Hans Peter Duerr: Die dunkle Nacht der Seele

Der Optimist glaubt, daß die Menschheit eines Tages den Tod besiegen wird. Und der Pessimist befürchtet, daß ihr dies tatsächlich gelingen könnte.

Duerr Dunkle NachtNach seinem Ausflug in die griechische Antike wendet sich Hans Peter Duerr wieder einem eher ethnologischen Thema zu: Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen, wobei er an keiner Stelle einen Zweifel daran lässt, dass er beides für innerpsychische Phänomene hält, denen keine wie auch immer geartete transzendente oder metaphysische Bedeutung oder gar Wirklichkeit entspricht. Daher taucht der Terminus Nahtod-Erfahrung – außer im Untertitel des Buches – auch stets in Anführungsstrichen bei ihm auf. Anlass der Beschäftigung mit diesem Thema sind zwei „Nahtod-Erfahrungen“ Duerrs (die erste davon hatte er bereits 1982), die sich so stark von den von Duerr zuvor gemachten Erlebnissen mit Drogen und Halluzinationen unterschieden, dass sein Interesse an dem Phänomen geweckt wurde.

Wie schon bei seinen früheren Büchern überwiegt bei Duerr die Dokumentation der überlieferten Erfahrungen bei weitem jeden Versuch, eine wie auch immer geartete theoretische Erklärung für die geschilderten Erlebnisse zu liefern. Duerr analysiert zuerst mit unzähligen Belegen die zentralen, „Nahtod-Erfahrungen“ weitgehend gemeinsamen Elemente, wobei sich bei einigen zeigt, dass ihre jeweilige Ausprägung stark durch die Kultur- und Glaubenszugehörigkeit der „Jenseitsreisenden“ geprägt ist. Anschließend nimmt er eine ebenso umfangreich belegte Abgrenzung der „Nahtod-Erfahrungen“ von anderen sogenannten psychischen Grenzerfahrungen vor: Schamanen-Reisen, Ekstasen, Halluzinationen, Träumen, Drogenerfahrungen, Entführungsphantasien, Teufels-Bessenheiten und zuletzt auch den Zuständen bei Herzstillstand. Eine kleine, nicht ganz vollständige Zusammenfassung der möglichen Bedingungen von „Nahtod-Erfahrungen“ liest sich so:

Ein solcher Zustand kann nicht nur bei Entspannung, extremer sensorischer Deprivation, Unfällen, Todesangst oder bei einer Überdosis gewisser pflanzlicher Drogen wie Iboga oder Stechapfel eintreten, sondern ebenfalls, wenn man vom Blitz getroffen wird oder möglicherweise auch, wenn man von einem hohen Felsen in die Tiefe springt. (S. 335)

Zu Ende des Buches findet sich dann doch noch ein eher theoretisches Kapitel, in dem – im umgangssprachlichen Sinne – esoterische Deutungen der „Nahtod-Erfahrungen“ unter Rekurs auf Wittgenstein und einen handfesten Realitätssinn (um es nicht Realismus zu nennen) abgewiesen werden.

Ich kann es nur abschätzen, aber ich vermute, das Buch stellt die umfangreichste Dokumentation von „Nahtod-Erfahrungen“ dar, die je erstellt wurde. Duerrs Belege reichen von der Antike bis in die Gegenwart und entstammen Berichten von sechs der sieben Kontinente. Duerr unterscheidet nicht systematisch zwischen religiös und profan überschriebenen Erlebnissen; überhaupt ist seine Darstellung von einer erfrischenden, vorurteilslosen Distanz gegenüber den meisten gerade gängigen ideologischen Positionen.

Die eine oder den anderen wird das Buch wegen seines nahezu ausschließlich dokumentarischen Ansatzes enttäuschen; selbst dort, wo Duerr bereit ist, sich auf eine eher abstrakte Diskussion des Themas einzulassen, geschieht dies in rein falsifikatorischer Absicht. So werden manche Leser nach der Lektüre zwar mit einem unvergleichbar reicheren Wissen über das Phänomen, aber – soweit sie sich auf Duerrs Argumente einlassen – mit keiner zufriedenstellenden Erklärung zurückbleiben. Und erfahrungsgemäß ist das etwas, was die wenigstens auszuhalten verstehen.

Hans Peter Duerr: Die dunkle Nacht der Seele. Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen. Berlin: Insel, 2015. Pappband, 688 Seiten. 29,95 €.

Elisabeth von Thurn und Taxis: fromm!

Lieber Gott, mach mich fromm,
dass ich in den Himmel komm!

978-3-939684-61-9Ich habe mich lange damit getragen, wie ich dieses Buch besprechen soll. Da gäbe es zum einen die Möglichkeit, sich über die Werbung des Verlages zu amüsieren, der sich nicht entblödet, seine Autorin als Prinzessin Elisabeth von Thurn und Taxis zu präsentieren, um dann folgen zu lassen:

Dieses Buch zeigt: Katholisch ist das Gegenteil von spießig. Katholisch ist chic, katholisch ist cool.

Aber man soll eine Autorin nicht die Dummheiten des Vertriebs büßen lassen.

Zum anderen könnte man sich über den naiven Aberglauben der Autorin lustig machen:

Neulich reservierte ich in einem recht teuren Kurhotel ein Doppelzimmer. […] Leider buchte ich die Zimmer zwar für die richtigen Tage, aber im falschen Monat. Als ich dann durch eine E-Mail auf die Stornierungsfrist hingewiesen wurde, drehte sich fast mein Magen um. Der volle Betrag sollte bezahlt werden! […]

Schnell schickte ich dem Hotel eine herzzerreißende Entschuldigungs-E-Mail hinterher. Ich erhoffte mir davon allerdings nicht sehr viel, immerhin hatte ich schon eine klare Ansage bekommen: Zahlen! Da fiel mir plötzlich mein treuer Freund und Helfer, der heilige Antonius, wieder ein. Ich betete also ein kurzes Stoßgebet. Ich machte ihm ein Angebot, dass er, so hoffte ich, nicht ablehnen konnte. Überwältigt war ich, als ich in meinem Posteingang eine neue E-Mail des Hotels vorfand. Meine Stornierungsgebühr war tatsächlich storniert worden!

Gott sei Dank muss ich dieses Phänomen nicht begreifen.

Aber dies hieße nur, dem Zynismus beitreten, der der Veröffentlichung dieses Buches offenbar zugrunde liegt.

Dann wieder könnte man die zahllosen Blüten eines Abitur-Aufsatz-Stils auflesen:

  • Wie auch das Frühstücksei ist die Beichte eigentlich ein Genuss, den man ruhig öfter mal konsumieren darf.
  • Kaum aber berührt nach unendlicher Enthaltsamkeit eine Laugenbrezel wieder den Gaumen, macht sich auch gleich der gegen den Hosenbund drückende Bauch wieder bemerkbar! Alles für die Katz!
  • Ich schaffe in mir Platz für den Willen Gottes, in dem [sic!] ich meinen eigenen Willen in den frisch gemahlenen Kaffeebohnen vergrabe.
  • Auch die Buddhisten beschäftigen sich viel mit Meditation.
  • Das Hinknien fiel langsam aber sicher unter den Tisch.
  • Das Erwachsenwerden hat vielerlei Vor- und Nachteile.

Aber es erschiene mir letztlich doch zu billig, eine Autorin, die in gutem Glauben einer Veröffentlichung dieser Texte zugestimmt hat, auf diese Weise vorzuführen.

Schließlich könnte man noch der Geschwätzigkeit des Buches das notwendige Schweigen wahrer Frömmigkeit gegenüberstellen, aber damit würde man nur mit theologischen Kanonen auf betende Spatzen schießen.

Ich habe mich daher entschlossen, das Buch lieber gar nicht zu besprechen. Tut mir leid!

Elisabeth von Thurn und Taxis: fromm! Kißlegg: fe-medienverlags GmbH, 2009. Pappband, 192 Seiten. 9,95 €.

(geschrieben für Literaturwelt.de)