Sophie von La Roche: Fräulein von Sternheim

Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim ist eines der Muster für die in Deutschland eher dünn besetzte Epoche der Empfindsamkeit. Es handelt sich um einen Briefroman, der nur hier und da von einem erzählerischen Rahmen durchbrochen wird. Allerdings ist die erzählerische Fiktion, der Roman biete Abschriften der Briefe der Protagonisten, nur wenig tragfähig, so dass der Leser rasch das Gefühl bekommt, die Autorin hätte auf diesen Rahmen besser ganz verzichtet.

Der Inhalt ist rasch skizziert: Die schöne, überaus tugendhafte und in bürgerlichem Geiste erzogene Sophie von Sternheim gerät nach dem Tode ihres Vaters in höfische Zirkel, wo sich nahezu augenblicklich mehrere Intrigen um sie herum entspinnen, die alle letztlich auf die Zerstörung ihrer Tugend und Ehre hinauslaufen. Natürlich verfällt Sophie einer der Intrigen, indem sie versucht, eine andere zu meiden. Sie wird in eine vorgetäuschte Ehe verstrickt, die sie letztendlich zwingt, Deutschland zu verlassen, findet am Ende aber doch zu jenem Mann, der sie aufrichtig liebt und glücklich macht.

So weit, so unerheblich. Das Buch ist für den heutigen Leser nur insoweit interessant, als es ein weiteres Dokument dafür ist, wie der Gegensatz von höfischer und bürgerlicher Sphäre zu Ende des 18. Jahrhunderts wahrgenommen wurde. Dazu kann die Lektüre allerdings nach der angeblichen Hochzeit Sophies abgebrochen werden. Man glaube mir einfach, dass alles gut endet, der Böse bestraft wird und sich die bekommen, die von Anfang an füreinander bestimmt waren.

Soweit ich sehe, ist das Buch derzeit nicht im Druck, kann aber problemlos im Internet gefunden werden (z. B. bei zeno.org).

Das witzigste Buch der Welt

shandy

Anlässlich der stark beworbenen Neuausgabe der Übersetzung von Michael Walter beim Eichborn Verlag möchte ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, auf eines der witzigsten Bücher der Weltliteratur hinzuweisen: Laurence Sternes »Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman«. Es gibt nicht viele Bücher, die man in seinem Leben immer und immer wieder lesen kann, ohne dass sie ihren Reiz und Witz irgendwann einmal verlieren; der »Tristram Shandy« gehört sicherlich dazu.

Denn ungewöhnlich ist das Buch in beinahe jeder Hisicht. Aber langsam! Fangen wir mit dem an, was sich ohne zu große Verwirrung zu stiften, sagen lässt: »Tristram Shandy« ist zwischen 1759 und 1767 in neun Bänden in London erschienen. Sein Autor, Laurence Sterne (1713–1768), entstammte einer englischen Offiziersfamilie, war in Irland geboren worden, und zu dem Zeitpunkt, als er seinen Roman schrieb, seit 20 Jahren Geistlicher. Die ersten beiden Bände des »Tristram Shandy« machten den Autor über Nacht berühmt und zu einem gefeierten und gesuchten Gast der Londoner Salons. Auch in Paris, das er Ende 1762 auf dem Weg nach Südfrankreich besuchte, wurde er triumphal empfangen und gefeiert. Er war einer der Literaturstars seiner Zeit. Neben dem »Tristram Shandy« existiert noch eine Sammlung von Predigten und im Todesjahr 1768 erschien »A Sentimental Journey through France and Italy« in zwei Bänden. Damit ist Sternes Werk auch schon so gut wie ausgeschöpft.

Der Ich-Erzähler und Held des »Tristram Shandy« ist wahrscheinlich einer der ungewöhnlichsten, sicherlich aber der unordentlichste Erzähler der Weltliteratur. Von jedem Gedanken, jedem Einfall lässt er sich ablenken, immer fällt ihm noch etwas ein, das er noch kurz erzählen muss, bevor er mit seiner Geschichte weiterkommen kann, wobei er in der Abschweifung gleich die nächste Abschweifung beginnt und so weiter und so fort. Den Anfang seiner Lebensgeschichte macht er mit einem Bericht, beinahe schon einer Klage über seine eigene Zeugung:

Wenn doch mein Vater oder meine Mutter oder eigentlich beide – denn beide waren gleichmäßig dazu verpflichtet – hübsch bedacht hätten, was sie vornahmen, als sie mich zeugten! Hätten sie geziemend erwogen, wieviel von dem abhinge, was sie damals taten – daß es also nicht nur die Erzeugung eines vernünftigen Wesens galt, sondern daß möglicherweise die glückliche Bildung und ausgiebige Wärme des Körpers, daß vielleicht des Menschen Geist und seine ganze Gemütsbeschaffenheit, ja sogar – denn was wußten sie vom Gegenteile? – das Wohl und Geschick seines ganzen Hauses durch ihren damals vorherrschenden Seelen- und Körperzustand bestimmt werden konnte; – wenn sie, wie gesagt, das alles getreulich erwogen und überdacht hätten und dementsprechendvorgegangenwären, sowürde ich nach meiner Uberzeugung eine ganz andere Figur in der Welt gemacht haben als die, in welcher mich fortan der Leser dieses Buches erblicken wird.

(Übers. v. Rudolf Kassner)

Und nachdem er im Folgenden die Umstände seiner Zeugung mit einiger Sorgfalt »ab ovo« – um wie Tristram Shandy selbst mit Horaz zu sprechen – dargelegt hat, braucht der Erzähler immerhin bis ins dritte Buch hinein, um überhaupt bis zu seiner Geburt und zugleich Nottaufe vorzudringen. Im Weiteren erfahren wir, warum nach Auffassung der Kirche Kinder nicht mit ihren Müttern verwandt sind, was für eine geheimnisvolle Bewandnis es mit Nasen und Namen hat, wie und – im doppelten Sinne – wo Tristrams Onkel Toby in Flandern bei der Belagerung von Namur verletzt wurde und was diese Verletzung für Folgen zeitigte, wir kommen an der berühmten schwarzen und der noch berühmteren bunten Seite des Buches vorüber – jene ein Symbol der Trauer, diese ein Symbol der Buntscheckigkeit des Buches und des Lebens –, vermissen ein ganz und gar aus dem Buch herausgerissenes Kapitel, werden vom Erzähler zum Kapitelanfang zurückgeschickt, weil wir beim Lesen nicht gut genug aufgepasst haben, und was der Leseabenteuer mehr sind. »Tristram Shandy« ist eine solch übersprudelnde Quelle von Einfällen, Pointen, nichtsnutzigen Verweisen, falschen und richtigen Zitaten, philosophischen Weis- und Dummheiten, dass es eine reine Freude ist. In diesem Buch kann man versinken, die Welt vergesssen und sie wiederfinden. In jeglicher Hinsicht ein Zauberbuch.

Das Buch war im 18. Jahrhundert ein solch grandioser Erfolg, dass es nicht nur rasch in alle wichtigen europäischen Sprachen übersetzt wurde, sondern dass es eine ganze Reihe von Nachahmern gefunden hat: Die Sterneiana sind auch in Deutschland eine wichtige Literaturtradition, die sich bis ins zwanzigste Jahrhundert fortgesetzt hat; aber davon müssen wir ein andermal erzählen.

Die nun bei Eichborn wieder aufgelegte Übersetzung Michael Walters ist die späteste und modernste Übersetzung des Textes. Die erste deutsche Übersetzung stammt von dem bedeutenden Verleger und Übersetzer Johann Christoph Bode und erschien 1774. Später ist das Werk noch des öfteren übersetzt worden; die Eindeutschungen von Seubert (1880) und Kassner (1937) dürften auch heute noch bedeutsame Alternativen darstellen. Dass sich schließlich Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts einer der besten deutschen Übersetzer – Michael Walter – daran gemacht hat, den »Tristram Shandy« neu ins Deutsche zu übertragen, hatte seine erste Ursache in einem Aufsatz Arno Schmidts. Der hatte in »Alas, poor Yorick!« (1963) nicht nur eine der damals noch im Druck befindlichen Überarbeitungen der Bodeschen Übersetzung auf gut irokesisch massakriert, sondern verstärkt auch auf den seiner Meinung nach weitgehend ignorierten sexuellen Grundbass des Buches hingewiesen.

Michael Walter machte es sich nun zur Aufgabe, eine Übersetzung zu liefern, die gerade diesen Basso continuo sexueller Anspielungen und Wortspiele deutschen Lesern sichtbar machen sollte. Dabei ist ihm dieser Klang zum Teil recht deutlich geraten, hier und da sicher auch deutlicher als im Original. Aber wenigstens eines kann der deutsche Leser der Walterschen Übersetzung nur mit Mühe: Ignorieren, dass es sich bei »Tristram Shandy« auch um ein Buch des sexuellen Witzes handelt.

Ohne jede Frage ist die Waltersche Eindeutschung grandios und virtuos geraten. Aber vielleicht ist es doch besser, das Buch zuerst einmal – mehrmals lesen wird man es ohnehin, wenn man es denn einmal mit Genuss gelesen hat – in der Übersetzung von Rudolf Kassner zu lesen (Diogenes Taschenbuch 20950). Auch Kassner hat die sexuelle Ebene des Textes durchaus wahrgenommen und mitübersetzt, ist aber deutlich dezenter als Walter. Und so mag es der einen oder dem anderen eher gelingen, auch auf die anderen Töne zu hören, die bei Walter manchmal drohen im allzureichen Glockenklang unterzugehen. Aber ganz gleich, welchen Zugang man auch wählt, für »Tristram Shandy« gilt der alte Satz Lichtenbergs: »Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.«

Laurence Sterne: Das Leben und die Ansichten Tristram Shandys. Aus dem Englischen von Rudolf Kassner. Zürich: Diogenes, 1982. (detebe-Klassiker 20950). Broschiert, 810 Seiten. 14,90 €.

Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Ins Deutsche übertr. u. hrsg. v. Michael Walter. Neuausgabe Frankfurt: Eichborn, 2006. 852 Seiten. 39,90 €.

Christoph Martin Wieland (1733–1813)

wielandEr war der erste ernsthafte deutsche Übersetzer Shakespeares, Gründungsvater des Weimarischen Musenhofs, väterlicher Freund Goethes und Heinrich von Kleists, Romanautor von Rang, Griechen- und Römerfreund und bedeutender Übersetzer antiker Autoren, Herausgeber einer der wichtigsten deutschen literarischen und politischen Zeitschriften, des »Teutschen Merkur« – alles in allem eine der herausragenden Gestalten der Literatur seiner Zeit und doch heute nur noch wenig gelesen. Sehr zu Unrecht, wie ich meine.

»In Deutschland«, schreibt Arno Schmidt, »haben wir ja ein ganz einfaches Mittel, einen intelligenten Menschen zu erkennen. […] Wenn er Wieland liebt.« Und auch die Antwort, die Schmidt auf diesen provokanten Satz folgen lässt, dürfte heute noch ebenso zutreffen: »er sagte würdig: ›Ich kenne ihn nicht‹.«

Dabei ist das sehr schade und gar keine Frage von Bildung oder Intelligenz, sondern einfach eine des Lesevergnügens. Wielands Romane und Verserzählungen sind von einem ausgesuchten Humor, sind gedankenreich und wortgewaltig. Manche Literaturgeschichte versucht Wieland als Spätling des Rokoko abzutun, aber damit wird man seiner literarischen Beweglichkeit und seinem aufklärerischen Geist keineswegs gerecht.

Wer war Christoph Martin Wieland?

Er wird 1733 als Sohn eines Pfarrers in der Nähe von Biberach geboren und erhält eine gute Schulbildung. Zum ersten Studium geht er nach Erfurt, wo er sich für die Philosophie einschreibt, die ihn zeitlebens begleiten und beschäftigen wird. Später studiert er noch zwei Jahre Jura in Tübingen und lebt dann für einige Jahre in Zürich, wo er unter anderem als Hauslehrer arbeitet. In diese Zeit fällt auch seine Liebe zu seiner Cousine Sophie Gutermann, mit der er sich zwar verlobt, die diese Verlobung aber löst, um Georg Michael Frank von La Roche zu heiraten. Unter ihrem Ehenamen Sophie von La Roche wird sie eine der führenden Autorinnen in Deutschland werden.

Wieland kehrt 1760 nach Biberach zurück und beginnt ernsthaft an seiner Karriere als Autor zu arbeiten. Es entstehen in rascher Folge die Übersetzungen von 22 Stücken William Shakespeares, die die erste Grundlage für die näherer Bekanntschaft der deutschen Leser mit diesem »dritten deutschen Klassiker« bilden. 1764 erscheint sein erster großer Roman: »Die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva«, ein Märchen im Geiste des »Don Quixote«. Und nur zwei Jahre später folgt »Die Geschichte des Agathon«, eine moralische Erzählung in griechisch-antikem Gewand; nach diesem Muster wird Wieland noch zahlreiche Erfolge schreiben. 1769 übersiedelt Wieland zurück nach Erfurt und tritt dort eine Stelle als Philosophie-Professor an. Im September 1772 verpflichtet ihn die Weimarer Herzogin Anna Amalie als Erzieher ihres bereits 15-jährigen Sohnes Carl August. Wieland nimmt dieses finanziell verlockende Angebot an, das ihm für den Rest seines Lebens eine Grundversorgung durch den Weimarer Hof garantiert.

Leben in Weimar und Oßmannstedt

Wieland ist es, der die Bekanntschaft Carl Augusts mit Goethe anregt und vermittelt, die schließlich ab 1775 zur Entstehung des Weimarischen Musenhofs führt. Wieland arbeitet auch nach seiner Entlassung als Prinzenerzieher unermüdlich weiter: Es folgen seine Übersetzungen des Horaz und des Lukian, für den »Teutschen Merkur« entstehen zahllose Aufsätze zu aktuellen politischen und philosophischen Themen und er schreibt weitere Romane und Versepen: Der satirische Roman »Die Abderiten« (bis heute eine hoch vergnügliche Lektüre!), die Verserzählung »Oberon«, der an Lukian angelehnte Dialogroman »Peregrinus Proteus«, »Agathodämon«, und nicht zuletzt der sehr wichtige Roman »Aristipp und einige seiner Zeitgenossen«, der so etwas wie das philosophische Vermächtnis Wielands enthält.

Unterdessen hat Wieland 1803 ein Landgut in der Nähe Weimars, in Oßmannstedt, erworben und hofft, damit die Einkommenslage seiner Familie verbessern zu können, was sich aber auf lange Sicht als Illusion erweist. In Oßmannstedt besuchen ihn Heinrich von Kleist, der zu der Zeit mit seiner Tragödie »Robert Guiskard« ringt, und die unglückliche Sophie Brentano, die Enkelin seiner Jugendliebe Sophie von La Roche und Schwester Clemens Brentanos, die im September 1803 in Oßmanstedt stirbt und auch dort auf dem Gute Wielands beigesetzt wird. Die Grabstätte liegt in einem Ilmbogen und nimmt später auch Wielands Ehefrau und schließlich ihn selbst auf. Die Grabstätte blieb bis heute unversehrt und ist eines der schönsten Dichtergräber der Deutschen Klassiker.

1803 verkauft Wieland das Gut in Oßmannstedt und zieht für die letzten zehn Lebensjahre nach Weimar zurück. 1808 kommt er noch in den »Genuss«, in Erfurt dem französischen Kaiser Napoleon beim Frühstücken zuschauen zu dürfen, ansonsten verbringt er seine späten Lebensjahre mit der Übersetzung der Briefe Ciceros. Am 20. Januar 1813 stirbt Wieland in Weimar und wird in Oßmanstedt beigesetzt.

Wieland wiederentdecken!

Schon zu seinen Lebzeiten galten Wielands Romane als ein wenig unmodern und überholt. Heute haben wir Leser die Chance, unbeeinflusst von solchen Vorurteilen einen witzigen und intelligenten Autor für uns wiederzuentdecken, von dem es viel, viel zu Lesen gibt. In den 80er Jahren gab es eine kleine Wieland-Renaissance, als Franz Greno in seinem Verlag die »Sämmtlichen Werke« Wielands in der Fassung letzter Hand in einer preiswerten Reprint-Ausgabe wieder auf den Markt brachte. Die Ausgabe dürfte heute noch zahlreich in den Antiquariaten zu finden sein. Viel Lesestoff für Neugierige und Literaturbeflissene.