Daniil Charms: Werke

978-3-86971-025-9Normalerweise werden hier nur Bücher vorgestellt, die bereits gelesen wurden, aber in diesem Fall soll und muss eine Ausnahme gemacht werden, da dieser Werkausgabe soviele Käufer und Leser wie möglich zu wünschen sind. Im Verlag Galiani, Berlin, einem Imprint von Kiepenheuer & Witsch, erscheint in vier Bänden die erste deutsche Werkausgabe der Schriften von Daniil Charms. Die ersten beiden Bände sind bereits erschienen, die beiden fehlenden sollen im kommenden Jahr folgen. Die Bände sind wie folgt aufgeteilt:

  1. Prosa
  2. Gedichte
  3. Theaterstücke
  4. Autobiografisches, Briefe, Essays

978-3-86971-029-7Bei Charms handelt es sich um einen der erstaunlichsten und humorvollsten absurden Autoren des 20. Jahrhunderts. Er hat zu Lebzeiten beinahe ausschließlich seine Geschichten und Gedichte für Kinder veröffentlichen können. Der Großteil seines Werkes lag nur in handschriftlichen Notizbüchern vor, die wie durch ein Wunder von staatlicher Beschlagnahme und Vernichtung im Zweiten Weltkrieg verschont geblieben sind. Charms hat seine Werke unter größten Schwierigkeiten produziert und einen bedeutenden Teil seines kurzen Lebens unter politischer Verfolgung gelitten. Er ist in der Gefängnispsychiatrie während der Belagerung Leningrads durch die Deutsche Wehrmacht verhungert.

978-3-86971-023-5Trotz der staatlichen Versuche, Charms Werke zu unterdrücken, erschienen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre deutsche und englische Übersetzungen. In der Sowjetunion konnten Charms Schriften aber auch weiterhin nur in einzelnen Abschriften kursieren, und es kam erst ab 1997 zu einer Werkausgabe, die eine solide Textgrundlage lieferte.

Wie bereits gesagt, erscheint nun erstmals eine deutsche Werkausgabe, herausgegeben von Vladimir Glozer, einem Charms-Kenner, der leider bereits 2009 verstarb, und Alexander Nitzberg. Alle Texte werden in Neuübersetzungen vorgelegt. Begleitet wird die Werkausgabe mit einer Biografie, die Glozer aus Gesprächen mit Charms Lebensgefährtin Marina Durnowo zusammengestellt hat.

Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich diese Bücher an!

Daniil Charms: Trinken Sie Essig, meine Herren! Werke 1: Prosa. Aus dem Russischen übersetzt von Beate Rausch. Hg. v. Vladimir Glozer und Alexander Nitzberg. Berlin: Galiani, 2010. Bedruckter Pappband, Fadenheftung. 271 Seiten. 24,95 €.

Ders.: Sieben Zehntel eines Kopfs. Werke 2: Gedichte. Übersetzt und hg. von Alexander Nitzberg. Berlin: Galiani, 2010. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, Lesebändchen. 313 Seiten. 24,95 €.

Marina Durnowo: Mein Leben mit Daniil Charms. Aus Gesprächen zusammengestellt von Vladimir Glozer. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Berlin: Galiani, 2010. Pappband. 151 Seiten. 16,95 €.

William Shakespeare: Das Wintermärchen

978-3-89716-175-7 Merkwürdiges Alterswerk, in dem Shakespeare das mythische Gerüst der Komödie nahezu unverstellt durchscheinen lässt: Auf einen sechzehn Jahre alten Winter folgt nahezu übergangslos ein Frühlingsfest mit der verliebten und heiratswilligen nächsten Generation, ja, der Frühling ist so stark, das er sogar die vorgeblich verstorbene Hermione wieder ins Leben zurückzubringen vermag. Auch sonst ist das dramaturgische Gestell kaum verhüllt: Als etwa im dritten Akt König Leontes, von wahnhafter Eifersucht umfangen, den Orakelspruch aus Delphi als Lüge verwirft, stirbt hinter der Szene augenblicklich sein geliebter Sohn, was Leontes ebenso unmittelbar bekehrt. Nahezu alle Gelenkstellen des Stückes liegen so geradezu an der Oberfläche.

Was die große Form angeht, kann das Stück als eine Umkehrung von Romeo und Julia gelesen werden, wo Shakespeare höchste Wirkung damit erzielte, eine als Komödie angelegte Handlung in der Tragödie enden zu lassen. Im Wintermärchen ist alles auf eine Tragödie eingestimmt, wenn im vierten und fünften Akt plötzlich die Komödienhandlung einsetzt. Auch hier kann eine mächtige Wirkung erzielt werden, wenn ein Zusammenspiel der beiden Teile gelingt.

Allzu bekannt ist natürlich der berüchtigte Fehler der böhmischen Meeresküste; weniger bekannt scheint zu sein, dass das Stück nicht nur über eine imaginäre Geografie verfügt, sondern auch zugleich in allen Zeiten spielt, da es nahtlos das Orakel von Delphi mit der Arbeit des Raffael-Schülers Giulio Romano verbindet. Offenbar handelt es sich beim Wintermärchen nicht um den Versuch eines Vorgriffs auf den Naturalismus.

Zur der Übersetzung Frank Günthers ist hier an anderer Stelle schon etwas gesagt worden, was nicht wiederholt zu werden braucht. Der Band ist, wie alle dieser Ausgabe, zweisprachig, mit Anmerkungen versehen und durch zwei Essays (einer des Übersetzers, der andere von Ingeborg Boltz) abgerundet.

William Shakespeare: Das Wintermärchen. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Frank Günther. Gesamtausgabe Bd. 20. Cadolzburg: ars vivendi, 2008. Geprägter und bedruckter Leinenband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen, 341 Seiten. 33,– €.

William Shakespeare: König Richard II.

139681116_ad38eae79eFrank Günthers Neuübersetzung des Shakespeareschen Gesamtwerks bringt seit einigen Jahren mit bewundernswerter Regelmäßigkeit etwa vier Bände pro Jahr hervor. Derzeit liegen 23 Bände von geplanten 39 vor; die Bände sind vorzüglich ausgestattet: Ein angenehm ganz leicht gelbliches Werkdruckpapier, ein silbergrauer Leineneinband mit für jeden Band individueller zweifarbiger Prägung, deren Motiv sich auf dem Vorsatzpapier wiederholt und zwei Lesebändchen in den Farben des Vorsatzes. Neben dem exklusiven Inhalt schlägt diese Ausstattung mit 25 bzw. 28 € pro Band zu Buche, von denen allerdings bei Subskription des Gesamtwerks noch 15 % nachgelassen werden.

Alle Bände liefern den kompletten englische Text und die Neuübersetzung Günthers auf gegenüberliegenden Seiten und einen umfangreichen Anhang mit ausführlichen Erläuterungen, Nachrichten des Übersetzers »aus der Übersetzerwerkstatt« zum jeweiligen Band und einem Essay eines Shakespeareforschers, der sich mit der Entstehung, den Quellen, der zeitgeschichtlichen Einordnung und der Rezeption des Werkes beschäftigt. Von Geschmacksfragen im Einzelnen abgesehen, kann diese Edition nur als vorbildlich bezeichnet werden.

Natürlich steht und fällt eine solche neue deutsche Gesamtausgabe Shakespeares mit der Qualität der angebotenen Übersetzung. Shakespeare hat in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine so reiche Übersetzertätigkeit hervorgerufen wie kein anderer englischsprachiger Autor sonst. Er wurde während des 19. Jahrhunderts dann nach Goethe und Schiller der »dritte Klassiker« im deutschen Sprachraum, und die Schlegel/Tiecksche Übertragung der Stücke bekam einen Normcharakter, der bald von den konkreten Zeitumständen, die diese Texte hervorgebracht hatten, gänzlich losgelöst erschien. Gegen diese scheinbare Zeitlosigkeit nicht nur einzelne Übersetzungen, sondern gleich eine komplette Neuausgabe eines einzigen Übersetzers setzen zu wollen, ist alles andere als kleines Unternehmen.

Günther versucht es daher bei seinen Übersetzungen mit so wenig Programmatik wie möglich und so viel Pragmatik wie nötig. Sein Ziel ist es, den heutigen deutschen Lesern und Zuschauern einen Text anzubieten, der ihnen Shakespeare so unmittelbar wie möglich zugänglich macht. Sprachliche Barrieren sollen weitgehend vermieden werden, Pointen als Pointen, Sprachspiele als Sprachspiele erkennbar sein. Das hat seine natürlichen Grenzen, die Günther auch anerkennt und deutlich macht. Günther erhebt auch nicht den Anspruch, dass seine Übersetzung alle anderen überflüssig macht, eher dass sie die anderen Versuche ergänzt und einen alternativen Zugang zum Werk Shakespeares öffnet. Er ist sich dabei der unvermeidlichen Subjektivität eines solchen Unternehmens bewusst, ohne diese Subjektivität als Ausrede für Beliebigkeit oder Bequemlichkeit zu missbrauchen.

Für mich ist die Übersetzung von Frank Günther rasch meine Leseausgabe Shakespeares geworden, nicht nur, weil sie bequem den englischen und einen guten deutschen Text parallel liefert, sondern auch wegen der Anhänge, die in der Regel alle wesentlichen Kommentare und Hinweise zur historischen Einordnung und zum Verständnis des Stückes enthalten.

William Shakespeare: König Richard II. Übersetzt von Frank Günther. Zweisprachiuge Ausgabe. Gesamtausgabe Bd. 10. Cadolzburg: ars vivendi, 2000. Geprägter Leineneinband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen,352 Seiten. 28,– €.