Edgar Hilsenrath: Moskauer Orgasmus

978-3-423-13947-2Mein erstes Buch von Edgar Hilsenrath, und – ich gebe es zu – ich habe mich vom Titel verführen lassen, auch in dem Gedanken, dass mein Blog plötzlich in ganz anderen Google-Suchvorgängen auftauchen könnte. Ansonsten war das Buch ein Fehlgriff. Hilsenrath versuchte mit diesem Text, die Vorlage für eine schrille Hollywood-Komödie zu liefern, wovon er wohl eine eher nur vage Vorstellung hatte. So lassen die häufige Verwendung des Wortes »Schwanz« für das männliche Geschlechtsteil sowie die wiederholten Spekulationen einzelner Figuren über die Größe des Schwanzes der männlichen Hauptfigur vermuten, dass Hilsenraths Kenntnisse US-amerikanischer Film-Komödien beschränkt waren.

Alles in allem ein schlicht albernes Buch, das auch durch die wenigen ansprechenden Passagen – etwa über die Bukowina – nicht gerettet wird. Wer literarischen Klamauk mag, wird vielleicht ganz gut bedient, aber ich fürchte auch für diese Leser ist der Stoff zu dünn für die ausgestoßene Seitenzahl.

Edgar Hilsenrath: Moskauer Orgasmus. dtv 13947. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2010. 311 Seiten. 9,90 €.

Weiland zu Radebeul …

Wir Deutschen sind merkwürdige Leute. Nicht etwa, daß wir uns ruhig gestehen: auch wir wollen uns einmal ausruhen und leichte Bücher lesen, auch wohl ruhig einmal einen richtigen Quark – das ist kein Mann, der nicht aus vollen Kräften banal sein kann – nein, wenn wirs schon tun, dann lügen wir uns irgend ein Brimborium darum herummer. Es gibt Leute, denen dieser Karl May – mir ist der Bursche immer als Ausbund der Fadheit vorgekommen – lieb und teuer ist. Aber sie sagens nicht. Sie malen ihm eine Glorie an: ihr meint, das sei einfach ein Unterhaltungsschriftsteller für die reifere Jugend gewesen? Gott bewahre, ein Philosoph war das, ein Mann mit den allegorischsten Hintergedanken, ein schwerer, vollbärtiger, sächsischer Denker, weiland zu Radebeul, jetzt in der Unsterblichkeit.

Kurt Tucholsky
Nette Bücher

Der Schatten des Windes

zafonIch habe seit langer Zeit keinen Roman dieser Art mehr gelesen, das heißt einen, der nicht mehr will, als eine spannende, geheimnisvolle Geschichte vor einem vagen historischen Hintergrund zu erzählen. Präsentiert wird eine doppelte Biographie: Die Daniel Semperes, Sohn eines Antiquars in Barcelona, der als Zehnjähriger von seinem Vater in ein Geheimnis eingeweiht wird. Sie besuchen zusammen eine verborgene Bibliothek, voller vergessener – weil unter der Franco-Diktatur verbotener – Bücher, und Daniel darf sich ein Buch mitnehmen, um es zu adoptieren und dafür zu sorgen, dass es nicht endgültig verschwindet. Zufällig wählt er den Roman »Der Schatten des Windes« von einem beinahe verschwundenen Autor namens Julián Carax aus, an dessen Biographie sich Daniels weiteres Leben erstaunlich eng anschließen wird. In der nun bald über ihn hereinbrechenden Pubertät werden der Roman und sein verschollener Autor bald zu einer Obsession Daniels, nurmehr übertroffen von seiner Liebe zu Bea Agiular. Er stört durch seine Nachforschungen bald allerlei Geheimnisse auf und verstrickt sich in einer alten tragischen und hasserfüllten Rachegeschichte.

Das Buch ist routiniert geschrieben und zeugt von der erzählerischen Potenz Zafóns. Es spielt souverän mit Mustern des Detektiv- und des Schauerromans, verfügt über eine gelinde Breite sprachlicher Stile und hat sogar Humor. Ansonsten ist es flach wie ein Bügelbrett und verfügt in etwa über den Tiefgang eines Suppentellers. Das überzuckerte Ende ist zwar schwer erträglich, doch abgesehen davon bietet das Buch eine »rattling good story« und stellt wohl das dar, was Leser gemeinhin eine Urlaubslektüre nennen.

Carlos Ruiz Zafón: Der Schatten des Windes. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. st 3800. Frankfurt/M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 2005. Broschur, 563 Seiten. 9,90 €.