Jahresrückblick 2016

Auch für das vergangene Jahr die Höhen und Tiefen der Lektüre in einem kurzen Überblick, wobei ich vorausschicken möchte, dass ich in diesem Jahr keine wirklich durch und durch schlechten Bücher in die Hand bekommen habe. Viel Lesezeit des Jahres war Shakespeare und Jane Austen gewidmet, wobei ich es albern fände, „König Richard III.“ oder „Stolz und Vorurteil“ unter den besten Lektüren aufzulisten. Die beiden laufen daher außer Konkurrenz.

Die drei besten Lektüren des Jahres 2016:

  1. Giorgio Agamben: Homo sacer – wahrscheinlich die anregendste philosophisch-politische Lektüre seit vielen Jahren! Unbedingt lesenswert.
  2. John Dos Passos: Manhattan Transfer – eine seit langem fehlende Neuübersetzung, die das Buch zum ersten Mal auf Deutsch erkennbar macht.
  3. Virginia Woolf: Orlando – auch in diesem Fall erschließt eine Neu­über­set­zung den Text in seiner sehr feinen formalen und sprachlichen Ge­ar­bei­tet­heit.

Die drei schlechtesten Lektüren des Jahres 2016:

  1. William Shakespeare: Die Fremden – eine vollständig überflüssige Veröffentlichung, die versucht, aus der Solidarität der Deutschen mit den Flüchtlingen des Jahres 2016 Kapital zu schlagen.
  2. Michael Krüger: Das Irrenhaus – ein Buch wie aus dem Labor eines Creativ-Writing-Seminars: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.
  3. Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun – ein Roman, der sich mir überhaupt nicht erschlossen hat. Als historisches Phänomen verständlich, als Romanprojekt zumindest mit komplett unzugänglich.

Michael Krüger: Das Irrenhaus

Und Georg Faust? Ich wünschte ihn zum Teufel.

krueger-irrenhausEin Roman wie aus dem Labor des letzten Creative-Writing-Seminars: Der untätige Protagonist (Gontscharow), das Mietshaus als Kleine Welt (Zola, Perec), Identitätsspaltung (Krausser) und schlechtgelauntes Gemaule über dies und das in der rezenten Welt (Bernhard). Wäre der Autor nicht ein 73-jähriger ehemaliger Verleger, könnte man einen belesenen Jung-Autor hinter dem Text vermuten. Entsprechend unerheblich ist das ganze geraten: Der Leser mag sich amüsieren, er wird das ganze aber ebenso schnell wieder vergessen, wie er es gelesen hat.

Erzählt wird die Geschichte vom Schriftsteller Georg Faust (o, wie so anspielungsreich!), der überschnappt und sich für den Besitzer des Hauses hält, in dem er wohnt und in das er sich gerade eingezogen wähnt. Faust schreibt Naturlyrik, hat das eine oder andere Techtelmechtel mit seinen Nachbarinnen und ahnt je länger der Text sich abspult um so mehr, dass er eigentlich doch nicht der Hausbesitzer, sondern ein Deutscher Schriftsteller ist. Am Ende verschwindet er in die Unerheblichkeit aus der er erstanden ist.

Krüger schreibt ein etwas gestelztes und mit seltsamen Wörtern (Sonderübertragungen von Pokal- oder Europacup-Spielen, Handtelefonnummer) angereichertes Deutsch und scheint über die Gepflogenheiten in Deutschland nur mehr unzureichend informiert zu sein (Lehrer haben im Sommer nicht vier Wochen Ferien). Vielleicht ist das Buch sogar als Parodie gemeint, ist dann aber vom parodierten Genre nicht ausreichend abgehoben. Alles in allem ein Buch, wie man sie zu jeder Zeit in beliebiger Menge finden kann. Als Verleger hätte Krüger das Dinx wohl kaum zum Druck befördert.

Michael Krüger: Das Irrenhaus. Innsbruck: Haymon, 2016. Kindle-eBook, 192 Seiten (Druckversion). 14,99 €.