William Faulkner: Licht im August

Die Neuübersetzung bei Rowohlt war der gegebene Anlass, endlich zu beginnen, eine schon lange als Versäumnis empfundene Lektürelücke zu füllen. Die erste und bislang einzige Übersetzung des Romans durch Franz Fein war 1935, nur drei Jahre nach dem Erscheinen des Originals, auch schon bei Rowohlt gedruckt worden und hatte zumindest bei einigen deutschen Lesern – etwa Gottfried Benn – Eindruck gemacht. Die Neuübersetzung durch Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel liest sich – wenn ich meinen vergleichenden Stichproben trauen darf – insgesamt deutlich flüssiger, was sicherlich zum großen Teil der auch im Nachwort von Paul Ingendaay festgestellten Tatsache zu schulden ist, »dass Übersetzungen schneller altern als Originale«. Die Neuübersetzung folgt zudem enger der grammatikalischen Struktur des Originals und ist im Einzelausdruck häufig präziser.

Licht im August ist wahrscheinlich Faulkners beliebtester weil zugänglichster seiner sonst oft als schwierig bezeichneten Romane. Es handelt sich in weiten Teilen um einen Roman ohne erzählerisches Zentrum: Er ist weder durch einen durchgängigen Protagonisten geprägt, noch scheint es lange Zeit einen einheitlichen Erzählstrang zu geben, der alle Figuren des Romans einbinden würde. Für längere Zeit scheint die Erzählung von Figur zu Figur zu schweifen und erst allmählich fügen sich die vereinzelt erscheinenden Aspekte zu einem Gesamtbild. Die wichtigsten Protagonisten sind:

  • Lena Grove, eine junge, hochschwangere Frau, die auf der Suche nach Lucas Burch, dem Vater ihres Kindes, ist. Sie ist seit vielen Wochen unterwegs und kommt nun nach Jefferson, dem Hauptort von Faulkners fiktivem Yoknapatawpha County. Sie hat gehört, dass Lucas dort in einem Hobelwerk arbeite, was einerseits zwar auf einer Namensverwechslung beruht, sich andererseits aber als richtig erweist.
  • Joe Christmas ist ein Arbeiter in besagtem Hobelwerk. Er ist als Waisenjunge zuerst in einem Heim und schließlich bei bigotten Pflegeeltern aufgewachsen, hat mutmaßlich einen schwarzen Vorfahren und ist deshalb ein Außenseiter sowohl in der Welt der Weißen als auch der Schwarzen. Es hat ihn eher zufällig nach Jefferson verschlagen, wo er hängenbleibt, weil ihm das Geld ausgegangen ist, er bequem eine Unterkunft findet und schließlich ein Verhältnis mit einer alleinstehenden Frau, Joanna Burden, beginnt, der die Hütte gehört, in der er wohnt. Nach einiger Zeit beginnt er illegal Alkohol zu verkaufen, wodurch er zu einigem Wohlstand kommt. An dem Tag, an dem Lena in Jefferson eintrifft, brennt das Haus Joanna Burdens ab und sie wird – vermutlich von Christmas – ermordet aufgefunden.
  • Joe Brown ist ein Arbeitskollege von Christmas im Hobelwerk. Er heißt in Wirklichkeit Lucas Burch und ist der Vater von Lenas Kind. Als Joe Brown wird er bald nach seiner Ankunft in Jefferson Komplize von Joe Christmas bei dessen Alkoholgeschäften. Lucas Burch ist ein undisziplinierter, junger Mann mit einer Neigung zum Saufen und entspricht in keiner Weise der idealisierten Vorstellung, die sich die Mutter seines Kindes von ihm macht. Als Lena in Jefferson eintrifft, wird Lucas gerade von der Polizei verhaftet, da er sich als Zeuge für den Mordfall Joanna Burden angeboten hat (er beschuldigt Joe Christmas der Tat, um die ausgesetzte Belohnung einzustreichen), selbst aber vorerst als Verdächtiger behandelt wird.
  • Byron Bunch arbeitet ebenfalls im Hobelwerk in Jefferson und ist derjenige, dessen Namen mit dem von Lucas Burch verwechselt wurde, als Lena gesagt wurde, ihr Liebhaber arbeite in Jefferson. Byron macht gerade am Samstagnachmittag Überstunden als Lena am Hobelwerk ankommt. Obwohl Byron weiß, dass er sich besser aus der Geschichte heraushalten sollte, empfindet er nicht nur sofort Mitleid und Sympathie für Lena, sondern den beiden wird auch rasch klar, dass es sich bei Joe Brown wahrscheinlich um Lucas Burch handeln dürfte. Sicheres Erkennungsmerkmal ist schließlich eine Narbe. Byron kümmert sich von nun an um Lena und bald wird deutlich, dass er bereit wäre, Lena zu heiraten und das Kind anzunehmen, wozu Lena aber bis zum Ende des Buches nicht bereit sein wird.
  • Gail Hightower ist ein gescheiterter Geistlicher in Jefferson, mit dem Byron Bunch befreundet ist. Byron sucht ihn auf, um in der Sache mit Lena Rat zu bekommen, wird Hightowers Vorschlägen aber letztendlich nicht folgen. Hightower stammt aus einer alten Südstaatenfamilie und ist besessen von der Geschichte seines Großvaters, der auf der Seite der Konförderierten am Sezessionskrieg teilgenommen hatte und dabei zu Tode kam. Hightower ist in seiner Gemeinde in Jefferson gescheitert, da seine Frau einen unsittlichen Lebenswandel geführt und sich schließlich umgebracht hat, wodurch Hightower in seiner Gemeinde Persona non grata wurde. Hightower bleibt aber in Jefferson, lebt ein zurückgezogenes Leben, liest, schaut aus dem Fenster und wartet, dass die Zeit vorbeigeht. Seine Verbindung zu den Ereignissen des Romans besteht nur durch Byron Bunch, dem es gelingt, Hightower auf verschiedenen Ebenen in die Ereignisse zu verwickeln.
  • Joanna Burden ist eine weitere Außernseiterin in Jefferson. Sie ist der letzte Spross einer Familie von Gegnern der Sklaverei und lebt allein im Haus ihrer Familie. Sie setzt noch immer den Kampf ihrer Familie für die ehemaligen Sklaven fort, indem sie sich für die Ausbildung und die Rechte Schwarzer engagiert. Joe Christmas und später auch Joe Brown/Lucas Burch leben in einer Hütte hinter ihrem Haus. Sie beginnt eine zuerst rein sexuelle Beziehung mit Joe Christmas, die über eine längere Zeit Höhen und Tiefen durchläuft. Schließlich macht sie klar, dass Christmas sie heiraten und Aufgaben im Rahmen ihres sozialen Kampfes übernehmen soll. Als Christmas sich dem verweigert, beginnt sie nicht nur für ihn zu beten, sondern ihn ebenfalls zum Gebet zu nötigen, was – aufgrund von Christmas’ Vorgeschichte – schließlich der Auslöser für ihre Ermordung wird.

Es wäre nicht sonderlich kompliziert, dieser Reihe von biografischen Skizzen noch zahlreiche weitere anzufügen: Percy Grimm, der Christmas erschießen und anschließend kastrieren wird, hätte eine verdient, ebenso die wahrscheinlichen Großeltern von Joe Christmas oder das Ehepaar Armstid, das Lena auf ihrem Weg nach Jefferson bei sich aufnimmt. Das Buch ist überaus reich an Figuren, die sorgfältigst gestaltet und ausgewählt sind. Es erzählt eine beeindruckende Fülle von Lebensgeschichten, Herkunftslinien, Einzelschicksalen, aber auch Typen. Faulkner ist ganz konzentriert auf sein Figuren, lässt jeder einzelnen Sorgfalt und Aufmerksamkeit angedeihen und erledigt die Handlung in weiten Teilen fast wie nebenbei. Hinzutreten thematische Schwerpunkte wie etwa Religion, Rassenhass und -vorurteile, Gerechtigkeit, Recht und Lynchjustiz. Zudem ist das ganze Buch mit einer christlichen Allegorie hinterlegt, in der Christmas als Jesus figuriert, Burch als Judas, Lena als Jungfrau Maria, Bunch als Josef und Hightower vielleicht als eine Parodie Gottes. Man hat nachgezählt, dass das Buch 66 Charaktere habe, was der Anzahl der Bücher der Bibel entspreche, und 21 Kapitel wie das Johannesevangelium. Und so sterben sowohl Joe Christmas als auch Jesus beide im Kapitel 19 des betreffenden Textes, was ja kein Zufall sein kann.

Gleichgültig wie ernst man solche allegorischen Konstruktionen nehmen mag und wie weit man ihnen folgen will: Dass das alles genau kalkuliert und aufeinander abgestimmt ist, beweist sich, wenn sich am Ende all das Vereinzelte zu einem Gesamtbild rundet, das zugleich erstaunlich detailreich und ausgewogen ist. Ein großartiges Buch von einem beeindruckenden Erzähler. Die Neuübersetzung sollte der alten auf jeden Fall vorgezogen werden; noch besser ist es aber, den Roman im Original zu lesen, so man das kann.

William Faulkner: Licht im August. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Reinbek: Rowohlt, 2008. Pappband, Lesebändchen, 480 Seiten. 19,90 €.

Miniaturen (7)

Bald darauf fuhr mit Getöse, mit tönenden Pfeifen und Glocken die Feuerwehr vor, prächtig anzusehen. Es war ein neuer Wagen, rot lackiert, mit goldenen Verzierungen sowie mit einer handbetriebenen Sirene und einer Glocke, die von der Farbe golden und im Klang heiter, arrogant und stolz war. Hutlose Männer und junge Burschen klammerten sich unter erstaunlicher Missachtung der physikalischen Gesetze, wie sie Fliegen eigen ist, an die Seiten. Der Wagen war mit mechanischen Leitern ausgestattet, die auf einen Handgriff in gewaltige Höhen emporschnellten, so wie Klappzylinder, nur dass da nichts war, wohin sie schnellen konnten. Die ordentlich aufgerollten, noch jungfräulichen Rollen von Wasserschläuchen erinnerten an die Anzeigen von Telefongesellschaften in volkstümlichen Zeitschriften, nur dass da nichts war, woran man sie anschließen, und nichts, was durch sie hindurchfließen konnte. Also schwangen sich die hutlosen Männer, die ihre Ladentresen und Schreibtische im Stich gelassen hatten, vom Wagen herab, darunter auch der, der die Sirene betätigt hatte. Sie kamen heran, […] und einige von ihnen, mit Pistolen schon griffbereit in den Taschen, machten sich auf die Suche nach jemandem, den man kreuzigen konnte.

William Faulkner
Licht im August

Wolfgang Frühwald: Goethes Hochzeit

fruehwald Wolfgang Frühwald hat in der Insel Bücherei ein kleines Bändchen vorgelegt, dass sich um den Lebenskomplex Goethes zur Zeit seiner Hochzeit im Oktober 1806 dreht. Unmittelbar vorausgegangen war die Niederlage des preußischen Heeres bei Auerstedt und das Eindringen der marodierenden französischen Soldaten in Weimar. Dabei soll es, nach Darstellung der Zeitgenossen, zu einer kritischen Situation im Hause Goethes gekommen sein, die angeblich durch das todesmutige Dazwischentreten Christianes entschärft worden sein soll. Die Lage im Hause Goethe entspannte sich rasch, als sich hohe französische Offiziere einquartierten und damit weiteren Übergriffen ein Riegel vorgeschoben wurde.

Weiter in den Fliegenden Goethe-Blättern …

Allen Lesern ins Stammbuch (11)

Und dies ist eine von den tiefen Beobachtungen, wozu, weil man sehr wenigen Lesern die Fähigkeit, sie für sich selbst zu machen, zutrauen darf, ich ihnen meinen Beistand zu leihen für gut befunden habe; indessen ist dies ein Liebesdienst, auf welchen man im Fortgange dieses Werkes sich nur sehr selten Rechnung machen darf. In der That werde ich dem Leser selten oder niemals diese Willfährigkeit erzeigen, es sei denn in solchen Fällen, wie dieser, wo nichts Geringeres, als die Inspiration, womit wir Schriftsteller begabt sind, unumgänglich nötig ist, um auf die wahre Entdeckung zu kommen.

Henry Fielding
Tom Jones

Miniaturen (3)

Gestern Abend, im Dämmern, sag’ ich zu meim’m Nachbar, dem Taglöhner P., : ‹Erzähl mir was.›
Da sagt er : ‹Du erinnerst doch noch den Vollmacht Schrum? – Na also ! … Ein mächtiger Kerl … groß … bramstig … über zweihundert Pfund. Er trank … er spielte. Wenn er zur Stadt fahren wollte, und an den Wagen trat … Handstulpen sag’ ich Dir, bis an die Ellbogen, und die großen schwarzen Pferde bebten. Na genug ! … Eines Tages kommt ihm sein Schulkamerad, Jan Ehlers, in’n Weg. Den mußt Du ja auch noch erinnern … Na also … Jan Ehlers ist sein Taglöhner, und ist nicht bang, und kommt ihm in den Weg und sagt: ‹Du, Vollmacht,› sagt er, ‹sag ma … was denkst Du Dir nun dabei ?›.
Der Vollmacht bleibt stehen, und steht noch’n bißchen steiler als sonst: Wobei ? !
‹Ja …› sagt Jan Ehlers … ‹ich mein man … willst Du nun dies Leben so durchsetzen … so … als Du das nun treibst ?›
Der Vollmacht gibt sich noch’n Ruck, und steht ganz steil, und sagt ganz kalt und fest: ‹Ja woll, Jan Ehlers ! Das ist allerdings meine Absicht. Ich will das so durchsetzen … genau so … un wenn ick ’n Kreih werden soll !›
Also gut … was zu tun ? … Drei Jahr gehn vorbei … da ist es mit Vollmacht Schrum zu Ende. Bankerott. Alles weg : Hof, Vermögen, Ehre. Als er sieht, wie das steht, drückt er sich um die Ecke, hängt sich auf … in seiner Scheune … weg ist er. –
Na, das ist also passiert. Und nun … denk Dir mal … so acht oder zehn Jahr später … da komm ich ma’, an ei’m naßkalten Abend, so gegen November, bei Jan Ehlers sei’m Haus vorbei. Der ist nun alt, und sitzt da am Fenster. Er sitzt da mit der Pfeife, und den Arm auf der Fensterbank, und trommelt so mit seinen großen Fingern auf der Bank. Das tut er immer, wenn er große Gedanken hat. Als er mich nu sieht, stößt er so im Sitzen das Fenster auf, und pliert mit’n Augen, und sagt so’n bißchen leis’ und sachte : ‹Du, –› sagt er leise … ‹hast Du all den großen Kolkraben gesehen, der da immer auf Vollmacht Schrum seiner Fettweide steht ? Kiek ma hin … da … auf ’n Scheuerpfahl …›
Ich dreh mich um, und kiek hin … und sag: ‹Ja woll … da sitzt’n oller Kolkraaw … was soll das ?›
‹Mensch,› sagt er leis’ … : ‹Weißt Du nich, was der Vollmacht zu mir sagte … damals ? – Mensch, Mensch … ich muß immer denken : das iss Vollmacht Schrum !›
Junge, verfehrte ich mich … Kinners und Lüde ! Ich sag’ : ‹Jan Ehlers, Du bist wohl nich bei Trost ! Gott bewahre !›. Ich kiek nach dem alten Kolkraben … es war recht so’n großer und alter … und der dückert immerzu und krächzt … Und schüttel mein’ Kopf und seh Jan Ehlers an; und Jan Ehlers sieht mich an, und nickt; und macht das Fenster wieder zu.
Na, was zu tun ? Ich hatte den Winter damals den großen Freigraben zu kleien, der am Alten Weg entlang geht, und muß jeden Abend bei Jan Ehlers vorbei, und fast jedesmal macht er mir hinter dem Fenster 1 Zeichen mit dem Daumen nach der Fettweide hinüber. Das sollte denn bedeuten: ‹Hast schon gesehn ? Vollmacht Schrum sitzt da auch wieder.› Und dann sog er wieder an seiner Pfeife, und trommelte mit den Fingern auf der Fensterbank. Das tat er immer, wenn er große Gedanken hatte. –

Gustav Frenssen
in der Schreibe Arno Schmidts

Anne Fadiman: Ex Libris

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Anne Fadiman dürfte in Deutschland vor diesem Buch nur einigen wenigen Fachleuten, Soziologen und Medizinern, aufgrund ihres Buches »The Spirit Catches You and You Fall Down« bekannt gewesen sein. Sie ist die Tochter des in den Vereinigten Staaten bekannten Autors und Radiomoderators Clifton Fadiman, der unter anderem zahlreiche Anthologien und einen weitverbreiteten Lesekanon herausgegeben hat. Auch ihre Mutter ist Journalistin und Autorin. Anne Fadiman entstammt also einer Familie von Lesern, und sie hat diese Tradition mit ihrer eigenen Familie fortgesetzt: Sie hat einen Leser geheiratet und ihre Kinder zeigen alle Anzeichen dafür, dass sie dieses Erbe fortsetzen werden.

Und genau das ist das Kernthema der meisten der 17 kurzen Essays, die der Band versammelt: Eine Familie von Lesern und ihre Abenteuer mit Bücher, ihre Verhältnisse mit (nicht »zu«!) Büchern, ihre Freuden und Leiden. Für die deutsche Ausgabe hat man den schönen englischen Untertitel »Confessions of a Common Reader«, der sich auf einen Buchtitel Virginia Woolfs stützt, in das etwas reißerische »Bekenntnisse einer Bibliomanin« verwandelt, denn wer will heutzutage schon ein »gewöhnlicher Leser« oder gar ein »gemeiner Leser« sein. Allerdings muss man auch zugestehen, dass Anne Fadiman Selbstbezeichnung höchstens noch als kokett durchgeht, denn ihre Essays machen wenigstens eines deutlich: Sie ist eine obsessive Leserin und eine passionierte Sammlerin antiqarischer Bücher.

Wie schon gesagt, nimmt ein Großteil der Essays bei sehr persönlichen Erfahrungen Fadimans seinen Anfang: Die Vereinigung ihrer eigenen Bibliothek mit der ihres Mannes (nachdem die beiden bereits fünf Jahre lang miteinander verheiratet waren und noch länger zusammen lebten), ihre Freude an ausgefallenen und langen Wörtern, die bereits in ihrer Kindheit angeregt und gefördert wurde, ihre Neigung, alle gelesenen Texte zugleich auch Korrektur zu lesen, ihre Neigung dazu, Kataloge zu lesen, die unterschiedlichen Lesertypen in ihrer Verwandt- und Bekanntschaft usw. usf. Das alles ist unterhaltsam und leicht geschrieben, ohne seicht zu werden. Immer ist Fadimans breiter Lektürehintergrund zu erkennen, ihre lebenslange Auseinandersetzung mit der englischen und nordamerikanischen Literatur.

Nur einmal holt Fadiman richtig aus: Mit »Nichts Neues unter der Sonne« schreibt sie einen Essay zum Thema Plagiat, der voller Zitate und Plagiate steckt, die sie selbst fein säuberlich in Fußnoten nachweist. Das ist sehr virtuos gemacht, denn jede im Essay beschriebene Form des Plagiats findet sich zugleich auch in ihm umgesetzt.

Eine vergnügliche Lektüre für obsessive Bücherfreunde und jene Vielleser, die es werden wollen.

Anne Fadiman: Ex Libris. Bekenntnisse einer Bibliomanin. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Diogenes Taschenbuch 23646. Zürich, 2007. 8,90 €.

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P. S.: Bei der in Fußnote 25 auf S. 146 unbekannten Quelle handelt es sich natürlich um Robert Mertons Buch »Auf den Schultern von Riesen«.

P. P. S.: An zwei Stellen (S. 111 u. 113) benutzt die Übersetzerin für das mit Apostroph abgetrennte Genitiv-s (im Volksmund auch »Deppen-Apostroph«) die nicht unpassende Bezeichnung »sächsischer Genitiv«. Hat einer das Original zur Hand und kann sagen, welche englische Phrase dem gegenübersteht?

Deutsche Geschichte

dt-geschDie Digitale Bibliothek hat ihr ohnehin schon breites Angebot an elektronischen Werken zur Geschichte um die 10 grundlegenden Bände der »Deutschen Geschichte« aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ergänzt. Diese Bände gehören seit Jahrzehnten zur studentischen Grundaustattung der meisten Historiker und decken die deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Jahr 1945 ab. Die CD-ROM enthält die vollständigen Texte aller Bände mit zusammen etwa 2.500 Buchseiten in den aktuellen, derzeit lieferbaren Auflagen zu einem unschlagbaren Preis.

Highlight der Buchreihe war und ist mit Sicherheit Band 9, Hans-Ulrich Wehlers »Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918«, der für das historische Verständnis dieser Zeit Maßstäbe gesetzt hat:

Über zwei Jahrzehnte lang hieß es an historischen Seminaren deutscher Universitäten ehrführchtig nur ›das blaue Buch‹. Niemand, der sich auf akademische Weise mit neuerer deutscher Vergangenheit beschäftigen wollte, kam daran vorbei. […] Mit dem ›blauen Buch‹ vollzog Wehler den vielleicht folgenreichsten Paradigmenwechsel in der (alt-)bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft […].

Sven Felix Kellerhoff, Die Welt

Zu dem Preisvorteil von knapp 80,– € kommen die üblichen Vorteile von Ausgaben der Digitalen Bibliothek hinzu: Eine ausgereifte, professionelle Software, die Volltextsuche, Paste & Copy auch längerer Passagen (mit exakter Seitenreferenz zur gedruckten Ausgabe), Lesezeichen, farbliche Textmarkierungen, das Ablegen von Notizen und Ausdrucke in individueller Formatierung erlaubt; dies ermöglicht ein intensives und zeitsparendes Arbeiten mit den Texten. Zusätzlich verfügt die elektronische Ausgabe über ein Gesamtregister der in allen Bänden verwendeten Abkürzungen. Diese CD-ROM ist auch geeignet, um eventuell bereits vorhandene Einzelbände der Reihe zu ergänzen.

Deutsche Geschichte. Hg. v. Joachim Leuschner. Digitale Bibliothek Band 151. Berlin: Directmedia Publishing in Kooperation mit Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.

Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

Prinz Eisenherz – Die ersten Jahre

Foster_Eisenherz_01Im Jahr 1937 erschienen die ersten Seiten einer Comic-Serie, die sich bis heute in ihrer Besonderheit erhalten hat. Erzählt werden seit nun beinahe 70 Jahren die Abenteuer von Prinz Valiant – in der deutschen Ausgabe Prinz Eisenherz –, einer Figur, die der Zeichner und Autor der Serie, Hal Foster, in den Mythenkreis um den Hof von König Artus in Camelot hineinerfunden hat. Eine neue Gesamtausgabe des Fosterschen »Eisenherz« bei Bocola liefert im ersten Band in ansprechender Druckqualität die farbigen Originale der beiden ersten Jahrgänge zusammen mit einer deutschen Übersetzung.

Was »Prinz Eisenherz« so besonders machte und wahrscheinlich bis heute überleben ließ – die Reihe wird noch immer durch neue Abenteuer ergänzt! – sind wahrscheinlich zwei Eigenschaften: Zum einen die sorgfältigen Zeichnungen Fosters und zum anderen sein Humor.

Da »Prinz Eisenherz« nur einmal in der Woche mit einer kompletten großformatigen Seite erschien, konnte Foster 40 bis 50 Arbeitststunden für jede Seite inverstieren. Das ermöglichte ihm, einen sehr sorgfältigen und detailverliebten Zeichenstil zu pflegen, der die Serie aus der damaligen Comic-Produktion deutlich heraushob. Zum anderen hatte Foster genügend Zeit, sich mit den historischen Hintergründen seiner Geschichte auseinanderzusetzen.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: In Bezug auf das, was man über die Zeit des frühen Mittelalters in England weiß, ist Fosters »Prinz Eisenherz« in etwa so exakt wie jeder beliebige Ritterfilm aus Hollywood. Aber Foster war sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Er musste sich den Erwartungen seiner Leser anpassen, die sich König Artus und seinen Hof im hochmittelalterlichen Kostüm vorstellten und einen Artus im Bärenfell, mit den Fragmenten einer römischen Rüstung angetan, einfach abgelehnt hätten. Also wird auch bei Foster Camelot ein idealer Hof des Hochmittelalters, so wie man ihn sich seit eben dieser Zeit immer und immer wieder ausgemalt hat. Aber darin eben hudelt Foster nicht, sondern wendet große Sorgfalt und Detailliebe für seinen Artushof und die Geschichte seines Prinzen auf.

Das andere aber ist Fosters Humor. Da »Prinz Eisenherz« von Anfang an als illustrierter Roman und nicht als Sprechblasen-Comic angelegt war, entwickelte Foster eine ganz eigene, leicht ironische Distanz zu seiner Erfindung. Er nimmt seine Helden in ihren großen Posen nie so ganz ernst, setzt auch die besten Ritter immer wieder einmal außer Gefecht und gibt Dummheit, Ungeschicklichkeit, Übermut und menschlicher Fehlerhaftigkeit ihren Raum. Zudem nutzt Foster die Möglichkeit, Bilder und Text, die ja beide aus seiner Feder stammen, einander spiegeln und widerspiegeln zu lassen. Das macht »Prinz Eisenherz« zu einem besonderen Comic, vielleicht dem frühesten Beispiel für einen Comic, der die Grenze zur ernstzunehmenden Literatur hin überschreitet.

Bocola hat nun den ersten Band einer auf 18 Bände angelegten Gesamtausgabe des Forsterschen »Prinz Eisenherz« vorgelegt. Der Band ist mit großer Sorgfalt zusammengestellt und durchgehend nach den Erstdrucken koloriert. Eröffnet wird er durch ein kluges und kenntnisreiches Vorwort von Wolfgang J. Fuchs. Band 1 umfasst die 98 Blätter der Jahre 1937 und 1938; Band 2 mit den Jahren 1939 und 1940 soll im Februar 2007 folgen.

Hal Foster Gesamtausgabe, Bd. 1: Prinz Eisenherz. Jahrgang 1937/1938. Bocola Verlag, 2006. Pappband, 32 cm hoch, fadengeheftet. 19,90 €.