Bertina Henrichs: Die Schachspielerin

Henrichs_SchachspielerinManchmal wundere ich mich doch, was es so alles auf die Bestsellerlisten schafft. Normalerweise bleibt mir das erspart, weil ich nur ganz selten Bücher von den Bestsellerlisten lese und das auch nur, wenn sich starke Gründe einfinden, die sich gegen die aus dem Bestseller-Status resultierenden Vorurteile durchsetzen. Aber diesmal hat mich der Titel verführt; ich hätte widerstehen sollen.

Der deutsche Text entspringt aus einer merkwürdigen Konstellation: Die Autorin ist Deutsche, lebt aber seit 18 Jahren in Frankreich und hat »ihren ersten Roman« – wie der Waschzettel das Büchlein ironisch nennt – auf Französisch geschrieben, »damit ihre Familie in Paris ihn ohne Übersetzung lesen kann.« Soweit, so gehöft. Nun würde ich erwarten, dass einer Autorin ihr Text so wichtig ist, dass sie ihn selbst in ihre Muttersprache übersetzt, um ihn so original zu erhalten, wie es nur möglich ist. Der Text ist aber von Claudia Steinitz in ein hölzernes Etwas übertragen worden, das sie wahrscheinlich für Deutsch hält. Gleich auf der ersten Seite steht die preiswürdige Stilblüte: »Eleni hatte keinen Blick für das Schauspiel hinter ihrem Rücken.« Es ist weder die einzige noch die schlimmste.

Die Fabel des Buches fällt unter das Bennsche Diktum, das Gegenteil von Kunst sei nicht Natur, sondern gut gemeint. Erzählt wird über ein griechisches Zimmermädchen auf Naxos in den besten Jahren, das seinem Ehemann zum Geburtstag in einer romantischen Anwandlung einen Schachcomputer schenkt. Da der sich nicht für das Ding interessiert, beginnt sie in einer schlaflosen Nacht, sich selbst mittels der Gebrauchsanweisung das Spiel beizubringen. Da sie bald merkt, dass sie allein nicht recht vorwärts kommt, wendet sie sich um Hilfe an ihren alten Lehrer, der – wie der Zufall so spielt – in seinen jungen Jahren ein passabler Spieler gewesen sein muss.

Bertina Henrichs füllt nun einige Seiten mit angelesenen Schachtermini – dass sie nichts von der Sache selbst versteht, zeigt sich spätestens dann, als sie ihre Heldin an einer Stelle mit Weiß einen beschleunigten Drachen spielen lässt – und kommt dann zur Krise des Buches: Eleni verrät ihrer besten Freundin, dass sie nun Schach spielt und wird – verständlicher Weise – zum Gespött der Menschen auf Naxos. Warum es alle diese Menschen so fürchterlich finden, dass Eleni Schach spielt, weiß die Autorin auch nicht so genau. Sie vermutet wahrscheinlich, andere Menschen müssten ähnliche Vorurteile dem Spiel gegenüber hegen wie sie selbst: Wer »stundenlang über den nächsten Zug nachdenkt«, muss einer Art asozialen Wahns verfallen sein.

Aus der Krise gibt es nur einen Ausweg: Eleni muss an einem Turnier in Athen teilnehmen. Warum das ein Ausweg aus der Krise ist, anstatt sie zu verschärfen, weiß die Autorin genausowenig, aber wir haben inzwischen auch nichts mehr erwartet. Während Eleni in Athen Schach spielt, stirbt ihr alter Lehrer an einer verschleppten Lungenerkrankung. Eleni verliert in der dritten Runde des Turniers (offenbar also ein K.O.-Turnier, das, um den Witz abzurunden, an nur vier Brettern gespielt wird), gerade rechtzeitig, um von der Nachricht vom Tod ihres Lehrers nicht aus der Bahn geworfen zu werden. Sorgenvoll, aber innerlich gestärkt und seltsam verwandelt kehrt sie auf ihre Insel zurück, nicht erwartend, dass ihr Ehemann voller Stolz ihrer Rückkehr entgegenschläft.

Eine Empfehlung an alle Schachspieler: Lassen Sie die Finger davon! Ich sage nur noch eines: Im ganzen Buch kommt nicht eine einzige Schachuhr vor! Weder bei der Vorbereitung auf das Turnier noch bei dem großen Turnier selbst scheint Eleni Bekanntschaft mit den Nöten der Zeitkontrolle gemacht zu haben.

Wer allerdings eine schmalzige, in weiten Teilen einfallslos und klischeehaft erzählte Geschichte in schlechtem Deutsch lesen will, sollte dieses herzerwärmende Buch nicht an sich vorübergehen lassen!

Bertina Henrichs: Die Schachspielerin. Hoffmann und Campe, 2006. Pappband; 143 Seiten. 15,95 €.

15 Gedanken zu „Bertina Henrichs: Die Schachspielerin“

  1. Als alte Schachspielerin, hatte ich meinen grossen Spass an der Lektuere von B. Henrichs „Schachspielerin“. Eine Korrektu muesste allerdings erfolgen: Auf Seite 117 heisst es: “ Sie studierte die siebente und achte Diagonale, die einen Angriff am Koenigsfluegel…“ Auf einem Schachbrett gibt es nur zwei Diagonalen und ich wuerde einfach von siebenter und achter Grundlinie sprechen.
    Herzlichst.
    Renate Rybizki

  2. Wie ich schon in der Rezension geschrieben habe, wimmelt das Buch von schachlichen Fehlern. Allerdings gibt es auf dem Schachbrett keine siebte und achte Diagonale; aber es gibt auch nicht nur zwei, denn der Schachspieler nennt alle schrägen Folgen gleichfarbiger Felder Diagonalen. Und es heißt Grundreihe, nicht -linie, wovon es wiederum nur zwei gibt: eine weiße und eine schwarze. Linien verlaufen auf dem Schachbrett senkrecht zu den Reihen, also von einem Spieler zum anderen.

  3. Und es heißt Grundreihe, nicht -linie…

    Quatsch.
    Aber ansonsten eine gut zu lesende und sehr wahrscheinlich passende Rezension.
    MFG, Hoppsi

  4. Harte Kritik. Gut, dass ich das Buch nicht geschrieben habe.

    Ich habe den „Roman“ nicht gelesen und werde es jetzt wohl auch nicht mehr, Danke für den Hinweis.

    Zum Glück kann man auch aus schlechten Büchern gute Filme machen.
    Ich bin gespannt auf die Verfilmung, die am 7.Januar 2010 in die deutschen Kinos kommt.

    Die „Grundlinie“ wird tatsächlich häufig so genannt, streng genommen falsch, aber ist sachlich falscher Ausdruck als Synonym akzeptabel? In Siegbert Tarrasch´s Buch „Das Schachspiel“ verwendet der alte Lehrmeister übrigens den heute seltsam anmutenden Begriff „Randmatt“ an Stelle von „Grundreihenmatt“.

    Ich kann mir aber vorstellen, dass die Autorin die Bezeichnung „siebte und achte Diagonale“ absichtlich verwendet hat – aus rein tentativen Gründen vermutlich.

    Wie dem auch sei. Auf dem Schachbrett gibt es zwei Grundreihen. Die eine Grundreihe umfasst die Felder a1,b1,c1,d1,e1,f1,g1,h1 und die andere Grundreihe die Felder a8,b8,c8,d8,e8,f8,g8,h8. Die Felder dieser Grundreihen sind auf meinem Brett abwechselnd weiß und schwarz gefärbt. Das die eine Grundreihe schwarz und die andere weiß ist, kann ich nicht bestätigen.

    Viele Grüße,
    Thomas

  5. Als Vereinsspieler ist es mir ziemlich egal ,ob es Grundreihe oder Linie
    heisst. Die entscheidende Frage ,warum reden ,schreiben Menschen
    über das Schachspiel ,obwohl Sie null Ahnung haben . Schon in einem
    James Bond Film wird das Spiel extrem vera……. . Man raucht mit Spitze,
    „denkt“ eine Sekunde nach und setzt dann den Gegner matt. Für wie
    blöd halten uns diese schreibenden und filmenden Idioten eigentlich.
    So, es langt ,das war`s.

  6. Als Schachspieler habe ich natürlich auch die „kleinen Bugs“ bemerkt. Aber geht es überhaupt darum. Das Schachspiel, und darum sollten wir der Autorin aus Marketingsicht dankbar sein, ist doch nur das Medium in dem sich die Frau verwirklichen will. Als langjähriger Frauenwart im Landesschachverband Sachsen-Anhalt habe ich durchaus bemerkt, dass es den Frauen neben dem Leistungsstreben natürlich auch um eine solche Selbstverwirklichung geht. „Am Schachbrett entscheide ich, was gespielt wird“, ist eine oft gehörte Meinung, die, so glaube ich, alles sagt!

  7. Hier geht es um Literatur. Und die schachliche Inkompetenz der Autorin ist nur ein Kritikpunkt unter anderen; daneben wird die schwachbrüstige, klischeebehaftete und verkitschte Fabel und das schlechte Deutsch der Übersetzung kritisiert.

  8. Also ich muß sagen, ich fand damals das Buch nicht schlecht.
    Warum ich mich an ein schlechtes Deutsch nicht mehr erinnere, ist mir schleierhaft, so sehr das hier kritisiert wird.
    Natürlich kann dieses Werk nicht dem Klassiker „Die Schachnovelle“ von Stefan Zweig das Wasser bieten.
    Aber ich empfand dieses Buch ansonsten bildlich sehr schön beschrieben. Ja ich sehe es auch als eine Aufmunterung an, daß mehr Frauen mehr Schach spielen könnten.
    Vielleicht können Damen auch durch dieses blumenhafte und beschreibende Werk eher Zugang zum Schach finden.
    Warum hätte die Autorin mehr Ahnung vom Spiel selber haben sollen?
    Es geht doch nicht um theoretische Eeröffnungen usw.
    In dieser Richtung gibt es überhaupt wenig Bücher, die sich literarisch dem Schach widmen.

  9. Ich hatte das Buch angefangen zu lesen, aber weiter als bis zur Mitte kam ich nicht. Langweiliger kann man ein Buch kaum schreiben.
    Es war genauso unsäglich nichts sagend und flach wie „Der alte Mann und das Meer“. Warum solche Bücher es auf Bestsellerlisten oder gar zu weltruhm bringen ist mir unbegreiflich.

  10. @ Christian Wilde:

    Warum hätte die Autorin mehr Ahnung vom Spiel selber haben sollen?

    Weil sie ein Buch darüber schreibt? Zwischen Henrichs ahnungslosem Geschwätz und »theoretischen Eröffnungen« (was immer das auch sein mag) ist doch noch ziemlich viel Platz für Kompetenzaufbau.

    Aber dass einer etwas über das wissen sollte, worüber er schreibt, ist in den Zeiten des Internet natürlich eine obsolete Forderung.

  11. Was so ein Büchlein unter 200 Seiten die Gemüter bewegen kann ….
    Die französische Version liest sich wirklich besser und ich kann mir auch nicht erklären , warum die Autorin übersetzen lässt . Zeitmangel wäre
    eine schlechte Ausrede . Nun denn , der Film mit Sandrine Bonnaire und
    Kevin Kline ist sehenswert , ich kenne allerdings noch nicht die deutsche
    Version . In jedem Fall geht es hier nicht um Grundreihe , Diagonale oder
    Schachuhr . …
    Und übrigens … wer Hemingways “ Old man and the sea “ flach und
    nichts sagend findet , sollte sich “ die Schachspielerin “ nicht ansehen !

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