Paul Auster: Unsichtbar

978-3-498-00081-3Auster ist schlicht ein großer Routinier der literarischen Fiktion. Unsichtbar enthält im Wesentlichen zwei erzählerische Ebenen, von denen die eine eine Variation der klassischen Herausgeberfiktion darstellt. Im Zentrum des Romans steht der 20-jährige Adam Walker, der 1967 in New York Literatur studiert und Schriftsteller werden will. Er lernt auf einer Party Rudolf Born, einen Schweizer Gastprofessor seiner Universität, und dessen Freundin Margot kennen. Als er Born kurze Zeit später zufällig wieder trifft, macht dieser ihm ein außergewöhnliches Angebot: Born habe geerbt und wolle Geld in ein Projekt investieren, etwa eine literarische Zeitschrift. Ob Walker sich vorstellen könne, eine solche Zeitschrift zu leiten? Obwohl Walker misstrauisch ist, ob es sich nicht um einen Scherz handelt, entwickelt er ein Konzept für eine solche Zeitung, das von Born akzeptiert wird: Born will die Zeitschrift im ersten Jahr mit 25.000 $ finanzieren. Als Born kurz darauf für kurze Zeit nach Paris reist, beginnt seine Freundin eine Affäre mit Walker, die mit Borns Rückkehr endet. Born trennt sich allerdings daraufhin von Margot, auch weil er vorhat in Frankreich zu heiraten. An dem Plan mit der Zeitschrift ändert sich aber nichts: Als Walker Born das nächste Mal trifft, stellt der ihm einen Scheck über das erste Viertel der geplanten Summe aus. Als die beiden dann ausgehen, um etwas zu essen, werden sie von einem Schwarzen überfallen, den Born kurz entschlossen mit einem Messer niedersticht. Walker sucht das nächste Telefon, um eine Ambulanz zu rufen, doch als er zum Tatort zurückkehrt, sind Born und das Opfer verschwunden. Am nächsten Tag erfährt Walker aus der Zeitung, dass die Leiche eines Schwarzen entdeckt wurde, der mit zahlreichen Messerstichen getötet wurde. Am selben Tag findet er in seinem Briefkasten eine Drohung Borns, ihn zu töten, falls er zur Polizei gehe. Als Walker sich nach mehreren Tagen doch dazu entschließt, die Polizei zu verständigen, ist Born inzwischen nach Frankreich geflohen.

Soweit der erste von vier Teilen des Buchs. Im zweiten Teil erfährt der Leser, dass es sich beim ersten um einen Entwurf Walkers zum einem autobiografischen Roman handelt. Walker hat diesen Entwurf an einen ehemaligen Kommilitonen und erfolgreichen Autor, James Freeman, geschickt mit der Bitte, ihm schriftstellerisch etwas auf die Sprünge zu helfen, da er mit dem zweiten Teil nicht recht vorwärts komme. Freeman erfährt, dass der inzwischen 60-jährige Walker an Leukämie erkrankt ist und wahrscheinlich bald sterben wird. Er gibt Walker einige allgemeine Tipps und hält bald den zweiten Teil des Romans in Händen, der von den folgenden Monaten des Jahres 1967 erzählt: Walker arbeitet als Hilfskraft in der Universitätsbibliothek und hat außerdem eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester, mit der er zusammenlebt. Dieses Verhältnis endet, als Walker ein Auslandsstudienjahr in Paris antritt.

Als Freeman nach der Lektüre des zweiten Kapitels Walker wie verabredet besuchen will, erfährt er, dass der kurz zuvor verstorben ist. Er hat Freeman aber den Entwurf des abschließenden dritten Kapitels hinterlassen. Wie zu erwarten ist, spielt der letzte Teil von Walkers Roman in Paris und bringt eine Wiederbegegnung sowohl mit Margot als auch mit Born. Die Ereignisse der wenigen Wochen, die Walker in Paris zubringt, nachzuerzählen, kann hier unterbleiben. Wichtig ist nur, dass Walker versucht, Borns geplante Eheschließung zu verhindern und auf diese obskure Weise den New Yorker Mord an dem Schwarzen zu rächen. Als Born Walkers Vorhaben erkennt, lässt er Walker kurzerhand wegen Drogenbesitzes festnehmen und ausweisen.

Im vierten und letzten Teil des Buches beschäftigt sich Freeman mit dessen Herausgabe, nachdem Walkers Schwester ihm dazu den Auftrag erteilt hat. Nachdem Freeman von ihr erfahren hat, dass zumindest die inzestuöse Beziehung frei erfunden ist, nutzt er seinen nächsten Paris-Aufenthalt, um zu recherchieren, wie viel von dritten Teil der Erzählung der Wahrheit entspricht. Und tatsächlich kann er eine der Figuren aus Walkers Roman identifizieren. Von ihr erfahren wir zum Abschluss auch von der weiteren Geschichte Rudolf Borns.

Auster beweist einmal mehr, dass die guten alten Muster der Erzählkunst immer noch wirksam sind: Herausgeberfiktion, Spannung zwischen den Ebenen der Fiktion und der fiktiven Wirklichkeit, Liebe, Sex and Crime, eine moralisch fragwürdige Haupt- und eine zwielichtige Nebenfigur – all das wird zu einem gut erfundenen, routiniert erzählten Unterhaltungsroman verarbeitet. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch leichter Hand Auster das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ebenen seiner Fiktionen aufrecht erhalten kann. Für meinen persönlichen Geschmack war es in diesem Fall am Ende eine fiktionale Ebene zu viel, aber das mögen andere Leser anders empfinden.

Paul Auster: Unsichtbar. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Reinbek: Rowohlt, 2010. Pappband, Lesebändchen, 316 Seiten. 19,95 €.

Paul Auster: Nacht des Orakels

93774460_4fb48e4a47Nach der (soweit ich seine Bücher bis dato kenne) üblichen Auster-Manier sehr routiniert erzählter Roman. Im Zentrum steht der Schriftsteller Sidney Orr, der nach langer Krankheit zum Schreiben zurückfindet, während seine Ehefrau gleichzeitig versucht, eine durch eine ungewollte Schwangerschaft ausgelöste schwere Krise ihrer Ehe zu überwinden. Die titelgebende »Nacht des Orakels« ist ein Buch im Buch im Buch: Nachdem Sidney in einem kleinen Papiergeschäft in der Nähe seiner Wohnung ein blaues Notizbuch aus portugiesischer Herstellung gekauft hat, beginnt er eine Erzählung zu schreiben, die sich aus einer Episode in Hammetts »The Maltese Falcon« entwickelt. Sie erzählt von einem Lektor, der durch einen Beinahe-Unfall aufgerüttelt, seine Frau und sein ihn unbefriedigendes Leben verläßt und nach Kansas City flieht, ohne zuerst irgendwem davon Nachricht zu geben. Mit seinem alten Leben verbindet ihn nur noch der postume Roman der Schriftstellerin Sylvia Maxwell, der eben den Titel »Nacht des Orakels« trägt. Auch den Inhalt dieses Romans erfindet Orr im Verlauf seines skizzenhaften ersten Entwurfs.

Wie bei Auster zu erwarten, sind die drei Ebenen der Erzählung sorgfältig miteinander verzahnt, ohne dass dabei in diesem Fall wirklich der Eindruck eines geschlossenen Ganzen entsteht. Das ist aber vielleicht auch gar nicht wichtig, weil das Buch eben auch von den Unabgeschlossenheiten und Zufällene erzählt, die das Leben eines jeden Menschen wesentlich mitbestimmen. Und auch davon, dass man gewisse Dinge einfach hinter sich lassen muss, damit man nicht das eigene Leben und das, was man liebt und einem wichtig ist, zerstört.

Mich hat das Buch nicht so gefangen genommen wie z. B. Austers »Das Buch der Illusionen«. Aber das mögen andere Leser anders empfinden. Das Buch hat mir aber Lust auf den nächsten Auster gemacht.

Auster, Paul: Nacht des Orakels. Deutsch von Werner Schmitz.
Rowohlt, 2005. ISBN 3-499-23987-6
Paperback – 288 Seiten – 19,00 × 11,50 cm – 8,90 Eur[D]