfassende Aufklärung abbricht. Ansonsten soll man es wohl lustig finden, dass wer schlecht Englisch spricht, an UFOs glaubt oder ständig im Hubschrauber ankommt und wegfliegt.

Insgesamt wohl ein Buch, das auf ein allgemeines Ressentiment der Leserschaft spekuliert, obwohl zu befürchten ist, dass der Autor dies teilt, es aber durch eine durchgängig ironische Erzählhaltung unkenntlich zu machen versucht. An einer Stelle fällt der Name Hegel und sticht so einsam aus dem ganzen unsäglichen Gequatsche heraus, dass er allein genügt klarzumachen, dass der Autor auch nicht den geringsten Schimmer hat, worüber er da eigentlich schreibt.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. btb 73565. Verlagsgr. Random House, 2007. 364 Seiten. 9,00 €.

McCall Smith: Die verschmähten Schriften …

mccall-smith-schriften … des Professor von Igelfeld ist ein Sammelband der drei kleine Büchlein zusammenfasst, deren gemeinsamer Held der im deutschen Titel genannten Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist. Leider ist der Titel insoweit etwas irreführend, als Professor Dr. Igelfeld keinerlei verschmähte Schriften geschrieben hat und dementsprechend der Band weder solche enthält noch von ihnen zu berichten weiß. Offensichtlich hat sich der deutsche Verlag gescheut, den englischen Sammeltitel The 2½ Pillars of Wisdom zu übernehmen, offenbar weil Lawrences Sieben Säulen der Weisheit den deutschen Lesern nicht mehr präsent genug sind, um die Pointe auszulösen. Das ist allerdings schon der einzige Einwand, der sich gegen die deutsche Ausgabe erheben lässt. Nicht nur ist der Band in einem leichten und angenehmen Stil übersetzt, der Verlag hat sich auch entschlossen, die Illustrationen von Iain McIntosh abzudrucken.

Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist Autor des weltberühmten, grundstürzenden, mehr als 1200 Seiten umfassenden Werkes Portugiesische unregelmäßige Verben, das nicht nur Igelfelds wissenschaftliche Reputation begründet hat, sondern auch den Dreh- und Angelpunkt all seines Selbstbewusstseins darstellt. Und davon hat er nicht zu wenig. Allerdings muss er feststellen, dass seine Mitmenschen nicht immer in der Lage sind, sich Igelfelds Rang und persönlicher Bedeutung – er ist sogar fast ein Baron – angemessen zu verhalten. Deshalb sind auch seine beiden Kollegen Professor Dr. Dr. h. c. Florianus Prinzel (den Igelfeld heimlich beneidet) und Professor Dr. Detlev Amadeus (von) Unterholzer, die zusammen mit ihm romanische Philologie an der Universität von Regensburg lehren, die wichtigsten Bezugspersonen seines Lebens, weil er bei Ihnen sicher sein kann, dass sie ihm nicht nur in Neid und Bewunderung treu verbunden sind, sondern auch seine spezifische Art der Weltfremdheit (man nennt das wohl gemeinhin einen Wertekanon) teilen.

Er konnte sich vorstellen, dass das Leben eines Diplomaten oder selbst eines Schismatikers fast so spannend sein konnte wie das eines Professors für romanische Philologie. Fast, aber nicht ganz.

Diese Clique deutscher Philologen wird nun vom Autor mehr oder weniger gemeinsam in der Welt herumgetrieben und machen dort die mehr oder weniger unvermeidlichen Erfahrungen. Das ganze steht offensichtlich in der Tradition der Prosakomödien P. G. Wodehouses, nur eben ins späte zwanzigste Jahrhundert und die Schicht der deutschen intellektuellen Snobs verpflanzt. Dabei lässt McCall Smith den deutschen intellektuellen Snobs insoweit Gerechtigkeit wider- fahren, als während eines Gastsemesters Igelfelds in Cambridge eine Auswahl englischer intellektueller Snobs als Folie dient.

Eine höchst vergnügliche Lektüre, die nur diejenigen meiden sollten, denen der Gedanke der Misshandlung von Dackeln schwer erträglich ist.

Alexander McCall Smith: Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. München: Karl Blessing, 2007. Pappband, 448 Seiten. 19,95 €.

P.G. Wodehouse: Monty im Glück

wodehouse-monty- Dieser humoristische Roman von P.G. Wodehouse stammt aus dem Jahr 1935 und liegt hier in der deutschen Erstübersetzung vor. Über Wodehouse im Allgemeinen und die in der Edition Epoca vorliegenden Übersetzungen durch Thomas Schlachter habe ich anlässlich von »Onkel Dynamit« schon einiges geschrieben, das nicht wiederholt zu werden braucht. »Monty im Glück« (»The Luck of the Bodkins«) ist nach »Heavy Weather« der zweite Roman von Wodehouse, in dem Montague »Monty« Bodkin als Protagonist auftritt. Monty gehört in das Umfeld des Londoner Drones Clubs, in dem, neben anderen, auch Wodehouse’ bekannteste Figur Bertie Wooster und Pongo Twistleton (vgl. »Onkel Dynamit«) Mitglieder sind.

»Monty im Glück« spielt aber in der Hauptsache weit entfernt von London, nämlich auf der Überfahrt des Passagierschiffs R.M.S. Atlantic von Europa nach New York. Monty nimmt an der Überfahrt nicht teil, weil er nach Amerika will, sondern ausschließlich, weil sich seine Verlobte Gertrude Butterwick auf dem Schiff befindet, die als Mitglied der englischen Damenhockey-Nationalmannschaft auf dem Weg in die Vereinigten Staaten ist.

Gertrude hat Monty kurz vor Abfahrt des Schiffes aus für ihn vorerst unerfindlichen Gründen die Verlobung aufgekündigt, womit Monty durchaus nicht einverstanden ist. Es stellt sich auch nur zu bald heraus, dass alles auf einem Missverständnis beruht, und die Verlobung ist rasch wiederhergestellt. Könnte sich Monty nun in aller Stille entfernen, hätte das Buch ein vorzeitiges Ende gefunden, aber durch die gemeinsame Überfahrt für sechs Tage auf engstem gesellschaftlichen Raum aneinander gefesselt, findet Gertrude problemlos weitere Anlässe für immer erneute Auflösungen des Verlöbnisses, wobei sich die Lage von Mal zu Mal zu dramatisiert. Der allzu ängstliche Leser darf sich aber angesichts des Titels über den letztendlichen Ausgang beruhigen. Auch für die Brüder Reginald und Ambrose Tennyson, seines Zeichens minder begabter Schriftsteller, der irrtümlich für Alfred, Lord Tennyson gehalten wird, die sich um Mabel Spence, die Schwägerin des Filmmoguls Ivor Llewellyn, der von seiner Gattin genötigt wird, ein Perlenkollier am US-amerikanischen Zoll vorbeizuschmuggeln, bzw. um die Schauspielerin Lottie Blossom bemühen, geht die Geschichte letztlich gut aus, ganz zu schweigen von Albert Peasemarch. (Dieser Satz wurde in der Absicht konstruiert, die Schlichtheit der zwischenmenschlichen Beziehungen dieses Romans aufscheinen zu lassen.) Mit anderen Worten:

Männer sind in dieser Beziehung einfach goldig. Man kann sie wie den letzten Dreck behandeln, doch wenn’s auf die Schlußumarmung mit Abblende zugeht, ist auf ihre putzmuntere Präsenz Verlaß.

»Monty im Glück« zeigt Wodehouse einmal mehr als brillanten Konstrukteur von Komödien auf abgezirkeltem Raum und mit klar begrenztem Personal. Auch dieser Roman könnte, so wie er ist, als Vorlage für eine klassische Screwball-Komödie dienen. Alle Konflikte, Wendungen und Irrungen sind von langer Hand vorbereitet und bedingen einander mustergültig. Alle eingeführten Figuren verfolgen ihre eigenen Absichten und tragen zugleich zur Verwirrung des großen Ganzen bei, und je besser ein Plan zur Lösung eines Konflikts ausgedacht ist, desto sicherer erzeugt er die nächste Stufe des Chaos. Und ganz en passant stellt Wodehouse auch hier wieder seine Meisterschaft des ebenso lakonischen wie pointierten Dialogs unter Beweis:

»Ich könnte einfach nicht schauspielern. Ich käme mir furchtbar bescheuert vor.«
»Tun Sie das nicht ohnehin?«
»Doch, aber nicht auf diese Art.«

Ein Buch für alle, die gut geschriebene Unterhaltung zu schätzen wissen.

P.G. Wodehouse: »Monty im Glück«. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2005. Pappband, Fadenheftung, 351 Seiten. 22,90 €.

P.G. Wodehouse: Onkel Dynamit

wodehouse-onkeldynamit Erst jetzt bin ich durch einen Hinweis in de.rec.buecher und einen Auszug in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam geworden, dass seit einigen Jahren in der Schweiz eine neue Ausgabe der Bücher von P.G. Wodehouse veranstaltet wird. Das ist sehr zu begrüßen, da die alten Übersetzungen von Fred Schmitz wohl ein Haupthindernis für eine größere Popularität von Wodehouse in Deutschland dargestellt haben: Schmitz’ Übersetzungen waren nur bemüht komisch und – und das ist das Entscheidende – trafen den durchgehend ironischen Ton Wodehouses nicht. Es ist daher wundervoll, dass sich nun mit Thomas Schlachter ein Übersetzer der Sache angenommen hat, dem es mit scheinbar leichter Hand gelingt, den deutschen Texten ein den Originalen adäquates Flair zu geben.

In England ist Wodehouse selbstverständlich ein Klassiker der Unterhaltungsliteratur und in zahllosen Ausgaben und Anthologien erhältlich. In Deutschland hingegen scheint er in der Hauptsache durch die TV-Produktion der Geschichten um »Jeeves & Wooster« einige Bekanntheit erlangt zu haben. Es ist also vielleicht nicht ganz falsch, hier wenigstens einige Worte über den Autor zu verlieren: Wodehouse wurde 1881 im englischen Guilford geboren. Sein Vater war zu dieser Zeit Richter in Hongkong, so dass Wodehouse seine Schulzeit in der Hauptsache in Internaten verbrachte und viel seiner Ferienzeit bei seinen Tanten (die wahrscheinlich die Vorlage für die matronenhaften und tyrannischen Tanten Bertie Woosters geliefert haben dürften). Da sich die Familie ein Studium für ihren Sohn nicht leisten konnte, begann Wodehouse seine berufliche Karriere bei einer Bank, wechselte aber schon nach zwei Jahren ins journalistische Fach und landete schließlich als Drehbuch-Autor in Hollywood. Dort verdiente er eine Zeit lang gutes Geld und ließ sich dann in Frankreich nieder. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges weigerte er sich beharrlich, die Lage irgendwie ernst zu nehmen und wurde daher von den Deutschen gefangen gesetzt und ein Jahr lang interniert. Anschließend nötigte man ihn, von Berlin aus über den Rundfunk anti-alliierte Propaganda zu verbreiten, was ihm in England viele Sympathien kostete. Nach dem Krieg lebte Wodehouse in New York und wurde 1955 US- amerikanischer Staatsbürger. Wodehouse starb 1975. Sein umfangreiches Werk enthält einige der markantesten englischen Charaktere, wobei viele seiner Figuren in diversen Erzählungen und Romanen auftauchen. Die zahlreichen Serien und ihre Zusammenhänge aufzuzeigen, würde hier zu weit führen.

Bei Onkel Dynamit, dem Titelhelden des hier vorgestellten Bandes, handelt es sich um Frederick Altamont Cornwallis Twistleton, den 5. Graf von Ickenham, auch schlicht Onkel Fred, wie ihn sein Neffe Reginald »Pongo« Twistleton nennt. Pongo ist verlobt mit Hermione Bostock und hat sich auf den Weg gemacht, die Eltern seiner Braut in Ashenden Manor aufzusuchen, um sich vorzustellen. Unterwegs macht er Station bei seinem Onkel Fred, der gerade seine Gattin zum Schiff in Richtung Karibik gebracht hat, wo sie einer Hochzeit beiwohnen will. Onkel Fred sieht in der Abwesenheit seiner Gattin die günstige Gelegenheit mit seinem Neffen zusammen einmal wieder richtig auf den Putz zu hauen, wovon der – unverständlicherweise – nichts wissen will. Am nächsten Tag macht er sich auf nach Ashenden Manor, wo er binnen Kurzem nicht nur eines der Prunkstück aus der afrikanischen Sammlung seine Schwiegervaters in spe fallen lässt, sondern auch dessen Lieblingsbüste zerstört. In seiner Verzweiflung, wenigstens diesen zweiten Lapsus verbergen zu können, ersetzt er die Büste durch eine andere, die seine ehemalige Verlobte, Sally Painter, bei seinem Onkel zur Aufbewahrung gegeben hat. Natürlich braucht Sally diese Büste genau in diesem Moment dringend zurück und infolge eines missglückten Austauschversuchs entschließt sich Onkel Fred, sich unter falschem Namen in Ashenden Manor einzuquartieren. In seiner herzlichen, offenen und der Wahrheit nur wenig verpflichteten Art gelingt es Onkel Fred in kürzester Zeit ein allgemeines Chaos herzustellen, in dem er aber nicht, wie zu erwarten wäre, untergeht, sondern das er als fröhlich weiter fabulierendes Genie souverän beherrscht. Selbst die größten Katastrophen bringen ihn nicht aus der Ruhe, und so gerät am Ende alles ganz so, wie er sich das von Anfang an ausgemalt hat. Und zwischendurch bleibt noch Zeit für lehrreiche erzähltechnische Reflexionen wie etwa diese:

Kritische Stimmen werden hier anmerken, es sei ein an den Haaren herbeigezogenes und, rein handwerklich betrachtet, höchst unmotiviertes Zusammentreffen, daß in dieser bewegten Nacht sage und schreibe sechs Bewohner von Ashenden Manor unabhängig voneinander auf die Idee kamen, sich in den Salon zu begeben, um dort der Karaffe habhaft zu werden, die Jane, das Stubenmädchen, am Abend hingestellt hatte; andere werden darin lediglich jene Unausweichlichkeit erkennen, die sich in den großen griechischen Tragödien solcher Beliebtheit erfreute. Wie sagte doch Aischylos einmal zu Euripides: »Es geht nichts über die Unausweichlichkeit«, und Euripides antwortete, genau das habe er sich auch schon oft gedacht.

Wie ein Kurat mit Masern, ein in einen Ententeich gestoßener Polizist, ein verliebter, aber schüchterner Brasilien-Forscher und eine rasante Schriftstellerin mit all dem zusammenhängen, ist in wenigen Worten nicht nachzuerzählen und muss von jedem Leser selbst heraus- gefunden werden. Nur soviel sei gesagt, dass es sich um eine der amüsantesten und zugleich elegantesten Geschichten handelt, die ich seit Langem gelesen habe.

Neben der bereits gelobten Übersetzung, die Wodehouse wohl zum ersten Mal angemessen auf Deutsch präsentiert, soll die Ausstattung der Bändchen nicht unerwähnt bleiben: Sie kommen mit Fadenheftung daher, haben mit 12,5 × 17 cm ein etwas ungewöhnliches, aber nicht unangenehmes Format, ein wundervoll geblümtes Vorsatzpapier und eine sorgfältige Typographie (wenn man einmal von dem unglücklichen Hurenkind auf S. 114 absieht). Auf den populären Unsinn eines Schutzumschlages wird verzichtet, stattdessen liegt der Waschzettel auf ein kleines Pappkärtchen aufgedruckt bei, das man gleich als Lesezeichen verwenden kann. Alles in allem sind die Bändchen eine Freude und dem Inhalt ganz angemessen. Wollen wir hoffen, dass sie recht viele Leser finden und uns noch zahlreiche weitere Bände Wodehouse beschert werden.

P.G. Wodehouse: Onkel Dynamit. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2001. Pappband, Fadenheftung, 303 Seiten. 19,95 €.

Passig / Scholz: Lexikon des Unwissens

passig-scholz Eine nette, kurzweilige Lektüre, von der man nicht zuviel erwarten sollte. Die Autoren informieren im populären Ton über Fragen und gegenstände, zu denen unsere Wissen bestenfalls lückenhaft ist. Die behandelten Wissensbereiche sind Biologie, Physik (besonders die Astronomie), Mathematik, Geologie, die Wirtschafts- wissenschaften und die Anthropologie. Geschichtliche Ereignisse oder philologische Rätsel (»Indus-Schrift« und »Voynich-Manuskript«) stellen Ausnahmen dar. Andere Bereiche, wie etwa die Philosophie, die beinahe per definitionem komplett aus ungeklärten Fragen besteht, sind ausgelassen worden. Wahrscheinlich kennen sich die Autoren da nicht gut genug aus, um das dortige fundamentale Nichtwissen populär vermitteln zu können.

Wirklich harte Kandidaten (Zeit, Energie, Materie, der Kosmos, die Wahrheit, Gott) wurden ausgelassen. Bedingung zur Aufnahme eines Lemmas scheint gewesen zu sein, dass wissenschaftliche Lösungsansätze oder Theorien zu den Stichwörtern bestehen, die aber unzureichend bleiben. Einige Kandidaten sind durchaus überraschend: »Aal« oder »Klebeband« haben mich ebenso überrascht, wie ich die Lemmata »Geld« oder »Trinkgeld« amüsant fand. Überhaupt muss man betonen, dass das Buch in einem lockeren, angenehmen Ton gehalten ist, der sich und die verhandelten Themen nicht besonders ernst nimmt.

Eine leichte und vergnügliche Lektüre für zwischendurch.

Kathrin Passig / Aleks Scholz: Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt. Berlin: Rowohlt Berlin, 2007. Pappband, 255 Seiten, Lesebändchen. 16,90 €.

Shalom Auslander: Vorsicht, bissiger Gott

Auslander_Gott15 »fiese Storys« – so der treffende Untertitel –, die sich alle um Gott, Religion und das Phänomen des Glaubens drehen. Nicht alle halten das Niveau, aber einige haben wirklich Biss. So etwa »Sensationelle Offenbarungen aus dem verschollenen Buch Stan«, das von einer banalen und schlecht erfundenen Voraussetzung aus (Stan Fisher findet 13 Steintafeln mit der ältesten Fassung des Alten Testaments, das »leider« auf der ersten Tafel explizit als fiktionales Werk bezeichnet wird) zu einem kurzen, beinahe absurden Rundumschlag gegen den Wirtschaftszweig Religion ausholt. Oder auch »Sie sind alle gleich«, in dem Gott als Kunde einer Werbeagentur auftritt, um die Präsentation für eine große Kampagne abzunehmen. Von einer brillanten Mischung aus erkünstelter Naivität und ausgesuchter Bosheit sind die »Holocaust-Tipps für Kids«.

Anderes dagegen gerät eher platt, so die pubertäre Seelenqual in »Heimisch weiß alles« oder die fade Mischung aus Terry Pratchett und »Pulp Fiction« in »Die schützende Hand ganz oben«. Eine nette Lektüre für Atheisten und Agnostiker an einem verregneten Nachmittag, aber man sollte nicht zuviel erwarten.

Shalom Auslander: Vorsicht, bissiger Gott. Fiese Storys. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje. Berlin Verlag Taschenbuch 459. Berlin, 2007. 157 Seiten. 7,90 €.

Überflüssige Zweitverwertung

herzogImmer, wenn jemand sich mit Hitler und dem Dritten Reich auf humoristische Weise auseinandersetzt, diskutiert das Feuilleton einmal mehr die Frage, ob man über Adolf Hitler lachen dürfe. Einen interessanten Aspekt dieser Frage eröffnen die sogenannten Flüsterwitze des Dritten Reichs, die gern als Teil des alltäglichen Widerstandes gegen das Regime gewertet werden. Von daher wäre eine systematische Sammlung, klug kommentiert und unterfüttert mit Erfahrungsberichten von Zeitgenossen ein verdienstvolles Unternehmen. Um es kurz zu machen: Dies ist Rudolph Herzogs Buch nicht.

Das Buch ist offensichtlich als Parallelprojekt zu einem entsprechenden Film entstanden, in dem der Autor – er ist im Hauptberuf Regisseur und Drehbuchautor – sein Recherche-Material zum Film nochmals verwertet. Präsentiert wird nur eine kleine Auswahl von Witzen, ohne dass der Leser den Eindruck gewinnt, einen vollständigen oder wenigstens systematischen Überblick über das Phänomen zu bekommen. Alle Witze sind in kommentierenden Text eingebettet, der oft oberflächlich und zufällig bleibt. Das allgemeine Niveau mag für die eher flüchtige Präsentationsform eines Films genügen; für das Medium des Buchs fallen die Darstellung und die erreichten Einsichten zu oft zu kurz. Der vom Autor selbst formulierte Anspruch, durch »die Analyse politischer Witze« käme »man ungewöhnlich nah heran an das, was die Menschen des untergegangenen ›Tausendjährigen Reichs‹ wirklich dachten«, wird nur an den wenigsten Stellen eingelöst.

Insgesamt hat das Buch nur den einen Vorteil, die Lücke, die sein Titel vorgibt zu schließen, deutlich zu markieren. Wollen wir hoffen, dass sie in absehbarer Zeit durch eine solide, umfangreiche historische Untersuchung wenigstens annähernd geschlossen wird.

Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler – Komik und Humor im Dritten Reich. Eichborn, 2006. Pappband, 267 Seiten. 19,90 €.