Robert Louis Stevenson: Der Strand von Falesá

Ich fand, Falesá war scheint’s wirklich genau der rechte Ort, und je mehr ich trank, desto leichter wurd mir das Herz.

Diese Erzählung, die 1892 zuerst als Serie in The Illustrated London News erschien und ein Jahr später zusammen mit dem in Deutschland weit bekannteren Der Flaschenkobold und Die Insel der Stimmen auch als Buch erschien, ist wahrscheinlich die realistischste Südsee-Erzählung Stevensons überhaupt: Sie spielt um 1870 auf der fiktiven Südsee-Insel Falesá – vielleicht auch nur an dem fiktiven Ort Falesá auf Samoa – und wird erzählt von dem wenig er­folg­rei­chen britischen Händler John Wiltshire, der dort den verlassenen Posten einer Handelsgesellschaft übernimmt. Empfangen wird er von dem bereits anwesenden Händler Case, der für eine Weile sein einziger An­sprech­part­ner ist, da Case Englisch, Wiltshire aber nicht die lokale Sprache der Eingeborenen spricht.

Das erste, was Case für Wiltshire noch am Tag seiner Ankunft organisiert, ist eine Schein-Hochzeit mit der lokalen Schönheit Uma. Gleich am nächsten Tag bemerkt der Erzähler aber, dass irgend etwas nicht ganz in Ordnung zu sein scheint, denn nahezu den ganzen Tag über wird sein Haus von Schaulustigen umlagert, ohne dass klar würde, warum. Allerdings stellt der Erzähler bald fest, dass das nicht die einzige Schwierigkeit darstellt: Obwohl er mit attraktiven, frischen Waren angekommen ist, besucht niemand seinen Laden. Case zieht vorgeblich Erkundigungen ein, kann aber auch nichts bestimmtes sagen; schließlich führt ein Treffen mit fünf lokalen Häuptlingen zu der Einsicht, dass Uma, selbst eine Fremde auf der Insel, das Problem darstellt: Sie wird von den Inselbewohnern gemieden, seit einer der Häuptlinge bei ihr nicht so zum Zuge gekommen ist, wie er sich das wohl vorgestellt hatte.

Nun wäre es für Wiltshire leicht, Uma einfach aus dem Haus zu werfen, da ihr Trauschein nur ein wertloser Zettel ist. Leider hat sich Wiltshire aber in Uma verliebt, so dass er trotzig versucht, die Situation auf anderem Weg zu bereinigen. Auch ihm wird klar, dass Case, der selbst einmal um Uma geworben hat, ihn absichtlich in diese Lage manövriert hat, um ihn als Konkurrenten rasch und einfach wieder loszuwerden. Bestätigt wird Case als der Bösewicht durch einen von Zeit zu Zeit die Insel besuchenden Missionar, der dann auch zwischen Uma und Wiltshire eine ordentliche Ehe stiftet.

Case hat den lokalen Kopra-Handel monopolisiert und nutzt den Geisterglauben der Eingeborenen aus, um seine Machtposition auf der Insel zu sichern. Dafür hat er einen Teil der Insel zu einer Art Geister- oder Teufels-Refugium ausgebaut, das die Eingeborenen nur unter seiner Begleitung zu betreten wagen. Wiltshire erkundet diesen Teil der Insel und findet auch Wiltshires Teufels-Tempel, den er zu sprengen beschließt. Die nächtliche Expedition zum Tempel, die Sprengung und der anschließende Kampf mit Case bilden den abenteuerlichen Abschluss der Erzählung.

Der Strand von Falesá ist konsequent aus der Sicht eines Briten der Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben: voller Vorurteile, Rassismen und religiöser Gegensätze. Wiltshire hält die Eingeborenen für Untermenschen und der auf Falesá lebende Schwarze ist auch nur insoweit ein Mitglied der Oberschicht, als er gesellschaftlich noch über den Ureinwohnern steht. Natürlich ist es die Aufgabe der Briten, den Inselbewohnern Religion und Zivilisation zu bringen, die Ausbreitung des Katholizismus zu vermeiden und sie möglichst effizient auszubeuten. Sie haben die Kopra herzustellen und bei den Händlern gegen europäische Waren einzutauchen; den doppelten Gewinn streicht selbstverständlich der Brite ein, so wie es von Gott eingerichtet und gewollt ist. Nur aufgrund eines Eides, den ihm der Missionar abnimmt, ist Wiltshire gezwungen, die Inselbewohner nicht geschäftlich zu übervorteilen, weshalb er auch froh ist, die Insel bald wieder verlassen zu haben, um die ihm zustehenden gewöhnlichen Margen zu kassieren. Aber auch die Ureinwohner sind keine frommen Wilden, sondern pflegen ihre eigenen, sehr klaren Vorstellungen davon, was von Weißen zu halten ist und wie man mit ihnen umzugehen hat.

Stevenson vermeidet in dieser Erzählung, auch nur einen einzigen Mythos der Südsee zu bestätigen. Weder seine Weißen noch seine Insulaner sind gute Menschen, wie sie ein zeitgenössischer Leser in einer ordentlichen Erzählung erwarten durfte. Einziger Lichtblick ist die Treue Wiltshires Uma gegenüber, aber selbst als Ich-Erzähler, der jede Gelegenheit hat, sich in ein gutes Licht zu rücken, kann Wiltshire letztendlich nur als Mörder und Ausbeuter angesehen werden, als Schein-Christ, der seinen Unterhalt aus der Übervorteilung der Inselbewohner bezieht. Auch in der Südsee war die Welt nicht mehr in Ordnung, wenn sie es denn je gewesen sein sollte.

Friedhelm Rathjen liefert mit dieser Übersetzung in bewährter Manier im eigenen Verlag die Ergänzung zu den beiden oben genannten Erzählungen des Sammelbandes Island Nights’ Entertainment. Wer Rathjen als Übersetzer kennt und schätzt, weiß, was ihn erwartet; wer ihn nicht kennt, hat hier die Gelegenheit ihn mit einem der besten Texte Stevensons kennenzulernen!

Robert Louis Stevenson: Der Strand von Falesá. Übersetzt von Friedhelm Rathjen. Südwesthörn: Edition ReJoyce, 2017. Auf 99 Exemplare limitierte, nummerierte und vom Übersetzer signierte Auflage. Bedruckter Pappband, 112 Seiten. 25,– €. Bestellung direkt an: rejoyce@gmx.de

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