Allen Lesern ins Stammbuch (1)

Ihr nehmt ein Gesetz in der Tat und ehrlicherweise als an und für sich seiend, Ich bin auch dabei und darin, aber auch noch weiter als Ihr, ich bin auch darüber hinaus und kann es so oder so machen. Nicht die Sache ist das Vortreffliche, sondern Ich bin der Vortreffliche und bin der Meister über das Gesetz und die Sache, der damit, als mit seinem Belieben, nur spielt und in diesem ironischen Bewußtsein, in welchem Ich das Höchste untergehen lasse, nur mich genieße. – Diese Gestalt ist nicht nur die Eitelkeit alles sittlichen Inhalts der Rechte, Pflichten, Gesetze – das Böse, und zwar das in sich ganz allgemeine Böse –, sondern sie tut auch die Form, die subjektive Eitelkeit, hinzu, sich selbst als diese Eitelkeit alles Inhalts zu wissen und in diesem Wissen sich als das Absolute zu wissen.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Grundlinien der Philosophie des Rechts

Von der Höhe der Alpen (5)

Diesmal ein Gastbeitrag von Olaf Teschke:

Die Vernunft findet in dem Gedanken der Dauer dieser Berge oder in der Art der Erhabenheit, die man ihnen zuschreibt, nichts, das ihr imponiert, das ihr Staunen oder Bewunderung abnötigte. Der Anblick dieser ewig toten Massen gab mir nichts als die Vorstellung: es ist so.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück

wumbaba2Axel Hacke hat eine Fortsetzung seines kleinen »Handbuchs des Verhörens« geliefert: Nach dem Erscheinen von »Der weiße Neger Wumbaba« hat Hacke in Briefen und E-Mails und auf den Lesereisen mit dem Büchlein soviel neues Material bekommen, dass er gleich zwei Nachfolgebändchen liefern wird. Der erste – »Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück« – ist soeben erschienen und als Abschluss der Trilogie ist »Das Vermächtnis des weißen Negers Wumbaba« geplant.

Auch diesmal versammelt Hacke wieder Fälle des Verhörens von Gedichten, Lied- und anderen Texten. Diesmal ist sogar ein hochliterarischer Fall dabei: Thomas Manns »Buddenbrooks« – aber ich wll nicht zuviel verraten. Nur soviel vielleicht noch: Hacke liefert auch eine »persönliche Hitparade deutschsprachiger Verhörsänger«, auf deren erstem Platz Herbert Grönemeyer – »The King of Wumbaba« – landet, unter anderem mit der schon klassisch zu nennenden Verhörzeile: »Sein Schamhaar liegt in meinem Bett …«!

Auch dieser Band wurde wieder kongenial von Michael Sowa in seiner typisch lakonischen und ironischen Art illustriert. Für Fans des weißen Negers Wumbaba ein absolutes Muss! Auch zum Verschenken an Leute mit Sinn für Sprachwitz nur zu empfehlen.

Axel Hacke & Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück. Zweites Handbuch des Verhörens. München: Antje Kunstmann, 2007. 72 Seiten, Pappband, fadengeheftet. 8,90 €.

Deutsche Geschichte

dt-geschDie Digitale Bibliothek hat ihr ohnehin schon breites Angebot an elektronischen Werken zur Geschichte um die 10 grundlegenden Bände der »Deutschen Geschichte« aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ergänzt. Diese Bände gehören seit Jahrzehnten zur studentischen Grundaustattung der meisten Historiker und decken die deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Jahr 1945 ab. Die CD-ROM enthält die vollständigen Texte aller Bände mit zusammen etwa 2.500 Buchseiten in den aktuellen, derzeit lieferbaren Auflagen zu einem unschlagbaren Preis.

Highlight der Buchreihe war und ist mit Sicherheit Band 9, Hans-Ulrich Wehlers »Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918«, der für das historische Verständnis dieser Zeit Maßstäbe gesetzt hat:

Über zwei Jahrzehnte lang hieß es an historischen Seminaren deutscher Universitäten ehrführchtig nur ›das blaue Buch‹. Niemand, der sich auf akademische Weise mit neuerer deutscher Vergangenheit beschäftigen wollte, kam daran vorbei. […] Mit dem ›blauen Buch‹ vollzog Wehler den vielleicht folgenreichsten Paradigmenwechsel in der (alt-)bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft […].

Sven Felix Kellerhoff, Die Welt

Zu dem Preisvorteil von knapp 80,– € kommen die üblichen Vorteile von Ausgaben der Digitalen Bibliothek hinzu: Eine ausgereifte, professionelle Software, die Volltextsuche, Paste & Copy auch längerer Passagen (mit exakter Seitenreferenz zur gedruckten Ausgabe), Lesezeichen, farbliche Textmarkierungen, das Ablegen von Notizen und Ausdrucke in individueller Formatierung erlaubt; dies ermöglicht ein intensives und zeitsparendes Arbeiten mit den Texten. Zusätzlich verfügt die elektronische Ausgabe über ein Gesamtregister der in allen Bänden verwendeten Abkürzungen. Diese CD-ROM ist auch geeignet, um eventuell bereits vorhandene Einzelbände der Reihe zu ergänzen.

Deutsche Geschichte. Hg. v. Joachim Leuschner. Digitale Bibliothek Band 151. Berlin: Directmedia Publishing in Kooperation mit Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.

Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

Christoph Hein: In seiner frühen Kindheit ein Garten

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Eine Zweitlektüre, diesmal gekontert durch das Buch »Der letzte Mythos der RAF« von Butz Peters. Die entscheidende Schwierigkeit im Umgang mit Heins Text ist damit zugleich markiert: Der Leser ist bei einer unbelehrten Lektüre dazu geneigt, Heins Darstellung des Todes der fiktiven Figur Oliver Zurek für die Wirklichkeit des Todes von Wolfgang Grams zu halten. Ein solcher Zugriff – wie er etwa auch Peters’ Verständnis des Romans zugrunde zu liegen scheint – verstellt wahrscheinlich eher den Blick auf das wesentliche Thema des Buches. Am besten löst man sich bei der Lektüre – so schwer das auch immer fallen mag – gänzlich von der Frage, was in Bad Kleinen »wirklich« geschehen ist.

Hein erzählt in der Hauptsache die Geschichte Dr. Richard Zureks, eines pensionierten Oberstudiendirektors, und seiner Familie, nachdem einer der Söhne bei einem Zugriff von Polizei und GSG 9 ums Leben gekommen ist. Die Umstände seines Todes und die anschließende Behandlung des Falles in dem Medien entsprechen in weiten Teilen denen, die den Tod von Wolfgang Grams in Bad Kleinen im Jahr 1993 begleitet haben. Dabei vermeidet Hein sorgfältig jede Tatsachenfeststellung zu den realen Ereignissen in Bad Kleinen. Allerdings ist der Roman weitgehend in der personalen Perspektive Richard Zureks erzählt, der bis zum Ende des Romans davon überzeugt ist, dass sein Sohn in »Kleinen« von einem GSG-9-Mitglied erschossen worden ist. Diese perspektivische Beschränkung, die für die Intention des Romans wesentlich erscheint, bringt es mit sich, dass es sich leicht als ein Plädoyer für die These von der Ermordung Wolfgang Grams’ mißverstehen lässt – was denn auch in der Vergangenheit ausführlich geschehen ist.

Tatsächlich dürften aber nicht diejenigen Texteile die wesentlichen sein, die mehr oder weniger an der Wirklichkeit entlang geschrieben sind, sondern gerade diejenigen, in die Hein die Arbeit der Fiktion investiert hat. Der Protagonist des Buches ist der Vater des Toten, Richard Zurek, ein staatsgläubiger und demokratietreuer Lehrer und Schulrektor, der an Disziplin und Ordnung glaubt und der seine Schüler mit ihrem Mißtrauen gegen den deutschen Staat und seine Politiker im besten Falle für naiv, im schlimmsten für Idioten hält. Vor dem Tod seines Sohnes stehen für ihn die Gerechtigkeit der staatliche Ordnung und die Aufrichtigkeit ihrer Repräsentanten fraglos fest; nach den – aus seiner Perspektive – »ungeklärten« Ereignissen von Kleinen entwickelt Richard Zurek zunehmend Zweifel an seiner bisheriger Haltung.

Letztlich geht dieser umstürzende Prozess soweit, dass Richard Zurek in einer pathetischen und nicht unkomischen Szene seinen Eid als Beamter öffentlich widerruft. Diese Wandlung Richard Zureks vom Paulus zum Saulus ist gleichbedeutend mit einer religiösen Wandlung: Sein Glaube an den Staat wird abgelöst von seinem unbedingten Glauben an die Unschuld seines Sohns, seine abstrakte Treue zum Staat abgelöst von der konkreten Liebe zu seinem Sohn. Zurek scheint erst am Tod seines Sohnes klar zu werden, welche Macht familiäre Bindungen über den Menschen haben. Diese innere Wandlung Zureks ist zugleich Trauerarbeit: Es ist kein kleiner Augenblick des Romans, wenn Zurek nach dem Ende des letzten Prozesses in der Sache seines Sohnes feststellt: »Ich glaube, ich habe erst heute verstanden, dass er tot ist.« [S. 263]

Die interessanteste Figur des Romans ist aber wahrscheinlich nicht der Protagonist Richard Zurek, sondern seine Frau Rike. Bedingt durch die weitgehend personale Erzählweise des Romans erscheint sie beinahe als eine Randfigur, erweist sich in einigen wenigen starken Szenen als eine praktische und in der Wirklichkeit verwurzelte Person, der es gelungen ist, ihren idealistischen Ehemann mit ihrer Klugheit durchs Leben zu bringen, ohne ihn ändern zu wollen oder zu bevormunden. Man lernt ein wenig bedauern, dass Rike Zureks Geschichte in weiten Teilen des Buches durch die ihres Mannes verdeckt und überschrieben ist. Aber man kann auf 270 Seiten nicht alles haben.

Christoph Hein: In seiner frühen Kindheit ein Garten. (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2005.) Frankfurt/M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 2006. Broschur, 270 Seiten. 8,90 €.

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren

haasHanns Dieter Hüsch hat einmal beiläufig vorgeschlagen, einen Verein zum Schutz aussterbender Tonarten zu gründen; immer wenn er zum Beispiel etwas in C-Dur bringe, sage ihm irgendein Musiker, das können man nicht mehr machen. Solch »aussterbende Tonarten« gibt es – cum grano salis – natürlich auch in der Literatur. Eine von ihnen ist in gewissem Sinne die Liebesgeschichte, die zwar wohl nie aus der Literatur verschwinden wird, heute aber mehr denn je unter dem Generalverdacht von Trivialität und Verkitschtheit steht – nicht zu Unrecht, wenn man sich den überwiegenden Teil der Produktion einmal anschaut.

Was also macht ein Autor, wenn ihm eine Liebesgeschichte zufällt, und noch dazu eine, die unter einer heftigen Neigung zum Klischee leidet: Da vergißt einer die erste Verliebtheit seiner Jugend sein Leben lang nicht und beschäftigt sich deshalb jahrelang mit dem Wetter an dem Urlaubsort seiner Eltern, an dem er dieser Jugendliebe begegnet ist. Schließlich tritt er mit seinem obskuren Spezialwissen bei »Wetten, dass..?« auf und knüpft auf diesem Weg wieder an seine alte Liebe an. Er fährt an den alten Urlaubsort, nur um dort seine ehemalige Geliebte kurz vor der Hochzeit mit seinem ehemaligen Erzrivalen zu finden. Die Geschichte spitzt sich dann noch dramatisch zu, und einige Offenbarungen und späte Einsichten stehen ins Haus. Alles in allem für einen einigermaßen ernsthaften Schriftsteller wahrscheinlich ein Fall der Kategorie »Kann man nicht mehr machen«.

Was unternimmt nun ein intelligenter Autor in einem solchen Fall? Lässt er die Finger von dem Stoff und vergisst die Sache? Wolf Haas hat eine Form gefunden, die Geschichte zu erzählen und dabei ihre und seine Integrität zu bewahren: »Das Wetter vor 15 Jahren« beruht auf der Fiktion, Haas habe ein Buch mit dieser Geschichte tatsächlich bereits geschrieben, und präsentiert nun ein fünftägiges Gespräch zwischen dem Autor und der Journalistin einer Literaturbeilage, in dessen Verlauf nicht nur die Geschichte peu à peu erzählt wird, sondern der Autor auch reichhaltiges Material zum Prozess des Schreibens, zur Literaturkritik, zur Kunst der Interpretation und einigem anderen liefert. Für den Schluss hebt sich Haas noch eine zusätzliche, kleine Pointe auf, die hier nicht verraten werden soll.

Ein außergewöhnliches Buch, wie man selten auf eines stößt: intelligent erfunden, gut geschrieben, reich Gedanken und doch nirgends überladen. Bon!

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Hoffmann und Campe, 2006. Pappband, 224 Seiten. 18,95 €.

Dublins Wasserstraße

hagenaDer »Ulysses« ist ohne jede Frage einer der Romane des 20. Jahrhunderts, vielleicht das Jahrhundertbuch überhaupt. Zugleich gilt der Roman vielen Lesern als unzugänglich, wenn nicht überhaupt als unlesbar. Das liegt in der Hauptsache daran, dass Joyce die Erwartungshaltung der meisten Leser an einen Roman nicht auf einfache und glatte Weise bedient und die Lektüre des »Ulysses« über weite Strecken den Charakter der Irrfahrten seines antiken Namensgebers Odysseus annimmt. Das liegt in der Hauptsache daran, dass Joyce im »Ulysses« in vorderster Linie ganz andere Interessen verfolgte als das, einen weiteren Roman der Romantradition des 19. Jahrhunderts zu verfassen, sondern er an einem im Grunde recht simplen Einfall entlang – ein »normaler« Dubliner erlebt an einem Tag alle Abenteuer des Odysseus – versucht, zugleich die Fülle der Welt und der schriftstellerischen Techniken vorzuführen.

Zu dem Aspekt der »Fülle der Welt« gehört es, dass der »Ulysses« eine Vielzahl assoziativer, stofflicher, motivischer und thematischer Felder aufweist, die in Laufe des Romans von den verschiedensten Seiten aus angespielt und durchgespielt werden. Ein wichtiges und im Roman breit thematisiertes Feld etwa ist das Wasser und alles, was mit ihm in Zusammenhang steht: Der Roman beginnt am Meer, die Brücken über die Liffey sind prominent vertreten, Leopold Bloom, der Held des Romans, ist ein Wassertrinker und Wasserfreund usw. usf. Katharina Hagena hat sich in ihrem Buch »Was die wilden Wellen sagen« die Mühe gemacht, dem Wasser im »Ulysses« nachzuspüren, es in seinen Wallungen und Verwandlungen aufzuspüren und zu kondensieren.

Grundlage ihrer Darstellung ist eine sehr genaue Lektüre des »Ulysses«, bei der die das Wasser, seine Götter und Bewohner, seine Verwandlungen und Aggregatzustände betreffenden Passagen gesammelt und in einen Zusammenhang gebracht wurden. Solch eine konzentrierte Lektüre, die zu einem bestimmten Stofffeld zuerst einmal all das versammelt, was Joyce über den ganzen »Ulysses« hinweg verteilt und in ihm versteckt hat, erweist sich oft als sinnvoll. Dabei werden Zusammenhänge sichtbar, die ansonsten durch die Überfülle an Details in diesem Dubliner Weltalltag unbemerkt am Leser vorüberziehen. So kann Katharina Hagena zum Beispiel die enge Verbindung von Meer und Sprache im »Ulysses« sichtbar machen, deren Hauptwitz darin besteht, dass es das Meer der Sprache ist, das der Joycesche Odysseus auf seinen Irrfahrten durchkreuzt.

Das Buch ist zwangsläufig in weiten Teilen assoziativ gearbeitet, was sich kaum anderes machen lässt, weil eben der »Ulysses« selbst weitgehend ein Buch der Assoziationen ist. Der einen oder dem anderen wird dies oder das zu weit gehen oder nicht einsichtig sein; das ist eine notwendige Folge des Verfahrens selbst und nicht zu vermeiden. Wichtig ist aber, dass Katharina Hagena an einem einzelnen, zentralen Beispiel vorführt, auf welche Weise Joyce seinen »Ulysses« gearbeitet hat. Vieles andere im »Ulysses« lässt sich auf ganz ähnliche Weise erschließen und in einen Fokus bringen. Das soll nicht heißen, man könne sich den »Ulysses« nur auf eine solch sammelnde Art und Weise erschließen, sondern vielmehr, dass sich der Text auch auf diesem Weg angehen und aufschließen läßt. Ich hoffe sehr, das Buch öffnet den »Ulysses« einigen neuen Lesern. Den anderen, schon mehr oder weniger seetüchtigen Lesern des »Ulysses« wird Hagena einen weiteren Weg hindurch aufzeigen und den nächsten Lektüregang um mindestens einen wichtigen Aspekt bereichern.

Katharina Hagena: Was die wilden Wellen sagen. Der Seeweg durch den Ulysses. marebuchverlag, 2006. Pappband, 179 Seiten. 20,– €.

Überflüssige Zweitverwertung

herzogImmer, wenn jemand sich mit Hitler und dem Dritten Reich auf humoristische Weise auseinandersetzt, diskutiert das Feuilleton einmal mehr die Frage, ob man über Adolf Hitler lachen dürfe. Einen interessanten Aspekt dieser Frage eröffnen die sogenannten Flüsterwitze des Dritten Reichs, die gern als Teil des alltäglichen Widerstandes gegen das Regime gewertet werden. Von daher wäre eine systematische Sammlung, klug kommentiert und unterfüttert mit Erfahrungsberichten von Zeitgenossen ein verdienstvolles Unternehmen. Um es kurz zu machen: Dies ist Rudolph Herzogs Buch nicht.

Das Buch ist offensichtlich als Parallelprojekt zu einem entsprechenden Film entstanden, in dem der Autor – er ist im Hauptberuf Regisseur und Drehbuchautor – sein Recherche-Material zum Film nochmals verwertet. Präsentiert wird nur eine kleine Auswahl von Witzen, ohne dass der Leser den Eindruck gewinnt, einen vollständigen oder wenigstens systematischen Überblick über das Phänomen zu bekommen. Alle Witze sind in kommentierenden Text eingebettet, der oft oberflächlich und zufällig bleibt. Das allgemeine Niveau mag für die eher flüchtige Präsentationsform eines Films genügen; für das Medium des Buchs fallen die Darstellung und die erreichten Einsichten zu oft zu kurz. Der vom Autor selbst formulierte Anspruch, durch »die Analyse politischer Witze« käme »man ungewöhnlich nah heran an das, was die Menschen des untergegangenen ›Tausendjährigen Reichs‹ wirklich dachten«, wird nur an den wenigsten Stellen eingelöst.

Insgesamt hat das Buch nur den einen Vorteil, die Lücke, die sein Titel vorgibt zu schließen, deutlich zu markieren. Wollen wir hoffen, dass sie in absehbarer Zeit durch eine solide, umfangreiche historische Untersuchung wenigstens annähernd geschlossen wird.

Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler – Komik und Humor im Dritten Reich. Eichborn, 2006. Pappband, 267 Seiten. 19,90 €.

Walter Hinck: Roman-Chronik

Hinck_RomanchronikKurz gefasste Literaturgeschichten treffen offenbar ein Bedürfnis der Zeit. So hat jetzt auch der Germanist Walter Hinck – emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität zu Köln – mit seiner »Roman-Chronik des 20. Jahrhunderts« einen kurzgefassten Durchgang durch die deutschsprachige Romanliteratur des 20. Jahrhunderts vorgelegt. Der Untertitel »Eine bewegte Zeit im Spiegel der Literatur« ist dabei zwar etwas vollmundig geraten, aber ansonsten ist Hincks kleine Literaturgeschichte so schlecht nicht.

Hinck bespricht insgesamt 37 Romane, die zwischen 1900 und 2000 erschienen sind. Jeder Autor ist nur mit einem Werk vertreten (die einzige Ausnahme bildet Herman Broch, dessen Trilogie »Die Schlafwandler« aufgenommen worden ist), und die Liste der Autoren entspricht dem, was man bei einem solchen Buch erwarten darf: Heinrich und Thomas Mann, Franz Kafka und Hermann Hesse, Heinrich Böll und Alfred Andersch, Thomas Bernhard und Arno Schmidt usw. usf. Auch die Auswahl der Romane ist großteils eher sehr konventionell, nur hier und da erlaubt sich Walter Hinck einen Ausreißer: Dass von Thomas Mann etwa der selbstverliebte und zeitferne Roman »Königliche Hoheit« statt des »Zauberbergs« gewählt wurde, begründet Hinck damit, dass er keine Lust gehabt habe »Hunderte von Auslegungen und Spekulationen wiederzukäuen«, ohne allerdings zu verraten, wer solches denn von ihm verlangt oder auch nur erwartet hätte. Auch dass er von Günter Grass statt des einzig im Sinne einer Chronik relevanten Romans »Die Blechtrommel« den weitgehend formlosen und in seinem Anspruch hybriden Spätling »Ein weites Feld« bespricht, bleibt unverständlich. Als einzige wirkliche Überaschung und spannende Ausnahme in der sonst konventionellen Zusammenstellung dürfte Norbert Gstreins »Die englischen Jahre« aus dem Jahr 1999 gelten.

Im Einzelnen findet der Kenner zahlreiche kleinere Fehler, die aber bei der Lektüre des Bandes gar nicht stören müssen. Hincks Roman-Chronik ist ein anregendes Lesebuch, das einen, wenn man den Empfehlungen folgt, mit einer breiten Palette von interessanten deutschsprachigen Roman-Autoren des 20. Jahrhunderts bekannt macht. Gerade den notorisch schlecht belesenen Studenten der Neueren deutschen Literatur kann man das Buch als Lektüreplan sorglos an die Hand geben, und auch der eine oder andere Leser wird aus dem Buch eine knappe Orientierung in der verzweigten Geschichte der Romanliteratur des vergangenen Jahrhundert finden können.

Der mitgelieferte Anspruch, die Roman-Chronik lassen »eine Geschichtschronik durchscheinen«, der sich auch in dem etwas protzigen Untertitel »Eine bewegte Zeit im Spiegel der Literatur« niedergeschlagen hat, erweist sich letztendlich als gänzlich banal:

Besondere Aufmerksamkeit richtet sich also auf Romane, in denen der Gang der politischen und der Sozialgeschichte, der Kultur-, der Alltags- und der Mentalitätsgeschichte seinen Fußabdruck in der Erzählung hinterlassen hat. [S. 9]

Das gilt in dieser Allgemeinheit offensichtlich für jeden Roman – wie weltabgewandt er sich auch immer geben mag, da sein Autor immer auch »ein Mensch mit Menschen« ist – und wird auch nicht weiter spezifiziert. Man kann diesen Aspekt daher getrost auf sich beruhen lassen.

Wer nicht zuviel von diesem Buch erwartet, sondern es als Anregung und kleinen Wegweiser benutzt, dem kann es wahrscheinlich gute Dienste leisten. Wer etwas mehr erwartet, ist sicherlich mit den Bänden 3–5 des Romanlexikons in der Reclamschen Universalbibliothek besser bedient.

Walter Hinck: Roman-Chronik. Eine bewegte Zeit im Spiegel der Literatur. DuMont, 2006. Pappband, 282 Seiten. 24,90 €.