Andrew Delbanco: Melville

delbanco-melville Der Hanser Verlag ergänzt seine Werkauswahl Herman Melvilles durch die seit langem fehlende, umfangreiche deutschsprachige Biographie des Autors. Man hat sich dabei für eine aktuelle englische Veröffentlichung über Melville entschieden. Andrew Delbanco ist in den USA ein bekannter Publizist und Herausgeber US-amerikanischer Klassiker, im Hauptberuf Professor an der Columbia University. Soweit ich sehe, handelt es sich um die erste Übersetzung eines seiner Bücher ins Deutsche.

Natürlich hätte sich der Melville-Freund gewünscht, dass auch in Deutschland die monumentale, zweibändige Biographie Hershel Parkers die Grundlage für die Beschäftigung mit Melville bilden würde, aber man kann verstehen, dass sich kein Verlag an eine Übersetzung der beinahe 2.000 großformatigen Seiten Parkers heranwagt; dafür ist Melvilles Bedeutung in Deutschland doch zu gering, was sich auch in dem vergleichsweise hohen Preis von Delbancos Buch niederschlägt.

Delbancos Buch trägt im englischen Original den Untertitel »His World and Work«. Damit ist der thematische Rahmen des Buches weit besser abgesteckt als mit der eher unspezifischen Bezeichnung »Biographie«, die die deutsche Ausgabe trägt. Natürlich bildet die Biographie Melvilles das Rückgrat des Buches, aber zumindest gleichgewichtig liefert Delbanco ein breites Panorama der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit zu Lebzeiten Melvilles und eingehende Darstellungen von Melvilles Schriften. Dabei werden die Werke nahezu immer auf die politische und gesellschaftliche Lage rückbezogen, ohne dass dieser Rückbezug in jedem einzelnen Fall zu überzeugen vermag. Sicherlich ist es so, dass man die Pequod aus Melvilles Moby-Dick auch allegorisch als das Staatsschiff USA auffassen kann, nur führt solch ein allegorischer Ansatz nicht sehr weit und bleibt für den Detailreichtum des Textes unfruchtbar. Mir scheint es zudem unwahrscheinlich, dass Delbancos politischer oder wahlweise soziologischer Zugriff auch nur annähernd ein Spiegelbild der zeitgenössischen Rezeption Melvilles ergibt.

Delbanco markiert dieses Ungenügen sogar selbst, wenn es etwa zu Billy Budd einmal heißt, die »Bellipotent war demnach ebenso wie die Pequod ein schwimmendes Symbol für Melvilles Amerika«, und nur wenige Seiten später ergänzt wird: »Der Unterschied zwischen einer ›juristischen‹ und einer ›eigentlichen‹ Betrachtung der Ereignisse ist der Schlüssel zu Billy Budd«, ohne dass diese beiden Zugriffe auch nur versuchsweise miteinander vermittelt würden. Es mag sogar so sein, dass beide Zugriffe in Melvilles Werk genauso unvermittelt nebeneinander stehen, aber auch dies zu zeigen, verfehlt Delbanco.

Wenn einen der oft beliebig scheinende Wechsel zwischen den allzu weiten und dann wieder sehr engen Zugriffen Delbancos nicht stört, bekommt ein informatives und gut geschriebenes Buch, das über die gesellschaftliche Lage in den USA im 19. Jahrhundert beinahe besser informiert als über das Leben Melvilles. Alle wichtigen Werke Melvilles werden ausführlich dargestellt und im Wesentlichen zutreffend charakterisiert. Für die biographischen Details scheint Delbanco weitgehend auf Parker zurückgegriffen zu haben; hier dürfen Kenner keine Neuigkeiten erwarten. Die Übersetzung von Werner Schmitz ist gut, an einigen wenigen Stellen aber etwas oberflächlich geraten, so etwa wenn es heißt:

Danach schrieb er [Melville], weder zur See noch an Land kein Wort mehr in sein Tagebuch. [S. 325]

Hier müsste es natürlich »sowohl … als auch« statt »weder … noch« heißen. Oder wenn auf S. 130 der Schriftsteller Washington Irving zu »Irving Washington« wird, ein Fehler, der lustigerweise bis ins Namensregister des Buches durchschlägt, obwohl Washington Irving ansonsten im Buch ganz richtig benannt ist.

Insgesamt eine sehr zu begrüßende Ergänzung des deutschen Buchmarktes, die endlich eine Alternative zu der hausbackenen und viel zu kurzen Biographie Elizabeth Hardwicks liefert.

Andrew Delbanco: Melville. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. München: Hanser, 2007. Pappband, 470 Seiten. 34,90 €.

Den großen Wal auf die Ohren!

Herman Melvilles großer Roman »Moby-Dick« (nur echt mit dem Bindestrich!) ist ein ungeheuerliches Buch – aber darüber mehr bei anderer Gelegenheit. Der deutsche Übersetzer Friedhelm Rathjen hat die Mühe auf sich genommen, diesen Roman kongenial ins Deutsche zu übertragen. Nun erscheint die komplette Übersetzung auch als mp3-Hörbuch, gelesen von Christian Brückner.

»Moby-Dick« ist ein dickes und oft überwältigendes Werk. Viele Leser werden es bloß aus einer der zahlreichen »Bearbeitungen für die heranwachsende Jugend« kennen, die versuchen, das Buch zu zähmen und auf die Abenteuer-Handlung zu reduzieren. Wenn man sich aber die Mühe macht, einmal nachzusehen, was Melville tatsächlich geschrieben hat, so entdeckt man einen wilden, zerklüfteten Text mit einer rauhen Sprache, die wechselhaft ist wie die See, von der er so viel erzählt.

Den Deutschen ist dieses Buch in seiner ganzen Fülle lange Zeit vorenthalten worden, weil alle älteren Übersetzungen versucht haben, den Text zu glätten und damit leichter lesbar zu machen. Nun sind aber in jüngster Zeit gleich zwei neue Übersetzungen erschienen – wobei das Kuriose darin besteht, dass eine der beiden Übersetzungen sogar die andere zugrunde legt – die beide von sich selbst behaupten, das Buch getreu ins Deutsch zu übertragen. Die grundlegende Übersetzung stammt von Friedhelm Rathjen und ist im Jahr 2004 bei 2001 erschienen. Diese Übersetzung ist der bislang kompromissloseste Versuch, aus Moby Dick einen deutschen Wal zu machen und wird für lange Zeit die deutsche Übersetzung bleiben.

Wem die Lektüre eines Romans von über 800 Seiten zu anstrengend ist oder wer einfach lieber hört als liest, hat jetzt die Gelegenheit, sich dieses Stück Weltliteratur in einer hervorragenden Einspielung anzuhören: Christian Brückner hat die komplette Rathjensche Übersetzung vorgelesen und 2001 bietet diese Lesung als mp3-Hörbuch auf zwei CDs für 39,90 € an. Umgerechnet auf die ca. 30 Stunden Hörgenuss sind das nur etwas mehr als 2 Cent pro Minute. Das kann sich doch hören lassen, oder?