Amélie Nothomb: Der japanische Verlobte

Es ist nicht selbstverständlich, dass ich eine Geschichte schreibe, wo keiner Lust hat, einen anderen zu massakrieren.

Nothomb_VerlobteDiese Erzählung schließt im Wesentlichen die autobiographische Lücke zwischen »Biographie des Hungers« und »Mit Staunen und Zittern«. Erzählt wird der erneute, etwa zwei Jahre dauernde Aufenthalt Amélies in Japan und ihre Beziehung mit dem Japaner Rinri, die beendet wird, als sie aus Versehen einen seiner zahlreichen Heiratsanträge annimmt und sich den Folgen nur noch durch eine Flucht nach Europa zu entziehen weiß. Einerseits ist es eine leichte, in ihrer Mischung aus Distanz und Nähe ungewöhnliche Liebesgeschichte, andererseits hat es ein so desaströses und wahrscheinlich auch aufrichtiges Ende, dass es schmerzt.

Zugleich ist das Buch auch eine Liebeserklärung an Japan und die Japaner, ohne dass Land und Leute romantisiert werden. Höhepunkte sind sicherlich die Beschreibung einer Besteigung des Fuji und der Besuch der Insel Sado. Zahlreiche kulturelle Verwerfungen werden ohne jede Belehrung des Lesers vorgeführt, und man beneidet Amélie und Rinri rasch um ihre Fähigkeit, Differenzen einfach stehen lassen zu können, ohne den Impuls zu haben, sie auflösen zu wollen. Ganz wundervoll etwa der Einfall, Rinri in Hiroshima Duras’ »Hiroshima mon amour« vorlesen zu lassen, in der Hoffnung, er könne den Text dort besser verstehen als anderswo.

Erzählerisch nicht ganz so dicht wie die anderen autobiographischen Texte, dennoch zu empfehlen.

Amélie Nothomb: Der japanische Verlobte. Aus dem Französischen von Brigitte Große. detebe 24151. Zürich: Diogenes, 2012. Broschur, 163 Seiten. 8,90 €.

Amélie Nothomb: Biographie des Hungers

Wirklich, die Welt war ziemlich komisch. Und es gab Sprachen ohne Ende. Es würde nicht einfach sein, sich auf diesem Planeten zurechtzufinden.

Amélie Nothomb schreibt ganz wundervolle, autobiographisch unterfütterte Erzählungen. Ich habe sie vor vielen Jahren mit »Liebessabotage« entdeckt, das sich inhaltlich zu »Biographie des Hungers« wie ein kleiner, nicht konzentrischer Inkreis verhält. »Biographie des Hungers« erzählt etwa fünfzehn Jahre aus dem Leben der Tochter eines belgischen Diplomaten, die es aufgrund der regelmäßig alle drei Jahre erfolgenden väterlichen Versetzungen von Japan über China, den USA und Bangladesch nach Burma und schließlich Laos verschlägt; »Liebessabotage« war die Geschichte der ersten Liebe des jungen Mädchens im Pekinger Diplomatenviertel. Auch Nothombs Bücher »Mit Staunen und Zittern« und »Der japanische Verlobte« (von dem ich das allerdings nur vermute, da ich es bislang nicht gelesen habe) gehören zu diesen autobiographischen Zirkel. Ansonsten schreibt Nothomb auch noch Krimis, von denen zumindest einer ein ziemlich grobes Plagiat eines Hörspiels von Friedrich Dürrenmatt (lustigerweise im selben Verlag!) darstellt. Belesen ist die junge Frau also auch noch!

Wie der Titel schon besagt, fokussiert Nothomb diese Erzählung auf das Phänomen des Hungers, das sich zuerst als Gier des kleinen Mädchens nach Süßigkeiten und – man staunt – Wasser darstellt, sich dann in Bangladesch ganz in den unerträglichen Hunger der einheimischen Bevölkerung veräußerlicht, um sich schließlich als Anorexie der Ich-Erzählerin zu manifestieren, die sie fast zu Tode bringt. Alles rundet sich mit einer Rückkehr der 21-Jähringen an den Ort ihrer kindlichen Selbstvergottung in Japan und der Begegnung mit ihrem ersten Kindermädchen.

Nothombs Erzählen zeichnet sich in der Hauptsache durch drei Eigenschaften aus: Einen knappen, lakonischen Stil, präzise, von allem Überflüssigen befreite Beobachtungen und einen distanzierten, oft ironischen Humor. Man darf wahrscheinlich nicht zuviel auf einmal von ihr lesen, aber wenn man von Zeit zu Zeit bei ihr vorbeischaut, ist sie immer wieder ein Genuss.

Amélie Nothomb: Biographie des Hungers. Aus dem Französischen von Brigitte Große. detebe 24042. Zürich: Diogenes, 2010. Broschur, 207 Seiten. 9,90 €.