Miniaturen (6)

Die Gutsherrschaft war indessen in die Kammer getreten, wo der Braut von den Nachbarfrauen das Zeichen ihres neuen Standes, die weiße Stirnbinde, umgelegt wurde. Das junge Blut weinte sehr, teils weil es die Sitte so wollte, teils aus wahrer Beklemmung. Sie sollte einem verworrenen Haushalt vorstehen, unter den Augen eines mürrischen alten Mannes, den sie noch obendrein lieben sollte. Er stand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräutigam des Hohen Liedes, der »in die Kammer tritt wie die Morgensonne.« – »Du hast nun genug geweint,« sagte er verdrießlich; »bedenk, du bist es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glücklich!« – Sie sah demütig zu ihm auf und schien zu fühlen, daß er recht habe.

Annette von Droste-Hülshoff
Die Judenbuche

Miniaturen (5)

»Wie fangen wir sie?« »Mit einem neuen Schnepfengarn aus guten starken Hanfschnüren; geflochten muß es sein von einem zwanzigjährigen Jägerssohn, der noch kein Weib angesehen hat, und es muß schon dreimal der Nachttau darauf gefallen sein, ohne daß sich eine Schnepfe gefangen; der Grund aber hiervon muß dreimal eine gute Handlung sein. Ein solches Netz ist stark genug, die Hexe zu fangen.«»Nun bin ich neugierig, wo Ihr ein solches hernehmt«, sagte Spiegel, »denn ich weiß, daß Ihr keine vergeblichen Worte schwatzt!«

»Es ist auch schon gefunden, wie für uns gemacht; in einem Walde nicht weit von hier sitzt ein zwanzigjähriger Jägerssohn, welcher noch kein Weib angesehen hat; denn er ist blind geboren. Deswegen ist er auch zu Nichts zu gebrauchen als zum Garnflechten und hat vor einigen Tagen ein neues, sehr schönes Schnepfengarn zu Stande gebracht. Aber als der alte Jäger es zum ersten Male ausspannen wollte, kam ein Weib daher, welches ihn zur Sünde verlocken wollte; es war aber so häßlich, daß der alte Mann voll Schreckens davonlief und das Garn am Boden liegen ließ. Darum ist ein Tau darauf gefallen, ohne daß sich eine Schnepfe fing, und war also eine gute Handlung daran Schuld. Als er des andern Tages hinging, um das Garn abermals auszuspannen, kam eben ein Reiter daher, welcher einen schweren Mantelsack hinter sich hatte; in diesem war ein Loch, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Goldstück auf die Erde fiel. Da ließ der Jäger das Garn abermals liegen und lief eifrig hinter dem Reiter her und sammelte die Goldstücke in seinen Hut, bis der Reiter sich umkehrte, es sah und voll Grimm seine Lanze auf ihn richtete. Da bückte der Jäger sich erschrocken, reichte ihm den Hut dar und sagte: Erlaubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel Gold verloren, das ich Euch sorgfältig aufgelesen! Dies war wiederum eine gute Handlung, indem das ehrliche Finden eine der schwierigsten und besten ist; er war aber so weit von dem Schnepfengarn entfernt, daß er es die zweite Nacht im Walde liegen ließ und den nähern Weg nach Hause ging. Am dritten Tag endlich, nämlich gestern, als er eben wieder auf dem Wege war, traf er eine hübsche Gevattersfrau an, die dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und der er schon manches Häslein geschenkt hat. Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und sagte am Morgen: Ich habe den armen Schnepflein das Leben geschenkt; auch gegen Tiere muß man barmherzig sein! Und um dieser drei guten Handlungen willen fand er, daß er jetzt zu gut sei für diese Welt, und ist heute Vormittag bei Zeiten in ein Kloster gegangen. So liegt das Garn noch ungebraucht im Walde und ich darf es nur holen.«

Gottfried Keller
Spiegel, das Kätzchen

Miniaturen (4)

Nun standen die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwollten, frierend und fußtrampelnd vor dem Kirchspielskrug und sahen nach der Spitze des aus Felsblöcken gebauten Kirchturms hinauf, neben dem das Krughaus lag. Des Pastors Tauben, die sich im Sommer auf den Feldern des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern zurück, wo sie sich jetzt ihre Körner gesucht hatten, und verschwanden unter den Schindeln des Turmes, hinter welchen sie ihre Nester hatten; im Westen über dem Haff stand ein glühendes Abendrot.

Theodor Storm
Der Schimmelreiter

Miniaturen (3)

Gestern Abend, im Dämmern, sag’ ich zu meim’m Nachbar, dem Taglöhner P., : ‹Erzähl mir was.›
Da sagt er : ‹Du erinnerst doch noch den Vollmacht Schrum? – Na also ! … Ein mächtiger Kerl … groß … bramstig … über zweihundert Pfund. Er trank … er spielte. Wenn er zur Stadt fahren wollte, und an den Wagen trat … Handstulpen sag’ ich Dir, bis an die Ellbogen, und die großen schwarzen Pferde bebten. Na genug ! … Eines Tages kommt ihm sein Schulkamerad, Jan Ehlers, in’n Weg. Den mußt Du ja auch noch erinnern … Na also … Jan Ehlers ist sein Taglöhner, und ist nicht bang, und kommt ihm in den Weg und sagt: ‹Du, Vollmacht,› sagt er, ‹sag ma … was denkst Du Dir nun dabei ?›.
Der Vollmacht bleibt stehen, und steht noch’n bißchen steiler als sonst: Wobei ? !
‹Ja …› sagt Jan Ehlers … ‹ich mein man … willst Du nun dies Leben so durchsetzen … so … als Du das nun treibst ?›
Der Vollmacht gibt sich noch’n Ruck, und steht ganz steil, und sagt ganz kalt und fest: ‹Ja woll, Jan Ehlers ! Das ist allerdings meine Absicht. Ich will das so durchsetzen … genau so … un wenn ick ’n Kreih werden soll !›
Also gut … was zu tun ? … Drei Jahr gehn vorbei … da ist es mit Vollmacht Schrum zu Ende. Bankerott. Alles weg : Hof, Vermögen, Ehre. Als er sieht, wie das steht, drückt er sich um die Ecke, hängt sich auf … in seiner Scheune … weg ist er. –
Na, das ist also passiert. Und nun … denk Dir mal … so acht oder zehn Jahr später … da komm ich ma’, an ei’m naßkalten Abend, so gegen November, bei Jan Ehlers sei’m Haus vorbei. Der ist nun alt, und sitzt da am Fenster. Er sitzt da mit der Pfeife, und den Arm auf der Fensterbank, und trommelt so mit seinen großen Fingern auf der Bank. Das tut er immer, wenn er große Gedanken hat. Als er mich nu sieht, stößt er so im Sitzen das Fenster auf, und pliert mit’n Augen, und sagt so’n bißchen leis’ und sachte : ‹Du, –› sagt er leise … ‹hast Du all den großen Kolkraben gesehen, der da immer auf Vollmacht Schrum seiner Fettweide steht ? Kiek ma hin … da … auf ’n Scheuerpfahl …›
Ich dreh mich um, und kiek hin … und sag: ‹Ja woll … da sitzt’n oller Kolkraaw … was soll das ?›
‹Mensch,› sagt er leis’ … : ‹Weißt Du nich, was der Vollmacht zu mir sagte … damals ? – Mensch, Mensch … ich muß immer denken : das iss Vollmacht Schrum !›
Junge, verfehrte ich mich … Kinners und Lüde ! Ich sag’ : ‹Jan Ehlers, Du bist wohl nich bei Trost ! Gott bewahre !›. Ich kiek nach dem alten Kolkraben … es war recht so’n großer und alter … und der dückert immerzu und krächzt … Und schüttel mein’ Kopf und seh Jan Ehlers an; und Jan Ehlers sieht mich an, und nickt; und macht das Fenster wieder zu.
Na, was zu tun ? Ich hatte den Winter damals den großen Freigraben zu kleien, der am Alten Weg entlang geht, und muß jeden Abend bei Jan Ehlers vorbei, und fast jedesmal macht er mir hinter dem Fenster 1 Zeichen mit dem Daumen nach der Fettweide hinüber. Das sollte denn bedeuten: ‹Hast schon gesehn ? Vollmacht Schrum sitzt da auch wieder.› Und dann sog er wieder an seiner Pfeife, und trommelte mit den Fingern auf der Fensterbank. Das tat er immer, wenn er große Gedanken hatte. –

Gustav Frenssen
in der Schreibe Arno Schmidts

Miniaturen (2)

Quinten ging mit seiner Blockflöte zum Weiher, in die Umarmung der Rhododendren. Unbenutzt lag das Instrument den ganzen Nachmittag in seinem Schoß; als es dämmerte, blieb er vor seiner Hütte sitzen. Es war ein bedeckter Frühlingstag, es ging kein Wind, und durch das ölig glänzende Wasser zog ab und zu das Spiegelbild eines Vogels.

Harry Mulisch
Die Entdeckung des Himmels

Miniaturen (1)

Jeden Abend erhielt der alte Mouque den Besuch seines Freundes, des Vaters Bonnemort, der vor dem Abendbrot regelmäßig denselben Spaziergang machte. Die beiden Alten redeten nicht viel, wechselten die halbe Stunde über, die sie beisammen weilten, kaum zehn Worte; aber es freute sie, so beieinander zu sein, der Dinge von einst zu gedenken, die sie gemeinsam wiederkäuten, ohne auch nur das Bedürfnis zu verspüren, davon zu sprechen. Seite an Seite saßen sie beim Réquillart auf einem Balken, ließen von Zeit zu Zeit ein Wort fallen, versanken dann wieder, die Nase zu Boden gesenkt, in ihre Träumereien. Ohne Zweifel fühlten sie sich wieder jung. Rings um sie her hoben die Burschen den Mädchen die Röcke hoch; Flüstern, Lachen, Küsse und warmer Mädchendunst stiegen aus dem zerdrückten, kühlen Gras auf. Schon damals, vor dreiundvierzig Jahren, hatte sich auch Vater Bonnemort sein Weib hier hinter der Grube genommen, eine Schlepperin, die so schwächlich war, daß er sie, um sie bequemer umarmen zu können, auf einen Kohlenkarren legen mußte. Ah, das war nun schon lange her! Und die beiden Alten schüttelten die Köpfe und trennten sich schließlich, manchmal ohne sich auch nur guten Abend zu sagen.

Émile Zola
Germinal