Zwei neuere Bücher über Vladimir Nabokov

Bereits im letzten Jahr ist Michael Maars Solus Rex erschienen. Der Titel ist der eines Romanfragments Nabokovs aus dem Jahr 1939, zugleich aber auch der Name einer bestimmten Art von Schachproblem, bei der ein schwarzer König allein einer weißen Armee gegenübersteht. Aber der Leser braucht sich keine Sorgen zu machen: Außer bei dieser einen Erklärung kommt Nabokov als Schachspieler und Problemkomponist in diesem Buch nicht vor.

Maar ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als er im März 2004 unter großer öffentlicher Anteilnahme die Entdeckung einer mutmaßlichen Anregung zu Nabokovs Roman Lolita publizierte. Maar hat später in seinem Büchlein Lolita und der deutsche Leutnant versucht, dass dadurch provozierte Missverständnis wieder gerade zu rücken, was ihm aber wahrscheinlich eher nicht gelungen ist.

Solus Rex ist ein motivisch lockerer Gang durch das erzählerische Werk Nabokovs, wobei Maar Themen behandelt wie etwa Nabokovs Auseinandersetzung mit Thomas Mann – wobei die Erzählung Der Kartoffelelf als Antwort auf Manns Der kleine Herr Friedemann gelesen wird –, seine Homophobie und das daraus resultierende zuerst schwierige, dann schuldbeladene Verhältnis zu seinem Bruder, das Auftauchen von Geistern im Werk und anderes mehr. Es werden zahlreiche motivische Verbindungen innerhalb des Werks und zu zahlreichen anderen Schriftstellern gezogen, und es ist durchaus vergnüglich dieser Schlenderei zu folgen. Wie erschließend und hilfreich das alles am Ende ist, wird sich nur demjenigen eröffnen, der selbst bereit ist, die Originale gründlich zu studieren und sich auf die eigentümliche Welt Nabokovs einzulassen. Nabokov ist nun einmal kein Autor für eine Lektüre en passant.

Der Leser sollte also keine Biografie oder systematische Einführung in das Werk Nabokovs erwarten, sondern sich mit einem interessanten, aber essayistischen Zugriff zufrieden geben können.

Dieter E. Zimmer ist als sein langjähriger Übersetzer und Herausgeber der Werkausgabe bei Rowohlt sicher einer der besten deutschen Kenner Nabokovs, wenn nicht der beste. Sein gerade erschienenes Buch Wirbelsturm Lolita beleuchtet dieses Hauptwerk Nabokovs aus verschiedenen Blickwinkeln: Publikationsgeschichte, Übersetzungen, die Frage nach dem vorgeblich pornografischen oder unmoralischen Charakter des Buches, aber auch zahlreiche inhaltliche Aspekte werden unprätentiös und frei von jedem literaturwissenschaftlichen Jargon spannend und gut lesbar präsentiert. Dabei hat nicht jedes Kapitel das gleiche Gewicht: So mag man Zimmers Reflexionen über die verschiedenen Schutzumschläge nicht in jedem Urteil nachvollziehen wollen oder den Bericht über die detektivische Arbeit, die nötig war, Humbert Humberts Fahrtroute in allen Details zu klären, für weniger gehaltvoll halten als deren Ergebnisse. Insgesamt aber ergibt sich ein hochinteressantes thematisches Panorama, das zahlreiche Missverständnisse über dieses wichtige Buch gerade rückt und entscheidende Hinweise zu seinem Verständnis gibt. Kennern wird der Band wahrscheinlich nur hier und da Neues bringen – so etwa die Geschichte der deutschen Übersetzung –, aber jedem, der einen Einstieg zu Nabokov sucht, sei die Lektüre dieses Buches dringend empfohlen! Oder, um es einmal mehr mit Lichtenberg zu sagen:

Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.

In diesem Sinne könnte es sich bei Zimmers Buch um die wichtigste deutschsprachige Sekundär-Veröffentlichung zu Lolita überhaupt handeln, aber es steht zu befürchten, dass die Deutschen Zimmers Buch noch viel weniger lesen werden, als sie bereit sind, dem Original eine sorgfältige und verständige Lektüre angedeihen zu lassen. Wahrscheinlich wird Zimmers Buch als Merkstein des breiten – und nicht nur deutschen – Unverständnisses für dieses Meisterwerk stehen bleiben.

Nabokov sind mehr und immer bessere Leser überall auf der Welt zu wünschen, und Zimmers Buch ist die derzeit beste deutsche Werbeschrift für Buch und Autor. Vielleicht, wenn Rowohlt sich noch entschließen könnte, zum 50. Jubiläum der deutschen Ausgabe von Lolita auch die Biografie von Bryan Boyd im Taschenbuch erscheinen zu lassen, dass es in Deutschland zu einer breiten Wertschätzung des Meisters käme. Es wäre allmählich an der Zeit …

Michael Maar: Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov. Berlin: Berlin Verlag, 2007. Pappband mit Lesebändchen, 205 Seiten. 22,– €.

Dieter E. Zimmer: Wirbelsturm Lolita. Auskünfte zu einem epochalen Roman. Reinbek: Rowohlt, 2008. Pappband mit Lesebändchen, bedruckte Vorsätze, 222 Text- + 24 Bildseiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen. 19,90 €.

3 Gedanken zu „Zwei neuere Bücher über Vladimir Nabokov“

  1. „Dieter Zimmer ist fleißig wie immer“ – fällt mir da ein und dieser interessante Beitrag erinnert mich, daß M.M.s „Solus Rex“ noch auf dem ungelesenen Stapel liegt …

    Ich bin vielleicht konservativ, mich sprechen wie schon öfter geäußert, die „russischen“ Bücher Nabokovs mehr an, darin verliere ich mich, aber „Lolita“ hat mich noch nie begeistert

    ich glaube, daß es in meinem Fall nicht an der Übersetzung liegt, ich habe es im Original und auf deutsch gelesen, es liegt wohl eher an meiner „geschlechtsspezifischen“ Rezeption:

    Ich ertrage einfach diese „Faszination“ nicht, die von diesem Gör ausgehen soll, ich bin kein Mann und kann dieser Faszination wohl nicht folgen. Ich habe mich einfach immer nur darüber geärgert.

    Das aber mit der gleichen aggressiven Intensität, die ich schon als Teenie beim Lesen von de Beauvoir’s „L’Invitée“ („Sie kam und blieb“) erlebte…

    Für mich ist „Lolita“ (und da bleibe ich voreingenommen, unvoreingenommen kann ich es einfach nicht lesen) wieder die Bestätigung, daß die Männer allzuleicht in der Hose denken und nur zu gerne ihren Kopf abschalten ;=)

  2. Die Faszination geht nicht »von diesem Gör« aus, sondern hat mit dem konkreten Mädchen eher weniger zu tun; Dolores ist bloß Exemplar eines Musters. Die Faszination entstammt im Wesentlichen der pädophilen und erotomanen Prägung Humberts, die wiederum eher wenig mit dem Zustand der meisten Männer zu tun hat. Humbert ist krank und ein Krimineller, und in seinen besten Momenten weiß er das auch. Und Nabokov wusste es, bevor er anfing, »Lolita« zu schreiben.

  3. tja,

    da mir diese Faszination so fremd ist (wenn auch in der veröffentlichten Presse etc. doch häufig anzutreffen), ist es nicht zu mir durchgedrungen, ob dies nun eine persönliche Prägung des Herrn Humbert ist oder eine geschlechtsspezifische ..

    ehrlich gesagt, macht mir diese Mißdeutung auch nichts aus, das ganze Thema war mir so fremd, ging mir nicht nahe… und geht mir auch jetzt nicht nahe, ich müßte mich zwingen, mich wieder damit zu beschäftigen

    tut mir leid… es gibt eben eine geschlechtsspezifische Rezeption und auch sonst Unterschiede, was den einen interessiert, ist dem anderem Leser schnuppe…

    interessant hingegen wäre aber einmal ein Experiment: einfach die Konstellation umgedreht: alte Dame verfällt einem jungem Manne…

    gibt es das irgendwo zu lesen? Ist mir nicht bewußt.
    Wäre interessant, wie das geschrieben wäre, zu lesen wäre, rezipiert würde..
    Das mag sich wohl niemand vorstellen… naja, den literarischen Rang eines V.N. würde so ein Buch auch nicht erhalten ;=)

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