Wolf von Niebelschütz (1913–1960)

kammerherrWolf von Niebelschütz ist immer noch einer der Geheimtipps der deutschen Nachkriegsliteratur. Er hat zwei umfangreiche Romane geschrieben, die beide seit ihrem Erscheinen mehr oder weniger kontinuierliche lieferbar waren, also seit vielen Jahrzehnten sich langsam aber sicher eine immer noch wachsende Menge von Lesern erobern konnten. Solche Slowseller leben von der Mund-zu-Mund- Propaganda, von Lesern, die sich Buchempfehlungen wie Geschenke überreichen. Allerdings fehlt bis heute eine umfangreichere biographische Darstellung zu Wolf von Niebelschütz oder sonst eine umgangreichere akademische Belästigung des Autors. Also: Paradiesische Zustände für Leser! (2013 ist dann eine umfangreiche germanistische Biografie von Dominik Riedo erschienen).

Wolf von Niebelschütz wurde am 24. Januar 1913 in Berlin geboren. Er entstammt einer schlesisch-böhmischen Adelsfamilie und wuchs in Magdeburg auf, da sein Vater dort nach dem Ersten Weltkrieg eine journalistische Tätigkeit ausübte. Er war das dritte von sechs Kindern und verlebte offensichtlich eine weitgehend glückliche Kindheit in der Zeit zwischen den Kriegen. Er interessierte sich früh für Literatur und Musik, lernte zeichnen und war ein hervorragender Schüler.

1927 wechselte Wolf von Niebelschütz auf das Internat von Schulpforta – in dem auch Friedrich Nietzsche seine Schulbildung erhalten hatte –, wo er sich mit den gehobenen Ansprüchen einer Eliteschule konfrontiert sah, die ihm zuerst durchaus Schwierigkeiten bereiteten. Dennoch bestand er dort 1932 das Abitur und begann ein Studium der Geschichte und Kunstgeschichte (auch sein Vater war Kunsthistoriker) in Wien.

Spätestens seit der Zeit in Schulpforta schrieb Wolf von Niebelschütz Gedichte. Die frühesten hat er später selbst verbrannt, aber während der Studienzeit entstanden die ersten Gedichte, die für gut befunden und auch 1939 in der »Neuen Rundschau« gedruckt wurden. Im Januar 1940 wurde Wolf von Niebelschütz dann zur Wehrmacht eingezogen.

Niebelschütz diente als Feldwebel im besetzten Frankreich und das Schreiben wird zum Fluchtpunkt seiner Existenz. Während er tagsüber Dienst schiebt, verbringt er seine Nächte mit dem Schreiben: Ab 1942 entsteht auf einem Wehrmachtsschreibtisch der Großteil seines ersten umfangreichen Romans: Der Blaue Kammerherr. Galanter Roman in vier Bänden. Der Roman umfasst etwa 1.000 Seiten und spielt im Jahr 1732 in dem erfundenen Inselreich Myrrha im Mittelmeer. Die Handlung ist umfangreich und märchenhaft, umfasst wahre Liebe und edle Abenteuer, Staatshändel und Revolution und ist getragen von einer ganz seltenen Mischung aus Vergangenheitssehnsucht und utopischer Hoffnung:

»Kinder, genießt das XVIIIte Jahrhundert, das XIXte wird fürchterlich. Aber das XXste!« – und sie gruppierte ihre Hand auf der Brust – »gnade Gott Eurer armen progéniture! Wer da wagen wollte, Phantasie zu haben, oder Rang, oder Brillanten, oder ein Pantherfell!«

Das Buch erfuhr sowohl schwärmerische Anerkennung als auch krasseste Ablehnung! 1952 verlieh die Stadt Düsseldorf ihren renommierten Immermann-Preis an Wolf von Niebelschütz, aber das war auch schon beinahe der einzige Höhepunkt seiner öffentlichen Anerkennung. 1950 hatte er einen unerwarteten und einzelnen Erfolg mit seiner Komödie »Eulenspiegel in Mölln« bei den »Festspielen des Nordens« gehabt, aber diesem lokalen Publikumserfolg folgten keine weiteren Aufführungen. Und so lebte Wolf von Niebelschütz beinahe ausschließlich von Auftragsarbeiten: 1954 erschien seine Biographie über Robert Gerling – mit dem beinahe schon komischen Untertitel »Ein dramatisches Kapitel deutscher Versicherungsgeschichte« – und von da an erhielt er regelmäßig Aufträge für Festschriften der deutschen Industrie. Immerhin konnte er sich auf diese Weise bescheidene Reisen nach Italien, Korfu und in die Provence finanzieren, wo er zeichnete und Notizen für seinen zweiten und letzten Roman machte.

finsternisDie Kinder der Finsternis spielt im 12. Jahrhundert in der fiktiven Grenzmark Kelgurien, die Niebelschütz zwischen die Provence und das maurische Nordspanien hineinerfindet. Held des Buches ist Barral, ein Bastardsohn des Barons Peregrin von Ghissi, der zu Anfang des Romans als Schäfer lebt und zur Herrschaft über Kelgurien hochgeschwemmt wird. Und Barral erweist sich als kompetenter und guter Herrscher: Er versucht mit allen Mitteln sein Land aus den Umwälzungen der Zeiten herauszuhalten, Kriege zu vermeiden und seine Untertanen zu schützen. Er ist aber auch ein tragischer Held: Alles, was er für andere anfängt, gelingt ihm, alles, was er für sich selbst wünscht, missrät. Das Buch erzählt aber nicht nur die Geschichte des Protagonisten, sondern es enthält auch eine der beeindruckendsten Darstellungen der mittelalterlich-maurischen Kutur in Spanien: Man wird wohl sonst kaum noch ein so einprägsames und zugleich kenntnisreich gezeichnetes Bild von der technischen, medizinischen, kulturellen und ethischen Überlegenheit der islamischen Kultur des Mittelalters finden. Die Kinder der Finsternis ist eines der Musterstücke für das in Deutschland eher vernachlässigte Genre des Historischen Romans. Die eine oder der andere wird sich auf den ersten Seiten an den etwas gehobenen Sprachduktus gewöhnen müssen, aber man wird bald merken, dass es die kleine Mühe lohnt.

Warf ein Baum nicht genügend Frucht, so gingen zwei Männer zu ihm und stritten sich, während er zuhörte, ob man ihn ausroden solle, er trage ja nicht; schon schlug der Eine die Axt stumpf gegen den Stamm, danach mit der Schneide, diesen Schlag fing der Andere ab und bat für den Baum, er werde sich ganz gewiß Mühe geben, wenn man ihm nur ein halbes Jahr Zeit lasse. Erfolg: der Baum bekam Angst, strengte sich an und warf das Dreifache.

Wolf von Niebelschütz starb nur wenige Monate nach dem Erscheinen seines zweiten Romans am 22. Juli 1960 an den Folgen einer Gehirntumor-Operation. Er ist nur 47 Jahre alt geworden und hat zwei bemerkenswerte Bücher der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur hinterlassen. Er passt in keine der großen Tendenzen der Zeit, sondern ragt wie ein Fragment der vorletzten Jahrhundertwende in unsere Welt hinein.

5 Gedanken zu „Wolf von Niebelschütz (1913–1960)“

  1. Jap. Wolf von Niebelschütz ist einer der ganz großen deutschen Schriftsteller; völlig zu Unrecht fehlt er in der öffentlichen Wahrnehmung fast völlig.
    Nach Thomas Manns Novellen gehören die beiden Niebelschütz-Romane zu den Büchern, die mich am meisten geprägt und mein Denken wesentlich beeinflußt haben.

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