Émile Zola: Seine Exzellenz Eugène Rougon

zola_rougonNach dem Experiment mit symbolistischen Elementen in »Die Sünde des Abbé Mouret« kehrt der nächste Roman der Rougon-Macquart zum gesellschaftlichen und politischen Hauptthema des Zyklus zurück: Wie der Titel schon anzeigt, steht in »Seine Exzellenz Eugène Rougon« jener Sohn Pierre Rougons und seiner Frau Félicité im Zentrum, der sowohl in »Das Glück der Familie Rougon« als auch in »Die Beute« als einflussreiche Figur im Hintergrund agierte und wohl auch in »Die Eroberung von Plassans« zu den fernen, geheimen Drahtziehern des Geschehens gehörte.

Eugène Rougon ist einer jener politischen Abenteurer, die beim Staatsstreich Napoleon III. mit nach oben gespült wurden. Wir finden ihn am Anfang des Romans, im Jahr 1856, bei seinem vorläufigen Abgang von der politischen Bühne: Er tritt als Präsident des Staatsrates wegen einer eher unerheblich erscheinenden Konfrontation mit der Kaiserin zurück. Rougon ist umgeben von einer Clique politischer Schmarotzer, die von ihm zahlreiche Gefälligkeiten erwarten, die nun durch seinen zeitweiligen Sturz gefährdet erscheinen. Darunter befindet sich auch die italienische Gräfin Balbi, deren Tochter Clorinde offensichtlich auf der Suche nach einem passenden Ehemann ist.

Zwischen Rougon und Clorinde entwickelt sich eine spannungsreiche Beziehung, die allerdings nicht zu einer Affäre gerät, da Rougon dies dadurch verhindert, dass er Clorinde mit einem seiner politischen Vasallen verkuppelt. Dennoch bleibt Clorinde auch weiterhin die einzige Leidenschaft Rougons außer der Macht.

Nach dem Orsini-Attentat am 14. Januar 1858 wird Rougon vom Kaiser zum zweiten Mal in das Amt des Innenministers berufen, in dem er seine Machtbesessenheit weitgehend rücksichtslos auslebt. Sein Programm besteht in der möglichst vollständigen Unterdrückung politischer Freiheiten und der Bekämpfung der Republikaner. Aber auch seine alten Freunde vergisst er nicht, wobei es gerade diese Vetternwirtschaft ist, die letztlich als Vorwand für seinen erneuten politischen Sturz dient. Nach nur fünf Monaten muss Rougon – in der Hauptsache aufgrund einer Intrige Clorindes – erneut die politische Bühne verlassen, aber auch diesmal ist sein Abgang nur vorläufig. Das letzte Kapitel des Romans zeigt uns Rougon 1861, also drei Jahre später, als er als frisch berufener Minister ohne Portefeuille im Corps législatif in einer großen Rede die kaiserliche Politik verteidigt.

Zola porträtiert in Eugène Rougon einen neuen, bürgerlichen Typus von Politiker, wie er ihn für das Zweite Kaiserreich für exemplarisch hielt: Einen Mann mit großen Machtinstinkt, aber geringer Bildung – Rougon bezeichnet sich mehrfach als einfachen Bauern, dessen Ideal eine absolute Herrschaft über Hof und Vieh darstellt –, der von Napoleon III. als fügsames, nützliches Instrument seiner Herrschaft eingesetzt wird. Rougon ist ein Mann ohne Geist oder Bildung und – abgesehen von seiner Leidenschaft für Clorinde, der er selbst versucht, die Spitze zu nehmen – mit nur einem einzigen Begehren, dem nach Macht. Den Mangel an Geist und Bildung ersetzt ein sicherer Instinkt für Menschenführung. Rougon betreibt keine Politik der Ziele, verfolgt kein anderes Programm als das der Herrschaft über andere, kennt kein politisches oder moralisches Ideal als das einer hündischen Loyalität zu seinem Herrscher, die aber auch nur als Mittel erscheint, selbst Herrschaft über andere zu erlangen. Rougon hat keine Freunde und keine familiären Bindungen, die ihn berühren; beinahe macht es den Eindruck, dass sein politischer Widersacher de Marsy die einzige Person ist, mit der ihn eine Emotion, Respekt, verbindet. Er ist ein Primitiver, eine kultureller Barbar, der in der Lust an seiner Funktion vollständig aufgeht.

»Seine Exzellenz Eugène Rougon« war einer der erfolglosesten Romane des Zyklus, vielleicht auch deshalb, weil sein Protagonist notwendig ein eindimensionaler, abstoßender und letztendlich langweiliger Charakter werden musste. Es gehört zu Zolas Qualitäten, sich in diesem Punkt nicht nach dem Geschmack der Mehrheit der Leser gerichtet zu haben.

Übersichtsseite zur Rougon-Macquart

Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. 10,– €.

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