Joseph Roth – Leben und Werk in Bildern

978-3-462-04102-6 Zusammen mit der umfangreichen Biografie Joseph Roths hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch auch einen Bildband zu Leben und Werk herausgebracht. Es handelt sich um eine überarbeitete Neuauflage eines bereits 1994 erschienenen Bandes, dem wiederum ein Ausstellungskatalog von 1989 vorausgegangen zu sein scheint. Den Grad der Überarbeitung kann ich nicht einschätzen, da ich die erste Auflage nicht kenne. Umfangreicher ist der Band durch die Überarbeitung jedenfalls nicht geworden.

Das Buch präsentiert eine umfangreiche Auswahl an Bildern Roths und seiner Wegbegleiter, Freunde und Bekannten, Faksimiles von Briefen, Manuskripten, Zeitungsausschnitten, Verträgen, Buchumschlägen und anderen Dokumenten. Zusammen mit den Texten der Herausgeber ergibt sich eine reich bebilderte Kurzbiografie Roths, angereichert durch Briefe und autobiografische Texte Roths.

Lesern, denen die Biografie von Sternburgs zu umfangreich ist, bietet der Band eine zwar etwas kostspielige, aber knappe und attraktive Alternative.

Heinz Lunzer / Victoria Lunzer-Talos (Hg.): Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. Leinenband, Kunstdruckpapier, Fadenheftung, 280 Seiten. 39,95 €.

Wilhem von Sternburg: Joseph Roth

978-3-462-05555-9Derzeit einzige umfangreiche Biografie über Joseph Roth. Ihr Autor, Wilhelm von Sternburg, ist ein Routinier, was man auch diesem Buch anmerkt. Das Buch ist recht breit angelegt, was wahrscheinlich auf Leser mit geringem historischen Vorwissen abzielt. So sind die Ausführungen über Roths jüdisch-galizischen Hintergrund sicherlich gut gemeint und für einen Großteil der Leser nützlich. Ob dies allerdings auch für den seitenlangen Exkurs über Schriftsteller, vor allem US-amerikanische, als Alkoholiker zutrifft, wage ich zu bezweifeln. Solche Tendenzen machen die Lektüre ein wenig langatmig und mühsam.

Die erzählerischen Werke Roths werden nahezu alle inhaltlich referiert und zum bedeutenden Teil kurz und sicher in den Zeithorizont eingeordnet. Wirkliche Interpretationen versucht von Sternburg nicht zu liefern; einmal vergleicht er Radetzkymarsch mit Budenbrooks, ohne dabei über den bekannten Jean Paulschen Vergleich der Tanz- und Fechtkunst hinauszukommen.

Die Biografie wird wohl so gut dargestellt, wie es die Datenlage derzeit erlaubt. Der Leser bekommt einen soliden Eindruck vom chaotischen und selbstzerstörerischen Pathos des Schriftstellers, der sich – besonders in den letzten Lebensjahren – einfach nicht mehr zu helfen wusste: Erzwungenes Exil, die private Verpflichtung für die im Sanatorium befindliche Ehefrau einerseits und die Lebenspartnerin mit ihren Kindern andererseits, der sich zunehmend verschlimmernde Alkoholismus und die aus all dem erwachsende andauernde Geldnot – es ist alles in allem erstaunlich, dass Roth unter diesen Bedingungen überhaupt noch in der Lage war Literatur und dann auch noch auf einem solchen Niveau zu produzieren. Eine bemerkenswerte Mischung von Haltlosigkeit und Disziplin beherrschte dieses Leben.

Wilhelm von Sternburg: Joseph Roth. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. Pappband, 559 Seiten. 22,95 €.

Joseph Roth: Radetzkymarsch

Auch eines der vielen Bücher, die ich nach langer Zeit noch einmal lese. Es ist bislang das einzige Buch Joseph Roths, das ich gelesen habe, und als ich es vor über 25 Jahren zum ersten Mal las, konnte ich mit seiner statischen und in vielen Teilen voraussehbaren Handlung wenig anfangen. Dafür, dass seine Statik zugleich die Statik des zum Ende kommenden österreichischen Kaiserreichs ist, fehlte mir damals der Sinn.

Erzählt wird im Wesentlichen die Geschichte dreier Generationen der Familie von Trotta. Der erste von Trotta, Sohn einer Bauernfamilie, rettet durch seine Geistesgegenwart dem jungen Kaiser Franz Josef I. in der Schlacht von Solferino das Leben. Er wird geadelt, zum Hauptmann befördert und gründet eine Familie. Aus Verbitterung über eine historisch falsche Darstellung seiner Tat von Solferino in einem Lesebuch seines Sohnes, nimmt er seinen Abschied und verbietet seinem Sohne eine militärische Karriere. Doch sein Enkel wird wieder Offizier, zuerst bei der Kavallerie, dann bei der Infanterie. Dieser Enkel des Helden von Solferino ist ein typischer Spätling: initiativ- und orientierungslos, moralisch naiv und indifferent, sensibel, doch ohne die Möglichkeit, dieser Empfindsamkeit irgendeinen Ausdruck zu geben.

Natürlich kommt es wie es kommen muss: Der Enkel Carl Joseph von Trotta verwickelt sich in Affären, Spiel und Trunksucht, macht Schulden und muss schließlich von seinem Vater aus einer ausweglos erscheinenden Situation gerettet werden, indem der eine kurzfristige Audienz beim Kaiser erzwingt. Doch damit scheint der Kredit der von Trottas verbraucht zu sein. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs markiert deutlich den Untergang des Kaiserreiches und zugleich der von Trottas: Carl Joseph fällt, als er sich für seine Männer nutzlos einer tödlichen Situation aussetzt. Mit ihm endet das Geschlecht des Helden von Solferino.

Wie schon angedeutet, ist die Geschichte derer von Trotta zugleich die des Untergang des Kaiserreichs. Nicht umsonst wird der Sohn des Helden von Solferino im Alter seinem Kaiser immer ähnlicher, so dass, als sie sich schließlich gegenüberstehen, wie ein Bruder des Kaisers zu sein scheint. Roths zugleich distanzierte und empathische Darstellung des alten Kaisers und seiner Isolation von der ihn umgebenden Welt gehört sicherlich mit zum besten, was der Roman zu bieten hat.

Bei Diogenes liegt eine vollständige Lesung des Romans durch Michael Heltau vor. Sein leichter österreichischer Akzent bekommt dem Roman sehr gut, allerdings muss man sagen, dass Heltau den Text an einigen Stellen extrem dehnt. Das ist stimmig und passt zu dem Gesamteindruck der Stagnation, die der Roman vermittelt, stellt den Zuhörer aber trotzdem hier und da auf eine Geduldsprobe. Man sollte sich also ein wenig Einhören und nicht zu rasch aufgeben.

Joseph Roth: Radetzkymarsch. dtv 12477. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998. 416 Seiten. 9,50 €.

Joseph Roth: Radetzkymarsch. Gelesen von Michael Heltau. Zürich: Diogenes Verlag, 2007. 7 Audio-CDs. 49,90 € (unverbindliche Preisempfehlung).

Philip Roth: Indignation

roth_indignation Die Erzählung spielt im Jahr 1951: Im Zentrum steht der Ich-Erzähler Marcus Messner, Sohn eines koscheren Metzgers aus Newark, der – so will uns der Text über eine weite Strecke glauben machen – zum Erzählzeitpunkt bereits verstorben ist. Marcus ist gerade 18 Jahre alt und bereitet sich am College von Winesburg in Ohio auf ein Jura-Studium vor. Äußerlich ist Marcus ein Vorzeigesohn: Als erster seiner Familie, der eine akademische Karriere anstrebt, ist er bemüht alle Erwartungen seiner Familie zu erfüllen: Er hat immer die besten Noten, konzentriert sich ausschließlich auf sein Studium, meidet alle Aktivitäten, die ihn davon ablenken könnten oder versucht dies wenigstens.

Schon dass er das College in Winesburg besucht, markiert, dass nicht alles ganz in der Ordnung ist. Marcus ist vor seinem Vater von New Jersey nach Ohio geflohen, da der sich, nachdem Marcus in einer einzigen Nacht später als angekündigt nach Hause kam, in Sorge um seinen Sohn verzehrt. Die daraus resultierende Paranoia und die Versuche, den Sohn zu kontrollieren, der sich keiner falschen Handlung bewusst ist und im Gegenteil alles unterlässt, was die Sorge des Vaters rechtfertigen würde, lassen Marcus das Weite suchen.

In Winesburg aber erscheint er dem Dekan des Colleges nur bedingt als Musterstudent: Marcus hat Schwierigkeiten, sich in den gewöhnlichen College-Alltag einzupassen, er weigert sich, einer der Studentenverbindungen beizutreten, wechselt zweimal in kurzer Zeit sein Zimmer, da er in Konflikte mit seinen Mitstudenten gerät und hat am Ende sogar eine direkte Konfrontation mit dem Dekan, dem er empört vorwirft, man respektiere ihn und sein atheistisches Bekenntnis nicht, da man ihn nötige, einmal wöchentlich am christlichen Gottesdienst teilzunehmen. Diese Konfrontation endet zu allem Überfluss auch noch damit, dass sich Marcus im Büro des Dekans übergeben muss – aufgrund einer akuten Blinddarmentzündung, wie sich wenig später herausstellt.

Als sei all dies nicht genug, hat sich Marcus zudem noch in eine Kommilitonin verliebt, die bei der ersten Verabredung gleich ohne weiteres zum Oralsex übergeht, was Marcus in tiefe Verwirrung stürzt. Olivia entspricht zudem mit ihrer Vorgeschichte von Schulverweisen und einem Selbstmordversuch in keiner Weise dem Bild, das sich Marcus (oder gar seine Mutter) von einer zukünfigen Freundin gemacht hatte.

Allerdings sieht sich Marcus einer weiteren, weit ernsteren Bedrohung gegenüber: Er fürchtet nach dem College-Abschluss zum Militär eingezogen und nach Korea geschickt zu werden und im Krieg gegen die Chinesen zu sterben. Sein Plan ist es, das College als Jahrgangsbester zu verlassen, um eine Chance zu haben, dem Militärgeheimdienst beitreten zu können und auf diese Weise einen Fronteinsatz zu vermeiden. Wie uns im letzten Kapitel der Erzählung berichtet wird, ist Marcus Messner trotz allen seinen Bemühungen dennoch genau dort gelandet und gestorben, an den Stichen eines chinesischen Bajonetts. Alle Vorsicht, alle Versuche, sein Leben in Ordnung zu halten, haben letztlich nichts gefruchtet, und sein Schicksal wird besiegelt durch einen kleinen Betrug, der mehr der Bequemlichkeit dient, als dass er wirklich notwendig gewesen wäre.

Roth fügt in dieser Erzählung den Konflikt seines Protagonisten aus zahlreichen kleinen Quellen zusammen: Die Paranoia des Vaters, Vorurteile gegen eine jüdische Herkunft, die Selbstverständlichkeit des Christentums, die Sexualmoral der 50er-Jahre, die Gefahr, im Korea-Krieg zu sterben, den Versuch, die Ansprüche an einen guten Sohn mit den individuellen Bedürfnissen eines heranwachsenden und etwa naiven Intellektuellen zu vereinen. Die Ironie der Erzählung ergibt sich daraus, dass sich der Protagonist bei einem einzigen Fehltritt allen Ernstes mit dem Tod bedroht sieht, dass er also im Grunde die Paranoia seines Vaters teilt, die am Ende auch noch Recht behält. Eine sehr dichte und in ihrer Motivationsstruktur komplexe Geschichte, die nur auf den ersten Blick schlicht und geradlinig erzählt ist. Ein weiteres Meisterstück der Verdichtung von Welt in Literatur aus der Feder Philip Roth’, und eine Ohrfeige mehr für Herrn Engdahl.

Philip Roth: Indignation. New York: Houghton Mifflin, 2008. Pappband, 233 Seiten. Ca. 15,– €.

Ayn Rand: Atlas Shrugged

rand_atlas Ziemlich fürchterliches Machwerk aus den 50er Jahren, geschrieben von einer russischen Emigrantin, die versucht, liberaler als Adam Smith zu sein. Es scheint bis heute in den USA eine nicht unbeträchtliche Anzahl von »Anhängern« zu haben. Dabei handelt es sich weniger um ein literarisches Werk, als vielmehr um eine ideologische Abhandlung im Gewand eines fiktionalen 1.000-Seiters. Die Autorin hatte ursprünglich erhebliche Schwierigkeiten, einen Verlag für ihr Machwerk zu finden, da alle vernünftigen Leute ihr anrieten, das Buch erheblich zu kürzen. Dass sie sich schließlich durchgesetzt hat, entspricht ganz und gar der rechthaberischen und verbiesterten Grundhaltung, die dieses gänzlich humorlose Werk auszeichnet.

Erzählt wird von einer zeitlich nicht genauer bestimmten utopischen Zukunft. Technisch scheint man sich in etwa auf dem Niveau der 30er-Jahre zu befinden: Eisenbahnen bilden das hauptsächliche Fernverkehrsmittel, Flugzeuge sind noch keine ernsthafte Konkurrenz zur Eisenbahn, Automobile aber schon gebräuchlich; neben Zeitungen ist das wichtigste Massenmedium das Radio, während das Fernsehen nicht zu existieren scheint. Dieser technologisch relativ genauen Ortsbestimmung, steht eine gänzlich fiktive Weltordnung gegenüber: Der Großteil der Länder in Europa und Südamerika scheint sozialistisch oder kommunistisch organisiert zu sein, was nahezu ausschließlich in der Bezeichnung all dieser Länder als »Volksrepubliken« zum Ausdruck kommt – die Autorin bleibt genauere Auskünfte darüber, wie diese Länder tatsächlich staatlich organisiert sind ebenso wie über vieles andere schuldig. Zumindest in den USA und Argentinien scheint der Privatbesitz an Produktionsmitteln aber nicht eingeschränkt zu sein. Doch herrscht in den USA keine freie Marktwirtschaft, da das wirtschaftliche Geschehen von mächtigen Interessenverbänden, die als legale Kartelle agieren, beherrscht wird. Weltweit herrscht Mangelwirtschaft, wobei die Autorin suggeriert, dies sei keine Folge eines objektiven Mangels an Ressourcen, sondern der rigiden wirtschaftlichen Beschränkungen durch die Kartelle bzw. die sozialistischen Regierungen.

Vor diesem Hintergrund wird das Leben Dagny Taggarts erzählt, die zusammen mit ihrem Bruder eines der größten US-amerikanischen Eisenbahn-Unternehmen leitet. Das Unternehmen befindet sich in einer ernsthaften Krise, aus der sich allerdings ein Ausweg weist, den Dagny mit der Hilfe des Stahlfabrikanten Henry Rearden, der gerade eine neue, leichtere und leistungsfähigere Stahlvariante erfunden hat, zu realisieren versucht. Beide stoßen dabei auf heftigen Widerstand der Kartelle – zu deren Vertretern auch Dagnys Bruder gehört –, den sie aber aufgrund ihrer herausragenden Persönlichkeiten und ihres genialen Erfindungsreichtums glanzvoll überwinden können.

Als zusätzliche Schwierigkeit erweist sich, dass das wirtschaftliche Geschehen vom einem Geheimbund beeinflusst wird, dessen mythenumwitterter Anführer John Galt sich im letzten Drittel des 1.000-Seiters in einer dreistündigen Radioansprache offenbart. Ziel dieses Geheimbundes ist es, alle kreativen Köpfe der ganzen Welt aus dem Verkehr zu ziehen, um ihre Ausnutzung durch die mediokre Mehrheit der Menschen zu unterbinden. Das Konzept ist exakt so dämlich, wie es sich anhört.

Da die Fabel des Romans bereits nach einem Drittel ziemlich klar umrissen ist und die zahlreichen Charaktere nahezu ausschließlich funktional bestimmt sind, erschöpft sich das Konzept des Buches rasch. Da es zudem sprachlich und motivisch trivial bleibt, ist es literarisch von keinerlei Bedeutung. Würde es sich darin erschöpfen, wäre es sicherlich längst und zu Recht vergessen.

Was das Buch im Druck hält, ist die vom Anführer vertretene Ideologie, ein kruder moralischer Egoismus, der in der schon erwähnten dreistündigen Radioansprache in einem extrem redundanten Stil ausgebreitet wird. Die Position selbst ist philosophisch indiskutabel, besteht ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von Thesen und sogenannten Axiomen in einem sehr minimalistischen argumentativen Umfeld und wird im Ton anmaßender Überheblichkeit vorgetragen. Es scheint für diese Art des Hau-Ruck-Denkens, das sich formal nur unwesentlich von dem der Scientologen oder der Zeugen Jehovas unterscheidet, eine nicht unbedeutende Anzahl von Abnehmern zu geben.

Die Lektüre dieses Buches ist in jeder Hinsicht Zeitverschwendung.

Ayn Rand: Atlas Shrugged. London: Signet, 271997. Broschur, 1079 Seiten. Ca. 7,– €.

Volker Hage: Philip Roth

hage_rothSeit 25 Jahren begleitet Volker Hage schreibend das Werk von Philip Roth. Ergänzend zur Veröffentlichung von Exit Ghost vereinigt Hanser nun die fünf Interviews (1983, 1991, 1998, 2000 und 2006) mit und sieben Rezensionen zu Roth, die in diesem Zeitraum entstanden sind, in diesem Bändchen. Nahezu alle Beiträge erscheinen hier in umfangreicherer Fassung als bei der Erstveröffentlichung. Bei der Rezension von Exit Ghost handelt es sich um einen Originalbeitrag.

Hage zeigt sich einmal mehr als aufmerksamer Leser und intelligenter Gesprächspartner eines der bedeutendsten Autoren der Gegenwart. So liefert das Buch eine exzellente und derzeit auch konkurrenzlose Einführung ins Werk von Philip Roth. Komplettiert wird das Bändchen durch eine tabellarische Chronik zu Leben und Werk.

Volker Hage: Philip Roth. Bücher und Begegnungen. München: Hanser, 2008. Broschur, 156 Seiten. 15,90 €.

Philip Roth: Exit Ghost

roth_exitDas neunte und – wie der Titel und das Ende des Buches andeuten – letzte Buch, in dem der Schriftsteller Nathan Zuckerman als Protagonist fungiert. Zuletzt hatte Zuckerman in Der menschliche Makel die Geschichte Coleman Silks erzählt, eines vorgeblich jüdischen, in Wahrheit aber schwarzen Professor der Altphilologie, der wegen einer unbedachten Äußerung, die als rassistisch ausgelegt wird, aus seiner Fakultät gemobbt wird. Zu dieser Zeit lebte Zuckerman zurückgezogen in Massachusetts.

Zu Anfang von Exit Ghost finden wir Nathan Zuckerman Ende Oktober 2004 in New York. Er hofft auf einen medizinischen Eingriff, der seine Inkontinenz beheben soll, die sich nach einer Prostata-Operation eingestellt hat. Neben der Inkontinenz, die ihm hauptsächlich lästig und peinlich ist, ist Impotenz eine weitere Folge der Operation, die Zuckerman Selbstbewusstsein und -bild arg zusetzt. Zuckerman ist nun 71 Jahre alt und war mit 60 in die Provinz geflohen, nachdem er eine Reihe von Morddrohungen erhalten hatte. Er hat sich in den elf Jahren weitgehend des gesellschaftlichen Umgangs entwöhnt und findet sich und New York nach dieser Zeit sehr verändert wieder. Trotz einigem inneren Widerstand, entschließt er sich, für eine Weile in New York zu bleiben, um den Erfolg der Behandlung abzuwarten und dies eventuell wiederholen zu lassen. Es wird schließlich nicht mehr als eine Woche werden.

Binnen kurzem ist Zuckerman in alte und neue Geschichten verstrickt: Er begegnet zufällig Amy Bellette wieder, trifft das junge Ehepaar Jamie und Billy, mit denen er für die Zeit, die er in New York verbringen will, die Wohnung zu tauschen plant, und schließlich nimmt ein Freund Jamies, Richard Kliman, Kontakt zu ihm auf, der eine Biografie über E. I. Lonoff schreiben will. Lonoff stand zusammen mit Amy Bellette im Zentrum des ersten Zuckerman-Romans Der Ghostwriter, in dem Zuckerman als junger Autor den von ihm verehrten Erzähler Lonoff besucht.

Zuckerman verliebt sich auf den ersten Blick in die attraktive Jamie, nicht ohne sich schmerzlich seines Alters und seines körperlichen Unvermögens bewusst zu sein. Während er sich mit dieser Verliebtheit herumquält, wehrt er sich zugleich gegen die Vereinnahmung durch Kliman, der ein ehemaliger Kommilitone und Ex-Freund Jamies ist und den Zuckerman verdächtigt, ein Verhältnis mit Jamie zu haben. Kliman ist in jeglicher Hinsicht Zuckermans Konkurrent: Er ist ein junger und agiler sexueller Rivale, er ist ein aufstrebender junger Autor, er hat seine Karriere und sein Leben noch vor sich und erinnert Zuckerman mit all seiner Energie und seinem Enthusiasmus zu sehr an sich selbst in jungen Jahren, als dass er ihm nicht zugleich ständig die Mängel seiner Altersexistenz vor Augen führen würde.

Kliman will Zuckerman als Quelle und Autorität für seine Lonoff- Biografie einspannen. Klimans These ist, dass der einzige und unvollendet gebliebene Roman Lonoffs auf einer autobiografischen Konstellation beruht und Lonoff eine inzestuöse Beziehung zu seiner Halbschwester gehabt habe. Während Kliman durch die Veröffentli- chung ein Revival des vergessenen Lonoffs herbeizuführen hofft, befürchtet Zuckerman, dass eine solche Biografie Lonoff und sein Werk auf den vorgeblichen Skandal dieses Inzests reduzieren und damit für immer beschädigen würde. Zuckerman selbst entwickelt spontan eine alternative, literarische Deutung des Inzest-Motivs, indem er die These aufstellt, Lonoff habe sich durch biografische Spekulationen über Hawthorne zu diesem Thema anregen lassen.

Aus dieser relativ einfachen Struktur gewinnt Roth überraschend reiches Material: Da das Flirten tête-à-tête mit Jamie nicht gelingen will, entwickelt Zuckerman in seinem Hotelzimmer imaginäre Dialoge, die schließlich auf das Ermöglichen des Unmöglichen hinauslaufen: Die fiktive Jamie erklärt sich bereit, sich mit dem fiktiven Zuckerman in seinem Hotelzimmer zu treffen, der daraufhin fluchtartig das Hotel, New York und wahrscheinlich auch gleich die Welt verlässt:

Er löst sich auf. Sie ist unterwegs, und er verschwindet. Er ist für immer fort.

Gespiegelt wird diese imaginäre Beziehung in Zuckermans Gesprächen mit Amy Bellette, die in Der Ghostwriter als Studentin eine Beziehung mit alternden E. I. Lonoff begonnen hatte und Zuckerman nun von Lonoffs letzten Jahren, seinem unvollendeten Roman und seinem Sterben erzählt. In diesen und den Gesprächen zwischen Zuckerman und Kliman entwickelt Roth das zweite große Thema des Romans: Den Umgang der Öffentlichkeit mit Schriftstellern. Zuckerman wehrt sich gegen die Biografie Klimans auch deshalb so sehr, weil er befürchtet, dass auch sein Leben und Werk postum auf eine Reihe von Skandalen reduziert werden wird. Er setzt die Integrität des Werks, das für einen »unbefangenen Leser« geschrieben sei, der Integrität der Informanten eines Literaturbetriebs gegenüber, der Schriftsteller nicht anhand ihrer künstlerischen Leistungen, sondern ihrer moralischen Verfehlungen gewichtet.

Exit Ghost zeigt wie schon zuvor Der menschliche Makel einen erzählerisch deutlich entspannteren Philip Roth, als man ihn aus vielen früheren Romanen kennt. Motivisch rundet der Roman die Zuckerman- Reihe mit der Wiederaufnahme der Figuren Lonoffs und Amy Bellettes schön ab, und auch die Figur Zuckermans selbst findet mit diesem letzten Liebesabenteuer einen gelungenen Abschluss. Er zieht sich nun endgültig in die Provinz zurück und überlässt die Welt den Jungen. Mag sein, wir werden später einmal von seinem Tod und seiner Beerdigung lesen, mag auch sein, er ist für immer aus unserem Blickfeld verschwunden. Roth zumindest wird Zuckerman wohl auch nach diesem Buch nicht vollständig aus den Augen verlieren.

Philip Roth: Exit Ghost. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. München: Hanser, 2008. Pappband, 297 Seiten. 19,90 €.

Allen Lesern ins Stammbuch (17)

Es gab einmal eine Zeit, da intelligente Menschen die Literatur zum Denken nutzten. Diese Zeit geht nun zu Ende. […] Der vorherrschende Gebrauch, den die Feuilletons der Intelligenzblätter und die Universitätsinstitute von der Literatur machen, steht in so destruktivem Gegensatz sowohl zu den Zielen der erzählenden Literatur als auch zu dem Gewinn, den ein unbefangener Leser aus ihr ziehen kann, dass es besser wäre, wenn die Öffentlichkeit aufhörte, irgendeinen Gebrauch von der Literatur zu machen.

Philip Roth
Exit Ghost

Salman Rushdie: Des Mauren letzter Seufzer

Ich-Erzählung eines indischen Halbjuden, der in den spanischen Alpujarras in Gefangenschaft sitzt und genötigt wird, die Geschichte aufzuschreiben. In der ersten Hälfte ist das Buch eine Variation auf den Familienroman, vielleicht eine direkte Reaktion auf Vikram Seths Eine gute Partie, vielleicht auch auf ein anderes Werk der anglo-indischen Literatur. Nach der Geburt des Erzählers verliert das Buch rasch an Form und nähert sich für eine Weile der Tradition des picarischen Romans an, wird dann zu einer Variation des Mafia-Romans, um schließlich ins Traum- und Alptraumhafte abzuschweifen. Ganz zum Schluss soll die Mär von der Gefangenschaft des Erzählers, der nach einem alten literarischen Muster durchs Erzählen sein Leben erhält, die allgemeine Formlosigkeit und Beliebigkeit des Romans rechtfertigen.

Das Buch ist reich an motivischen Einfällen und lebt von der Reichhaltigkeit seines Personals. Einzelne Motive sind überzeugend durchgeführt, so die Familienlegende von der Abkunft des Erzählers einerseits von Vasco da Gama und andererseits von Muhammad XII., dem letzten arabischen Herrscher Granadas. Andere Motive erscheinen eher willkürlich, was aber auch daran liegen kann, dass ich die entsprechenden literarischen Quellen Rushdies nicht kenne. Für einen in der anglo-indischen Literatur eher nur mäßig Bewanderten ist vieles nicht exakt einzuordnen. Insgesamt war die zweite Hälfte des Romans eine ermüdende Lektüre für mich. Auch sekundär erarbeitete Zusammenhänge mit der Nachkriegsgeschichte Indiens und speziell Bombays machten das Buch für mich nicht spannender, weil mir die entsprechenden historischen Vorgänge nicht vertraut genug wurden. Aber da gehöre ich wohl einfach nicht in die Zielgruppe des Autors.

Der durchgängig phantastische Ton des Romans, der besonders auch gegen Ende recht volle Töne erzeugt, trägt das Buch nicht wirklich – dafür ist es einfach zu lang geraten. Natürlich begründet sich die Länge des Buches aus der oben schon angeführten existentiellen Situation des Erzählers, der um sein Leben schreibt. Interessant wäre es vielleicht, diese Struktur auf das Leben des Autors zurückzuprojizieren: Rushdie befand sich in einem gewissen Sinne in der Zeit der Bedrohung durch die Fatwa in einer ähnlichen Lage wie der, in der sein Protagonist um sein Leben schreibt. Hier ist biographisch sicherlich noch einiges zu heben.

Ein eher anstrengendes Buch, das in einigen Passagen zur »Pflichtlektüre« geriet.

Salman Rushdie: Des Mauren letzter Seufzer. Aus dem Englischen von Gisela Stege. rororo 24121. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006. 619 Seiten. 9,90 €.

Zum Tod von Richard Rorty

Zu den üblichen Anwärtern auf den Posten im Zentrum der Kultur zählen Religion, Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Wäre ich gezwungen, zwischen diesen vier Alternativen zu wählen, entschiede ich mich für die Kunst – allerdings nur deshalb, weil der Begriff »Kunst« unter diesen vieren der vagste und daher am wenigsten einschränkende ist. Es wäre aber besser, überhaupt nicht wählen zu müssen. Die beste Art von Kultur wäre eine, deren Schwerpunkt ständig wechselte, je nachdem, welche Person oder Personengruppe zuletzt etwas Anregendes, Originelles und Nützliches geleistet hat. Dies wäre eine Kultur, in der es gar nicht lohnend erschiene, eine Auseinandersetzung über die Frage zu führen, ob eine bestimmte neuartige Errungenschaft als »Kunst« oder als »Philosophie« zu gelten habe.

»Eine Kultur ohne Zentrum«