Jahresrückblick 2021

Auch im Jahr 2021 überwogen klar Lektüren, die einen positiven Eindruck hinterlassen haben. Wirklich schlecht war nur ein einziges Buch:

Als die erfreulichsten Lektüren erwiesen sich auch 2021 einmal mehr wiedergelesene Klassiker:

  • Goethes Italienische Reise, besonders deren erster Teil, der durch seine lebendigen und vielfältigen Schilderungen zu überzeugen weiß, und der
  • Don Quijote von Miguel de Cervantes, der sich in der erneute Lektüre als außerordentlich viel reichhaltiger erwiesen hat, als ich ihn in der Erinnerung hatte. Besonders der zumeist ungeliebte zweite Teil liefert nicht nur die Vorlage für einen bedeutenden Teil der romantischen Romanproduktion in Deutschland, sondern ist zugleich ein wahrscheinlich zeitloser Kommentar zur Meinungskultur.
  • Im Zusammenhang mit dem Don Quijote sollte auch Jean Canavaggios Cervantes-Biographie erwähnt werden, die zwar recht akademisch ist, in diesem Rahmen aber sicherlich als ein Musterstück angesehen werden darf. Ähnlich ging es mir mit einzelnen Kapitel aus Michel Winocks Buch über Flaubert, das besonders bei der Interpretation der Werke überzeugt.
  • Noch erwähnt werden sollten Iwan Turgenews Aufzeichnungen eines Jägers, die sich beim Wiederlesen sowohl inhaltlich als auch stilistisch als überraschend vielfältig erwiesen.

Juan Eduardo Zúñiga: Iwan S. Turgenjew

Als ich neulich wieder einmal bei Turgenew vorbeikam, fiel mir auch dieses lang eingestaubte Insel-Taschenbuch in die Hand. Diesmal habe ich hineingeschaut; ich hätte es besser gelassen.

Der Text wurde in Deutschland als Biographie verkauft, obwohl ihn sein Autor im Vorwort völlig zu Recht einen Essay nennt, und man darf hier ungeniert an Tucholsky denken: „Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.“ Das Büchlein präsentiert weitgehend nichts als wirres Geschwätz, zusammengesuchte Einsichten, die in lockerer assoziativer Manier aneinandergereiht werden, ohne dass sich aus ihnen mehr ersehen ließe, als dass eben dieser und jener mal dies oder das über Turgenew gesagt habe und was man sonst noch so denken könne.

Von sehr jung an war er sich bewußt, daß er auf Frauen attraktiv wirkte, und in einigen Fällen lässt sich beobachten, wie er diese Macht sogar bei denen ausübt, die reine ›Vermittlerinnen‹ waren, eine Kategorie, in welche die Frau von Traditionen und weltlichem Leben gerne eingereiht wird.

Und solche Sätze sind bei weitem nicht die Schlimmsten.

Das ganze Buch ist ein unlesbares Gewäsche. Dass es überhaupt übersetzt und gedruckt wurde, lässt mich einen internationalen Mangel an soliden Turgenew-Biographien vermuten; wenigstens scheint auf Deutsch derzeit überhaupt nichts Vernünftiges lieferbar zu sein. Hinweise dazu wären sehr willkommen.

Juan Eduardo Zúñiga: Iwan S. Turgenjew. Eine Biographie. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. it 2744. Frankfurt/M.: Insel, 2001. Broschur, 277 Seiten. Zum Glück nur noch antiquarisch greifbar.