Thomas Mann: Buddenbrooks

»Tom, Vater, Großvater und die Anderen alle! Wo sind sie hin? Man sieht sie nicht mehr. Ach, es ist so hart und traurig!«

Der erste und bis heute zu Recht beliebteste Roman Thomas Manns. Erzählt wird die Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie über gut 40 Jahre hin, beginnend mit Jahr 1835 als die Familie ein neues Haus bezieht, was sich rückblickend als der tatsächliche Höhepunkt ihrer geschäftlichen Stellung erweisen soll. Ganz im Sinne des Untertitels „Verfall einer Familie“ erweisen sich alle späteren Erfolge als Scheinsiege, die nur für eine Weile noch den wahren Status der Familie überdecken. Die scheidende Generation des alten Johann Buddenbrook blickt mit rationalem Kopfschütteln auf die religiöse Euphorie der romantischen Generation seines Sohnes Jean; die Generation der Enkelkinder Thomas, Christian und Antonie wird nicht nur in geistiger Orientierungslosigkeit heranwachsen, sie wird auch – in unterschiedlicher Weise – unter ihrem zu empfindlichen Nervenkostüm zu leiden haben. Die Geschichte der Familie vollendet sich in Thomas Sohn Hanno, einer überfeinerten Künstlernatur, die nicht mehr in der Lage ist, den zum Leben nötigen Willen aufzubringen und sich dem Typhus ergibt und aus dem Leben entkommt.

Bricht man das Buch auf diese Struktur herunter, kann man den Verdacht entwickeln, dass es zu konstruiert sei, um gelingen zu können; Thomas Mann versteht es jedoch, dieses Skelett des Romans mit einer solchen Fülle von zeitspezifischen und – man entschuldige – allgemein menschlichen Details anzureichern, dass die Konstruktion tatsächlich als Skelett eines organischen Ganzen zurücktritt. Je weiter die Erzählung fortschreitet, desto mehr verschiebt Mann den Fokus der Erzählung vom Gesellschaftsroman hin zur Familiengeschichte, was in einer nahezu eigenständigen, in sich geschlossenen Geschichte des Schülers Hanno gipfelt, dessen früher Tod auch den Abschluss des Familienromans bildet.

Für einen so jungen Autor – Mann war erst 21 Jahre alt, als er den Roman begann – weist das Werk nicht nur einen ungewöhnlich stimmigen und detaillierten historischen Hintergrund auf, er belegt auch Manns differenziertes sprachliches Vermögen und außergewöhnliches erzählerisches Gespür. Zusammen mit dem zu dieser Zeit offenbar noch bestehenden Vertrauen in den Stoff seiner Erzählung macht diese Melange »Buddenbrooks« zu Manns eingängigstem und populärstem Roman.

Ich habe an anderer Stelle schon einmal meine wechselvolle Lektüre-Geschichte mit Thomas Manns Schriften angedeutet. Meine jetzige, wohl fünfte Lektüre von »Buddenbrooks« war die bislang genussvollste und zugleich entspannteste. Kritik an Werk oder Autor erschien mir diesmal als überflüssig oder kleinlich angesichts dessen, was hier gelungen ist. Einer der großen Romane der deutschen Literatur, als sie noch ganz und gar unberührt zu sein schien von den Zweifeln des 20. Jahrhunderts.

Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 1.1. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2002. Leinen, Fadenheftung, 843 Seiten. 78,– €.

Ein Gedanke zu „Thomas Mann: Buddenbrooks“

  1. Ich war früher auch vom Zauberberg begeisterter, das Thema ist einfach gemacht für junge Leser mit Hang zum philosophieren (oder was man grad dafür hält), mittlerweile schätze ich die Buddenbrooks aufgrund ihrer virtuosen Struktur deutlich höher. Zu den strukturellen Schwächen des Zauberbergs hab ich vor einiger Zeit eine kurze Notiz veröffentlicht: https://soerenheim.wordpress.com/2018/01/29/der-zauberberg-tolle-ideen-strukturelle-schwaechen/
    Die Buddenbrooks bleiben tatsächlich Manns ausgewogenster, man möchte fast sagen „erwachsenster“ Roman

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