Richard Dawkins: Der Gotteswahn

dawkins_gotteswahnWieder einmal mehr ein Beleg dafür, dass es einem Autor gar nichts nützt, Recht zu haben. Dawkins, seit vielen Jahren einer der lautstarken Vertreter der Evolution als naturwissenschaftlicher Übertheorie – im Grunde lässt sich alles durch die Evolution erklären und sollte sich tatsächlich etwas nicht durch die Evolution erklären lassen, so lässt sich wenigstens diese Unmöglichkeit aus der Evolution erklären –, hat hier zu einer breiten Polemik gegen »die Religion« angesetzt, behandelt aber hauptsächlich die Auswüchse des Christentums und des Islams. Das ist besonders im zweiten Teil ganz witzig, wenn Dawkins seitenweise christlich-fundamentalistischen Unfug zitiert. Natürlich ist das alles pro domo geschrieben, wenn auch immer wieder behauptet wird, es gehe um »die Wahrheit«. Es geht im Gegenteil um Forschungsgelder und Projektmittel, die durch kreationistischen Blödsinn gefährdet sind, wenn christliche Fundamentalisten sich mit Politikern in wichtigen Schaltstellen verbünden.

Die Schwäche von Dawkins’ Standpunkt zeigt sich an einer Frage, die er selbst so formuliert:

Damit will ich nicht sagen, dass wir die Ansichten dieser Leute [der Religionsvertreter] um jeden Preis zensieren sollten, aber warum rollt die Gesellschaft ihnen den roten Teppich aus, als hätten sie eine ähnliche Fachkenntnis wie beispielsweise ein Moralphilosoph, ein Familienanwalt oder ein Arzt? [S. 36]

Ja, warum tut die Gesellschaft das? Diese Frage bleibt im Buch letztlich unbeantwortet, was Dawkins aber nicht groß zu stören scheint. Unverkennbar haben Religionen eine unverzichtbare Funktion in ihren Gesellschaften, da sie die Angriffe der Aufklärung in den letzten 300 Jahre ansonsten kaum so gut überstanden hätten, wie sie es getan haben. Sicherlich haben sie in der weitgehend säkularen Realität der westlichen Welt nicht mehr die Macht und den Einfluss, der sie einst ausgezeichnet hat, aber sie sind offenbar immer noch recht aktive Teilnehmer an den Diskursen um Moral, Menschen- und Weltbild. Zum Verständnis dieses Phänomens ist es wenig hilfreich, den entsprechenden Standpunkt gebetsmühlenartig immer erneut als »irrational« zu bezeichnen. Damit rennt man nur offene Türen ein: Selbstverständlich ist der Glaube an Gott als Schöpfer der Welt und an seine Vertreter auf Erden als moralische Instanzen irrational, aber was schadet das? Angesichts der Tatsache, dass es der Rationalität weder gelungen ist, eine rationale Letztbegründung der Moral zu leisten, noch sie in der Lage ist, dem Laien die Frage nach der Herkunft des Universums verständlich zu beantworten, ist es nur wenig verwunderlich, dass irrationale Konzepte der Religionen weiterhin weltweit erfolgreich sind.

Selbstverständlich ist Dawkins darin zuzustimmen, dass es am Ende nur den Wissenschaften gelingen wird, ein Weltbild zu erzeugen, das wenigstens in irgendeiner Weise eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellt. Aber wozu soll das gut sein, wenn dieses Weltbild mehr als 99 Prozent aller Menschen – und darunter eben auch politische Entscheidungsträger – von einem Verständnis eben dieses Weltbildes ausschließt? Für den »normalen Menschen« heißt es schon heute, sich zu entscheiden zwischen zwei Glaubensrichtungen: Der der Religionen oder der der Naturwissenschaft – die eine ist ihm so rational oder irrational wie die andere. Und die Naturwissenschaften werden noch unverständlicher werden, sich immer noch weiter von einem alltäglichen Verstehen der Welt entfernen. Was geht uns der Urknall an? Was soll daran vorteilhaft sein, dass die Urknall-Theorie angeblich besser mit irgendwelchen »Tatsachen« und »Belegen« übereinstimmt als die Schöpfungsgeschichte? Sicherlich: Für diejenigen, die der Bruder- oder meinetwegen Schwesternschaft der Wissenschaft einmal beigetreten sind, liegt alles glasklar auf der Hand. Aber was ist mit denen, die außen vor stehen und immer außen vor stehen werden? Für sie ist es wenig hilfreich, wenn sie von Herrn Dawkins über vielen Seiten hinweg als Idioten beschimpft werden.

Insgesamt scheitert das Buch an seinem Thema, da es Dawkins nicht gelingt, ein ausreichendes Verständnis für die Funktion der Religion in der Gesellschaft zu entwickeln. Seine Polemik bleibt selbstverliebt und oberflächlich. Dawkins entwickelt keinen Sinn dafür, dass die Wissenschaften den meisten Menschen kryptischer und irrationaler erscheinen als die Religionen und dass eine andere große Gruppe heute an die Wissenschaft genau so glaubt, wie sie früher an eine Religion geglaubt hätte. Dawkins entwickelt keinen Sinn für die Grenzen und Mängel des wissenschaftlichen Weltbildes und für dessen nur mangelhafte Leistungen, wenn es darum geht, dem Leben des Einzelnen einen Sinn zu vermitteln. Natürlich gelingt das auch einer Religion nicht »wirklich«, aber es scheint vielen Menschen doch besser zu sein als nichts.

Dass aber auch das Denken so gar nichts helfen will!

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Berlin: Ullstein, 2007. Pappband, 575 Seiten. 22,90 €.

4 Gedanken zu „Richard Dawkins: Der Gotteswahn“

  1. Der Logik ihres Kommentators zu folgen ist sehr schwierig. Auch sein Verständnis von Wissenschaft und deren Aufgabe ist völlig unakzeptabel. Selbst wenn es ihr Kommentator nicht glauben will, der echte Wissenschaftler suchte und sucht ausschließlich nach der Wahrheit. Und Dawkins muss man zu diesen Wissenschaftlern zählen. Ihn in Richtung von Fundamentalismus oder Populismus zu drängen ist unanständig und die übliche, billige Polemik gegen Religionskritiker und Atheisten. Natürlich darf ein Wissenschaftler auch kritische Fragen zu Religionen stellen und seine eigenen Schlüsse ziehen. Die Religionen müssen sich den Argumenten ehrlich stellen und schlüssige Gegenargumente liefern. Mir sind bisher keine fundierten und akzeptablen Gottesbeweise bekannt.
    Dass die Religionen auch heute noch Funktionen und Macht haben , kann nicht ernsthaft bestritten werden, leider . Dafür sind vor allem eine intensive Indoktrination seit frühester Jugend, mangelnde Bildung und fehlendes Wissen verantwortlich. Leider hat Religion auch heute noch mehr mit Opium und weniger mit Wahrheit zu tun. Dass die Menschheit die Angriffe der Aufklärung, was auch immer das sein soll, überstanden hat, der Religion als Verdienst anzuhängen, ist geradezu grotesk. Die Aufklärung war und ist ein Befreiungsschlag für große Teile der Menschheit, der uns Freiheit , auch von religiöser Bevormundung, Gerechtigkeit und erstaunlicherweise mehr Brüderlichkeit gebracht hat. Leider hat sich die Aufklärung in großen Teilen der islamischen Welt noch nicht durchgesetzt mit geradezu katastrophalen Folgen für uns alle.
    Noch verwunderlicher ist das Argument ihres Kommentators, daß das wissenschaftliche Weltbild wahrscheinlich korrekt ist, für den Normalbürger aber ebenso unverständlich ist, wie die irrationale Religion. Da bleiben wir doch besser gleich bei der Religion. Wahrheit für die Klugen, Religion für die Dummen und das sind nach Meinung ihres Kommentators immerhin 99 %. Eine fatale und völlig unakzeptable Denkweise. Der normale Mensch hat Anspruch auf die Wahrheit, auch wenn sie unangenehm und unbegreiflich ist. Mein Leben soll auf jeden Fall nicht auf einer offensichtlichen Lüge basieren. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist damit zugegebenermaßen schwieriger zu beantworten. Der Sinn meines Lebens liegt auf jeden Fall nicht in einem ewigen Leben im Jenseits.

    K.Brückner

  2. Ich habe natürlich kurz überlegt, ob ich Ihren Kommentar überhaupt freischalten soll, denn dies hier ist kein Chatroom. Aber dann habe ich gedacht, er repräsentiert genau die arrogante Haltung und den Ton, der von Seiten der Wissenschafts-Fundamentalisten jedes vermittelnde Gespräch unmöglich macht. Jemand der seinem unbekannten Gegenüber in so wenigen Zeilen gleich zweimal sagt, seine Ansichten seien »völlig unakzeptabel«, darf kaum auf eine ernsthafte Antwort rechnen. Deshalb stattdessen ein Zitat:

    Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.
    Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und da er das gesagt, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. [Joh 18, 37 f.]

    Und nein: Ich bin kein Christ.

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