Shortlists (1)

Markus Kolbeck aka Dostojewskij macht uns auf eine für Deutschland angeblich neue Modewelle aufmerksam: Shortlists. Solche Listen sind in allen Lifestylebereichen eine hilfreiche Orientierung, da sie in der Regel nach dem Muster »Blinde betreiben Farbberatung« erstellt werden. Auch Möchtegernlesern wird der Weg gewiesen!

Auch ich werde mich daher nicht lumpen lassen und eine neue Rubrik einführen, die in lockerer Folge Listen für Kenner und Liebhaber liefern wird. Heute:

10 Bücher, über die Sie beruhigt mitreden können, ohne sie gelesen zu haben:

  1. Die Bibel – zum einen ist sowieso klar, was drin steht, zum anderen kennt man ja die beiden wichtigen Teile aus dem Kino, zum dritten: Haben Sie sich mal den Stil von dem Autor angekuckt?
  2. Johann Wolfgang von Goethe: Faust – unfraglich ein Meisterwerk! Wenn auch der zweiten Teil seine Längen hat.
  3. Karl Marx: Das Kapital – unbedingt den Witz von dem Mann erzählen, der »Das Kapital« von Karl May liest und sich wundert, dass so wenig Indianer drin vorkommen! Ansonsten genügt der Satz: »Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis.«
  4. Herman Melville: Moby-Dick – betonen Sie, dass jetzt endlich eine deutsche Ausgabe vorliegt, die einen Bindestrich im Titel hat. Erwähnen Sie außerdem »diesen Übersetzer-Streit, den es da mal gegeben hat«.
  5. James Joyce: Finnegans Wake – ist anerkannt unlesbar! Vergessen Sie nicht, sich über diese »angebliche deutsche Übersetzung« zu mokieren.
  6. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften – hat von den anderen auch keiner gelesen, so lässt sich rasch Einigkeit erzielen. Sagen Sie: »In dem Fall liegt Reich-Ranicki aber mal daneben!«
  7. Arno Schmidt: Zettel’s Traum – sagen Sie einfach, dass Sie einen Bekannten haben, der das Buch besitzt. Nennen Sie aufs Geratewohl irgendein Gewicht für das Buch, das ihnen unvorstellbar hoch vorkommt; wenn Sie sich zu sehr vergriffen haben sollten, lachen Sie nachher und meinen es ironisch. Echte Kenner erkennt man daran, dass Sie den Titel mit Apostroph aussprechen!
  8. Hans Henny Jahnn: Fluß ohne Ufer – erwähnen Sie, dass der Autor früher Orgelbauer war und später Pferde-Urin getrunken hat, weil er das für gesundheitsfördernd hielt. Lassen Sie den Namen Hubert Fichte fallen und ziehen Sie wissend die Augenbrauen hoch!
  9. Patrick Süskind: Das Parfüm – haben ohnehin alle gelesen – oder wenigstens den Film gesehen, also einfach mitnicken! Fragen Sie: »Kennen Sie auch ›Die Taube‹?« Und wieder nicken! Lassen Sie sich nicht auf die Fangfrage ein, ob in »Die Taube« eine Gehörlose vorkommt!
  10. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft – einfach nur nicken und lässig abwinken: Klar, versteht sich von selbst!

 

10 Gedanken zu „Shortlists (1)“

  1. Also, lieber bonaventura:
    Das wird ein formlos-formvollendeter Antrag, diese Shortlist bitte auf Maxi-Format aufzublähen! 😉
    Ich stelle mir eine Party vor, es kann aber auch ein Theaterfoyer oder eine Edelrestaurant sein. Alle sind da, Herr von und zu Schwartlappen, Frau Dr. KnoppanneBacke, die Bibliotheksdirektorin (siehe: http://blog.elsner-overberg.de/), diverse Literaten und Bibliotheksbenutzer, Dezernenten für Hochtief und Kultursoziales u.v.a.m.
    Man kommt auf Zettel’s Traum zu sprechen, und die Direktorin sagt etwas großmäulig und mit den dazugehörigen Mundwinkeln: “Also, ich habe den Bargfelder Boten ja abbestellt, da steht ja nichts mehr drin. Und mein “Zettel’s Traum” ist schon arg zerlesen, naja, vielleicht schenkt mir ja jemand die gebundene Ausgabe, wenn wieder eine am Markt zu bekommen ist.”
    Alles zückelt so rum, nippt mal hier und konversiert mal dahin, doch die Direktorin stichelt weiter.
    “Alice hat es ja auch schwer gehabt, doch Schmidt’s [sic!] Katzen müssen eine tolles Leben gehabt haben! Die werden dort übrigens immer noch gefüttert!”
    “Nein!”, kommt dann als Antwort aus der Runde, “Wirklich?”
    Und da jedermann eine Katze kennt, hasst und hat, ist das Gespräch gerettet!

    Ich bitte hiermit um weitere 10 Titel – ich hab’ mich weggelacht! 😉
    Zettel’s Traum (mit Doofen-Apostroph?) steht ungelesen in meinem Regal und ab jetzt weiß ich, wie ich damit punkten werde!

  2. Das mit dem Deppen-Apostroph in »Zettel’s Traum« ist eine etwas kompliziertere Geschichte, aber für eine Bibliotheksdirektorin vielleicht nicht uninteressant: Schmidt hat nämlich auf dem von ihm selbst getippten und fotomechanisch im Buch reproduzierten Titelblatt den Deppen-Apostroph gesetzt; die Buchhersteller bei Stahlberg bzw. Fischer haben das aber dudentreu ignoriert und deshalb steht auf dem Deckel und dem Schmutztitel (fast hätte ich Schmidtstitel geschrieben) »Zettels Traum« ohne Deppen-Apostroph. Darüber hat es dann des Längeren eine Auseinandersetzung zwischen diversen sogenannten Schmidt-Forschern (und da liegt die Bezeichnung Deppen-Apostroph nun ganz nahe!) gegeben, wie denn das Buch nun richtig heiße.

    Da wir aber natürlich wissen, dass der Titel eines Buches nur an einer Stelle verbindlich steht und zwar auffem Titelblatt, heißt das Buch einzig richtig »Zettel’s Traum«. Basta!

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