Albert Camus: Die Pest

978-3-499-22500-0Der zweite Roman Camus’, der seit 1947 seinen Ruhm zuerst in Frankreich und dann auch rasch europaweit begründete. Erzählt wird von einer fiktiven Pestepidemie in Oran während der 1940er-Jahre. Die Mischung aus der weitgehend realistischen Handlung und den mitgelieferten philosophischen Deutungsangeboten macht sicherlich auch heute noch die Attraktivität des Buches aus. Camus versucht seine philosophische Auffassung nicht zu beweisen, sondern durch Illustration zu verdeutlichen.

Im Gegensatz zu Der Fremde steht diesmal ein sozialer Charakter im Zentrum des Romans: Dr. Rieux, der zugleich als Figur und als Erzähler agiert. Umgeben hat Camus seinen Protagonisten mit einem Ensemble unterschiedlicher Typen, die weniger Personen als vielmehr ethische bzw. soziale Positionen repräsentieren: Der Individualist Rambert, der Christ Paneloux, der politisch Engagierte Tarrou, der Schriftsteller Grand etc. Camus konfrontiert diesmal nicht den Vereinzelten mit seinem gewissen Tod, sondern eine differenzierte Gruppe mit einer Lotterie des Todes, die für die meisten einen negativen Ausgang bereit hält.

Diese existenzielle Grundstruktur des Romans wird offensichtlich von Beginn an unterwandert durch eine Allegorisierung der französischen Gesellschaft unter deutscher Besatzung; nicht nur der zeitliche Rahmen, sondern auch das Defoe entnommene Motto weisen deutlich darauf hin. Nun nützt Ambiguität Romanen oft mehr als sie schadet, und so auch in diesem Fall. Während im Fremden die ideologische Konstruktion den Roman bis auf einige wenige Passagen beherrscht und letztlich alles von der Auflösung der letzten Seiten abhängt, atmet in Die Pest eine deutlich größere Freiheit. Wie entspannend sind etwa die Entwicklung der Freundschaft zwischen Rieux und Tarrou oder die Suche Grands nach dem perfekten ersten Satz für seinen Roman. Insgesamt zeigt das Buch ein deutlich größeres Vertrauen des Autors in das Erzählen selbst als sein Vorgänger.

Albert Camus: Die Pest. Deutsch v. Uli Aumüller. rororo 22500. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 752008. 350 Seiten. 8,95 €.

Albert Camus: Der Fremde

978-3-499-22189-7Eine weitere Lektüre, die nach beinahe 30 Jahren wiederholt wurde. Die äußerliche Geschichte Meursaults dürfte so bekannt sein, dass ich sie hier nicht noch einmal nacherzählen brauche. Mir sind diesmal besonders zwei Dinge aufgefallen: Die Positionen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung während des Prozesses und die allgemeine Belanglosigkeit, mit der der ermordete Araber behandelt wird. Weder treten im Prozess Zeugen von Seiten des Ermordeten auf, noch verschwendet Meursault, der in seiner Zelle mit großer Sorgfalt und Geduld immer wieder die Ausstattung seiner Wohnung in Gedanken rekapituliert, viel Zeit mit Grübeln über seine Tat, geschweige denn über sein Opfer. Von da aus ergibt sich mir die Frage, welche der Figuren dieses Buch überhaupt Menschen repräsentieren.

Wenn der Fall Meursault mehr sein soll als eine Obskurität, wenn er denn tatsächlich etwas besagen soll, was über die Behauptung zufälliger Ereignisse hinaus geht – und so wird das Buch doch gemeinhin gelesen –, so habe ich den Verdacht, dass es sich am Ende um Banalitäten handelt. Die Justiz sucht weder dem Angeklagten noch dem Fall gerecht zu werden, sondern bestätigt im Akt der Verurteilung die öffentliche Moral. Deshalb stempelt sie Meursault zum »moralischen Ungeheuer«. Selbst die Verteidigung spielt nur eine Rolle in diesem Spiel, um den Anschein der Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten.

Andererseits kann Camus nichts weniger gebrauchen als Gerechtigkeit für seinen Protagonisten: Ein wegen Totschlags zu Zuchthaus verurteilter Meursault ist gänzlich unnütz für die existentialistische Zuspitzung des Textes. Nur der zum Tode Verurteilte kann sich heroisch vom transzendenten Trost des Anstaltgeistlichen abwenden, nur er kann seine Erfüllung im Hass der Menge gegen ihn finden, nur er kann die Gewissheit des Todes als Befreiung empfinden usw. usf.

Meursault bleibt bis zum Ende des Buchs ein Einzelner, kein »Mensch mit Menschen«. Selbst die Freundschaft Célestes oder die Liebe Maries berühren ihn nur für einen Moment, bevor er wieder in seine Egozentrik versinkt. Meursault ist letztlich nicht viel mehr als ein Soziopath, der nach der Intention des Autors als Exemplum des Menschen schlechthin dienen soll. Tut er aber nicht.

Albert Camus: Der Fremde. Deutsch v. Uli Aumüller. rororo 22189. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 612008. 159 Seiten. 6,95 €.

Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos

3-499-55090-3Camus heroischer Existenzialismus ist nach beinahe 30 Jahren zu einer blassen Enttäuschung geschrumpft. Ich hatte ohnehin nicht viel erwartet, aber dass es so wenig sein würde, hätte ich nicht gedacht. Ein bedeutender Teil des ohnehin dünnen Büchleins besteht in flachen Auseinandersetzungen mit Positionen anderer, die weitgehend unnötig erscheinen, da sie keinerlei Beweiskraft haben und nur als negative Folie für den einzig dünnen Gedanken des Buches tragen: das Trotzdem. Camus weist natürlich alle traditionellen Angebote der transzendenten oder immanenten Sinngebung zurück. Der Mensch stehe daher dem Absurden seiner Existenz gegenüber. Er antworte auf das Absurde seiner Existenz, indem es ihm nichts ausmache. Obwohl es ihm natürlich etwas ausmacht, denn ansonsten wäre ja auch der Begriff des Absurden überflüssig. Also macht es ihm nichts aus, dass es ihm etwas ausmacht. Welch tiefer Gang zu den Müttern!

Der einzige wirkliche Gedanke des Buches ist, dass Sisyphos in den Momenten am interessantesten ist, wo er bergab dem Stein nachgeht. Dass Sisyphos aber der bewusste »Prolet der Götter« sei, ist schon wieder eine Albernheit mehr.

Erinnernswert scheint, dass dieses Buch noch in den 80-ern des vergangenen Jahrhunderts von uns Jugendlichen emphatisch diskutiert worden ist, also von Menschen, denen die Realität ihrer Sisyphos-Existenz noch gar nicht gegenwärtig war. Als wir anfingen, den Stein zu rollen, war das Buch in uns bereits verblasst.

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die neue Übersetzung von Vincent von Wroblewsky anzuschauen, sondern habe meine alte Ausgabe von Januar 1980 benutzt. Vielleicht liegt es auch daran …

Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos. Übertragen v. Hans Georg Brenner u. Wolfdietrich Rasch. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 226.–235. Tausend, 1980. 151 Seiten.

Brigitte Sändig: Albert Camus

978-3-499-50635-2Aus didaktischem Anlass arbeite ich mich gerade noch einmal in den frühen Camus ein. Die rororo-Monographie von Brigitte Sändig ist eine kurze und präzise Darstellung von Leben und Werk. Die des Lebens folgt dabei weitgehend den autobiographischen Notizen Camus’, wobei die Autorin  zu deren Sentimentalität nur wenig Distanz entwickelt. Die Zusammenfassung und Einordnung der Werke ist angesichts der erforderlichen Kürze einwandfrei. Ich hätte mir eine etwas breitere Behandlung der Rezeption Camus gewünscht, besonders da die gut ausgewählten »Zeugnisse« (ab S. 146) Lust auf mehr machen. Dafür hätte ich gern etwas weniger Wüsten-Sentimentalität in Kauf genommen.

Insgesamt eine gelungene Kurzbiographie.

Brigitte Sändig: Albert Camus. Rowohlt Monographie 50635. Reinbek: Rowohlt, 2000. 159 Seiten. 7,90 €.