Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex

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Weitgehend eine journalistische Luftnummer: Weder für das offensichtlich beabsichtigte Skandalbuch noch für eine Biographie Austs wird ausreichend Material präsentiert. Zudem sollte der Titel besser »Mein Aust-Komplex« heißen, denn bis der Autor mit seinem Objekt tatsächlich beim Spiegel in Hamburg angekommen ist, sind zwei Drittel des Buches vorüber.

Das Buch ist geprägt durch einen mäkelnden Grundton, den Gehrs wahrscheinlich für eine Form des kritischen Journalismus hält. Selbst wenn Aust einmal etwas fraglos richtig macht, hat Gehrs noch etwas auszusetzen. Was Gehrs letztlich auszusetzen hat, bleibt aber unklar: Dass Aust sein Fähnlein nach dem Wind hängt, versteht sich von selbst – er ist ein Journalist; dass Aust als Journalist das zum Thema macht, was ihn selbst betrifft, versteht sich ebenso von selbst – er ist ein Mensch; dass Aust (selbst nach dem Urteil Gehrs) viel arbeitet, um Geld zu verdienen, versteht sich wiederum von selbst – auch Gehrs dürfte ein Buch mit dem Titel »Der Spiegel-Komplex« nicht aus rein altruistischen Motiven heraus geschrieben haben.

Gehrs ist seinem Gegenstand weder sprachlich noch intellektuell oder moralisch gewachsen. So deutet er etwa an vier verschiedenen Stellen des Buches eine Beziehung zwischen Kati Witt und Aust an (Witt habe so unsägliche Dinge getan, wie Aust in der Redation des Spiegel abzuholen oder mit ihm im Berliner Restaurant Borchardt zu ›schmusen‹), ohne dass auch nur an einer Stelle klar würde, was er damit eigentlich mitteilen will. Wen geht das etwas an? Und was soll es dem Leser über Aust oder den Spiegel sagen? An anderen Stellen macht er sich über Austs bevorzugte Hemdenfarbe, seine Körpergröße oder seine Brille lustig. Das alles ist sehr dürftig und höchstens ein Beweis von schlechtem Geschmack. Kants Kategorischer Imperativ lautet in Gehrs Fassung: »Handle stets so, wie Du auch behandelt werden möchtest.« Vielleicht erklärt ihm bei Gelegenheit mal ein gutmeinender Philosoph den Unterschied zwischen dem Kategorischen Imperativ und der Goldenen Regel. Zum Ausgleich lernen wir dann noch eine neue Art von Latein kennen:

… nur wenige Schritte von dem Ort entfernt, an dem Kaspar Hauser am 14. Dezember 1833 von einem Unbekannten mit einem Messer so schwer verletzt wurde, dass an der Stelle nun ein Gedenkstein steht. »Hier wurde ein Geheimnisvoller auf geheimnisvolle Art getötet«, so lautet die lateinische Inschrift.

Nein, die Inschrift des Gedenksteins lautet »Hic occultus occulto occisus est«, was soviel bedeutet wie das, was Gehrs als Zitat anführt. Doch vielleicht meint Gehrs auch, eine laxe Sprache und unpräzise Gedanken seien Tugenden der Polemik. Wenigstens darin würde er sich täuschen.

Die merkwürdigste Stelle im ganzen Buch war für mich aber diese:

Jahre danach stellt Aust einen jungen Redakteur nicht ein, weil der ihm verschweigt, über den Fall berichtet zu haben. »In Bewerbungs­gesprächen«, schreibt Aust in den Brief mit der Absage, »wird nicht gelogen.«

Da habe ich mir still ein »inde ira et lacrimae?« an den Rand notiert.

Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex. München: Droemer, 2005. 335 Seiten. 19,90 €.

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