Henry James: Die Kostbarkeiten von Poynton

Der arme Owen ging mit offener Furcht vor dem Denken der Menschen durchs Leben: Es gab Erklärungen, die zu bekommen er sich fast ebenso scheute, wie sie zu liefern.

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die erste Hälfte der 1890er Jahre für Henry James so etwas wie eine Wendezeit dargestellt hat: Der Tod seiner Schwester Alice 1892, der Selbstmord seiner Freundin Constance Fenimore Woolson 1894 und nicht zuletzt sein Scheitern als Bühnenautor mit der Premiere von „Guy Domville“ Anfang 1895  bilden die Eckpunkte eine Krise, die zu seiner Neuerfindung als Romanautor führen. Der kleine Roman “The Spoils of Poynton” erschien 1897 und ist nach “The Other House” der zweite Roman, der Ergebnis dieser Neubesinnung war. Der Roman dürfte in Deutschland zu den unbekannteren von James gehören; Manesse legt ihn in seiner Reihe von Neuübersetzungen in einer Übertragung von Nikolaus Stingl erneut vor.

Im Mittelpunkt des Buches steht die junge Fleda Vetch, die zufällig die Bekanntschaft der vergleichsweise wohlhabenden Witwe Adela macht. Mrs. Gereth hat sich zusammen mit ihrem Mann im Herrenhaus von Poynton ein kleines, privates Museum zusammengestellt. Bei ihren jahrelangen Reisen durch Europa haben sie auf Märkten, Basaren und in Antiquariaten Schmuckstücke der europäischen Kultur erworben, die nun in Poynton eine, zumindest in den Augen der Hausherrin einmalige Sammlung bilden. An dieser Sammlung hängt denn auch ihr Herz, und sie befürchtet, dass ihr Sohn Owen, der nach seiner Hochzeit das Haus und seine Einrichtung erbt, eine Frau heiraten wird, die den Wert der Sammlung weder zu schätzen, noch zu bewahren wissen wird. Die entsprechende Kandidatin ist bereits vorhanden: Mona Brigstock, die durch die Geschmacklosigkeit der Ausstattung des elterlichen Hauses und ihre offenbare Gleichgültigkeit den Schätzen von Poynton gegenüber ausreichend als Barbarin entlarvt ist. Ganz im Gegensatz zu ihr stellt die gesellschaftlich unbedeutende Fleda Vetch in den Augen von Mrs. Gereth die ideale Schwiegertochter dar: Ästhetisch feinfühlig, emphatisch und intelligent wäre sie diejenige, der Mrs. Gereth ihre Sammlung bedenkenlos überlassen würde.

Nachdem sich Owen mit Mona verlobt hat, erweist sich einzig die Übergabe des Hauses von Poynton als Hinderungsgrund für die Hochzeit. Mrs. Gereth sollen ein kleineres Haus umziehen, das der Familie seit dem Tod eines Tante gehört, die Inneneinrichtung Poyntons aber bis auf einige wenige Stücke, die Owen ihr mitzunehmen gestatten will, zurücklassen. Zwar kommt Mrs. Gereth zwar dem Wunsch nach, das Haus zu räumen, aber sie zieht mit nahezu der kompletten Ausstattung aus Poynton aus.

In dem sich zuspitzenden Konflikt zwischen Mutter und Sohn wird Fleda zur Vermittlerin zwischen den Parteien, die beide im Glauben sind, sie befinde sich wesentlich auf ihrer Seite. Fleda ist in dem Konflikt nicht ohne eigene Interessen, da sie sich in Owen verliebt hat, aber heroisch auf ihn zu verzichten gedenkt, da sie die von ihm eingegangene Verlobung auf keinen Fall stören möchte. Owen wiederum, der von Mona solange hingehalten wird, bis er die Sachen von seiner Mutter zurückbekommen hat, verliebt sich nun in Fleda, erklärt sich ihr gegenüber auch, erhält aber natürlich aus dem oben genannten ethischen Motiv heraus von ihr einen Korb. James versteht es, die Situation so zu entwickeln, dass dem Leser lange Zeit unklar bleibt, wie sich die Spannung lösen wird. Auch hier sollen die Auflösung und die abschließende Pointe nicht verraten werden.

Der Roman ist ereignisarm, dialoglastig und gerät an mehreren Stellen in gänzlich statische Sackgassen, die dennoch erzählerisch über Seiten und Seiten hinweg aufrechterhalten werden. Sein im Wesentlichen auf drei Personen beschränktes Personal (selbst Mona bildet nur eine Nebenfigur) kann den Leser dazu verführen, das ganze als eine Art soziologisches Experiment zu lesen, das die Frage stellt, was geschieht, wenn ein wirklich anständiges Mädchen mit den Gepflogenheiten der Gesellschaft kollidiert.

Die Neuübersetzung wird dem anspruchsvollen Roman weitgehend gerecht, dessen Hauptproblem darin besteht, die voraussetzungsreichen und zumeist indirekt geführten Dialoge angemessen zu übersetzen, so dass sie weder unverständlich noch banal werden. Diese Gratwanderung ist gut gelungen; einzig den naiven Ton des Gentlemans Owen hätte ich mir noch deutlicher herausgearbeitet gewünscht.

Ein Roman für Henry-James-Leser und alle, die am psychologischen Realismus der Jahrhundertwende interessiert sind.

Henry James: Die Kostbarkeiten von Poynton. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Zürich: Manesse, 2017. Leinenband, Lesebändchen, 288 Seiten. 24,95 €.

Henry James: Eine Dame von Welt

Das letzte Wort zu alldem musste lauten, dass Mrs. Headway ein Quälgeist war.

James Dame„Eine Dame von Welt“ heißt im Original “The Siege of London”, also Die Belagerung von London. Dass der Verlag eine solche Umbenennung für notwendig hielt, macht deutlich, dass James in Deutschland mittlerweile so unbekannt ist, dass man mit einer getreuen Übersetzung des Titels die Leser historischer Romane in die Irre zu leiten fürchtet. Ich vermute, dass es inzwischen in China eine Ausgabe von Thomas Manns „Der Zauberberg“ unter dem chinesischen Titel Das Sanatorium gibt, um die chinesischen Fantasy-Leser nicht zu verwirren. Einerseits ist eine solche Haltung in Zeiten eines immer breiteren und zugleich immer differenzierteren Buchmarktes verständlich (dazu gehört auch die hinzuerfundene Gattungsbezeichnung „Eine Salonerzählung“), andererseits nimmt die deutsche Ausgabe mit dieser Entscheidung dem intelligenteren Leser ein von James bewusst an den Anfang gesetztes Signal, um den Ton der Erzählung einschätzen zu können. Aber was nützt das beste Straßenschild, wenn es kaum wer als solches erkennt? Da kann man an derselben Stelle auch gleich eine Reklametafel aufstellen. Denn immerhin existiert ja noch die Straßenverkehrsordnung, wenn die auch kaum mehr wer kennt. „Das ist ein prächtiger Anfang! Wenn jeder nur erst wieder von Null ausgeht, da müssen die Fortschritte in kurzer Zeit außerordentlich bedeutend werden“, bemerkte Goethe zu Johann Daniel Falk am 17. April 1808. Wie rasch doch die unbedeutendsten Dinge zu vollständig nutzlosen Betrachtungen führen können.

Wie so oft bei James ist es nicht einfach zu entscheiden, wessen Geschichte eigentlich erzählt wird. Es beginnt mit einer Begegnung der beiden US-Amerikaner George Littlemore und Rupert Waterville mit Nancy Headway in der Pariser Comédie Française. Littlemore kennt Nancy aus seiner Zeit im Westen der USA; damals hieß sie noch Nancy Beck, und seit damals hat sie einige Ehen hinter sich gebracht. Nachdem sie mit dem Versuch, in die New Yorker High Society aufgenommen zu werden, gescheitert ist, versucht sie jetzt ihr Glück in London. Zu diesem Zweck hat sie dem deutlich jüngeren Sir Arthur Demesne den Kopf verdreht, den sie zu heiraten gedenkt, wenn er sich denn dazu bringen lässt. Dem steht im Wesentlichen seine Mutter im Weg, die den Verdacht hegt, Mrs. Headway sei nicht gesellschaftsfähig, es aber nicht nachweisen kann. Sie versucht sowohl Waterville, der für die US-Botschaft in London arbeitet, als auch Littlemore die entsprechenden Informationen zu entlocken. Littlemore, der mit der ganzen Sache eigentlich nichts zu tun haben will, knickt schließlich ein und bestätigt Lady Demesnes Verdacht. Doch es ist zu spät: Nancy ist bereits verlobt mit Sir Arthur und setzt sich gegen die Mutter letztlich durch.

Der moralische Konflikt ist interessanterweise der Littlemores: Nancy ist eine rücksichtslose Karrieristin, die schlicht versucht, ihre Interessen durchzusetzen; sie betrachtet das Normensystem der besseren Gesellschaft und seine Vertreter schlicht als Gegner, gegen die es sich durchzusetzen gilt. Waterville dagegen will als Vertreter des Normensystems erscheinen, ist aber nicht bereit, die daraus folgenden Konsequenzen zu ziehen: Von Lady Demesne nach der Vergangenheit von Nancy Headway befragt, windet er sich aus der Verantwortung heraus, obwohl er sie moralisch ebenso verurteilt wie die Fragestellerin oder seine Mutter oder Schwester. Littlemore schließlich, der das ganze als eine Art oberflächlichen Spiels ansieht und auf dem Standpunkt steht, dass Nancy jedes Recht hat zu versuchen, sich gegen den Widerstand der Gesellschaft durchzusetzen, ist derjenige, der Lady Demesne am Ende das liefert, was sie braucht. Er tut dies in dem Wissen, dass eine Verlobung bereits stattgefunden hat, und in der Überzeugung, dass seine Antwort wahrscheinlich nichts mehr ändern wird. Dennoch ist er es, der als einziger der moralischen Forderung nach Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander nachkommt. Ob Lady Demesne einen Anspruch auf diese Wahrhaftigkeit erheben kann, bleibt dabei ebenso ungeklärt wie die Frage, ob das moralische Urteil, das sich die High Society über Nancy Headway anmaßt, berechtigt ist oder nicht.

Hält man diese distanzierte Haltung des Erzählers mit dem historisierenden Originaltitel zusammen, bekommt man einen Eindruck von der über dem Ganzen der Erzählung liegenden Ironie: James erzählt diese Episode, als würde sie beispielsweise am Hofe Heinrich VIII. spielen, und er hält sie in ihren moralischen Konsequenzen wahrscheinlich für ähnlich relevant, als hätte sie sich dort abgespielt. Nimmt man allerdings an, die Erzählung sei eine Salonerzählung und handle von einer Dame von Welt, könnte dies im Einzelfall beim Leser zu einem ganz grundsätzlichen Missverständnis führen. Doch die Hauptsache ist natürlich, dass der Vertrieb zufrieden ist.

Ergänzt wird der Band durch einen Essay von Henry James, indem er unter anderem über eines der Vorbilder der Erzählung, Alexandre Dumas’ Komödie „Le Demi-Monde“, schreibt.

Henry James: Eine Dame von Welt. Eine Salonerzählung. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Berlin: Aufbau, 2016. Flexibler Leinenband mit Banderole, Lesebändchen, 176 Seiten. 16,95 €.

Henry James: Daisy Miller

»Sie tat, was sie wollte!«

James Daisy Miller„Daisy Miller“ ist eine der frühen Erzählungen Henry James’, erstmals veröffentlicht im Jahr 1878. Das Original trägt den etwas differenzierteren Titel “Daisy Miller: A Study”, was in dieser Neuausgabe bei dtv auf die schlichte Gattungsbezeichnung „Eine Erzählung“ reduziert wird. Der Geschichte seiner Titelheldin stand James im Alter eher reserviert gegenüber, musste aber hinnehmen, dass sie zu seinen bekanntesten und beliebtesten gehörte.

Interessanterweise ist der eigentliche Protagonist aber der junge US-Amerikaner Frederick Winterbourne, der bereits als Kind nach Europa gekommen ist. Zur Zeit der Erzählung lebt er in Genf, wo er vorgeblich studiert, tatsächlich aber eine Beziehung zu einer älteren Frau pflegt. Daisy Miller lernt er zufällig kennen, als er seine Tante im Kurort Vevey besucht. Sie fällt ihm sofort nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihres sehr freien und selbstbewussten Verhaltens auf. Sie lässt sich schon nach kurzer Bekanntschaft mit Winterbourne darauf ein, zusammen mit ihm – und nur mit ihm – das nahegelegene Schloss Chillon zu besichtigen.

Winterbournes Tante reagiert auf seinen Bekanntschaft mit Daisy etwas reserviert, da sie von den Millers gesellschaftlich nicht viel hält. Daisy, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrem viel jüngeren Bruder in Europa unterwegs ist, stammt aus einer Industriellenfamilie, die aber nicht zur High Society der USA zu rechnen ist. Für Winterbournes Tante machen sich diese Leute allein schon deshalb unmöglich, weil sie mit ihrem europäischen Cicerone zusammen essen und überhaupt einen vertrauten Umgang mit ihm pflegen. Daisy lebt in Europa offenbar ein außergewöhnlich freies Leben, da ihre Mutter sich als gänzlich unfähig erweist, der Selbstständigkeit ihrer Tochter irgendwelche Grenzen zu setzen.

Als Winterbourne seinen Besuch in Vevey bereits nach wenigen Tagen beendet, lässt Daisy für einen einzigen Moment durchblicken, dass ihr ironisches und distanziertes Spiel mit Frederick nur eine Farce ist, und sie an dem jungen Mann doch ernsthafter interessiert sein könnte. Sie nötigt ihm jedenfalls das Versprechen ab, sie im Winter in Rom aufzusuchen, was in Fredericks Pläne passt, da auch seine Tante sich dann in Rom aufhalten wird.

Winterbourne trifft etwa acht Monate später erwartungsvoll in Rom ein und hofft eine Daisy vorzufinden, die ihn sehnsüchtig erwartet. Stattdessen amüsiert sich die junge Frau prächtig in der römischen Gesellschaft, pflegt Freundschaften mit italienischen Junggesellen und kümmert sich wenig darum, was die amerikanische Gemeinde in Rom von ihr denkt. Diese Spannung kommt zur Entladung, kurz nachdem Frederick in Rom eingetroffen ist: Daisy wird von einer der Grande Dames der Amerikaner dazu aufgefordert, einen Spaziergang mit ihrem italienischen Freund Giovanelli abzubrechen und zu ihr in die Kutsche zu steigen; als Daisy sich weigert, das zu tun, wird sie bei nächster Gelegenheit öffentlich abgekanzelt und aus der guten Gesellschaft ausgestoßen.

Winterbourne reagiert in einer Mischung aus Enttäuschung, Eifersucht und Unsicherheit ebenfalls abweisend; er versucht zwar noch, Daisy auf den rechten Weg zu führen, gibt sie dann aber letztlich ebenfalls auf. James bringt die Erzählung zu einem recht abrupten Ende, indem er Daisy an der Malaria erkranken und kurz darauf sterben lässt. Am Grab kommt Frederick zur Einsicht, die junge Frau und ihre Handlungen falsch be- und sie daher verurteilt zu haben. Doch allzu tief scheint es ihn nicht getroffen zu haben, denn letztlich kehrt er zu seinem eigenen unmoralische Verhältnis in Genf zurück.

Es ist nicht ganz einfach zu bestimmen, wovon James in diesem Text eigentlich erzählt; es könnte sogar der Verdacht aufkommen, dass er das selbst nicht so ganz genau gewusst hat. Der für James typische Gegensatz zwischen nordamerikanischen und europäischen Sitten bildet nur die Folie für eine Geschichte, in der einen junge Frau von der sie umgebenden Gesellschaft dafür verurteilt und abgestraft wird, dass sie sich Freiheiten herausnimmt, die bei einem US-amerikanischen Mann in Europa selbstverständlich toleriert werden. Dass James das Thema nicht vollständig durchführen konnte, zeigt sich an dem hilfsweisen Tod Daisys, für den zum Teil ihr eigener Starrsinn, zum Teil die Leichtfertigkeit Giovanellis verantwortlich gemacht werden. Daisy scheitert an der Gefährlichkeit der Natur, der sie sich aussetzt, nicht an der Gesellschaft, von der sie verurteilt wurde. Das ermöglicht eine Tragik, für die am Ende keiner wirklich verantwortlich zeichnet, ohne dass das kritische Potenzial der Erzählung damit aufgehoben würde. Wahrscheinlich ist es diese eigentümliche Konstruktion, die zu ihrem dauerhaften Erfolg wesentlich beigetragen hat.

Die Neuübersetzung von Britta Mümmler liest sich gut und ist, soweit ich sie geprüft habe, in der Sache korrekt, nimmt sich für meinen Geschmack aber stilistisch ein wenig zu viele Freiheiten heraus – fehlende oder hinzugefügte Worte, Verwechslung von Subjekt und Objekt und andere Änderung von Satzstrukturen habe ich allein auf den ersten Seiten gefunden; den kastrierten Titel muss man wahrscheinlich dem Verlag und nicht der Übersetzerin anlasten. Wer den englischen Text nicht kennt, wird aber mit dieser deutschen Ausgabe ganz zufrieden sein; die Erläuterungen im Anhang sind gut gesetzt und hilfreich. Alles in allem eine gute deutsche Leseausgabe.

Henry James: Daisy Miller. Aus dem Englischen von Britta Mümmler. Kindle-Edition. München: dtv, 2015. (Druckausgabe: 128 Seiten.) 9,99 €.

Jahresrückblick 2015

Auch für das vergangene Jahr die Höhen und Tiefen der Lektüre in einem kurzen Überblick diesmal mit einer sich zufällig ergebenden Aufteilung zwischen Belletristik und Sachbuch.

Die drei besten Lektüren des Jahres 2015:

  1. Philip Roth: Der menschliche Makel – ein sehr fein gearbeiteter Roman über grobe Vorurteile und die Macht des moralischen Klatsches.
  2. William Faulkner: Absalom, Absalom! – einer der ganz großen US-amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts über Folgen des Rassismus und anderer Lügen.
  3. Henry James: Die Gesandten – subtile Neuübersetzung eines der bedeutenden Spätwerke Henry James’, in dem beinahe nichts passiert und sich dennoch alles ständig in Bewegung befindet.

Die drei schlechtesten Lektüren des Jahres 2015:

  1. Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit – ein gutes Beispiel dafür, wie man mit einem halbverstandenen und gar nicht durchdachten Konzept die Welt nicht begreifen kann.
  2. Hazel Hutchison: Henry James – eines der schlampigsten Bücher, das ich je in der Hand gehabt habe: Inhalt, Übersetzung und Lektorat sind indiskutabel.
  3. Orlando Figes: Hundert Jahre Revolution – ein weiteres Exemplum für ein schludriges Sachbuch eines eigentlich versierten Historikers, das auf ein breites Publikum abzielt, das es ohnehin nicht besser weiß.

Henry James: Die Gesandten

Vorherrschend jedoch blieb an diesem Ort und in dieser Stunde die Freiheit; es war die Freiheit, was ihm am stärksten seine eigene, vor langer Zeit versäumte Jugend zurückbrachte.

James-GesandtenAuch der Hanser Verlag liefert in seiner Klassiker-Reihe einen Beitrag zum bevorstehenden Henry-James-Jubiläumsjahr: James’ später Roman „The Ambassadors“ (1903) erscheint in einer Neuübersetzung von Michael Walter, einem der renommiertesten deutschen Übersetzer. „Die Gesandten“ gelten einerseits als eines der späten Meisterwerke James’, sie stellen andererseits hohe Ansprüche an ihre Leser, heute wahrscheinlich mehr als noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die Handlung des Romans ist – wie oft bei Spätwerken anspruchsvoller Autoren – stark reduziert und bildet nicht mehr als ein Gerüst für das eigentliche Interesse des Erzählers: Erzählt wird ein knappes halbes Jahr aus dem Leben des US-Amerikaners Lewis Lambert Strether – wahrscheinlich benannt nach dem Titelhelden von Balzacs Roman „Louis Lambert“ (1845) –, der Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem kleinen und fiktiven amerikanischen Städtchen Woollett in der Nähe Bostons nach Paris reist. Strether, 55 Jahre alt und Witwer, ist im Auftrag seiner Chefin und Verlobten Mrs. Newsome unterwegs, um deren Sohn Chad in Paris loszueisen und nach Amerika zurückzubringen. Chad befindet sich inzwischen seit drei Jahren in Europa, und in Woollett vermutet man, dass er sich eine Beziehung zu einer moralisch fragwürdigen Frau zugezogen hat. In Woollett dagegen erwartet ihn nicht nur eine finanziell überaus lukrative leitende Position im väterlichen Unternehmen, sondern auch eine dieser Stellung angemessene Heirat mit der „fabelhaften“ – das für nahezu alle Personen ständig benutzte Epitheton Strethers – Mamie Pocock, mit deren Bruder Jim bereit Chads Schwester Sarah verheiratet ist.

In Paris zeigt sich Strether allerdings ein recht anderes Bild: Chad hat sich unter der leitenden Hand der verheirateten Comtesse Marie de Vionnet zu einem jungen Gentleman gemausert, der auf Strether einen gewaltigen Eindruck macht. Sein gehobener Umgang, seine vornehme Wohnung, seine Lebensart schlechthin überwältigen Strether so sehr, dass er bei ihrer ersten Begegnung zwar seinem Auftrag nachkommt, Chad zur Rückkehr aufzufordern, jedes ernsthafte Drängen in dieser Richtung aber unterlässt und anschließend seine Tage in Paris mehr oder weniger vorbeitreiben lässt. Er lernt die Comtesse und ihre ihn entzückende Tochter Jeanne kennen, befreundet sich mit John Bilham, einem von Chads US-amerikanischen Freunden und berichtet über all das brav und aufrichtig in Briefen nach Woollett. Als Chad sich dann endlich zur Abreise bereit erklärt, verhindert Strether dies in dem klaren Bewusstsein, dass Mrs. Newsome ihm weitere Gesandte nachschicken wird. Er lebt in der Überzeugung oder wenigstens der Hoffnung, dass auch diese Chads Verwandlung erkennen und seinen Verbleib in Europa befürworten werden. Um Strethers Haltung richtig einschätzen zu können, muss man noch wissen, dass er nahezu die einzige Figur des Romans ist, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten muss: Er ist Herausgeber einer von seiner Verlobten finanzierten Woolletter Zeitschrift, so dass er damit rechnen muss, nicht nur seine berufliche Stellung, sondern auch seine Alterssicherung zu verlieren, wenn er sich den Zorn der allmächtig im Hintergrund bleibenden Mrs. Newsome zuzieht.

Wie erwartet, tauchen nach einigen Wochen drei weitere Abgesandte in Paris auf: Chads Schwester mit Ehemann und Schwägerin. Entgegen Strethers Hoffnung ist Sarah von Chads Entwicklung nicht im geringsten beeindruckt, hält seine platonische Freundschaft mit der Comtesse schlicht für ein unmoralisches Verhältnis mit einer verheirateten Frau, die Comtesse selbst für eine adelige Schlampe und bringt überhaupt nur deshalb für einige Wochen Geduld mit Chad auf, weil sie selbst Urlaub in Paris zu machen gedenkt. Doch bevor sie mit ihrer Entourage zu einer kleinen Rundreise durch Europa aufbricht, setzt sie Chad und Strether die Daumenschrauben an. Und da sich Strether nicht vorbehaltlos auf ihre Seite schlägt, erklärt sie, nun „mit ihm fertig“ zu sein, wobei sie durchaus nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mutter spricht. Bevor der Roman endet, steht Strether noch eine herbe Überraschung und Einsicht bevor, aber auch diese bewältigt er ganz und gar als der wahre Gentleman, der er ist. Das Ende des Romans bleibt mehr oder weniger offen: Ob Chad tatsächlich dauerhaft in Paris bei der Comtesse blieben wird und wie es in der privaten und beruflichen Zukunft Strethers, der vorerst einmal in die USA zurückkehrt, weitergehen wird, wird höchstens angedeutet.

Im Zentrum des Romans steht die Einsicht Strethers, sein Leben vertan zu haben. James selbst hat darauf hingewiesen, dass Strethers kleine Rede an den jungen Bilham über die „Illusion der Freiheit“ das eigentlichen Thema des Romans prägnant zusammenfasst:

Immerhin haben wir die Illusion der Freiheit; vergessen Sie deshalb nicht, so wie ich heute, diese Illusion. Ich war im entscheidenden Augenblick entweder zu dumm oder zu klug, mich daran zu erinnern; ich weiß nicht, was von beiden. Jetzt spricht aus mir die Reaktion auf diesen Fehler; und der Stimme der Reaktion sollte man fraglos nie ohne Vorbehalt begegnen. Das ändert aber nichts daran, dass für Sie jetzt die richtige Zeit da ist. Die richtige Zeit ist jede Zeit, die man zum Glück noch besitzt. […] Verpassen Sie bloß nichts aus Dummheit. […] Tun Sie, was Sie wollen, bloß begehen Sie nicht meinen Fehler. Denn es war ein Fehler. Leben Sie, leben Sie!

Dieses kleine Plädoyer für das Leben – das ursprünglich von James’ Freund und Mentor William Dean Howells stammt und die erste Idee zum Roman lieferte – beschreibt auf den Punkt, woraus sich Strethers Loyalität gegenüber Chad selbst dann noch speist, als er einsehen muss, von diesem belogen und manipuliert worden zu sein.

All dies wird in einem sehr langsamen und detaillierten Stil beschrieben. Die weitgehend personale Erzählperspektive des Romans und die damit einhergehende langsame und sozusagen schichtweise Einsicht in die bestehenden Sachverhalte sowie das Überwiegen dialogischer und reflektierender Passagen stellen einige Ansprüche an Geduld und Aufmerksamkeit der Leser. Der Roman unterläuft, wie Herausgeber Daniel Göske in seinem durchweg informativen Nachwort richtig anmerkt, alle damals gängigen Lesererwartungen an einen in Paris spielenden Roman: Er ist weder ein sozialkritischer Zeitroman, noch eine romantische Komödie, eine moralisierende Liebesgeschichte oder ein tragischer Ehebruchsroman. Auch für den Protagonisten eines Entwicklungsromans ist Strether deutlich zu alt. Auch der von James so ausgiebig bearbeitete Gegensatz Europa/USA spielt in diesem Fall nur eine untergeordnete, hintergründige Rolle. Für den Leser kommt es ganz und gar darauf an, sich auf die Person Strethers einlassen zu können; wer den sentimentalen Konflikt des Protagonisten nicht erfasst, für den ist der Roman verloren.

Die Neuübersetzung durch Michael Walter ist – bis auf winzige Kleinigkeiten – meisterlich. Walter versteht es, die komplexen Strukturen, in denen sich die Gedanken Strethers bewegen, im Deutschen perfekt nachzubauen. Die schwierigste Aufgabe bestand aber zweifelsohne darin, die nahezu immer nur indirekten und vieldeutigen Dialoge zwischen den Figuren wiederzugeben. Kaum jemals sagt in diesem Roman eine Figur unmittelbar, was sie meint; beinahe jede Äußerung enthält nicht nur eine Andeutung, sondern auch die Möglichkeit, sie misszuverstehen, und garantiert dem Sprecher zugleich die Möglichkeit der Ausflucht, nichts von alledem, was man verstehen könnte, tatsächlich gemeint zu haben. Das geht soweit, dass James eine der Nebenfiguren von der Bühne fliehen lässt, als sie sich in die Notlage versetzt sieht, Strether entweder geradewegs belügen oder gänzlich schweigen zu müssen. Dieses fragile System der Kommunikation, das schon im Original unendliche Mühe gemacht haben muss, ins Deutsche gerettet zu haben, ist kein kleines Meisterstück!

Ein Roman für Leser, die Zeit und Sorgfalt in seine Lektüre zu investieren bereit sind. Ich verspreche, dass sie dafür reicher belohnt werden als durch die Lektüre von zehn zeitgenössischen Krimis (von denen ich zugestandenermaßen keine Ahnung habe).

Henry James: Die Gesandten. Aus dem Englischen von Michael Walter. München: Hanser, 2015. Leinen, Fadenheftung, zwei Lesebändchen, 699 Seiten. 39,95 €.

Henry James: Die Europäer

Man muss schon sagen – und das ist mir bereits früher aufgefallen, – nichts übersteigt die Zügellosigkeit, die sich die Fantasie puritanischer Leute manchmal erlaubt.

Die Europaeer von Henry JamesBei „Die Europäer“ handelt es sich um einen kurzen, frühen Roman von Henry James (je nachdem, ob man „Watch and Ward“ als vollwertigen Roman gelten lässt, handelt es sich um seinen dritten oder vierten). Er ist 1878 erschienen, seine Handlung ist aber – wie die zahlreicher anderer Texte James’ auch – deutlich vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg in Boston angesiedelt. Die Europäer des Romans sind zwei Geschwister, Baronin Eugenia Münster (im Original Munster, was akustisch deutlich näher bei Monster liegt) und ihr jüngerer Bruder Felix Young, ein immer gut gelaunter Liebhaber der Malerei. Die Baronin floh vom alten Kontinent, da ihre Ehe zum Bruder des regierenden Fürsten von Silberstadt-Schreckenstein in einer Krise steckt: Der Fürst möchte seinen Bruder gern standesgemäß verheiraten und daher dessen morganatische Ehe mit Eugenia lösen; da er aber nicht nur ein schreckensteinischer Herrscher, sondern auch ein Gentleman ist, macht er die Verwirklichung seiner Pläne von Eugenias Zustimmung abhängig.

So besuchen Eugenia und Felix in Boston ihre amerikanischen Verwandten: Mr. William Wentworth, der Halbbruder ihrer Mutter, lebt dort mit seinen drei Kindern in gut situierten Verhältnissen. Seine beiden noch unverheirateten Töchter Charlotte und Gertrude befinden sich passenderweise gerade im besten heiratsfähigen Alter, aber der Jüngste, Clifford, macht seinem Vater etwas Sorgen, da er wegen eines Falls von öffentlicher Trunkenheit eine Zwangspause im Studium einlegen muss. Das Umfeld der Familie bilden Robert Acton und seine Schwester Lizzie sowie Mr. Brand. Robert Acton hat bereits als junger Mann sein ererbtes Vermögen beim Handel in China verfünffacht und scheint nun gar nichts zu tun (überhaupt arbeitet niemand in diesem Roman für seinen Lebensunterhalt), seine Schwester dient als potentielles Ehefrau Cliffords, und der Unitarische Geistliche Mr. Brand ist sowohl für die moralische Besserung Cliffords zuständig als auch als Ehemann für Gertrude vorgesehen. Der aufmerksame Leser beginnt sogleich, im Geiste Pärchen zu bilden.

So kommt es denn, wie es kommen muss, oder wenigstens beinahe: Felix heiratet am Ende Getrude, Mr. Brand heiratet Charlotte, Clifford heiratet Lizzie und nur Eugenia und Robert bekommen einander nicht, sondern Eugenia verlässt das für sie unerträglich langweilige Amerika wieder und begibt sich zurück zu ihrer gefährdeten Ehe in Silberstadt-Schreckenstein, was ihr immer noch lieber zu sein scheint, als sich in ein vernünftiges, solides Leben in Boston einzufinden neben einem Mann, der zwar sie liebt, den sie aber nicht zu lieben versteht.

Die Vernunft ist deprimierend fade. Das ist eine Suppe ohne Salz.

Seinen milden Witz bezieht der Roman aus der Verunsicherung der altehrwürdigen Puritaner durch die weit weniger traditionell erscheinenden, in ihren Manieren wenigstens äußerlich freieren Europäer. Alles in allem muss man aber feststellen, dass die Figuren des Romans vergleichsweise flach bleiben. So müssen sich die Leser den Konflikt, den die Baronin in sich austrägt, und die Umstände ihrer amerikanischen Langeweile weitgehend selbst zusammenreimen, da sie vom ihren europäischen Lebensumständen kaum etwas Konkretes erfahren; auch der ewig gutgelaunte Felix, der selbst die direktesten Grobheiten mit Leichtigkeit und naiver Harmlosigkeit vorträgt, ermangelt jeglichen tatsächlichen Charakters. Die einzige Figur, bei der James etwas anderes als ein Komödienklischee gelungen ist – Gertrude – kommt so selten im Buch vor, dass auch sie mehr zu einem raunenden Geheimnis als zu einer tatsächlichen Person gerät.

Ein leichter, eingängiger, kurzer Roman ohne besonderen Tiefgang, der nur an wenigen Stellen ahnen lässt, was für ein Schriftsteller aus James noch werden sollte. Vom Publikum seiner Zeit ist er gut aufgenommen worden; seine heutigen deutschen Leser werden ihn wohl eher nur en passant zur Kenntnis nehmen.

Henry James: Die Europäer. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Zürich: Manesse, 2015. Leinenband mit grünem Farbschnitt, Lesebändchen, 248 Seiten. 24,95 €.

Hazel Hutchison: Henry James

Hutchison-JamesWie an anderer Stelle bereits erwähnt, erfährt Henry James im Vorfeld der 100. Wiederkehr seines Todestages eine kleine Renaissance in Deutschland. Dazu gehört auch die Veröffentlichung einer kurzen, populären Biographie beim Parthas Verlag. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Englischen, und das Elend mit dem Buch beginnt bereits im Impressum, dem nicht zu entnehmen ist, wann und wo das Original einst erschienen ist (London: Hesperus Press, 2012). Die Autorin Hazel Hutchison ist, so der Waschzettel, „spezialisiert auf die Literatur des 19. Jahrhunderts“, eine Behauptung, die ich nicht per se in Zweifel ziehen will, … Für diese kurze Biographie wenigstens hat sie annähernd genug gelesen. Insgesamt kann man unempfindlicheren Lesern das Buch durchaus in die Hand geben, bei sensibleren Naturen würde ich davon abraten.

Das Buch ist eine jener Komplettkatastrophen, die nur selten in dieser Reinheit zutage treten: Die Autorin verfügt entweder nicht über ausreichend Bildung für das, worüber sie schreibt, oder sie hat schlicht schlampig gearbeitet, das Deutsch der Übersetzerin ist schlecht und ihre Übersetzung zumindest an einigen Stellen schlicht falsch und schließlich liegt auch noch ein Totalversagen der Lektorin vor, deren Namen der Verlag – vielleicht zur Strafe? – im Impressum ausdrücklich anführt.

Beginnen wir mit der Autorin: Mag es gerade noch so angehen, William Makepeace Thackeray als „comic novelist“ zu charakterisieren, so ist es ganz sicher falsch, jenes Fort, dessen Beschießung den Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs markiert, Fort Summer zu nennen (das allerdings könnte auch auf die Kappe von Übersetzerin oder Lektorin gehen; ich habe die Originalstelle nicht ansehen können) und es nach North, statt richtig nach South Carolina zu verlegen. Auch die Behauptung, der 14-jährige Henry James habe Gemälde der Präraffaeliten in der Londoner National Gallery gesehen, bezeugt die weitgehende Ahnungslosigkeit der Autorin, was die allgemeine Kultur des 19. Jahrhunderts angeht. (Es mag durchaus sein, dass James bereits um 1857 Bilder der Schule angeschaut hat, aber wenn, dann in der Royal Academy; die Sammlung der National Gallery enthielt zu dieser Zeit noch gar keine zeitgenössischen Werke.) Auch, dass sie zu faul ist nachzuschlagen, wie alt Turgenjew im November 1875 war, als James ihn kennenlernte, und sich mit einem nicht nur ungefähren, sondern einfach falschen „um die fünfzig“ begnügt, wirft kein gutes Licht auf das Buch.

Es ist durch die Übersetzung nicht besser geworden: Bereits die Übersetzung der oben erwähnten Phrase vom „comic novelist“ mit „Komödiendichter“ ließ mich Arges befürchten, aber dies ist nur der Auftakt zu einer ganzen Bonanza von Rechtschreibfehlern, willkürlich gesetzten oder weggelassenen Kommas, fehlenden Apostrophen, adjektivisch gebrauchten Adverbien, grammatikalisch falschen Konstruktionen, falschen „dass“, unglücklichen Übersetzungen Falscher Freunde und gröbsten stilistischen Schnitzern, dass es bald aufhört, ärgerlich zu sein, und sich der Leser köstlich über die schiere Menge an Patzern zu amüsieren beginnt.

All dies hätte durch das Lektorat aufgefangen werden müssen, doch ist dies nicht nur nicht geschehen, die Lektorin hat ihren Beitrag zum Gelingen der vollständigen Katastrophe geleistet: So teilt uns etwa der Text mit, dass sich das Ehepaar Edith und Teddy Wharton 1905 ein Automobil zugelegt hatte, in dem herumkutschiert zu werden, Henry James offenbar großen Spaß bereitete. Auf der gegenüberliegenden Seite wird dies illustriert durch ein Bild, das das Ehepaar Wharton und Henry James angeblich 1904 in dem betreffenden Automobil zeigt. Auf S. 82 bekommen wir ein kleines Porträt-Bild von Constance Fenimore Woolson zu sehen, das sie im Jahre 1887 zeigt; ergänzend bringt S. 101 ein nahezu identisches Bild angeblich aus dem Jahr 1890. Hinzukommen falsche Worttrennungen, und sogar einer der heute so selten gewordenen Zwiebelfische hat es ins Buch geschafft.

Kurz gesagt: Mir ist seit Jahren kein so durch und durch schlampig gemachtes Buch mehr in die Hand gekommen. Mag sein, hier wurde ein neuer Standard begründet!

Hazel Hutchison: Henry James. Übersetzt von Ute Astrid Rall. Berlin: Parthas, 2015. Pappband, 224 Seiten. 24,80 €.

P.S.: Noch ein Detail am Rande: Das Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek unter dem falschen Autorennamen Hutchinson erfasst. Vielleicht wird es ja so gnädigerweise unauffindbar.

Henry James: Das Tagebuch eines Mannes von fünfzig Jahren

James-Tagebuch-50-JahreHenry James hat eine bedeutende Anzahl von Erzählungen geschrieben, die zusammen an die 4.700 Seiten füllen, was gut 40 % seines erzählerischen Gesamtwerks entspricht. Das Phänomen, dass die Erzählung in ihren verschiedenen kürzeren Formen während des 20. Jahrhunderts gegenüber dem Roman langsam aber sicher an Boden verloren hat und heute jede Erzählung, die es – unter welchen setzerischen Bedingungen auch immer – auf 150 Seiten oder mehr bringt, vom Vertrieb sofort als Roman ausgeschrien wird, ist hier schon an einigen Stellen thematisiert worden. Für James boten kürzere Erzählungen einerseits die Möglichkeit eines relativ stetigen und sicheren literarischen Einkommens, andererseits lieferten sie ihm ein disziplinierendes Gerüst, denn sie entstanden in der Regel unter dem Druck konkreter Erscheinungstermine.

Manesse schöpft schon seit einigen Jahren aus dem reichen Fundus der Jamesschen Erzählungen und bringt immer wieder Sammlungen mit bislang unübersetzten Stücken heraus. Diesmal hat man mit Friedhelm Rathjen einen Übersetzer gefunden, dem es gelingt, die von James mit Sorgfalt ausdifferenzierten unterschiedlichen Ton- und Stillagen der einzelnen Erzähler auch im Deutschen herauszuarbeiten. Der vorgelegte Band ist eine hübsche Gelegenheit, Henry James als Erzähler kennenzulernen. Die sechs versammelten Erzählungen sind:

Louisa Pallandt (1888)

Der Erzähler ist ein alter, amerikanischer Junggeselle, der in Bad Homburg beim Warten auf die Ankunft seines jungen Neffen, den er mit den Sehenswürdigkeiten Europas vertraut machen soll, seine alte Liebe Louisa Pallandt und deren Tochter Linda wiedertrifft. Louisa hat ihn einst für einen reicheren Ehekandidaten sitzen lassen, der sich allerdings als Bankrotteur erwies, bald verstorben ist und Louisa und die gemeinsame Tochter in relativer Armut zurückgelassen hat. Louisa führte seitdem ein unruhiges Wanderleben in Europa, das im 19. Jahrhundert zahlreichen US-Amerikanern ein preiswerteres Leben ermöglichte. Der Erzähler begegnet seiner alten Liebe mit einiger Reserviertheit, doch als schließlich sein Neffe Archie zu der Gruppe stößt, geschieht das stets Unvermeidliche, wenn attraktive junge Leute aufeinandertreffen. Doch wird das junge Glück von der plötzlichen Abreise der Damen unerwartet unterbrochen.

Erst Wochen später teilt Linda Archie in einem Brief mit, dass sie sich inzwischen mit ihrer Mutter am Lago Maggiore aufhält. Von Archies Verliebtheit getrieben, reisen die Herren ebenfalls dorthin, doch gleich bei der ersten Begegnung zeichnet Louisa dem Erzähler ein recht dunkles Bild von ihrer Tochter. Diese sei ein kaltes, herzloses Wesen, von ihr selbst dazu erzogen, um jeden Preis eine hohe gesellschaftliche Stellung und Reichtum zu erlangen. Louisa eröffne ihm dies, um Buße zu tun für ihre eigene ehemalige Grausamkeit, und werde deshalb auch dafür sorgen, dass Archie nicht in den Fängen dieser Sirene ende. Der Erzähler bleibt ebenso verstört zurück wie der Leser, doch sind in dieser ersten Erzählung bereits die zentralen Themen der Sammlung vorgegeben: Liebe, romantische Leidenschaft und bürgerliche Ehe sowie das für James überhaupt wichtige Motiv der Tradierung und Widerspiegelung sozialer und psychologischer Muster in unterschiedlichen Beziehungen beziehungsweise Generationen.

Der Beldonald-Holbein (1901)

ist die einzige Erzählung dieser Sammlung, in der es nicht in irgendeiner Weise um die Schwierigkeiten der Vermittlung von romantischer Liebe und bürgerlichen Vorstellungen von Sitte und Anstand geht. Erzählt wird vielmehr vom Auftauchen einer älteren Dame mit einem Holbeinschen Charaktergesicht in der Londoner Gesellschaft. Sie soll eigentlich als hässliche Gegenfolie der um ihren Status als Schönheit besorgten Lady Beldonald dienen und ist zu diesem Zweck extra aus Amerika eingeführt worden, wird aber bei ihrem ersten Besuch im Atelier des Malers, der der Erzähler dieser Anekdote ist, als Modell entdeckt. Die Lady, die eigentlich portraitiert werden sollte, verhindert zwar, dass ein Bild ihrer Gefährtin entsteht, erträgt aber ihren Ruhm als Holbein für eine Weile, bevor sie sie zurück nach Amerika verfrachtet. Dort stirbt die vom Ruhm Abgeschnittene nach nur kurzer Zeit an Vereinsamung. Diese späte Erzählung, die sich über den seltsam schiefen Gegensatz von Oberflächlichkeit bei gleichzeitiger hoher Kultiviertheit in London einerseits und der US-amerikanischen Ignoranz gegenüber der europäischen Kulturtradition andererseits lustig macht, ist ein mildes satirisches Kabinettstück, hängt mit den übrigen Erzählungen des Bandes aber nur lose zusammen.

Das Tagebuch eines Mannes von fünfzig Jahren (1879)

erzählt die Geschichte eines älteren englischen Generals, der nach vielen Jahren den Ort seiner ersten großen Liebe wieder aufsucht: Florenz. Dort trifft er auf einen jungen Landsmann, der sich zu der Tochter der ehemaligen Angebeteten des Generals in einer nahezu identischen Beziehung befindet wie der General einstmals zur Mutter. Da der General der Auffassung ist, die Mutter habe ihm seinerzeit übel mitgespielt und sei überhaupt eine unmoralische Kokotte gewesen, macht er es sich zur Aufgabe, den jungen Mann vor demselben Schicksal zu bewahren. Am Ende erweist sich wieder einmal, dass es immer einen Narren mehr gibt, als jeder glaubt.

Der spezielle Fall (1898)

erzählt die Geschichte zweier Affären bzw. ihrer Folgen: Zum einen hatte der junge Barton Reeve eine Affäre mit einer verheirateten Frau, Mrs. Kate Despard, Gattin eines britischen Colonels, von der er nun erwartet, sich scheiden zu lassen, was Mrs. Despard aber trotz ihrer Abneigung gegenüber ihrem Ehemann nicht willig zu tun ist. Zum anderen hatte der mit Barton befreundete Philip Mackern eine Affäre mit der bereits anderweitig verlobten jungen Freundin Mrs. Despards, Margaret Hamer, die sich weigert, sich von ihrem in Indien als Offizier stationierten Verlobten loszusagen. Beide Männer versuchen über die jeweils andere Frau Druck auf ihre Angehimmelte auszuüben. Wie alles tatsächlich ausgeht, interessiert James schon gar nicht mehr; ihm genügt es, die Überschreitungen der gesellschaftlichen Etikette und die daraus resultierenden Hilflosigkeiten der Beteiligten zu schildern, die sich aus der gesellschaftlich nicht sanktionierten Intimität der Affären ergeben.

Die Eindrücke einer Kusine (1884)

ist ebenfalls als Tagebuch geschrieben: Die alte Jungfer Catherine Condit begleitet ihre reiche Kusine Eunice aus Europa nach New York, obwohl es ihr dort gar nicht behagt. Eunice ist noch minderjährig, erwartet aber die Übertragung eines erheblichen Vermögens, das lange Jahre von einem Mr. Caliph als Treuhänder verwaltet wurde. Während sich die Damen in New York etwas langweilen, beginnt der Halbbruder von Mr. Caliph, Adrian Frank, Eunice den Hof zu machen, während Mr. Caliph vorgibt, dass es bei der Übertragung des Vermögens noch einige Schwierigkeiten zu bewältigen gibt. Nach einigem Hin und Her stellt sich natürlich heraus, dass Mr. Caliph Eunices Vermögen veruntreut hat und nun versucht, ihr in Form des Vermögens seines Halbbruders einen Ausgleich zu verschaffen. Eunice aber will nicht Adrian heiraten, sondern ist verliebt in Mr.Caliph, während sich Adrian mittlerweile in Catherine verliebt hat. Auch die Auflösung dieser Verwicklungen kann man sich selbst zurechtlegen, so wie das meiste andere an dieser Erzählung, die für ihren Inhalt zweifellos viel zu lang geraten ist.

Die entscheidende Bedingung (1900)

ist das Schmuckstück dieser Sammlung. Erzählt wird die Geschichte zweier Engländer, Bertram Braddle und Henry Chilver, die bei ihrer Rückreise aus den USA, die sie hauptsächlich bereist haben, um die vielbesprochenen amerikanischen Frauen kennenzulernen, Mrs. Damerel begegnen und sich beide in sie verlieben. Bertram als der ältere und situiertere von beiden ist derjenige, der so etwas wie eine Beziehung mit ihr beginnt, sich nach einiger Zeit in England auch mit ihr verlobt, aber von einem nagenden Zweifel beherrscht wird, ob Mrs. Damerel nicht eine dunkle Vergangenheit habe. Dieser Zweifel wird noch dadurch geschürt, dass ihm seine Verlobte sagt, sie habe ihm durchaus etwas zu gestehen, werde es ihm aber erst sechs Monate nach der Hochzeit verraten, wenn er es dann noch wissen wolle. Anstatt seine Geliebte zu heiraten, verschwindet Bertram wieder in die USA, um dort – vergeblich – Nachforschungen über sie anzustellen.

Seine Abwesenheit nutzt Henry dazu aus, Mrs. Damerel den Hof zu machen, die denn auch die Verlobung mit dem abwesenden Bertram löst und Henry heiratet. Sieben Monate nach der Hochzeit treffen die beiden Freunde einander wieder in London, und Bertram muss zu seinem innerlichen Entsetzen erfahren, dass Henry seine Frau nicht nur unter derselben Bedingung geheiratet hat, sondern von sich aus die Schweigefrist um weitere sechs Monate verlängert hat. Bertram bricht daraufhin den Kontakt zum Ehepaar wieder ab, taucht aber weitere acht Monate später bei Mrs. Chilver auf, um zu versuchen, von ihr das dunkle Geheimnis ihres Vorlebens zu erfahren. Der Schluss dieser Erzählung soll hier selbstverständlich nicht verraten werden.

James muss es großes Vergnügen gemacht haben, die einander umkreisenden Gespräche dieser beiden Gentlemen niederzuschreiben, denen es – und wenn etwas sie auch noch so plagt – niemals erlaubt ist, eine unverstellte Äußerung zu tun, sondern die stets mit großem Geschick um den heißen Brei herumreden. Selbst an der Stelle, wo sie allen Grund hätten, einander zu hassen oder zu verachten, bewahren sie eine bewundernswerte Contenance und soziale Distanz. Und natürlich erweist sich ihnen am Ende die Amerikanerin in jeglicher Hinsicht als überlegen. Wer James kennen und schätzen lernen möchte, beginne mit dieser Erzählung!

Henry James: Das Tagebuch eines Mannes von fünfzig Jahren. Aus dem Englischen übersetzt von Friedhelm Rathjen. Zürich: Manesse, 2015. Leinenband mit rotem Farbschnitt, Lesebändchen, 406 Seiten. 26,95 €.

Henry James: Washington Square

«Gütiger Himmel, was für ein blödes Weib», rief Morris sich im Stillen zu.

James-Washington-SquareBei Manesse kümmert man sich erfreulicherweise wieder um Henry James, von dem es zwischenzeitlich mal den Anschein hatte, dass er in Deutschland langsam vergessen würde. James nimmt in der englischsprachigen Literatur in etwa die Stelle ein, die Theodor Fontane in der deutschsprachigen besetzt. Das heißt, dass seine Romane oft im gehobenen Bürgertum spielen und typische Probleme der bürgerlichen Gesellschaft darstellen. Hinzukommt bei James, der in Amerika geboren wurde, einen Großteil seines Lebens aber in Europa verbrachte und schließlich sogar englischer Staatsbürger wurde, die Faszination der Amerikaner für das alte Europa bzw. das halb bewundernde, halb kopfschüttelnde Unverständnis der Europäer für ihre nordamerikanischen Kusinen und Vettern.

„Washington Square“ (1881) ist einer von James’ frühen, vergleichsweise kurzen Romanen. Erzählt wird die Geschichte der verhinderten Eheschließung Catherine Slopers etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Catherine ist die Tochter eines angesehen New Yorker Arztes, deren Mutter recht bald nach Catherines Geburt verstorben ist. Aufgezogen wurde Catherine von ihrer Tante Lavinia Penniman, die nach dem Tod ihres Ehemannes vorübergehend in das Haus ihres Bruders ein-, doch nie wieder ausgezogen ist. Catherine ist ein in beinahe jeglicher Hinsicht durchschnittliches Mädchen: Sie enttäuscht ihren Vater, was ihre Intelligenz angeht, und ihre Tante, soweit es ihre Befähigung zu romantischer Leidenschaft betrifft. Den einzigen Vorzug, den sie gesellschaftlich für sich verbuchen kann, ist das mütterliche Vermögen, das ihr 10.000 $ im Jahr einbringt, und das väterliche Erbe, das eines Tages den doppelten Betrag hinzufügen wird. Gesegnet mit diesen herausstechenden Vorzügen wird sie – wie es kommen muss – zum Ziel eines gutaussehenden Mitgiftjägers, Morris Townsend, der sein eigenes kleines Vermögen bei Reisen durch die Welt durchgebracht hat und sich nun eine Ehefrau sucht, um der Notwendigkeit einer Beschäftigung zu entgehen.

Der nüchterne Doktor Sloper durchschaut die Absichten Townsends rasch und teilt seiner Tochter mit, dass er gegen die zwischen den beiden jungen Leuten verabredete Verlobung sei. Da Catherine volljährig sei, könne er sie an der Heirat mit Townsend nicht hindern, er werde sie aber enterben, was dem Enthusiasmus des jungen Mannes sicher einen Dämpfer aufsetzen werde. Da sich Catherine von dieser Drohung unbeeindruckt zeigt, entschließt er sich, sie mit auf eine Europareise zu nehmen, damit die junge Frau Abstand zum obskuren Objekt ihrer Begierde gewinnen kann. Doch auch nach einem Jahr in Europa – das James nur summarisch abhandelt – hat sich weder an Catherines Gefühlslage noch an Slopers hartnäckigem Widerstand gegen den Ehemann in spe etwas geändert. Als Catherine dies ihrem Verlobten mitteilt, macht dieser endgültig einen Rückzieher, lässt seine Geliebte sitzen und verschwindet aus New York. Nach einer relativ kurzen Trauerphase scheint die junge Frau diesen Verrat verwunden zu haben, doch bleibt kein Zweifel daran, dass sie zu heiraten nicht mehr in Betracht zieht. Der Roman endet mit einer späten Wiederbegegnung der beiden Liebesleute nach dem Tod des Arztes, doch wie das ausgeht, soll hier nicht verraten werden.

Der Witz des Romans besteht weniger in der gerade geschilderten Fabel als vielmehr darin, dass seine Protagonistin zwischen zwei gänzlich unterschiedliche Charaktere gestellt wird, die zwei Grundtendenzen des 19. Jahrhunderts repräsentieren: Der wissenschaftlich-rationalistische Vater und die romantisch-gefühlsschwangere Tante. Beide missverstehen die Heldin auf exemplarische Weise: Der Vater, der erwartet, dass seine charakterliche Analyse einen ausreichenden Grund für seine Tochter darstellen muss, von ihrer ersten Verliebtheit in einen Mann überhaupt zu lassen; die Tante, die eine große Romanze mit Flucht und heimlicher Ehe und Liebe, die über alle Schwierigkeiten siegt, inszeniert haben möchte, ja, die von ihrer Nichte erwartet, jene Liebesbeziehung zu Morris Townsend zu leben, die sie sich für ihr eigenes Leben zusammenphantasiert hat. Beides greift an dem durch und durch normalen Erleben Catherines vorbei: Catherine wünscht sich einen Ehemann, sie wünscht sich Aufmerksamkeit und Rechtschaffenheit, eine eigene Familie und einen Menschen, der sie um ihrer selbst willen liebt. Dass auch sie damit an der Realität vorbeilebt, ist die ironische Pointe der von James erfundenen Konstellation. Allerdings erfüllt sie auch im Scheitern nicht die Ansprüche ihrer Umwelt: Weder gesteht sie ihrem Vater zu, dass er Recht hatte und eine Ehe mit Townsend ihr Unglück bedeutet hätte, noch ist sie die große Verweifelte, die in das Weltbild ihrer Tante passen würde. Sie lebt in einem ganz alltäglichen Unglück vor sich hin, fast mit einem Schulterzucken gegenüber der Chance, die sich eröffnet hatte und die nun vertan ist. Es ist sehr schmerzlich gewesen, aber nun ist es vorüber.

Gerade das Ende des Romans kann den zeitgenössischen Lesern kaum gefallen haben und macht in gewisser Weise die Qualität dieses doch sonst weitgehend durchschnittlichen Romans aus. So ökonomisch und nüchtern James auch erzählt, er hat in dieser Phase noch die Tendenz sehr viel von dem zu erläutern, was sich ein aufmerksamer und mit der Zeit vertrauter Leser auch selbst denken könnte. Auch geraten die psychologischen Profile des Doktors und der Tante noch etwas holzschnittartig und übermäßig antagonistisch. Einzig Catherine hat eigentlich gar keinen wirklichen Charakter, was sie eindeutig zur interessantesten Figur des gesamten Romans macht.

Henry James: Washington Square. Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Blumenberg. Zürich: Manesse, 2014. Leinenband mit rotem Farbschnitt, Lesebändchen, 277 Seiten. 24,95 €.