Theodor Fontane: Der Stechlin

ein Feuerwerk von Anzüglichkeiten und kleinen Witzen

Niemand, der über dieses letzte Buch Fontanes (Mathilde Möhring ist aus dem Nachlass herausgegeben worden) spricht oder schreibt, kommt um das Bonmot herum, mit dem Fontane den Inhalt dieses Buch umriss: „Zum Schluß stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts.“ (Brief-Entwurf an Adolf Hoffmann, Mai/Juni 1897.) So ganz ohne „Konflikte“ ist das Buch zwar nicht, aber es sind weniger persönliche als gesellschaftliche, die tatsächlich nur zu beschreiben, nicht zu lösen sind.

Die Handlung spielt in der Hauptsache am und um den Stechlinsee herum sowie in Berlin. Im Zentrum steht der alternde Dubslav von Stechlin, der als Major a. D. auf Schloss Stechlin residiert. Sein einziger Sohn Woldemar ist als Dragoner in Berlin stationiert und verkehrt viel im Hause des Grafen von Barby, ebenso alt wie Dubslav von Stechlin, weil er die beiden Töchter des Hauses umwirbt – Melusine und Armgard, die schließlich seine Braut werden wird. Die eigentliche Handlung beschränkt sich auf einen Besuch Woldemars zusammen mit zwei Regimentskameraden bei seinem Vater und seiner Tante, der Vorsteherin des nahe gelegenen Kloster Wutz, die Werbungszeit um Armgard, die Hochzeit, die eher summarisch abgehandelt wird, und abschließend die Zeit der Krankheit und des Todes von Dubslav von Stechlin.

Den sozialen Hintergrund bilden die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts mit den religiösen und sozialen Verwerfungen der Zeit: der immer noch starke Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken sowie der zwischen den konservativen Kräften (zu denen Dubslav ebenso zählt wie Graf Barby) und den aufkommenden sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen (mit denen Woldemar zumindest sympathisiert, ohne als deren politischer Anhänger zu erscheinen). Quasi quer zu diesen Kräften wird immer erneut das Verhältnis der Geschlechter zueinander thematisiert, wobei die Sexualität immer wieder mit einer für die Zeit überraschenden Deutlichkeit thematisiert wird:

»Ich verheiratete mich, wie Sie wissen, in Florenz und fuhr an demselben Abende noch bis Venedig. Venedig ist in einem Punkte ganz wie Dresden: nämlich erste Station bei Vermählungen. Auch Ghiberti – ich sage immer noch lieber ›Ghiberti‹ als ›mein Mann‹; ›mein Mann‹ ist überhaupt ein furchtbares Wort – auch Ghiberti also hatte sich für Venedig entschieden. Und so hatten wir denn den großen Apennintunnel zu passieren.«
»Weiß, weiß. Endlos.«
»Ja, endlos. Ach, liebe Baronin, wäre doch da wer mit uns gewesen, ein Sachse, ja selbst ein Rumäne. Wir waren aber allein. Und als ich aus dem Tunnel heraus war, wußt’ ich, welchem Elend ich entgegenlebte.«
»Liebste Melusine, wie beklag’ ich Sie; wirklich, teuerste Freundin, und ganz aufrichtig. Aber so gleich ein Tunnel. Es ist doch auch wie ein Schicksal.«

S. 351

Das Buch lebt ganz und gar von seinen Charakteren – neben Dubslav von Stechlin bilden Melusine von Barby-Ghiberti und der lokale Pastor Lorenzen den Kernbestand, der von zahlreichen Nebenfiguren umstellt ist (auch Woldemar und Armgard müssen unter diese Nebenfiguren eingeordnet werden). Es verzichtet auf jeden Versuch, die zahlreichen anekdotischen Szenen durch irgendeine Form von artistischer Konstruktion einzubinden, sondern gibt sich mit einem lockeren Faden des Nacheinanders vollständig zufrieden (hierin ist der alte Fontane vielen zeitgenössischen Kollegen weit voraus). Es erscheint im formalen Sinne als künstlerisch schlicht und anspruchslos, doch könnte nicht besser sein, als es geworden ist. Ein Zeitbild, wie man es selten findet, aus der Feder eines der besten melancholischen Chronisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Theodor Fontane: Der Stechlin. Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 17. Berlin: Aufbau, 2001. Geprägtes und bedrucktes Leinen, Fadenheftung, Lesebändchen, 716 Seiten. 48,– €.

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