Peter Weiss: Die Notizbücher

weiss_notizPeter Weiss gehörte unter den linken politischen deutschen Autoren nach Bertold Brecht zu den artistisch begabtesten. Seine Karriere begann er als Maler und setzte sie als Filmemacher fort, bis er 1960 mit dem hoch artifiziellen Text »Der Schatten des Körpers des Kutschers« in der Bundesrepublik als Autor Aufsehen erregte – nicht unbedingt bei einem breiten Publikum, aber bei Kritikern und Autorenkollegen, die rasch begriffen, dass sie hier so etwas wie einen Gründungstext für das vorliegen hatten, was sie später »Experimentelle Literatur« nennen sollten. Seine eigentlichen Erfolge feierte Weiss dann aber in den 60er Jahren als Dramatiker: »Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats …«, »Die Ermittlung«, »Gesang vom Lusitanischen Popanz« und »Viet Nam Diskurs« waren große nationale und zum Teil auch internationale Erfolge, die durchweg kontroverse Reaktionen hervorriefen. Erst nachdem »Trotzki im Exil« und das Stück »Hölderlin« nicht an diese Erfolge anschließen können, wandte sich Weiss enttäuscht von der Bühne ab und konzentriert sich ganz auf die erzählende Prosa.

In den Jahren von 1970 bis 1980 entstehen die drei Bände der »Ästhetik des Widerstandes«; auch sie kontrovers aufgenommen, aber unfraglich als großer Roman der 70er Jahre anerkannt. Als der letzte Band im Jahr 1981 erscheint, wird er begleitet durch die Veröffentlichung der »Notizbücher 1971–1980«, die Weiss bewusst an die Arbeitsjournale Bert Brechts angelehnt hatte. Sie liefern einen Einblick in den Entstehungsprozess der »Ästhetik des Widerstandes« und werden zu einem überraschenden Verkaufserfolg. Weiss entschließt sich deshalb, auch die Notizbücher aus dem ersten Jahrzehnt seiner schriftstellerischen Karriere entsprechend aufzubereiten. So erscheinen ein Jahr später – bereits postum – auch die »Notizbücher 1960–1971«.

Weiss-Kenner wissen schon lange, dass es sich bei den veröffentlichten Notizbüchern – trotz gegenteiliger Bekundungen von Peter Weiss – um literarische Bearbeitung der eigentlichen Quellen handelt. Die Originale liegen zusammen mit dem übrigen literarischen Nachlass von Peter Weiss im Archiv der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Es handelt sich um 71 Notizbücher, darunter auch die von Weiss in den »Notizbüchern« immer wieder erwähnten »großen Notizbücher«, mit zusammen 9.700 Seiten. Mit der nun in der Digitalen Bibliothek vorgelegten Edition wird das Konvolut der Originale erstmals vollständig zugänglich gemacht.

Die Notizbücher umfassen die Zeit ab 1950 bis 1982, wobei erst ab 1962 eine weitgehend geschlossene Folge vorliegt. Weiss hatte sein Notizbuch immer dabei und hielt darin Einfälle, Briefentwürfe, Buchempfehlungen, Adressen und Telefonnummern, Skizzen etc. fest. Die elektronische Edition gibt den Text-Bestand der Notizbücher so wieder, dass er auch ohne Faksimiles gut nachvollzogen werden kann. Dort, wo Weiss Skizzen oder Illustrationen einfügt, werden die entsprechenden Seiten sowohl textlich umgesetzt als auch als Abbildung beigegeben. Auch die zahlreichen beschrifteten Lesezeichen, die Weiss benutze, um bestimmte Passagen rasch auffinden zu können, sind sorgfältig und vollständig dokumentiert. Ergänzend hat man den Text der beiden bei Suhrkamp erschienenen »Notizbücher« beigegeben, hierbei allerdings auf die zahlreichen Bilder der gedruckten Ausgaben verzichtet, was vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen geschah.

Diese CD-ROM-Ausgabe der Notizbücher von Peter Weiss wird für Weiss-Liebehaber und -Kenner sowie für die Weiss-Forschung ein unverzichtbares Arbeitsmittel sein. Die Vorteile der Ausgabe liegen natürlich nicht nur in den beigegebenen Erläuterungen, Tabellen und Registern, sondern auch in den für Ausgaben der Digitalen Bibliothek selbstverständlichen Vorzügen der Volltextsuche, die eine effiziente und vollständige Durchforstung des Textbestandes nach bestimmten Themen, Motiven oder Personen erst möglich macht. All dies zu einem bei einer gedruckten Ausgabe gänzlich undenkbaren Preis von nur 45,– €, der es auch dem nur beiläufig an Weiss Interessierten möglich macht, zu den Quellen vorzudringen.

Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Jürgen Schutte in Zusammenarbeit mit Wiebke Amthor und Jenny Willner. Digitale Bibliothek Band 149. Berlin: Directmedia Publishing, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 45,– €.

Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

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