Sade

Sade verdient also besondere Beachtung weder als Schriftsteller noch als sexuell Pervertierter.

Simone de Beauvoir

Sade-Rezeption

Die Person und das Werk des Marquis de Sade sorgen seit über 200 Jahren für intellektuelle Nervosität und moralische Aufregung. Von den einen als eine durchtriebene Zuspitzung der Ideologie der Aufklärung ins Absurde, von den anderen als eine Blütenlese von Obszönitäten gelesen, ist es Sade gelungen, kontinuierlich im Gedächtnis einer Moderne zu verbleiben, deren Wahnsinn er am Horizont seines eigenen Dilettantismus nicht einmal erahnen konnte.

Das vorliegende Buch sammelt theoretische Dokumente der Sade-Rezeption von 1789 bis 2014, wenn man das Nachwort der Herausgeberin mit hinzunimmt. Das Haupt- und Schmuckstück ist Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Aufsatz „Juliette oder Aufklärung und Moral“ von 1944, der allerdings Sade gleich so maßlos überschätzt, dass an ihm – Sade, nicht dem Aufsatz – bereits das gesamte Projekt der Aufklärung nahtlos in das Morden der Nationalsozialisten übergeht. Das ist ideologisch hübsch gemacht, findet auch auf einem argumentativen Niveau statt, an das keiner der anderen Essays auch nur annähernd heranreicht, ist aber, tritt man einen Schritt zurück und wendet sich einem der Romane zu, die die Grundlage für solch einen Gedankengang bilden sollen, von erhabener Albernheit. Wenigstens muss man den beiden Autoren zugute halten, dass sie die einzigen sind, die den für Sades Phantasien zentralen Zusammenhang zwischen Macht und Sexualität ernst nehmen, der in beinahe allen anderen Texten höchstens am Rande eine Rolle spielt.

Herauszuheben ist ansonsten noch Thomas de Quinceys Vortrag „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“, der für sich genommen ein sehr witziger Text, allerdings mit der Sade-Rezeption nur im atmosphärischen Sinne verbunden ist. Von allem anderen war ich eher enttäuscht, wenn ich auch hier und da Schlimmeres erwartet hatte. So war mir beispielsweise das etwas selbstgefällige Geschwätz einer Susan Sontag bei weitem nicht so widerständig wie früher – wahrscheinlich werde auch ich altersmilde. Aber zu oft regieren Sätze wie:

Das Frankreich des 18. Jahrhunderts ist für seine Frivolität bekannt. Die Ausschweifungen der reichen Müßiggänger und Müßiggängerinnen [sic!] kannten keine Grenzen. (Viktor Jerofejew)

So etwas beschleunigt die Lektüre natürlich ungemein. Was der Band aber deutlich werden lässt, ist, dass Sades Dilettantismus den eigentlichen Kern seines Werks bildet: Seine zusammengelesenen Philosopheme, die eklektizistischen, flüchtigen und oft krummen Gedankengänge seiner Philosophie der Folterkammer sind der ideale Nährboden, auf dem jedermann (und auch jede Frau, wenn’s beliebt) seine ganz eigenen Pflänzchen anbauen kann. So ist denn vieles, was über Sade geschrieben wurde, wie Sades Werk selbst: letztlich gänzlich belanglos.

Sade. Stationen einer Rezeption. Hg. v. Ursula Pia Jauch. stw 2115. Berlin: Suhrkamp, 2014. Broschur, 469 Seiten. 20,– €.

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