Zweimal Buschkowsky

Es wird wohl so sein, dass es klügere Menschen als mich gibt.

Buschkowsky-Neukoelln„Wer ein Buch schreiben will,“ heißt es bei Arno Schmidt, „muß viel zu sagen haben : meistens mehr, als er hat.“ Das gilt umso mehr, wenn einer zwei Bücher schreiben will. Heinz Buschkowsky hat im Nachgang der Aufgeregtheiten um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ (2010) mit großem Erfolg ein Buch verfasst, in dem er als Bürgermeister des Berliner Stadtteils Neukölln seine Erfahrungen mit Migranten und der Integration thematisierte: „Neukölln ist überall“ (2012). Angetrieben vom Erfolg dieses Buches und sicherlich auch vom Verlag, der weitere fette Beute witterte, hat er zwei Jahre später einen weiteren Band unter dem Titel Buschkowsky-Gesellschaft„Die andere Gesellschaft“ folgen lassen. Es ist mehr als angemessen diese beiden Bücher in einer Rezension zu besprechen, denn im Wesentlichen sagt das zweite Buch nichts anderes als das erste, es sagt es bloß ein wenig anders und mit anderen Beispielen illustriert. Da sich bereits das Original in Wiederholungen erging, ist man gut beraten, sich das Geld für das zweite Buch (wenn nicht überhaupt für beide) zu sparen, so wie man sich ja auch nicht die zweite Nummer derselben Tageszeitung vom selben Tag kauft. Normalerweise lese ich solche auf ein eher breites Publikum zugeschnittenen, politischen Sachbücher nicht, aber in diesem Fall gab es einen sehr äußerlichen Anlass, mich mit den Büchern zu befassen.

Buschkowsky hat die angenehme Eigenschaft, dass er nicht gegen Einwanderung ist, sie im Gegenteil angesichts der mangelnden Reproduktionsbereitschaft der Deutschen für eine Notwendigkeit hält, um auch zukünftig in Deutschland den Lebensstandard und die Sozialsysteme wenigstens einigermaßen aufrecht zu erhalten. Die Probleme, die Buschkowsky in seinen Büchern schildert, sind also Probleme, die – so sie denn tatsächlich in bedeutendem Umfang bestehen sollten – notwendig durch einen Prozess der Integration gelöst werden müssen, da sie nicht durch eine Isolation Deutschlands gegenüber den Problemgruppen und ihren Herkunftsländern gelöst werden können. Integration oder vielleicht auch nur ein schlichtes Auskommen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen – Buschkowsky möchte gern von Parallelgesellschaften sprechen, weil das die Sache dramatischer klingen lässt – miteinander ist also eine wichtige Voraussetzung für das zukünftige Funktionieren Deutschlands.

Buschkowsky ist auch alles andere als ein Panikmacher: Er kennt und benennt Beispiele gelungener Integration, bestreitet auch nicht, dass diese gar nicht so selten sind wie Xenophobe das gern hätten, sondern meint eben nur, so solle es immer gehen. Als Bürgermeister von Neukölln aber hatte er in der Hauptsache mit den eher schwierigen oder auch nicht gelingenden Fällen von Integration zu tun. Dabei liegt das Hauptgewicht seiner Darstellung auf Konflikten mit muslimischen Zuwanderern, einerseits türkischer, andererseits arabischer Herkunft. An dieser Stelle beginnen für den intelligenteren Leser nun die Schwierigkeiten: Buschkowskys Denken neigt sehr zur Vereinfachung komplexer Sachverhalte, zu pauschalisierenden Schwarzweiß-Malereien und geradlinigen Schuldzuweisungen. Verantwortlich für den Großteil der Schwierigkeiten, die die deutsche, bürgerliche Gesellschaft mit den muslimischen Migranten hat, ist eine Gruppe, die bei Buschkowsky Unterschicht heißt. Diese muslimische Unterschicht (ob es auch eine christliche Unterschicht gibt, erfahren wir nicht explizit, es wird aber auch nicht ausgeschlossen) zeichnet sich im Wesentlichen durch folgende Eigenschaften aus: Hartz-IV-Bezug (deshalb auch immer kinderreich), trotzdem in umfangreichem Besitz teurer Konsumgüter (Autos, Unterhaltungselektronik), bildungsfern, unzureichend Deutsch sprechend, desinteressiert an der Schulkarriere der eigenen Kinder, patriarchalisch organisiert, Frauen und Kinder schlagend, friedliche, besonders ältere Bürger verschreckend, die Polizei missachtend und einer archaischen Religion (Islam) und barbarischen Traditionen (Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Kriminalität und Bezug von Sozialleistungen) anhängend, um nur die schlimmsten zu nennen. Buschkowsky gibt sofort zu, dass nicht alle Muslime so sind, auch dass es „biodeutsche“ (das ist inklusive der Anführungszeichen der von ihm verwendete Terminus) Mitglieder der Unterschicht gibt, auf die einiges aus dem oben angeführten Katalog zutrifft, aber im Großen und Ganzen stimmt es eben doch.

Zum Glück gibt es ein Rezept gegen diese Unterschicht: verpflichtenden Ganztagesunterricht ab dem Kindergartenalter! Zwar sind die Schulen bereits jetzt mit den Kindern der Unterschicht überfordert, aber wenn man nur den Einfluss der religiösen, mittelalterlichen und gewalttätigen Unterschicht-Väter, die zwar ihre Kinder gern schlagen, sich aber sonst nicht weiter um sie kümmern, reduzieren kann, wird bald alles gut werden. Für die, bei denen das dennoch nicht klappt, verschärft man das Jugendstrafrecht, um Schulschwänzern und Serientätern konsequent zu zeigen, was sie sich in einer freiheitlichen Gesellschaft einhandeln, wenn sie nicht so wollen, wie es ihnen die Erfinder und Bewahrer der herrlichen Freiheit vorschreiben.

An zwei Stellen steht Buschkowsky gefährlich nah vor einer wirklichen Einsicht, kann aber den letzten Schritt glücklich vermeiden: Zum einen stellt er verwundert fest, dass in Glasgow Muslime und Nicht-muslime ganz entspannt nebeneinander leben; auch erwähnt er den Umstand, dass es dort eine sehr lange Tradition des Zusammenlebens gibt, zieht aber keine weiteren Schlüsse daraus. Noch einmal begegnet ihm das Phänomen in gewandelter Form, als er über die Italiener in Deutschland nachdenkt:

Ein Phänomen sind die Italiener. Sie gelten in der soziologischen Forschung und Integrationsbetrachtung als eine recht schlecht integrierte Volksgruppe. Auch italienischen Eltern sagt man nach, dass sie über die gleichen erzieherischen Unarten verfügen wie problembeladene türkisch- oder arabischstämmige Eltern. Sie kümmern sich nur nachlässig um ihre Kinder, insbesondere wenn es um die Schule geht. Sie gelten als bildungsfern und haben auch Probleme mit der Berufsqualifikation. Trotzdem ist die italienische Bevölkerung [er meint den italienischstämmigen Teil der deutschen Bevölkerung], pauschal betrachtet, durchaus beliebt. Man sieht ihnen fast alles nach, denn »Italiener sind halt so«.

Dies ist die Stelle, wo man den Kopf einschalten müsste, und sich zum Beispiel zu fragen, ob das immer schon so war. (Als Kind aus einer italienisch-deutschen Partnerschaft kann ich versichern, dass das nicht immer so war.) Und man könnte versuchen herauszufinden, wie sich das Bild der Italiener in Deutschland seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gewandelt hat und wie und wann ihre Stellung als gesellschaftliche Parias auf die Türken übergegangen ist. Stattdessen liefert Buschkowsky folgende Erklärung:

Irgendwie [sic!] muss die Schönheit des Heimatlandes und die Urlaubstradition ein Höchstmaß an Empathie bewirken. So betrachtet, macht das für die Türkischstämmigen Hoffnung.

Wenn nur die Türkei ein bisserl schöner wäre …

Ich will es dabei belassen – es ist ohnehin schon zu lang geworden – und nicht noch die Begrifflichkeit Buschkowskys im einzelnen betrachten und fragen, was denn zum Beispiel „bildungsfern“ genau bedeuten soll. Ist einer schon bildungsfern, der einen Satz wie diesen schreibt:

Die Chinesen sagen nicht umsonst: »Du kannst nicht Diener zweier Herren sein.«

Aus meiner Sicht ist das ziemlich bildungsfern, aber wer bin ich, so etwas zu beurteilen.

Zwei sehr redundante Bücher voller oberflächlicher Urteile, Schwarzweiß-Zeichnungen, harscher Rhetorik, schiefer Analysen und mangelnder Selbstreflexion. Heinz Buschkowsky ist mit seinen Büchern nicht auf dem Weg zu einer Lösung, er ist selbst ein Teil der Integrationsproblematik dieses Landes.

Heinz Buschkowsky: Neukölln ist überall. Berlin: Ullstein, 92012. Pappband, 399 Seiten. 19,99 €.

Ders.: Die andere Gesellschaft. Berlin: Ullstein, 2014. Pappband, 302 Seiten. 19,99 €.

Benjamin Stein: Replay

Alles weitere geschieht im Hauptquartier …

978-3-406-63005-7Benjamin Stein beweist sich, wie bereits zuvor mit »Die Leinwand«, einmal mehr als Autor außergewöhnlicher Erzählperspektiven. Und wie dort, so ist es auch hier wieder schwierig, das Buch ohne Spoiler zu rezensieren. Die Handlung spielt in einer nicht so weit entfernten Zukunft, in der zumindest in den USA das Goldene Informationszeitalter Wirklichkeit geworden ist. Im Zentrum der Entwicklung dorthin stand der Ich-Erzähler Ed Rosen, der mit einer körperlichen Behinderung geboren wurde: Er ist auf einem Auge blind, wodurch ihm eine Dimension des Sehens fehlt. Während seiner religiösen Ausbildung von kabbalistischer Zahlenmystik fasziniert, studiert er Informatik und spezialisiert sich auf das Proben der digitalen Repräsentation der Wirklichkeit. Nach dem Studium beginnt er bei der kleinen, aber feinen Silicon-Valley-Firma Juan Matanas, eines Exil-Chilenen, der sich für das Problem der Schnittstelle zwischen biologischen und elektronischen Systemen interessiert. Ed Rosen wird für ihn nicht nur zu einem wertvollen Mitarbeiter, sondern aufgrund seiner Behinderung auch zur ersten Versuchsperson bei dem Experiment, die Daten einer elektronischen Prothese direkt ins menschliche Gehirn einzuspeisen.

Wie man sich leicht denken kann, löst das Gelingen dieses Projekts eine technische und kulturelle Revolution aus: Die Lösung des prinzipiellen Problems der digitalen/biologischen Schnittstelle eröffnet nur zu sehr geahnte Möglichkeiten der heraufziehenden Informationsgesellschaft. Alles weitere muss man selbst nachlesen.

Der Text ist ein kleines Meisterwerk: Nicht nur ist er motivisch beeindruckend dicht gearbeitet, er ist mit seinem naiven Erzähler und seinem harmlos optimistischen Auftakt auch von einer ebenso luziden wie boshaften Ironie, wie sie sich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nur sehr selten finden lässt. In diesem Sinne sei allen Lesern unbedingt angeraten, sich von der scheinbar ziellos dahintreibenden Geschichte der ersten Hälfte des Buches nicht täuschen zu lassen; sie ist die notwendige Folie für das letztendlich sich ergebende Gesamtbild. Überhaupt kann man die erste Hälfte des Buches erst richtig würdigen, wenn man sie mit dem Wissen um das Ganze zum zweiten Mal liest.

Benjamin Stein ist es mit »Replay« nicht nur gelungen, einen würdigen Nachfolger für »Die Leinwand« zu schreiben, sondern auch ein zeitgemäßes und notwendiges Gegenstück zu Orwells »1984«.

Benjamin Stein: Replay. München: Beck, 2012. Pappband, 173 Seiten. 17,95 €.

 

P.S.: Inzwischen gibt es auch einen Filmtrailer zum Buch:

 

Ilija Trojanow / Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit

978-3-446-23418-5Breit angelegter Essay über den Rückgang bürgerlicher Freiheit seit dem 11. September 2001. Der Darstellung ist in allen wesentlichen Punkten nur zuzustimmen. Wie so oft haben es die konservativen Kräfte in den westlichen Gesellschaften verstanden, eine äußere – um nicht zu schreiben »äußerliche« – Bedrohung dazu zu benutzen, den Zugriff der abstrakten und konkreten Gewalt des Staates auf seine Subjekte auszubauen. Einerseits muss man den Autoren für den gut lesbaren Überblick über die Veränderungen des letzten knappen Jahrzehnts dankbar sein, andererseits zeigen die Veröffentlichung und der Erfolg des Buches, dass es noch viel schlimmer ist, als sie annehmen. Die Durchdringung unserer Gesellschaft durch die Kontrollorgane ist soweit gediehen, dass auch eine offene Kritik an diesem Zustand ihn nicht mehr gefährden kann. Einmal mehr ist eine Gesellschaftsordnung an einem Punkt angelangt, an dem sich politische Freiheit und Unfreiheit auch mit bewaffnetem Auge kaum mehr voneinander unterscheiden lassen.

Ilija Trojanow / Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau der bürgerlichen Rechte. München: Hanser, 22009. Broschiert, 173 Seiten. 14,90 €.