Robert Louis Stevenson: Der Master von Ballantrae

Der Mann war in Schlaf gefallen, und träumte einen Traum, und jedes unsanfte Wecken musste sich unweigerlich als tödlich erweisen.

Stevenson_Ballantrae

Beim Einstellen meiner letzten Stevenson-Lektüre ins Bücherregal fiel mir dieser immer noch ungelesene Roman in die Hände, der im Jahr 2010 in einer Neuübersetzung bei mare erschienen ist. Er dürfte heute in Deutschland zu den unbekannteren Werken Stevensons zu zählen, obwohl es seit Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Übersetzungen des Textes geben hat.

Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder aus altem schottischem Hochadel: James, der als der ältere und erbberechtigte den Titel des Masters von Ballantrae trägt und Henry. Die Handlung umfasst knapp 20 Jahre und beginnt im Jahre 1745, als Charles Edward Stuart versucht, sich gewaltsam des englischen Throns zu bemächtigen. Die Familie des Lords von Durrisdeer und Ballantrae entschließt sich, auf etwas merkwürdige Weise die Neutralität zu wahren, indem einer der beiden Brüder zur Unterstützung des Eroberers auszieht, während der andere brav und königstreu daheim bleibt. Nun fiele die Rolle des Rebellen eigentlich dem jüngeren Bruder Henry zu, um die natürliche Erbfolge nicht zu gefährden, doch besteht der Master so lange auf einer Vertauschung der Rollen, bis man ihm nachgibt und das Los entscheiden lässt.

Über den in den Krieg ziehenden Master treffen bald schlechte Nachrichten in der Heimat ein: Zuerst gibt es üble Nachreden, dass er sich als Schotte zu sehr um die Gunst der die Armee Prince Charlies anführenden Iren bemüht, und schließlich heißt es von ihm, er sei in der Schlacht von Culloden gefallen. Aufgrund dessen rückt Henry in der Erbfolge auf, übernimmt die Verwaltung des Gutes und des Vermögens und heiratet die eigentlich für seinen Bruder gedachte reiche Erbin. Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Statt ordentlich im Reich der Toten zu verbleiben, meldet sich der nach Frankreich geflohenen Master alsbald wieder, um erhebliche Geldforderungen zu stellen. Der jüngere Bruder kommt diesen Forderungen nach, ohne seinen Vater oder seine Frau davon in Kenntnis zu setzen, obwohl dies eine erhebliche Belastung für das Vermögen der Familie darstellt. Als ihm die immer erneuten Forderungen dann doch zu viel werden und er seinem Bruder einen abschlägigen Bescheid erteilt, taucht dieser natürlich postwendend persönlich auf, um Vater und Schwägerin zu umgarnen und sich selbst in den Besitz des Vermögens zu versetzen. Die Konfrontation der beiden Brüder endet in einem Duell, in dem der Master von Ballantrae scheinbar tödlich verletzt wird.

Aber auch dieser Tod erweist sich als nicht dauerhaft: Nach einer in Indien und Nordamerika verbrachten Zeit kehrt der verlorene Sohn ein weiteres Mal in die Heimat zurück, was seinen jüngeren Bruder diesmal zur Flucht veranlasst: Er reist mit Frau und Sohn (der alte Lord ist inzwischen verstorben) nach New York ab, wohin ihm sein Bruder nach nur wenigen Monaten folgt. Im wilden Norden des Kontinents kommt es schließlich zum Showdown der Geschichte, der hier natürlich nicht verraten werden soll.

Das Besondere des Romans ist allerdings nicht auf der Ebene der Fabel zu finden, sondern besteht in der für einen solchen Abenteuerplot eher ungewöhnlichen Erzählposition: Als Erzähler fungiert nämlich ein Bediensteter Lord Henrys, der Gutsverwalter Ephraim Mackellar, der nicht nur als moralischer und sittlicher Anker der Erzählung fungiert, sondern auch selbst eine nicht unbeträchtliche Entwicklung durchläuft. Diese Erzählerfigur erlaubt es Stevenson, beide Brüder auf ihre jeweils eigene Weise verrückt werden zu lassen: James, indem er zum absoluten Egoisten wird, dem alles zum eigennützigen Kalkül gerät, und Henry, indem er über der jahrzehntelangen Feindschaft zu seinem Bruder langsam aber sicher paranoid wird. Mackellar selbst, der sich immer erneut bemüht, seine Treue und Verbundenheit mit seinem Herrn herauszustellen, wird mit der Zeit nicht nur von James in den Bann geschlagen, er wird an einer Stelle sogar bis zu dem Punkt gebracht, einen Mordversuch an James zu unternehmen, der mit Mackellars sonstigen Selbstverständnis kaum in Einklang zu bringen ist.

Angesichts dieser subtilen Erzählposition ist die von Stevenson später ergänzte, recht konventionelle Herausgeberfiktion, die dem Autor das Manuskript Mackellars hundert Jahre nach der Niederschrift in die Hand spielt, kaum der Rede wert. Der Roman ist ein erzählerisch brillantes Kabinettstück, das einmal mehr unter Beweis stellt, dass Stevenson deutlich mehr war als ein Unterhaltungsschriftsteller.

Robert Louis Stevenson: Der Master von Ballantrae. Eine Wintergeschichte. Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. Hamburg: mare, 32011. Bedruckter Leinenband in bedrucktem Schuber, Lesebändchen, 352 Seiten. 29,90 €. (Die sehr gute Übersetzung liegt inzwischen auch bei dtv im Taschenbuch vor.)

Edgar Hilsenrath: Moskauer Orgasmus

978-3-423-13947-2Mein erstes Buch von Edgar Hilsenrath, und – ich gebe es zu – ich habe mich vom Titel verführen lassen, auch in dem Gedanken, dass mein Blog plötzlich in ganz anderen Google-Suchvorgängen auftauchen könnte. Ansonsten war das Buch ein Fehlgriff. Hilsenrath versuchte mit diesem Text, die Vorlage für eine schrille Hollywood-Komödie zu liefern, wovon er wohl eine eher nur vage Vorstellung hatte. So lassen die häufige Verwendung des Wortes »Schwanz« für das männliche Geschlechtsteil sowie die wiederholten Spekulationen einzelner Figuren über die Größe des Schwanzes der männlichen Hauptfigur vermuten, dass Hilsenraths Kenntnisse US-amerikanischer Film-Komödien beschränkt waren.

Alles in allem ein schlicht albernes Buch, das auch durch die wenigen ansprechenden Passagen – etwa über die Bukowina – nicht gerettet wird. Wer literarischen Klamauk mag, wird vielleicht ganz gut bedient, aber ich fürchte auch für diese Leser ist der Stoff zu dünn für die ausgestoßene Seitenzahl.

Edgar Hilsenrath: Moskauer Orgasmus. dtv 13947. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2010. 311 Seiten. 9,90 €.