Elizabeth Kolbert: The Sixth Extinction

Though it might be nice to imagine there once was a time when man lived in harmony with nature, it’s not clear that he ever realy did.

Ein verbreitetes paläontologisches Modell geht davon aus, dass es im Laufe der Geschichte des Lebens auf der Erde fünf Zeiten des großen Artensterbens gegeben hat, die jeweils die Voraussetzung für eine neue Richtung der evolutionären Entwicklung bildeten. Es gibt guten Gründe dafür anzunehmen, dass wir alle in der sechsten dieser Perioden leben und dass der Mensch eine der wesentlichen Ursachen für das beschleunigte Verschwinden von Tierarten auf dem gesamten Planeten darstellt.

Dieses sechste Sterben (wie der deutsche Titel des Buches lautet) stellt Elizabeth Kolbert in groben Zügen dar; ergänzt werden die eher unsystematischen Erzählungen vom Artensterben hier und da und dann und wann von einer wissenschaftshistorischen Darstellung, wie das Konzept des Aussterbens überhaupt entwickelt wurde und sich durchsetzen konnte, da natürlich in der vollkommenen Schöpfung eines Gottes für den Gedanken daran, dass ganze Arten von Tieren ausgestorben seien, nur wenig Raum war. Inzwischen ist nicht nur das Konzept des Artensterbens jedem Kind geläufig, sondern man kann sich der Autorin ohne Probleme darin anschließen, dass das derzeitige Artensterben wahrscheinlich die dauerhafteste Auswirkung der Existenz der Menschheit auf den ihn umgebenden Kosmos darstellt.

Wenn man Kolberts journalistischen Ton und ihr zeitweiliges Abschweifen in Erlebnisaufsatz-Prosa einmal als populäre Elemente ihres Stils akzeptiert, so kann man dem Buch wohl nur vorhalten, dass es sich bei der von ihm gestellten Frage nach der Stellung des Menschen innerhalb oder außerhalb der Natur nicht entscheiden kann: Einerseits möchte die Autorin das vom Menschen verursachte Artensterben als eine moralisch verwerfliche und daher möglichst rasch zu unterbindende Handlung verurteilen, andererseits möchte sie evolutionär argumentieren und aus dieser Sicht ist der Mensch eine Art wie alle anderen Arten und sein zerstörerisches Verhalten eben das, was er tut. Ein Virus, der Wirtstiere tötet, ist moralisch vollständig neutral zu betrachten; er ist weder gut noch böse, sondern Teil eines natürlichen Prozesses, der selbst ohne Ziel oder Zweck abläuft. Es ist aus evolutionärer Sicht nicht gut einzusehen, warum der Mensch eine andere Position ein nehmen sollte. Jede Unterscheidung zwischen Natur und Zivilisation, zwischen menschlichem und natürlichem Verhalten etc. wird angesichts des blinden Prozesses der Evolution scheitern. Was immer die Menschen tun – von der Ausrottung der anderen Menschenarten auf diesem Planeten bis zur systematischen Vernichtung von Lebensraum und Artgenossen – muss aus der Sicht der Natur als sein artspezifisches Verhalten angesehen werden und ist, aus der neutralen Perspektive einer Paläontologie der Menschheit, nur eine Katastrophe mehr, die das Leben auf diesem Planeten überstehen wird.

Das Auftauchen und letztendliche Verschwinden der Menschheit ist nichts anderes als der Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier hat verschwinden lassen: eine Naturkatastrophe, der einige Arten zum Opfer fallen werden, die aber der Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten wahrscheinlich nur eine neue Richtung geben wird. In einer oder zwei Millionen Jahren wird hoffentlich von uns keine Rede mehr sein. Manche mögen das bedauerlich finden, aber das tun einige Kinder auch mit Blick auf die Dinosaurier.

Elizabeth Kolbert: The Sixth Extinction. An Unnatural History. London u.a.: Bloomsbury, 2014. Kindle-Edition, 336 Seiten (Druckversion). 4,81 €.

Michael Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation

Ich habe mich daher entschieden, diese ganze Komplexität der Wirklichkeit selbst zuzuschreiben, obwohl es natürlich gut möglich ist, daß wir einfach nicht alles hinreichend gut verstehen, um die verborgene Einfachheit zu entdecken.

Überzeugender Entwurf einer evolutionären Genese der menschlichen Sprache: Tomasello geht von Beobachtungen an Schimpansen aus, die sowohl hinweisende Gesten verwenden als auch ein Verständnis dafür zu haben scheinen, dass es sich bei anderen Artgenossen um Wesen mit Intentionen und Wahrnehmungen handelt. Sie scheinen in Gefangenschaft außerdem einen Sinn dafür zu entwickeln, dass Menschen im Gegensatz zu ihren Artgenossen bereit sind, ihnen in altruistischer Absicht zu helfen. Was Schimpansen aber offenbar im Vergleich zum Menschen fehlt, ist die Fähigkeit zusammen mit anderen Individuen gemeinsame Ziele zu entwickeln und zu verfolgen. Kooperationen zwischen Schimpansen basieren demnach nur auf der Verfolgung individualistischer Ziele der Kooperierenden, während bereits menschliche Kleinkinder nicht nur die Fähigkeit zeigen, mit Erwachsenen und anderen Kleinkindern echte gemeinsame Ziele zu verfolgen, sondern ihnen in einigen Fällen die Kooperation selbst wichtiger zu sein scheint als die Erreichung des Zieles.

Tomasello argumentiert dafür, dass die Verwendung von Zeigegesten, die in der kindlichen Entwicklung der Sprache allem Anschein nach als früheste Stufe auftritt, nicht nur ontogenetisch, sondern auch phylogenetisch den Übergang zwischen der beschränkten Kommunikation der Schimpansen und der Kommunikation des Menschen markiert. Er vermutet, dass das relativ späte Auftreten des für die differenzierte Lautbildungsfähigkeit des Menschen verantwortliche Gens vor ca. 150.000 Jahren ein Indikator dafür ist, dass der gesprochenen Sprache eine lange Phase der Evolution gestischer Verständigung vorausgegangen ist. Er macht die Möglichkeiten und Leistungsfähigkeit gestischer Kommunikation an der spontanen Entwicklung differenzierter gestischer Kommunikationssysteme bei gehörlosen Kindern einsichtig.

Tomasellos ergänzende Ausführungen zur Entstehung komplexer Grammatiken und zum Erzählen sind bewusst skizzenhaft gehalten und alles in allem weniger überzeugend als die Darstellung seiner Theorie der Sprachentstehung, was für den eigentlichen Gehalt des Buches aber nur wenig zur Sache tut. Der Hauptteil ist für den Laien verständlich und stilistisch gut geschrieben, wenn auch nicht frei von Redundanzen, was aber sicherlich ein Teil der Leserschaft bei der Differenziertheit mancher Argumentationsstränge nicht als nachteilig empfinden wird.

Spannend fände ich eine Anbindung dieser Theorie an die philosophische Ethik: Sollte sich tatsächlich aus evolutionsbiologischer Sicht argumentieren lassen, dass einer der grundlegenden Schritte der Menschwerdung in der Fähigkeit des Menschen zur Entwicklung altruistischer Konzepte und Zielsetzungen besteht, ließe sich damit wirkungsvoll gegen das Menschenbild aller sogenannten egoistischen bzw. egozentrischen Ethiken argumentieren.

Eine höchst fruchtbare Lektüre und die erste tatsächlich überzeugende Theorie der Sprachentstehung, die ich kennengelernt habe.

Michael Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder. stw 2004. Berlin: Suhrkamp, 2011. Broschur, 410 Seiten. 15,– €.