Robert Graves: I, Claudius

Die erneute Lektüre wurde angeregt durch ein Gespräch über die hervorragende BBC-Serie nach Graves beiden Claudius-Romanen, die ich vor einiger Zeit auf DVD gekauft hatte. Ich hatte das Buch als Jugendlicher auf Deutsch gelesen und dann vor über zwanzig Jahren die hier gezeigte deutsch-englische Ausgabe aus dem Jahr 1941 geschenkt bekommen. The Albatros war ein Leipziger Verlag, der auf englische Texte für deutsche Leser spezialisiert war. Der Text ist sehr sorgfältig gesetzt, der Buchblock fadengeheftet und anschließend broschiert. Ich habe das Buch während der Lektüre recht lieb gewonnen.

Diesmal habe ich natürlich gemerkt, wie sehr »I, Claudius« ein geschickt aufgefüllter Sueton ist. Aber die Betonung liegt eben auf dem Wort geschickt, denn Graves gelingt es ganz erstaunlich gut, auf der Grundlage des Berichts von Sueton eine Romanhandlung zu stricken, die die Zeit von den letzten Jahren der Regierung Augustus’ bis zur Einsetzung von Claudius als Kaiser umfasst. Die meisten Leser werden sich so wie ich auf den ersten einhundert Seiten auf den Berichtston des Romans einstellen müssen. Graves gestaltet Claudius als einen Historiker, der auch in dieser privaten Familiengeschichte seine eigentliche Berufung nicht verleugnen kann und will. Später wird der Text auch reicher an Dialogen und damit unmittelbarer in seiner Darstellung, aber er gerät nie zu einem der typischen historischen Romane, wie etwa Clavell oder Jennings sie später geschrieben haben. Mir ist unklar, wie weit dies Berechnung des Autors ist oder ob er einfach Zeit gebraucht hat, um den Ton für das Buch zu finden.

»I, Claudius« ist ein gewendeter Narrrenroman: Claudius kann gelesen werden als klassische Narrenfigur, an deren vermeintlicher Beschränktheit sich die fürchterliche Normalität seiner Welt bricht; in einer solchen Lektüre ist das Spannenste wahrscheinlich, dass der Narr Claudius beinahe als der einzig geistig Gesunde erscheint, während der überwiegende Teil seiner Familie sich auf die ein oder andere Weise dem Wahnsinn überantwortet. Claudius ist der Fels in der Brandung, dessen Stoizismus dem Leser die Ungeheuerlichkeit der berichteten Ereignisse erst glaubhaft und wahrscheinlich macht.

Eine Rezension des Nachfolgebandes »Claudius the God« folgt hier bei Gelegenheit.

Aktuelle Ausgabe:
Graves, Robert: I, Claudius
Penguin, 2001. ISBN 0-14-000318-5
Kartoniert – 400 Seiten – ca. 15,00 Eur