Jane Austen: Vernunft und Gefühl

Heute vor 200 Jahren verstarb Jane Austen nach einer kurzen, aber durchaus erfolgreichen Karriere als Schriftstellerin im Alter von nur 41 Jahren. In diesem Gedenkjahr legt Manesse eine Neuübersetzung ihres ersten veröffentlichten Romans “Sense and Sensibility” (1811) vor. Zu Inhalt und literarhistorischer Einordnung des Buches ist hier an anderer Stelle schon etwas gesagt worden, das nicht wiederholt zu werden braucht.

Die Neuübersetzung von Andrea Ott liefert einen eingängigen Text für den heutigen Markt, der sich grundsätzlich durch eine geschmeidige, glatte Sprache auszeichnet. Insofern wird sie den meisten der nicht­phi­lo­lo­gischen Leserinnen Jane Austens entgegenkommen. Ott nimmt sich aber zu diesem Zweck große Freiheiten in Wortstellung und Ausdruck heraus, die ihren Text ein deutliches Stück vom Original weiter entfernen als die von mir wegen ihrer hohen Präzision geschätzte Übersetzung von Ursula und Christian Grawe. So bezeichnet Austen zum Beispiel gleich auf der ersten Seite die zweite Ehefrau Henry Dashwoods mit den Worten “by his present lady”, also gerade nicht als “his second wife”. Nun ist es sachlich natürlich nicht falsch, das mit „von seiner jetzigen Frau“ zu übersetzen, aber es trifft den Ton des Originals nicht; besser ist das von den Grawes verwendete Wort „Gemahlin“, das zwar altertümelnd daherkommen mag, der Stillage Austens aber eindeutig näher steht.

Dieses kleine Beispiel soll pars pro toto meine grundsätzliche Ein­schät­zung der Übersetzung Otts illustrieren und keine Kritik an deren Arbeit darstellen. Es gilt für alle Übersetzungen, dass sie immer nur in der Lage sind, höchstens auf einen oder zwei Aspekte des Originals scharf zu stellen. Wer einen inhaltlich korrekten und zugleich eingängigen Text lesen möchte, ist mit dieser Neuausgabe gut bedient; wer allerdings einen Text sucht, der ihm eine Vorstellung vom Stil und auch der Kantigkeit Jane Austens liefert, wird auch weiterhin zu der Ausgabe bei Reclam greifen.

Jane Austen: Vernunft und Gefühl. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Zürich: Manesse, 2017. Pappband, Lesebändchen, 412 Seiten. 26,95 €.

Henry James: Die Europäer

Man muss schon sagen – und das ist mir bereits früher aufgefallen, – nichts übersteigt die Zügellosigkeit, die sich die Fantasie puritanischer Leute manchmal erlaubt.

Die Europaeer von Henry JamesBei „Die Europäer“ handelt es sich um einen kurzen, frühen Roman von Henry James (je nachdem, ob man „Watch and Ward“ als vollwertigen Roman gelten lässt, handelt es sich um seinen dritten oder vierten). Er ist 1878 erschienen, seine Handlung ist aber – wie die zahlreicher anderer Texte James’ auch – deutlich vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg in Boston angesiedelt. Die Europäer des Romans sind zwei Geschwister, Baronin Eugenia Münster (im Original Munster, was akustisch deutlich näher bei Monster liegt) und ihr jüngerer Bruder Felix Young, ein immer gut gelaunter Liebhaber der Malerei. Die Baronin floh vom alten Kontinent, da ihre Ehe zum Bruder des regierenden Fürsten von Silberstadt-Schreckenstein in einer Krise steckt: Der Fürst möchte seinen Bruder gern standesgemäß verheiraten und daher dessen morganatische Ehe mit Eugenia lösen; da er aber nicht nur ein schreckensteinischer Herrscher, sondern auch ein Gentleman ist, macht er die Verwirklichung seiner Pläne von Eugenias Zustimmung abhängig.

So besuchen Eugenia und Felix in Boston ihre amerikanischen Verwandten: Mr. William Wentworth, der Halbbruder ihrer Mutter, lebt dort mit seinen drei Kindern in gut situierten Verhältnissen. Seine beiden noch unverheirateten Töchter Charlotte und Gertrude befinden sich passenderweise gerade im besten heiratsfähigen Alter, aber der Jüngste, Clifford, macht seinem Vater etwas Sorgen, da er wegen eines Falls von öffentlicher Trunkenheit eine Zwangspause im Studium einlegen muss. Das Umfeld der Familie bilden Robert Acton und seine Schwester Lizzie sowie Mr. Brand. Robert Acton hat bereits als junger Mann sein ererbtes Vermögen beim Handel in China verfünffacht und scheint nun gar nichts zu tun (überhaupt arbeitet niemand in diesem Roman für seinen Lebensunterhalt), seine Schwester dient als potentielles Ehefrau Cliffords, und der Unitarische Geistliche Mr. Brand ist sowohl für die moralische Besserung Cliffords zuständig als auch als Ehemann für Gertrude vorgesehen. Der aufmerksame Leser beginnt sogleich, im Geiste Pärchen zu bilden.

So kommt es denn, wie es kommen muss, oder wenigstens beinahe: Felix heiratet am Ende Getrude, Mr. Brand heiratet Charlotte, Clifford heiratet Lizzie und nur Eugenia und Robert bekommen einander nicht, sondern Eugenia verlässt das für sie unerträglich langweilige Amerika wieder und begibt sich zurück zu ihrer gefährdeten Ehe in Silberstadt-Schreckenstein, was ihr immer noch lieber zu sein scheint, als sich in ein vernünftiges, solides Leben in Boston einzufinden neben einem Mann, der zwar sie liebt, den sie aber nicht zu lieben versteht.

Die Vernunft ist deprimierend fade. Das ist eine Suppe ohne Salz.

Seinen milden Witz bezieht der Roman aus der Verunsicherung der altehrwürdigen Puritaner durch die weit weniger traditionell erscheinenden, in ihren Manieren wenigstens äußerlich freieren Europäer. Alles in allem muss man aber feststellen, dass die Figuren des Romans vergleichsweise flach bleiben. So müssen sich die Leser den Konflikt, den die Baronin in sich austrägt, und die Umstände ihrer amerikanischen Langeweile weitgehend selbst zusammenreimen, da sie vom ihren europäischen Lebensumständen kaum etwas Konkretes erfahren; auch der ewig gutgelaunte Felix, der selbst die direktesten Grobheiten mit Leichtigkeit und naiver Harmlosigkeit vorträgt, ermangelt jeglichen tatsächlichen Charakters. Die einzige Figur, bei der James etwas anderes als ein Komödienklischee gelungen ist – Gertrude – kommt so selten im Buch vor, dass auch sie mehr zu einem raunenden Geheimnis als zu einer tatsächlichen Person gerät.

Ein leichter, eingängiger, kurzer Roman ohne besonderen Tiefgang, der nur an wenigen Stellen ahnen lässt, was für ein Schriftsteller aus James noch werden sollte. Vom Publikum seiner Zeit ist er gut aufgenommen worden; seine heutigen deutschen Leser werden ihn wohl eher nur en passant zur Kenntnis nehmen.

Henry James: Die Europäer. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Zürich: Manesse, 2015. Leinenband mit grünem Farbschnitt, Lesebändchen, 248 Seiten. 24,95 €.