Ian McEwan: Der Trost von Fremden

An den Haaren herbeigezogene Schauergeschichte von einem englischen Pärchen, das in Venedig (dessen Name an keiner Stelle fällt) einem psychopathischen Ehepaar in die Hände fällt. Wie für das Genre wohl üblich, passiert lange Zeit nichts, wohl um Spannung zu erzeugen (huuuuu). Antrieb für den ganzen Unfug ist natürlich Sex (oooooh), McEwan bleibt mit diesem dünnen Fähnchen aber so weit hinter etwa Arthur Schnitzlers »Traumnovelle« zurück, dass zumindest ich mit dem Kopfschütteln gar nicht mehr aufhören konnte. Wenigstens ist der Text kurz.

Von hier aus müsste man jetzt wahrscheinlich noch einmal »Am Strand« anschauen, um zu prüfen, ob die dort thematisierte Verklemmtheit tatsächlich die der Zeit und nicht die des Autors ist.

Ian McEwan: Der Trost von Fremden. Aus dem Englischen von Michael Walter. detebe 21266. Zürich: Diogenes, 1985. Broschur, 189 Seiten. 8,90 €.

Paul Auster: Unsichtbar

978-3-498-00081-3Auster ist schlicht ein großer Routinier der literarischen Fiktion. Unsichtbar enthält im Wesentlichen zwei erzählerische Ebenen, von denen die eine eine Variation der klassischen Herausgeberfiktion darstellt. Im Zentrum des Romans steht der 20-jährige Adam Walker, der 1967 in New York Literatur studiert und Schriftsteller werden will. Er lernt auf einer Party Rudolf Born, einen Schweizer Gastprofessor seiner Universität, und dessen Freundin Margot kennen. Als er Born kurze Zeit später zufällig wieder trifft, macht dieser ihm ein außergewöhnliches Angebot: Born habe geerbt und wolle Geld in ein Projekt investieren, etwa eine literarische Zeitschrift. Ob Walker sich vorstellen könne, eine solche Zeitschrift zu leiten? Obwohl Walker misstrauisch ist, ob es sich nicht um einen Scherz handelt, entwickelt er ein Konzept für eine solche Zeitung, das von Born akzeptiert wird: Born will die Zeitschrift im ersten Jahr mit 25.000 $ finanzieren. Als Born kurz darauf für kurze Zeit nach Paris reist, beginnt seine Freundin eine Affäre mit Walker, die mit Borns Rückkehr endet. Born trennt sich allerdings daraufhin von Margot, auch weil er vorhat in Frankreich zu heiraten. An dem Plan mit der Zeitschrift ändert sich aber nichts: Als Walker Born das nächste Mal trifft, stellt der ihm einen Scheck über das erste Viertel der geplanten Summe aus. Als die beiden dann ausgehen, um etwas zu essen, werden sie von einem Schwarzen überfallen, den Born kurz entschlossen mit einem Messer niedersticht. Walker sucht das nächste Telefon, um eine Ambulanz zu rufen, doch als er zum Tatort zurückkehrt, sind Born und das Opfer verschwunden. Am nächsten Tag erfährt Walker aus der Zeitung, dass die Leiche eines Schwarzen entdeckt wurde, der mit zahlreichen Messerstichen getötet wurde. Am selben Tag findet er in seinem Briefkasten eine Drohung Borns, ihn zu töten, falls er zur Polizei gehe. Als Walker sich nach mehreren Tagen doch dazu entschließt, die Polizei zu verständigen, ist Born inzwischen nach Frankreich geflohen.

Soweit der erste von vier Teilen des Buchs. Im zweiten Teil erfährt der Leser, dass es sich beim ersten um einen Entwurf Walkers zum einem autobiografischen Roman handelt. Walker hat diesen Entwurf an einen ehemaligen Kommilitonen und erfolgreichen Autor, James Freeman, geschickt mit der Bitte, ihm schriftstellerisch etwas auf die Sprünge zu helfen, da er mit dem zweiten Teil nicht recht vorwärts komme. Freeman erfährt, dass der inzwischen 60-jährige Walker an Leukämie erkrankt ist und wahrscheinlich bald sterben wird. Er gibt Walker einige allgemeine Tipps und hält bald den zweiten Teil des Romans in Händen, der von den folgenden Monaten des Jahres 1967 erzählt: Walker arbeitet als Hilfskraft in der Universitätsbibliothek und hat außerdem eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester, mit der er zusammenlebt. Dieses Verhältnis endet, als Walker ein Auslandsstudienjahr in Paris antritt.

Als Freeman nach der Lektüre des zweiten Kapitels Walker wie verabredet besuchen will, erfährt er, dass der kurz zuvor verstorben ist. Er hat Freeman aber den Entwurf des abschließenden dritten Kapitels hinterlassen. Wie zu erwarten ist, spielt der letzte Teil von Walkers Roman in Paris und bringt eine Wiederbegegnung sowohl mit Margot als auch mit Born. Die Ereignisse der wenigen Wochen, die Walker in Paris zubringt, nachzuerzählen, kann hier unterbleiben. Wichtig ist nur, dass Walker versucht, Borns geplante Eheschließung zu verhindern und auf diese obskure Weise den New Yorker Mord an dem Schwarzen zu rächen. Als Born Walkers Vorhaben erkennt, lässt er Walker kurzerhand wegen Drogenbesitzes festnehmen und ausweisen.

Im vierten und letzten Teil des Buches beschäftigt sich Freeman mit dessen Herausgabe, nachdem Walkers Schwester ihm dazu den Auftrag erteilt hat. Nachdem Freeman von ihr erfahren hat, dass zumindest die inzestuöse Beziehung frei erfunden ist, nutzt er seinen nächsten Paris-Aufenthalt, um zu recherchieren, wie viel von dritten Teil der Erzählung der Wahrheit entspricht. Und tatsächlich kann er eine der Figuren aus Walkers Roman identifizieren. Von ihr erfahren wir zum Abschluss auch von der weiteren Geschichte Rudolf Borns.

Auster beweist einmal mehr, dass die guten alten Muster der Erzählkunst immer noch wirksam sind: Herausgeberfiktion, Spannung zwischen den Ebenen der Fiktion und der fiktiven Wirklichkeit, Liebe, Sex and Crime, eine moralisch fragwürdige Haupt- und eine zwielichtige Nebenfigur – all das wird zu einem gut erfundenen, routiniert erzählten Unterhaltungsroman verarbeitet. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch leichter Hand Auster das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ebenen seiner Fiktionen aufrecht erhalten kann. Für meinen persönlichen Geschmack war es in diesem Fall am Ende eine fiktionale Ebene zu viel, aber das mögen andere Leser anders empfinden.

Paul Auster: Unsichtbar. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Reinbek: Rowohlt, 2010. Pappband, Lesebändchen, 316 Seiten. 19,95 €.

Dennis Lehane: Shutter Island

978-3-548-26194-2An den Haaren herbeigezogener Psychothriller mit einem unzuverlässigen personalen Erzähler. Die erzählte Fabel ist bis ins Detail zu unwahrscheinlich und unausgegoren, um sie hier nacherzählen zu müssen. Ich hatte überhaupt nur zu dem Buch gegriffen, da von Lehane die Romanvorlage zum Film »Mystic River« stammt, der mir gut gefallen hat. Ich hätte eben auf meine Instinkte hören und zurückzucken sollen, als ich auf der Rückseite des Buches geschrieben fand, das Buch sei »für jeden anspruchsvollen Thriller-Fan ein Muss« und das Wort »genial« gleich noch dahinter angehängt. Wenn dies tatsächlich die Lektüre anspruchsvoller Thriller-Fans darstellt, was müssen sich dann wohl die armen ohne Anspruch zu Gemüte führen?

Dennis Lehane: Shutter Island. Aus dem Englischen von Andrea Fischer. Ullstein Tb. 26194. Berlin: Ullstein, 2005. 365 Seiten. 8,95 €.

Ronan Bennett: Zugzwang

bennett-zugzwang Einer der seltenen Fälle, in denen ein englischsprachiges Buch einen deutschen Titel trägt: Das Wort Zugzwang stammt aus der deutschen Schachterminologie und ist heute weltweit gebräuchlich. Es bezeichnet Stellungen, in denen für den am Zug befindlichen Spieler jeder mögliche Zug zum Partieverlust führt; man sagt dann: »Der Spieler ist in Zugzwang.« Zugzwang entsteht am häufigsten in Endspielen und ist dort ein wichtiges, für beide Seiten schwer kalkulierbares taktisches Mittel.

Die deutsche Ausgabe ist von Bloomsbury mit einer beachtlichen Kampagne beworben worden, in der der Verlag neben den üblichen buchhändlerischen und journalistischen Kanälen auch die Schachmedien konsequent bedient hat. Das Buch hatte daher beim Erscheinen eine breite und beinahe durchweg positive Publicity, was wohl in der Hauptsache daran lag, dass kaum einer der Rezensenten es tatsächlich gelesen hatte. Nur in Einzelfällen ist darauf hingewiesen worden, dass das St. Petersburger Schachturnier des Jahres 1914 eher als Kulisse dient, als dass es eine tragende Rolle spielen würde. Doch zum schachlichen Anteil weiter unten noch einige Worte.

Erzähler des Romans ist der St. Petersburger Neurologe und Psychoanalytiker Dr. Otto Spethmann, der unter anderem auch einige Prominente behandelt. Wie schon angedeutet, spielt das Buch im Frühjahr 1914, kurz vor und während des berühmten St. Petersburger Turniers, das nicht nur vom russischen Zaren direkt gefördert wurde, sondern an dessen Ende auch die ersten offiziellen Großmeistertitel verliehen wurden. Allerdings beginnt Bennetts Geschichte erst einmal mit einem Mord: Am 14. März 1914 (man fragt sich unwillkürlich, ob nach julianischem oder gregorianischem Kalender, aber solche Feinheiten sind dem Autor gänzlich fern) wird der St. Petersburger Zeitungsherausgeber Gulko auf offener Straße ermordet. Wie wir wenige Seiten danach erfahren, ist dies nicht der einzige Mord des Tages, denn wenig später erhält Dr. Spethmann den Besuch des Polizeiinspektors Lychev, der ihn in einer Mordsache befragt, bei der beim Opfer eine Visitenkarte des Arztes gefunden wurde. Spethmann gibt wahrheitsgemäß Auskunft, dass ihm der Name des Ermordeten nichts sage und wird für den nächsten Tag zusammen mit seiner Tochter Catherine (wahrscheinlich heißt sie Katharina, aber solche Feinheiten sind dem Autor gänzlich fern) aufs Revier bestellt.

Als er dies noch am selben Abend einer seiner Patientinnen, Anna (we need a girl in the story, who is she and what does she do?), erzählt, arrangiert diese sofort einen Termin bei ihrem geld- und einflussreichen Vater, der Spethmann weitere Belästigungen der Polizei ersparen soll. Allerdings hat dieser Versuch eher den gegenteiligen Effekt: In der Folge werden Spethmann und seine Tochter inhaftiert und verdächtigt, Kontakte zu Verschwörern zu haben, die planen, den Zaren zu töten. Es erweist sich allerdings, dass Catherine den Ermordeten Visitenkartenträger intim kannte, sich aber weigert, der Polizei mit irgendwelchen Angaben dienlich zu sein. Trotz oder wegen der Sackgasse, in die die Untersuchungen Lychevs damit geraten, werden Vater und Tochter aus der Haft entlassen (auch dem Autor ist inzwischen aufgefallen, dass mit einem Protagonisten im Gefängnis die Handlung nicht recht vorwärts will) und geraten, wie man sich leicht denken kann, nahezu augenblicklich in den Sog schier unglaublicher Ereignisse: Es erweist sich, dass mit Ausnahme von Spethmann nahezu keine der handelnden Personen ist, was sie zu sein scheint. Der staatstreue Inspektor ist in Wirklichkeit ein Bolschewist, die brave Tochter nicht nur promisk sondern auch noch Bolschewistin, der Bolschewist Petrov wiederum ein Handlanger der Reaktion, der scheinbar hilfreiche Vater Annas ein Judenhasser und Verschwörer, der Pianist ein Doppelspion und nur der Schachspieler Rozental (eine grobe Mischung aus Akiba Rubinstein und Alexander Lushin, aber Feinheiten liegen dem Autor ohnehin gänzlich fern) ist wirklich der Neurotiker, als der er erscheint. Die Fabel ist ebenso wirr wie uninteressant, wie sich das für dieses Genre wohl gehört, und gewürzt mit der heute anscheinend unvermeidlichen Portion Pornographie: »‘How many fingers now?’ she gasped.« Eben ein Buch, wie solche Bücher eben sind; suum cuique.

Geschrieben ist das Dings in einer glatten und einfach zu konsumierenden Sprache ohne jeglichen artistischen Anspruch. Motivisch herrschen einzelne Unsicherheiten (so dürfte ein angesehener Arzt in Petersburg im Jahr 1914 sicherlich daheim und in der Praxis einen Telefonanschluss besessen haben, eher zweifelhaft aber scheint, dass er über eine Telefonanlage verfügt, die das Durchstellen von Gesprächen aus dem Vor- ins Behandlungszimmer erlaubt; das mit dem Verhältnis des Autors zu Feinheiten hatte ich wohl schon erwähnt, oder?), aber das muss die Konsumenten einer solchen rattling good story nicht unbedingt stören. Bleibt das Schachliche:

Schachlich hat das Buch 2½ Ebenen: Die halbe besteht darin, dass der Autor immer wieder durchblicken lässt, dass das Motiv des Zugzwanges die gesamte Handlung strukturieren, ja sogar als Allegorie der Krise der russischen Monarchie schlechthin taugen soll. Dies dürfte nur sehr einfach gestrickte Gemüter überzeugen.

Eine Ebene wird von einer Fernpartie gebildet, die Spethmann mit dem ihm befreundeten Pianisten Kopelzon spielt und deren Endphase wir Zug um Zug mitgeteilt bekommen. Bennett hat hierfür, wie er selbst angibt, die Partie Daniel King vs. Andrei Sokolov, Schweizer Meisterschaft 2000, benutzt. Das Buch setzt im Endspiel nach dem 34. Zug von Schwarz ein (Diagramm):

king-sokolov-01Es folgt: 35.Tg2 (diesen feinen Zug findet Spethmann nicht selbst, sondern er wird ihm geschenkt) Txg2+ 36.Kxg2 Dc7 37.Df5+ Kh6 38.Df6+ Kh7 39.Kg3 Kg8 40.Kh4 Db6 41.Kh5 Kf8 42.Kh6 Ke8 43.Kh7 Dc5 44.Dg7 Ke7 45.Dg5+ Ke8 46.Kg8 Dc7 47.Dh6 De7 48.Dg7 a6 49.a3 a5 50.a4 (Diagramm unten). Angeblich erkennt Kopelzon erst an dieser Stelle, dass er nun in Zugzwang ist und den König vom Bauern entfernen müsse, was den Bauern und damit auch die Partie einstellt: »He had no choice but move the king away from the defence of the f-pawn.« Nun könnte man, wenn man denn schon seine Amateure von 1914 wie Profis des Jahres 2000 spielen lässt, auch den computergestützten Kommentar wagen, dass hier 50… Kd8 vielleicht nicht die zähste Verteidigung ist, sondern Schwarz mit 50… Dh4 noch auf einen späteren Fehler des Gegners king-sokolov-02spekulieren könnte. Der Rückzug des Königs kommt einer Resignation gleich, die vielleicht für Sokolov in einer Partie gegen King passt, für Kopelzon, der sich einem Patzer wie Spethmann gegenübersieht, aber ganz sicher nicht. Es folgt noch: 50… Kd8 51.Df8+ De8 52. Kg7 1-0. Wichtig ist natürlich auch hier, dass die Partie am Ende durch einen Zugzwang entschieden wird und sich auf diese Weise wenigstens oberflächlich dem vorgeblichen Generalbass einfügt.

Diejenige Ebene aber, die in den meisten voreiligen Rezensionen am deutlichsten herausgestellt wurde, ist das St. Petersburger Turnier von 1914. Es dient, wie oben bereits angedeutet, lediglich als Kulisse vor der die ansonsten gänzlich schachfremde Handlung abrollt. Dass eine der Nebenfiguren der Handlung einer der Teilnehmer am Turnier ist, bleibt ebenfalls rein dekorativ; die gleiche Funktion könnte etwa auch von einem Musiker erfüllt werden. Nun könnte man die Hoffnung haben, dass sich Bennett schachlich oder wenigstens atmosphärisch mit dem Turnier auseinandersetzt, aber auch dies ist nicht der Fall. Zwar lässt er seinen Protagonisten kurz vor der Flucht aus St. Petersburg wenigstens rasch bei der vierten Runde des Turniers hereinschauen, aber damit beginnt auch gleich das Elend: Als Spethmann die Turnierhalle betritt, sind nach seiner Aussage die lasker-rubinstein-01Partien schon deutlich fortgeschritten (»well under way«). Er entdeckt Rozental, der in der vierten Runde mit Schwarz gegen Lasker spielt, versteckt hinter einer Palme sitzend, während Lasker über seinen 60. Zug nachdenkt. Er zieht schließlich seinen Bauern nach b3, wodurch eine aus der Partie Rubinstein vs. Lasker bekannte Stellung entsteht, die auch im Buch abgebildet ist (Diagramm):

As I went back to Lychev, there was a stir at the table. Lasker had made his move, pushing his b-pawn one square forward to b3. One of the spectators gasped, ‘Zugzwang!’ Rozental trooped from his refuge and stared at the position. It was true. He would now be forced into the role of author of his own destruction.

(Als ich zu Lychev zurückging, entstand eine Bewegung am Tisch. Lasker hatte seinen Zug ausgeführt und seinen b-Bauern um ein Feld nach b3 vorgerückt. Einer der Zuschauer keuchte: »Zugzwang!« Rozental kam aus seinem Versteck hervor und starrte aufs Brett. Es stimmte. Er würde nun gezwungen sein, den Urheber seiner eigenen Vernichtung zu spielen. [Eigene Übersetzung.])

Bis dahin alles ganz schön und gut. Nur folgt leider unmittelbar darauf ein Absatz, der den ganzen Eindruck zunichte macht: Während Spethmann dies alles beobachtet, merkt er zugleich, dass er von der Bühne aus erkannt worden ist. Da er von der Polizei gesucht wird und im Fall einer Verhaftung um sein Leben fürchten muss, verlässt er zusammen mit Lychev fluchtartig den Spielsaal:

As we started away, the spectators sent up a sudden murmur of speculation. Looking back, I saw Lasker taking the knight on d2 with his queen. He pressed his clock to start Rozental’s ticking. As one body, the spectators turned their gaze to the potted palm, from which Rozental duly emerged, eyes cast down, arms rigidly at his side, hands clenched. He took his seat and, after the briefest glance at the new position, moved his f-pawn one square forward.

(Als wir uns aufmachten, ließen die Zuschauer plötzlich ein spekulierendes Gemurmel hören. Zurückblickend sah ich, wie Lasker den Springer auf d2 mit seiner Dame schlug. Er drückte die Uhr, um die Rozentals losticken zu lassen. Wie ein Mann wandten die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit der Topfpalme zu, hinter der Rozental erwartungsgemäß auftauchte, die Augen niedergeschlagen, die Arme eng angelegt, die Hände zu Fäusten geballt. Er setzte sich und zog, nach einem ganz kurzen Blick auf die neue Stellung, seinen f-Bauern ein Feld nach vorn. [Eigene Übersetzung.])

lasker-rubinstein-02 Selbst der nicht besonders im Schachspiel bewanderte Leser könnte sich hier wenigstens einen Augenblick lang darüber wundern, warum Lasker schon wieder am Zug und Rozental hinter der Palme ist und von welchem Springer oder welcher Dame hier wohl die Rede ist, da in der abgebildeten Position offensichtlich keine der beiden Figuren vorhanden ist. Und er wunderte sich zu Recht: Denn diese Beschreibung bezieht sich offensichtlich auf eine ganz andere Stellung derselben Partie: Mit seinem 11. Zug hatte Rubinstein Laskers Springer auf d2 geschlagen (Diagramm) und der zitierte Absatz beschreibt nun die nächsten beiden Züge: 12.Dxd2 f6. Es scheint so zu sein, dass Bennett in einer älteren Fassung des Buchs ein viel früheres Stadium der Partie Lasker vs. Rubinstein verarbeiten wollte, sich aber angesichts des Einfalles, das Buch »Zugzwang« zu nennen, dann für die Stellung nach 60.b3 entschieden hat. Nur hat er leider vergessen, den zitierten Absatz aus dem Manuskript zu löschen oder umzuschreiben.

Nun frage ich mich natürlich, wie viele Leute – vom Autor und dem Lektorat einmal abgesehen – das Buch vor und seit dem Erscheinen tatsächlich gelesen haben und ob kein einziger seither in der Lage war, diesen Fehler zu bemerken und Verlag oder Autor anzuzeigen. Und was hat der Verlag in der Zeit gemacht: Das Geld gezählt? Muss ein solcher schriftstellerischer Patzer tatsächlich bis in die Taschenbuch-Ausgabe durchgeschleift werden? Vielleicht kann uns einer der Besitzer der deutschen Ausgabe mitteilen, ob sie diesen Unfug ebenfalls reproduziert; die Stelle ist aufgrund des Diagramms ja rasch zu finden. Wundern würde es mich nicht. [Vgl. den Kommentar unten.]

Leider nur ein oberflächlicher Roman mehr, der wie viele seiner Vorläufer das Schach rein dekorativ verwendet. Als Thriller und Lesefutter wahrscheinlich ganz tauglich, aber eben auch nicht mehr als Standardware.

Ronan Bennett: Zugzwang. London: Bloomsbury Paperbacks, 2008. Broschur mit geprägtem Deckel, 280 Seiten. Ca. 9,– €.