Deutsche Geschichte

dt-geschDie Digitale Bibliothek hat ihr ohnehin schon breites Angebot an elektronischen Werken zur Geschichte um die 10 grundlegenden Bände der »Deutschen Geschichte« aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ergänzt. Diese Bände gehören seit Jahrzehnten zur studentischen Grundaustattung der meisten Historiker und decken die deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Jahr 1945 ab. Die CD-ROM enthält die vollständigen Texte aller Bände mit zusammen etwa 2.500 Buchseiten in den aktuellen, derzeit lieferbaren Auflagen zu einem unschlagbaren Preis.

Highlight der Buchreihe war und ist mit Sicherheit Band 9, Hans-Ulrich Wehlers »Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918«, der für das historische Verständnis dieser Zeit Maßstäbe gesetzt hat:

Über zwei Jahrzehnte lang hieß es an historischen Seminaren deutscher Universitäten ehrführchtig nur ›das blaue Buch‹. Niemand, der sich auf akademische Weise mit neuerer deutscher Vergangenheit beschäftigen wollte, kam daran vorbei. […] Mit dem ›blauen Buch‹ vollzog Wehler den vielleicht folgenreichsten Paradigmenwechsel in der (alt-)bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft […].

Sven Felix Kellerhoff, Die Welt

Zu dem Preisvorteil von knapp 80,– € kommen die üblichen Vorteile von Ausgaben der Digitalen Bibliothek hinzu: Eine ausgereifte, professionelle Software, die Volltextsuche, Paste & Copy auch längerer Passagen (mit exakter Seitenreferenz zur gedruckten Ausgabe), Lesezeichen, farbliche Textmarkierungen, das Ablegen von Notizen und Ausdrucke in individueller Formatierung erlaubt; dies ermöglicht ein intensives und zeitsparendes Arbeiten mit den Texten. Zusätzlich verfügt die elektronische Ausgabe über ein Gesamtregister der in allen Bänden verwendeten Abkürzungen. Diese CD-ROM ist auch geeignet, um eventuell bereits vorhandene Einzelbände der Reihe zu ergänzen.

Deutsche Geschichte. Hg. v. Joachim Leuschner. Digitale Bibliothek Band 151. Berlin: Directmedia Publishing in Kooperation mit Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.

Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

Nicht allein der Untergang des Abendlandes …

spengler1Der Status von Spenglers Hauptwerk als Klassiker ist allein dadurch belegt, dass sein Titel als eine feste Größe in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist und sich der Name des Autors fest mit dieser Phrase verbunden hat, ohne dass der Großteil der heutigen Benutzer mehr als eine vage Vorstellung davon haben, welche Gedanken und Begründungszusammenhänge am Ursprung der Phrase mit diesen Worten verbunden wurden. Spenglers Hauptwerk ist dazu auch zu umfang- und voraussetzungsreich; zudem ist seine Sprache dicht und durchweg anspruchsvoll und verstellt eine Kenntnisnahme en passant. Trotz diesen einigermaßen hohen Hürden muss man den ersten Band des »Untergangs« wahrscheinlich als eines der einflussreichsten philosophischen Werke der Weimarer Zeit ansehen: Am Ausgang des Ersten Weltkrieges erschienen, erlebte er in kürzester Zeit zahlreiche Auflagen; 1922 erschien der zweite Band und ein Jahr später die Neubearbeitung des ersten, ohne den anfänglichen Erfolg wiederholen zu können, der im Jahr 1918 sicherlich wesentlich dem Zusammentreffen von Katastrophenstimmung und Titel zu danken gewesen war.

»Der Untergang des Abendlandes« war vielfältiger und nicht immer sachlicher Kritik ausgesetzt. Allerdings stammt die einsichtsvollste Rezeption des Buches wahrscheinlich von Theodor W. Adorno, dessen immer noch sehr lesenswerter Aufsatz »Spengler nach dem Untergang« (auf der Grundlage ein Vortrags von 1938 in Englisch bereits 1941 erschienen; auf deutsch 1950 im »Monat«) eine intensive und Spengler durchaus sehr ernstnehmende Auseinandersetzung dokumentiert.

Wenn die Geschichte der Philosophie nicht so sehr in der Lösung ihrer Probleme besteht als darin, daß die Bewegung des Geistes jene Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie sich kristallisiert, dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der Geschwindigkeit der Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die Weltgeschichte überzugehen im Begriff ist. Nach einem populären Anfangserfolg hat sich die öffentliche Meinung in Deutschland sehr rasch gegen den ›Untergang des Abendlandes‹ gekehrt. Die offiziellen Philosophen warfen ihm Flachheit vor, die offiziellen Einzelwissenschaften Inkompetenz und Scharlatanerie, und im Betrieb der deutschen Inflations- und Stabilisierungsperiode wollte niemand etwas mit der Untergangsthese zu schaffen haben. Spengler hatte sich mittlerweile durch eine Reihe kleinerer Schriften anmaßenden Tones und wohlfeiler Antithetik so exponiert, daß die Ablehnung dem gesunden Lebenswillen leicht genug wurde. [GS 10., S. 47.]

Die digitale Ausgabe von Spenglers Hauptwerk innerhalb der Digitalen Bibliothek versammelt zusätzlich auch die von Adorno angeführten ›kleineren Schriften‹, so dass eine konzise Ausgabe Ausgewählter Schriften entstanden ist, die – und das ist ein besonderer Vorzug dieser Ausgabe – durch die Fragmente von Spenglers »Frühzeit der Weltgeschichte« abgerundet wurde.

Dass es bis heute ein populäres Interesse an Spenglers »Untergang« gibt, belegen die zahlreichen Buchausgaben. Allerdings lohnt eine gründliche Spengler-Lektüre nicht nur aus modisch-pessimistischer Perspektive, sondern auch aus kulturhistorischer: Bei Spengler überschneiden sich zwei bedeutende Einflusslinien des 19. Jahrhunderts – sowohl Goethe als auch Nietzsche haben Spenglers Denken geprägt, wie Spengler selbst gleich zu Anfang seines »Untergangs« betont.

Während Spengler von Goethe wesentlich die morphologische Grundidee seines Geschichtsbildes bezieht, also die Vorstellung davon, auch Kulturen besäßen als quasi organische Entitäten natürliche Phasen wie Jugend, Reife und Alter, liefert ihm Nietzsche die Vorstellung eines auf Macht und Erweiterung der Herrschaft gerichteten Willens, der als natürliche Triebfeder des geschichtlichen Prozesses begriffen wird. Diese Kombination, die dem Goetheschen Menschen- und Weltbild letztendlich wesentlich fremd werden muss, muss als eine der eingängigsten konservativ-pessimistischen Geschichtsphilosophien des 20. Jahrhunderts angesehen werden. Sie hat in ihrer grundlegenden Simplizität durchaus die Kraft zur Mythenbildung.

Dies soll nicht bedeuten, dass sich Spenglers komplexes und kenntnisreiches Werk, das sich mit einer Fülle von kulturellen Formen und Erscheinungen auseinandersetzt, auf eine solch einfache Formel reduzieren ließe oder dass eine solche Reduktion wünschenwert wäre. Im Gegenteil spiegeln Spenglers Werke in mehrfacher Brechung den widersprüchlichen Reichtum an lebensweltlichen und philosophischen Konzepten der Weimarer Kultur und erhellen manche Züge im Denken etwa Stefan Georges, Gottfried Benns oder Ernst Jüngers.

Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Ausgewählte Schriften. Digitale Bibliothek Band 152. Berlin: Directmedia Publishing, 2007. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.

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Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF

peters_kleinenEin beinahe schon zu gründliches Buch: Einige der Argumentationslinien wiederholt der Autor so oft, dass man den Eindruck bekommt, er müsse sich selbst überzeugen. Abgesehen von diesen Redundanzen ein durchweg lesbares und lesenswertes Buch, das von der langen Beschäftigung des Autors mit der RAF und ihrem Umfeld profitiert. Es enthält unter anderem auch eine kurzen Überblick über die Geschichte der RAF, der als Einführung in das Thema ausgezeichnet ist. Und obwohl Peters an keiner Stelle darüber Zweifel lässt, dass er keinerlei Sympathien für die Terroristen hegt, ist der Text von einer untadeligen Objektivität.

Peters räumt mit der Mythenbildung im Umfeld der RAF und ihrer Geschichte auf. Im Zentrum stehen die Ereignisse in Bad Kleinen am 27. Juni 1993 und die sich anschließende Diskussion des Einsatzes in den Medien. Peters rekonstruiert nicht nur ein vollständiges Bild der Ereignisse selbst und der nachfolgenden polizeilichen, kriminaltechnischen und forensischen Untersuchungen inklusive aller Pannen und Versehen, die dabei geschehen sind, sondern er demontiert auch minutiös die beiden sogenannten Zeugenaussagen, auf die die These gestützt wird, die Vorgänge von Bad Kleinen seien bis heute »ungeklärt«. In der Tat bleiben nach der Lektüre des Buches kaum mehr Fragen offen, und es ist in keiner Weise verwunderlich, dass keines der vier Gerichte, die sich mit dem Fall Bad Kleinen befasst haben, zu dem Ergebnis gekommen ist, es gäbe ausreichende Hinweise darauf, dass Oliver Grams von einem GSG-9-Beamten aus nächster Nähe getötet worden ist. Der tödliche Schuss ist vielmehr – und dies war immer unstrittig – aus Grams Waffe abgefeuert worden, und für den von der klagenden Seite immer wieder behaupteten »Entwindungsgriff« gibt es weder ausreichende Indizien noch auch nur eine einzige Zeugenaussage. Daher bleibt als einzig mögliches Fazit: Oliver Grams hat sich in Bad Kleinen selbst getötet, um sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen.

Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF. Das Desaster von Bad Kleinen. Berlin: Ullstein, 2006. 311 Seiten. 18,– €.

Überflüssige Zweitverwertung

herzogImmer, wenn jemand sich mit Hitler und dem Dritten Reich auf humoristische Weise auseinandersetzt, diskutiert das Feuilleton einmal mehr die Frage, ob man über Adolf Hitler lachen dürfe. Einen interessanten Aspekt dieser Frage eröffnen die sogenannten Flüsterwitze des Dritten Reichs, die gern als Teil des alltäglichen Widerstandes gegen das Regime gewertet werden. Von daher wäre eine systematische Sammlung, klug kommentiert und unterfüttert mit Erfahrungsberichten von Zeitgenossen ein verdienstvolles Unternehmen. Um es kurz zu machen: Dies ist Rudolph Herzogs Buch nicht.

Das Buch ist offensichtlich als Parallelprojekt zu einem entsprechenden Film entstanden, in dem der Autor – er ist im Hauptberuf Regisseur und Drehbuchautor – sein Recherche-Material zum Film nochmals verwertet. Präsentiert wird nur eine kleine Auswahl von Witzen, ohne dass der Leser den Eindruck gewinnt, einen vollständigen oder wenigstens systematischen Überblick über das Phänomen zu bekommen. Alle Witze sind in kommentierenden Text eingebettet, der oft oberflächlich und zufällig bleibt. Das allgemeine Niveau mag für die eher flüchtige Präsentationsform eines Films genügen; für das Medium des Buchs fallen die Darstellung und die erreichten Einsichten zu oft zu kurz. Der vom Autor selbst formulierte Anspruch, durch »die Analyse politischer Witze« käme »man ungewöhnlich nah heran an das, was die Menschen des untergegangenen ›Tausendjährigen Reichs‹ wirklich dachten«, wird nur an den wenigsten Stellen eingelöst.

Insgesamt hat das Buch nur den einen Vorteil, die Lücke, die sein Titel vorgibt zu schließen, deutlich zu markieren. Wollen wir hoffen, dass sie in absehbarer Zeit durch eine solide, umfangreiche historische Untersuchung wenigstens annähernd geschlossen wird.

Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler – Komik und Humor im Dritten Reich. Eichborn, 2006. Pappband, 267 Seiten. 19,90 €.

Rosendorfers »Deutsche Geschichte« (Bände 1–5)

dtgeschvDas Erscheinen des fünften Bandes von Herbert Rosendorfers »Deutsche Geschichte. Ein Versuch« habe ich zum Anlass genommen, auch die vorhergehenden Bände noch einmal zu lesen und mir so einen Überblick über den Stand des Projektes zu verschaffen. Mit bislang über 1.300 Seiten dürfte Rosendorfers »Deutsche Geschichte« der anspruchsvollste Versuch eines historischen Laien sein, eine Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte für historische Laien zu schreiben.

Der erste Band erschien 1998 und umfasst die Zeit von den historisch nur ungenau zu fassenden Anfängen der deutschen Geschichte bis zum Wormser Konkordat (1122), der derzeit letzte Band treibt die Erzählung bis ins Jahr 1740, in dem Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der »Soldatenkönig«, und Kaiser Karl VI. sterben. Dabei ist der Ausdruck ›Erzählung‹ nicht zufällig gewählt. Rosendorfer betont in seinen Nachworten, dass er ausdrücklich nicht den Anspruch habe, ein Geschichtsbuch im traditionellen Verständnis zu schreiben, sondern eine Erzählung der deutsche Geschichte. Das hat für die Leser in aller erster Linie den Vorteil, dass sie von Fußnoten und Quellenzitaten weitgehend verschont bleiben. Die Bücher erfüllen tatsächlich in weiten Teilen den Ansatz, dass sich einer die Mühe macht, uns den Gang der Geschichte zu erzählen, Personen wie Figuren einzuführen, die Ereignisse als Stoff zu betrachten, der von sich aus Interesse verdient und nicht erst durch das Einbinden in ein Geschichtsverständnis interessant wird.

Dabei konzentriert sich Rosendorfer durchaus nicht nur auf die Geschichte im engeren Sinne, sondern zu nahezu jeder Epoche gibt er auch einen Überblick über die kulturelle Entwicklung, den Stand von Kunst und Wissenschaften, und er thematisiert vom ersten Band an auch die Lage jener, die in der ›großen Geschichte‹ gewöhnlich nicht vorkommen, der sogenannten kleinen Leute. Dabei ist ihm durchaus klar, dass seine Sympathie für den ›kleinen Mann‹ anachronistsch ist und den Personen seiner Haupterzählung wesentlich fremd. Überhaupt zeigt Rosendorfer nicht häufig Sympathie für eine der historischen Personen seiner Erzählung; die allermeisten kommen schlecht weg im Urteil des Autors. Rosendorfer neigt zu einem Geschichtspessimissmus, nicht ideologischer Natur, sondern aus einem insgesamt zum Pessimistischen tendierenden Menschenbild heraus. Unbedingt erwähnt werden müssen auch seine massiven und immer präsenten Vorbehalte gegen die katholische Kirche – weniger gegen das Christentum –, später auch gegen bestimmte Zweige der protestantischen Richtung und eine ungewöhnlich scharfe allgemeine Ablehung des Islam, die besonders im letzten Band hinzugekommen ist. Dies wird die Lektüre für bestimmte Personen über Strecken wahrscheinlich etwas mühsam machen. Wenn man, wie ich, das alles in einem Zug liest, verspürt man irgendwann die Neigung, dem Autor ein »Ja, ja, schon gut« an den Rand zu schreiben.

Entscheidend für Rosendorfers Zugriff auf die deutsche Geschichte dürfte aber sein, dass er sich keiner Geschichtstheorie verschreibt, weder was das Große und Ganze angeht noch bei der Darstellung der Details und der einzelnen historischen Person. Rosendorfer glaubt offenbar nicht, dass sich das geschichtliche Geschehen einem systematischen Zugriff öffnet oder das sich Ereignisse oder Entscheidungen besser verstehen lassen, wenn sie streng unter ein psychologisches, ökonomisches, soziologisches oder sonstiges Theoriegerüst gezwungen werden. Das bedeutet nicht, dass Rosendorfer nicht alle diese Aspekte heranziehen würde, wenn es ihm sinnvoll erscheint, aber die Zugriffe bleiben eklektizistisch und immer eng orientiert am jeweiligen Ereignis. Eine solche Grundhaltung gibt dem Autor auf der einen Seite eine große Freiheit der Gewichtung der diversen Aspekte, auf der anderen Seite bringt es die Gefahr mit sich, dass seine Erzählung ins Beliebige und Anekdotische abgleitet. Dies mag auch hier und da tatsächlich geschehen, bleibt aber mit Blick auf das Ganze unerheblich.

Resümierend muss man den Büchern sicherlich die Einmaligkeit des Projektes zugute halten. Jeder Leser, der nicht ganz unbeleckt in Geschichte und Kultur der Deutschen ist, wird in jedem Band schnell auf Punkte stoßen, an denen er nicht einverstanden ist mit Darstellung und Urteil des Autors, aber dem steht auf der anderen Seite die alles in allem gelungene Darstellung der deutschen Geschichte als interessanter und spannender Prozess gegenüber, dessen einzige wirkliche Konstante seine stetige und unberechenbare Veränderung ist. Rosendorfers »Deutsche Geschichte« macht Lust auf mehr Geschichte, auf die Lektüre der einen oder anderen Biografie oder auf eine tiefergehende Beschäftigung mit der einen Epoche oder dem anderen Aspekt. Als historisches Lesebuch scheint es mir konkurrenzlos gelungen zu sein. Es an der Anzahl seiner vermeintlichen Fehler oder Schwächen zu messen, erscheint kleinlich angesichts dessen, was hier gelungen ist.

Herbert Rosendorfer: Deutsche Geschichte. Ein Versuch.

  • I – Von den Anfängen bis zum Wormser Konkordat. Nymphenburger, 1998. Pappband, 253 Seiten. 18,90 €. Auch dtv 12817. 9,– €.
  • II – Von der Stauferzeit bis zu König Wenzel dem Faulen. Nymphenburger, 2001. Pappband, 319 Seiten. 19,90 €. Auch dtv 13152. 9,50 €.
  • III – Vom Morgendämmern der Neuzeit bis zu den Bauernkriegen. Nymphenburger, 2002. Pappband, 351 Seiten. 19,90 €. Auch dtv 13282. 9,50 €.
  • IV – Der Dreißigjährige Krieg. Nymphenburger, 2004. Pappband, 191 Seiten. 19,90 €. Auch dtv 13484. 9,50 €.
  • V – Das Jahrhundert des Prinzen Eugen. Nymphenburger, 2006. Pappband, 312 Seiten. 22,90 €.

P.S.: Besprechung des abschließenden sechsten Bandes.

Die Rückseite des Hakenkreuzes

rueckseiteIch war schon seit längerer Zeit immer wieder an dem Buch vorüber gekommen, hatte mich aber leider bislang nie entschließen können, es zu lesen. Die Sammlung ist zum ersten Mal 1993 bei dtv erschienen und hat dort bis 2001 vier Auflagen erlebt. Zurzeit ist es in einer Sonderausgabe beim Matrix Verlag greifbar. Das Buch enthält – spärlich kommentiert – Originaltexte aus den Akten des Dritten Reiches. Dabei kreisen die allermeisten Fundstücke um Hitler und seine Führungsriege und präsentieren auf absonderliche, beinahe absurde Weise die bürgerliche Normalität, die das Grauenhafte dieses Regimes begleitet hat.

Wichtig für die Wirkung des Buches ist es, es nicht als Nachschlagewerk zu benutzen, sondern es von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen. Nur durch die Ballung der Doppelmoral, Eitelkeiten, Intrigen, Verleumdungen, Vertuschungsversuche, Diebstähle, des hohlen Pathos, der Phrasen und offensichtlichen Lügen entsteht der Eindruck davon, welch einer durch und durch schuftigen Verbrecherbande die Deutschen 1933 ihr Land zur Regierung überantwortet hatten und mit welcher Lammfrommheit bis weit in die Katastrophe hinein immer noch Deutsche sich bereit fanden, dieser Clique die Stange zu halten.

Natürlich reizt es, Beispiele zu zitieren. Aber zum einen wird jeder Leser seine eigenen Favoriten finden und zum anderen hieße das genau jene Wirkung aufheben, die das Buch im Ganzen erreichen kann: Die grauenvolle Normalität und Banalität, mit denen diese Menschen agiert haben, nicht zur Anekdote zu reduzieren, sondern in ihrer Alltäglichkeit begreiflich zu machen. – »Was ist der Mensch, und was kann aus ihm werden?«

Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderlichkeiten aus den Akten des »Dritten Reiches«. Hg. v. Beatrice u. Helmut Heiber. Lizenzausgabe Wiesbaden: Matrix Verlag, 2005. Pappband; 413 Seiten. 9,95 €.

James Risen: State of War

100244076_49372c6bcdEin recht oberflächlich informierendes Buch, dem es hauptsächlich darum geht, sogenannte Sensationen über die Unfähigkeit der Regierung Bush und des CIA zu versammeln. Das Buch ist flüchtig und daher schlecht übersetzt, aber es hat sich im Laufe der Lektüre in mir der Eindruck verfestigt, dass es auch schon flüchtig und schlecht geschrieben wurde. Risen kann – aus verständlichen Gründen – seine Quellen nicht benennen und ist in vielen Details auf Einschätzungen von ungenannten Insidern angewiesen, deren Urteilsfähigkeit und Einsicht in die Sache man nicht einschätzen kann. So bleibt das allermeiste auf der Ebene des Hörensagens. Der durchweg journalistische Stil, der mehr Vorgängen als deren Analyse verpflichtet ist, tut ein Übriges.

Einige wenige Geschichten sind interessant, so etwa der Versuch der CIA sich über familiäre Kontaktpersonen Informationen über das Programm des Irak zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu verschaffen, was durchweg zu dem Ergebnis geführt hat, dass ein solches Programm bereits vor langer Zeit aufgegeben wurde und aufgrund der internationalen Boykott-Maßnahmen gegen den Irak auch nicht wieder würde aufgenommen werden können. Diese Informationslage wurde aber laut Risen der Regierung Bushs nie zur Kenntnis gebracht, da sich die CIA darüber im Klaren war, dass derartige Einschätzungen dort nicht erwünscht waren.

Empfehlenswert für diejenigen, die sich ihre antiamerikanischen Ressentiments bestätigen wollen; zur soliden Information kaum geeignet.

Risen, James: State of War. Deutsch von Norbert Juraschitz, Friedrich Pflüger und Heike Schlatterer.
Hoffmann und Campe, 2006. ISBN 3-455-09522-4
Gebunden – 180 Seiten – 19,95 Eur[D]

Hermann Schreiber: Kanzlersturz

97763068_28ade66b71Für mich die Einstiegslektüre in das Thema. Schreiber zitiert im Verlauf seiner Darstellung die wichtigsten bisherigen Publikationen in Auszügen und nimmt auch eine Bewertung dieser Quellen vor. Schreiber war als Journalist Zeitzeuge eines Teils der Ereignisse und sein Buch zeichnet sich durch eine dezidierte, sachliche und klare Darstellung aus. Schreiber spekuliert an den Leerstellen der vorliegenden Quellen nicht, sondern bietet vernünftige Interpretationen dieser Leerstellen an. Er gibt neben der Darstellung der eigentlichen Krisenzeit eine Kurzbiographie Günter Guillaumes und eine solide Charakterisierung Willy Brandts und seiner persönlichen Lebensumstände. Schreiber präsentiert eine kritische Sicht aller Beteiligten und entwickelt den Rücktritt Brandts als eine Folge von Fehleinschätzungen diverser Entscheidungsträger, die letztlich in einer vermeidbaren Zuspitzung der Sachlage und einer nicht angemessenen Entscheidung Brandts kulminiert. In Schreibers Darstellung erscheint dieser Rücktritt, der für die Geschichte der SPD und der Bundesrepublik sicherlich ein bedeutender Wendepunkt war, alles andere als notwendig. Das Buch scheint mir für einen ersten Überblick ausgezeichnet geeignet zu sein.

Schreiber, Hermann: Kanzlersturz. Warum Willy Brandt zurücktrat
Ullstein Taschenbuch, 2005. ISBN 3-548-36726-7
Paperback – 272 Seiten – 8,95 Eur[D]

Hellmut Butterweck: Der Nürnberger Prozess

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Vor der Kritik erst ein allgemeines und notwendiges Lob: Dies ist eine auch für den historischen Laien gut lesbare, weitgehend sachliche Auseinandersetzung mit dem Nürnberger Prozess, deren Stärke darin besteht, in weiten Passagen die Protokolle zu zitieren und so alle Prozessbeteiligten selbst zu Wort kommen zu lassen. Butterweck beginnt mit den juristischen Voraussetzungen und historischen Konstellationen, die zum Nürnberger Prozess geführt haben, und er endet mit einer kurzen, auch hier wieder weitgehend an den Selbstaussagen der Betroffenen orientierten Darstellung der Haftzeit der nicht zum Tode verurteilten Nürnberger Angeklagten. Es ist derzeit keine vergleichbare sachliche und aktuelle Darstellung des Nürnberger Prozesses lieferbar, und das Buch ist eine notwendige und gute Ergänzung der populäreren Literatur zum Dritten Reich und seinen Folgen.

Der Leser wird gut informiert über den Ablauf des Prozesses, die Schwierigkeiten, die sich für Gericht, Anklage, Verteidigung und Angeklagte im Verlauf ergaben, streckenweise auch über den Widerhall, den der Prozess in der zeitgenössischen Öffentlichkeit fand, über Prozesssensationen und -pannen usw. usf. Die eine oder der andere mag vielleicht bedauern, dass die Personen der Verteidiger etwas blass bleiben; hier hätte man sich Pars pro Toto wenigstens das eine oder andere detailliertere Portrait gewünscht. Insgesamt macht das Buch das für den Laien gänzlich unüberschaubare Konvolut der Prozessakten in seinen wesentlichen Züge begreiflich und den Prozess in seinen Voraussetzungen und Abläufen klar verständlich.

Formal bleibt das Buch allerdings ein wenig unausgewogen und unfertig. Nachdem Butterweck weite Passagen des Prozesses sorgfältig und genau nachgezeichnet hat, geht er auf S. 336 ohne erkennbaren inhaltlichen Anlass plötzlich zu einer summarischen Darstellung über, die seltsam gehetzt wirkt. Sie orientiert sich an den einzelnen Angeklagten, durchbricht aber dieses Prinzip zum Beispiel im Abschnitt über Wilhelm Keitel, in den Material einfließt, das mit dessen Venehmung durch die Ankläger nichts zu tun hat. Überhaupt wirkt das gesamte Kapitel 12 im Vergleich mit dem übrigen Text eher wie ein Entwurf, als habe etwa eine späte Beschränkung der Seitenzahl von Seiten des Verlags den Autor zu Konzessionen gezwungen.

Als Mangel könnte man ansonsten konstatieren, dass der Autor sprachlich und inhaltlich nicht immer ganz auf der Höhe seines Themas ist. Mokante Kommentare wie zum Beispiel

Es sei erstaunlich, zitiert Gitta Sereny den Speer zitierenden Verleger Wolf Jobst Siedler, „ich musste in die Siebziger kommen, um ein erstes wirklich erotisches Erlebnis mit einer Frau zu haben.“ Dabei dürfte er sich wenige Wochen später übernommen haben. [S. 125]

erscheinen zumindest mir unnötig und sind leider kein Einzelfall. Aber auch Redeweisen wie die vom »widerwärtigen restaurativen politischen Klima der Nachkriegszeit« [S. 218] oder einer »Justizkomödie pur« [S. 400] im Fall des Urteils gegen Schacht lassen Zweifel aufkommen, ob das Verständnis des Autors der Problematik des zeitgenössischen Geschehens immer angemessen ist. Ganz zu schweigen von dem Grundproblem des gesamten Prozesses, dem sich Butterweck zum Glück an keiner Stelle auch nur zu stellen versucht, nämlich dem, ob ein solcher juristischer Prozess den verhandelten Geschehnissen überhaupt gerecht werden konnte oder ob er nicht vielmehr nur einen verzweifelten Versuch der zivilisierten Völker darstellt, angesichts der unglaublichsten Barbarei nicht selbst in Barbarei zu verfallen. Was ein Prozesses gegen die sogenannten Hauptverbrecher überhaupt erreichen hätte sollen und können und was Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang bedeuten soll, erscheint mir heute ebenso ungeklärt wie 1945, als der Prozess eröffnet wurde. Was erreicht wurde, ist offensichtlich; wie das dem unglaublichen Grauen gerecht werden soll, für das Deutsche im vergangenen Jahrhundert verantwortlich waren, bleibt weiterhin völlig unklar. Natürlich kann auch Butterweck dies nicht beantworten, aber vor diesem Horizont bleiben sein Bekenntnis zu den Sternen des Völkerrechts [S. 414] und seine wiederholten antiamerikanischen Anwürfe naiv.

Butterweck, Hellmut: Der Nürnberger Prozess. Eine Entmystifizierung
Czernin, 2005. ISBN 3-7076-0058-0
456 Seiten – 21,5 × 13,5 cm – 27,00 Eur[D]

Hans Peter Duerr: Rungholt

55130855_164688ede0Ein weiteres Buch in Duerrs üblicher Manier: Von 768 Seiten sind etwa 410 Text, 190 Anmerkungen, die zum großen Teil weitere detaillierte und wichtige Informationen enthalten und 140 Bibliographie. Den Rest bilden Impressum, Inhaltsverzeichnis und Register.

Duerr hat also den Kampf gegen Elias’ Theorie vom Prozess der Zivilisation vorerst eingestellt und sich einem archäologischen Thema zugewandt. Auch dafür hat er und wird er noch Schläge der etablierten Wissenschaft beziehen. Rungholt ist daher aus zwei Gründen interessant:

Zum einen präsentiert das Buch – hauptsächlich im ersten Viertel – ein Possenspiel des akademischen Betriebs, enthaltend die beiden Akte Duerr kommt zur Bremer Universität und Duerr und das Archäologische Landesamt Schleswig-Holsteins. Ein bedeutender Teil der Auseinandersetzung hat Ende der 90-er Jahre in der regionalen und überregionalen Presse stattgefunden, und es ist ein Vergnügen der besonderen Art, Duerrs Version der Vorgänge zu lesen. Duerr erweist sich einmal mehr als Eulenspiegel der akademischen Szene, an dessen Einbindung und Zähmung die festgefahrenen und dogmatischen Institutionen Mal um Mal scheitern. Dabei ist Duerr eigentlich das Muster eines Gelehrten: Unglaublich gebildet, misstrauisch gegen überlieferte Vorurteile und stets bemüht um originelle Zugriffe und neue Interpretationen. Er ist der klassische Konservative, der inzwischen so obsolet geworden ist, dass er gleich wieder die Speerspitze der Avantgarde bildet. Und immer geht es ihm um die Sache, mehr noch, um die Wahrheit. Was kann man sich von einem Professor im eigentlichen Sinne mehr wünschen, wenn man nicht gerade sein Dekan oder Rektor ist.

Zum anderen vertritt das Buch in Bezug auf sein Thema zwei neue Thesen:

1. Rungholt lag nicht dort, wo die Forschung es bisher vermutet hat, sondern wahrscheinlich ein ganzes Stück weiter nördlich.

2. Rungholt wurde nicht erst im Mittelalter besiedelt und nach der Sturmflut von 1362 endgültig aufgegeben, sondern Duerr dokumentiert in der Umgebung Rungholts Siedlungsspuren bereits aus dem Neolithikum. Er behauptet explizit nicht eine ununterbrochene Besiedlung der Gegend, sondern weist nur einen bereits sehr viel früheren vor dem bislang angenommenen Zeitpunkt der Erstbesiedlung nach.

Das letzte Viertel des Buches beschäftigt sich mit der Möglichkeit, dass ein minoisches Schiff bereits im 14. oder 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Gegend um Rungholt erreicht haben könnte, und breitet dann viel gelehrtes und sicherlich für sich genommen interessantes Material über die antike Vorstellung vom Nordens Europas aus. Dies alles hängt nur über den Fund einer einzelnen Scherbe einer mutmaßlich minoischen Gebrauchskeramik im Rungholtwatt mit dem Hauptthema des Buches zusammen. Man wird selbst entscheiden müssen, wie weit man als Leser diesen Weg mitgeht.

Für Duerr-Leser und Rungholt-Interessierte ein Muss, für die anderen ein anspruchsvolles Abenteuerbuch.

Duerr, Hans Peter: Rungholt. Die Suche nach einer versunkenen Stadt
Insel, 2005; ISBN 3-458-17274-2
Gebunden
768 Seiten – 28,00 Eur[D]