John Updike: Gertrude und Claudius

978-3-570-19528-4 Erzählung der Vorgeschichte des Hamlet Shakespeares von der Hochzeit von Hamlets Eltern bis zum Anschluss an die zweite Szene des ersten Aktes bei Shakespeare. Reizvoll ist die Entscheidung Updikes, kenntlich zu machen, dass er aus drei verschiedenen Quellen schöpft, in dem er in den drei Teilen des Buches die Figuren unter verschiedenen  Namen (Amleth, Hamblet, Hamlet / Gerutha, Geruthe, Gertrude / Horwendil, Horvendile, Hamlet)  auftreten lässt. Damit hört aber die Treue zu den Quellen auch fast schon wieder auf. Wahrscheinlich soll es ein Ausdruck von Ironie gelten, dass alle Handelnden durchweg als Figuren modernen Zuschnitts auftreten. Was im Text allerdings daraus entsteht, ist und war zu allen Zeit Schwulst:

Gerutha erfuhr in diesem Augenblick ein Frauengeheimnis: zu lieben ist ein Vergnügen, das jenem, geliebt zu werden, entspricht, ihm antwortet, wie die Kamine zu beiden Seiten eines Saales einander ihre Wärme entgegenstrahlen. Die Liebe einer Frau ist ein Strömen, das, einmal ausgelöst, nur unter großen Schmerzen zum Versiegen gebracht werden kann. Die des Mannes ist im Vergleich dazu ein jähes Sprudeln. Sie eilte in ihrer schimmernden Nacktheit zum Bett, neben dem, auf einem kleinen Tisch, eine einzelne Kerze brannte, fand auf dem Kopfpolster ihre Nachtmütze, zusammengefaltet wie ein dicker rauher Liebesbrief, und in den Schatten von Horwendils dann und wann donnernden Schlummer geschmiegt, schlief sie ein.
[…]
Horwendil ließ es seither nicht an Tatenlust fehlen, wahrlich nicht, viele Ausrufe des Lobs und des Entzückens kamen ihm über die kundigen Lippen, wenn sie über ihren Leib hinglitten, und seine Stoßkraft entlud sich jedesmal so reichlich, daß er eine Kumme hätte füllen können, aber empfindsame Prinzessin, die sie war, spürte sie etwas Abstraktes in seiner Leidenschaft: sie war ein Ausdruck seiner allgemeinen Vitalität, nicht mehr. Er wäre mit jeder Frau wollüstig gewesen, und natürlich hatte seine Lust einer ganzen Reihe von Frauen gegolten, bevor sie da war.

Dies ist nur ein Beispiel aus dem ersten Teil; der geduldige Leser kann aber in allen Teilen solche missratenen Passagen finden.

Darüber hinaus macht Updikes Buch nur noch eines deutlich: Dass Shakespeares Entscheidung, Hamlet in das Zentrum seines Stücks zu stellen, statt seine Mutter und seinen Onkel, einmal mehr sein Genie unter Beweis stellt. Sowohl die »unglückliche« erste Ehe Gertrudes als auch ihre sexuell erfüllte zweite sind ödes Klischee, von Updike breitgetreten und bis ins Detail ausgeschwätzt. All das kennt man aus hundert anderen Büchern in gleicher Weise und in mehr als einem Dutzend origineller, konziser und präziser. Updike dagegen bleibt in Erfindung und Ausführung trivial.

John Updike: Gertrude und Claudius. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Lizenzausgabe. Hamburg: Gruner + Jahr, 2006. Leinenrücken, Lesebändchen, 269 Seiten. 10,– €.

Gilbert Adair: Blindband

978-3-406-57225-8 Ein inhaltlich konventioneller Krimi, dessen Besonderheit einzig und allein in der nahezu durchgehend dialogischen Behandlung des Stoffes liegt. Der erfolgreiche Schriftsteller Paul ist vor vier Jahren bei einem Autounfall entstellt worden und hat beide Augen eingebüßt. Nun hat er sich aber entschlossen, doch wieder ein Buch zu schreiben, eine Art autobiografisch unterfütterten Essay, dessen Hauptgewicht auf der Erfahrung seiner Blindheit liegt. Er holt sich zu diesem Zweck eine Schreibkraft ins Haus, John, der sich – wie der Leser früh zu ahnen beginnt – als seine Nemesis erweisen wird. Es soll hier natürlich nicht zuviel verraten werden, um niemandem den Spaß an der Lektüre zu verderben.

Ich habe mich zur Lektüre verführen lassen, da das Buch von Thomas Schlachter übersetzt wurde, der die von mir hier sehr gelobten Wodehouse-Übersetzungen für die Edition Epoca gefertigt hat. Da ich aber kein Krimi-Leser bin und zudem der artifizielle Erzählstandpunkt mir doch eher brüchig vorkam, habe ich mich bei der Lektüre herzlich gelangweilt. Auch die abschließende Pointe kam mir sehr konstruiert vor.

Gilbert Adair: Blindband. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. München: Beck, 2008. Pappband, 239 Seiten. 18,90 €.

Alan Bennett: Four Stories

bennett_storiesNach meiner viel zu späten Entdeckung Alan Bennetts mit The Uncommon Reader, das inzwischen auch in Deutschland die Bestsellerlisten erobert hat, habe ich nun erst einmal eine Sammlung von vier seiner früheren Erzählungen gelesen. Alle diese Erzählungen liegen bei Wagenbach auch auf Deutsch vor; ich gebe unten die entsprechenden Hinweise.

Enthalten sind:

  1. The Laying on of Hands (dt. Handauflegen) – die Geschichte einer Totenmesse, bei der sehr unterschiedliche Menschen überrascht feststellen müssen, welch großen und zugleich intimen Bekanntenkreis ihr Masseur gehabt hat. Und als dann Einzelne ihre Erinnerungen an den Verstorbenen mitteilen, droht die Versammlung kurzzeitig aus den Fugen zu geraten.
  2. The Clothes They Stood Up In (dt. Cosi fan tutte) – erzählt von einem älteren, konservativen englischen Ehepaar, das nach einem Opernbesuch feststellen muss, dass ihre Wohnung komplett ausgeraubt wurde. Es erweist sich, dass dieser Vorfall dem Leben zumindest der Ehefrau eine bis dahin unbekannte Dynamik verleiht.
  3. Father! Father! Burning Bright (dt. Vater, Vater, lichterloh) – berichtet von einem überforderten Lehrer, dessen Vater nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert wird und dort im Sterben liegt. Der Sohn verbringt Tage und Nächte voller Schuldgefühl am Bett des Vaters, nur um schließlich doch wieder den wesentlichen Augenblick zu verpassen.
  4. The Lady in the Van (dt. Die Lady im Lieferwagen) – ist die unglaubliche und offenbar autobiografische Erzählung Bennets über eine alte Dame ohne festen Wohnsitz, die in einem Lieferwagen lebt, den sie eines Tages in seinem Vorgarten parkt. Von da an ist sie seine ständige Nachbarin, nicht nur unglaublich lästig, unfreundlich und aufdringlich, sondern am Ende auch ein Beispiel für ein ganz wundersames, wildes Leben in der Zivilisation des 20. Jahrhunderts. Diese ganz kurze Erzählung ist zu Recht Bennetts berühmteste!

Alan Bennett: Four Stories. London: London Review of Books, 52006. Paperback, 282 Seiten. Ca. 12,40 €.

Miniaturen (9)

Im Osten […] lebte ein gewisser Mann, der über den Markt von Damaskus ging, als ihm der Tod von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat. Er bemerkte einen Ausdruck der Überraschung in der Miene der schauerlichen Erscheinung, doch gingen sie wortlos aneinander vorüber. Der Mann bekam’s mit der Angst zu tun und suchte einen Weisen auf, sich Rats zu holen. Der Weise sagte ihm, daß der Tod vermutlich nach Damaskus gekommen sei, um ihn am nächsten Morgen zu holen. Der arme Kerl war darob naturgemäß höchstlich entsetzt und fragte, wie er dem entrinnen könne. Das einzige, was ihnen einfiel, war, daß das Opfer noch in der Nacht nach Aleppo reiten solle, um so dem Schädel und den blutigen Knochen zu entkommen.

Der Mann ritt also tatsächlich nach Aleppo – es war ein ungeheuer anstrengender Ritt, den noch niemand in einer einzigen Nacht geschafft hatte –, und als er dort war, ging er über den Markt und gratulierte sich, daß er dem Tod entgangen sei.

In diesem Augenblick kam der Tod und klopfte ihm auf die Schulter. »Entschuldige«, sagte er, »aber ich wollte dich holen.« »Wieso denn?« rief der Mann entsetzt, »ich hab’ gedacht, ich wär’ dir gestern in Damaskus begegnet!« »Genau das«, sagte der Tod. »Deshalb hab’ ich so überrascht dreingeschaut – denn mir war gesagt worden, ich würde dich heute in Aleppo treffen.«

T.H. White
Der König auf Camelot

T.H. White: Der König auf Camelot

white_camelot Wahrscheinlich haben nur sehr wenige Leser die letzte, große mittelalterliche Bearbeitung des Artus-Stoffes von Thomas Malory zugleich so ernst genommen und so respektlos behandelt wie Terence Hanbury White (1906–1964), der mit seinem vierteiligen Roman Der König auf Camelot (im Original The Once and Future King) eine interessante und witzige moderne Bearbeitung des Stoffkreises geliefert hat. Das Buch hat es im englischen Sprachraum bis in den Kanon der Schullektüre geschafft, ist in Deutschland aber – wahrscheinlich aufgrund des Erscheinungsortes – ein wenig in die Fantasy-Ecke geraten, wo das Buch nicht wirklich hingehört.

Hauptsächlich auf der Grundlage des spätmittelalterlichen Le Morte d’Arthur, aber mit offensichtlicher Kenntnis auch anderer Quellen, schreibt White einen hochmittelalterlichen Artus-Roman, der zugleich die politischen und kriegerischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Im Kern des Romans steht Artus’ Plan, eine gerechte Gesellschaftsordnung zu erschaffen, in der nicht mehr Gewalt vor Recht geht. Aus diesem Grundthema heraus entwickelt White Artus’ persönliche Tragödie, die er bis vor die letzte Schlacht des alten Königs gegen seinen Sohn Mordred vorantreibt.

Als erste Besonderheit erscheint dabei sicherlich die ausführliche Darstellung von Artus’ Kindheit und Jugend und seiner Erziehung durch den Zauberer Merlin, der bei White rückwärts lebt und auf diese Weise das Wissen um die Zukunft der Menschheit mit in die Ausbildung des zukünftigen Königs einfließen lässt. Merlin sorgt durch vielfache Verwandlungen des jungen Artus in diverse Tiere dafür, dass er die Welt aus zahlreichen Perspektiven zu sehen lernt, was ihn später zu einem zwar nicht besonders klugen, dafür aber um so toleranteren und weiseren Herrscher werden lässt. Erst am Ende des ersten Bandes findet sich die berühmte Szene, in der Artus das Schwert aus dem Stein zieht und damit seinen Anspruch auf den Thron beweist.

Der zweite Band ist der politischen Neuordnung Englands durch Krieg und Unterwerfung gewidmet, im Zentrum des dritten Bandes stehen die Geschichte Lanzelots und die Gründung der Tafelrunde, und im vierten Band schließlich der Zusammenbruch des neu geschaffenen gerechten Staatswesens, das von den alten Kräften gegen sich selbst gewendet wird. Artus’ Vision scheitert letztlich daran, dass der gerechten Staat keine gerechten Bürger hat.

All dies ließe vermuten, dass es sich bei diesem Buch um ein schwerblütiges philosophisches Werk handelt, aber White versteht es, dem Buch durch eine konsequente Vermenschlichung der heldischen Vorkämpfer und grundlegend satirische Darstellung des Rittertums eine überraschende Leichtigkeit zu geben. Es ist Whites alles durchdringender Humor, der dieses Buch zu etwas besonderem macht. Dabei greift sein Erzähler immer wieder direkt auf die Lebenswelt seiner eigenen Zeitgenossen zurück und macht klar, dass dieses Buch über und für die moderne Welt geschrieben ist.

white_camelot_hoerbuchAlternativ zur Lektüre bietet sich eine vollständige Hörbuchfassung von Jochen Malmsheimer an. Die Lesung ist durchgehend gut, einzig in den Dialogen sind Malmsheimers Männer hier und da etwas laut. Besonders aber die älteren Ritter, Merlin und die humoristischen Passagen gestaltet er unvergleichlich. Leider ist die Lesung auf vier CD-Boxen (mit insgesamt 19 Audio-CDs) aufgeteilt, woraus sich ein Gesamtpreis von etwa 100,– € ergibt.

T.H. White: Der König auf Camelot. Vier Bücher in einem Band. Aus dem Englischen von Rudolf Rocholl. Stuttgart: Klett-Cotta, Neuaufl. 2006. Pappband, 635 Seiten. 25,– €.

T.H. White: Der König auf Camelot. Vollständige Lesung in vier Teilen von Jochen Malmsheimer. Gesamtspielzeit gut 24 Stunden. Bochum: Roof Music, 2006. 1. Das Schwert im Stein – 6 Audio-CDs – 26,90 € (UVP). 2. Die Königin von Luft und Dunkelheit – 3 Audio-CDs – 22,90 € (UVP). 3. Der missratene Ritter – 6 Audio-CDs – 26,90 € (UVP). 4. Die Kerze im Wind – 4 Audio-CDs – 24,95 € (UVP).

Ian McEwan: Amsterdam

mcewan_amsterdamKurzer Roman von Ian McEwan, der bereits zehn Jahre alt ist. Die Handlung spielt im Erscheinungsjahr 1998 hauptsächlich in London und dreht sich im Wesentlichen um vier Männer, die sich zu Anfang auf einer Beerdigung treffen: Zu Grabe getragen wird Molly Lane, die mit einem der Männer, George, verheiratet war und mit den drei anderen längere Beziehungen hatte. Clive Linley ist ein erfolgreicher Komponist, der gerade an einem wichtigen Auftrag arbeitet, einer Millenniumssinfonie. Vernon Halliday ist ein ambitionierter Journalist, der versucht die Zeitung zu retten, deren Chefredakteur er ist. Julian Garmony schließlich, einer der letzten Liebhaber Mollys, ist sogar britischer Außenminister.

Der Großteil der Handlung dreht sich um Clive und Vernon, deren lange Freundschaft nun, nach dem Tod Mollys, zerbricht. Anlass sind Fotos, die sich in Mollys Nachlass finden, auf denen Garmony in Frauenkleidern posiert. George spielt Vernon diese Bilder zu, der darin nicht nur die Chance sieht, seiner Zeitung eine ungeahnte Auflagenhöhe zu verschaffen, sondern auch, den ihm politisch und persönlich verhassten Garmony politisch unmöglich zu machen. Zuerst stößt er in seiner Redaktion auf heftigen Widerstand, und als er sich, Verständnis für seine Position suchend, mit Clive ausspricht, hält auch der den Plan für moralisch verwerflich. Es kommt zu einem heftigen Streit zwischen den beiden, den sie zwar versuchen zwischenzeitlich zu schlichten, der aber letztlich in eine Katastrophe mündet.

Wie es ausgeht und besonders, warum der Roman den Titel Amsterdam trägt, soll hier nicht verraten werden, um niemandem die Lektüre zu verderben. Gesagt sei nur noch, dass McEwan die Handlung mit einem aktuellen ethischen, gesellschaftspolitischen Thema unterfüttert, aus dem er die abschließende Pointe schöpft.

Insgesamt bleibt der Eindruck einer etwas länglich geratenen Erzählung, die motivisch zu locker bleibt. Die wesentliche Entwicklung der Handlung hängt an Vernon; um ein Gleichgewicht der Hauptfiguren zu erreichen, wird Clive eine kreative Krise gestürzt, zudem noch in eine Nebenhandlung um einen Vergewaltiger verstrickt. Das alles wirkt konstruiert – ein Mangel, den McEwan dann in Abbitte in eine Stärke verwandelt hat –, ohne dass sich beim Leser der Eindruck eines notwendigen Zusammenhangs der Motive einstellt. Sieht man davon ab, bietet Amsterdam gute und intelligente Unterhaltung.

Ian McEwan: Amsterdam. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. detebe 23284. Zürich: Diogenes, 2001. 212 Seiten. 8,90 €.

Zwei neue Conrad-Biografien

Im Conrad-Jahr 2007 (am 3. Dezember war der 150. Geburtstag) sind zwei neue, umfangreiche Biographien zu Joseph Conrad erschienen:

  • John Stape: Im Spiegel der See. Die Leben des Joseph Conrad.
  • Elmar Schenkel: Fahrt ins Geheimnis. Joseph Conrad.

stape_conradJohn Stapes Im Spiegel der See liefert eine Biografie im klassischen Sinne, ja, er betont sogar gleich im Vorwort, dass er sich mit den Schriften Conrads nur in biografischer, nicht in literaturwissenschaftlicher Hinsicht beschäftigen wird. Außerdem betont er, sein Ziel sei Kürze gewesen. Das überrascht auf den ersten Blick, da das Buch immerhin mehr als 540 Seiten hat und über Conrad so viel eigentlich nicht bekannt ist. Nun sollte man nicht erwarten, dass Stape den Forschungsstand zu Conrad wesentlich erweitert. Stattdessen finden sich häufig Passagen wie diese:

Mademoiselle Renouf mag eine herzlose coquette gewesen sein, oder einfach eine Frau, die versuchte, einer arrangierten Ehe aus dem Weg zu gehen. Vielleicht war der Flirt auch weitgehend einseitig, oder Conrad hatte einfach spontan gehandelt. Vermutlich hat er davon geträumt, sich mit Eugénie Renouf in Australien oder auf Mauritius niederzulassen, doch darüber gibt es keine Aufzeichnungen.

Kurz zusammengefasst: Wir wissen nichts darüber, warum die bereits verlobte Eugénie Renouf sich auf die Werbung Conrads eingelassen hat oder warum Conrad nichts von dem schon bestehenden Eheversprechen wusste. Aber natürlich kann man ganz allgemein darüber spekulieren und auf diese Weise einen Absatz füllen. Dabei muss man Stape zugestehen, dass er zwischen dem, was sich belegen lässt, und dem, was sich die Conrad-Forschung so mit der Zeit zusammenphantasiert hat, immer deutlich trennt. Da die Spekulationen aber mit den Jahren den dünnen faktischen Gehalt überwuchert haben, hat der Leser einige Mühe, die wenigen harten Fakten aus dem allgemein vorherrschenden »Es könnte sein« herauszufiltern.

Auch enthält Stapes Buch immer wieder gänzlich wirre Abschnitte:

Conrad schnappte ein paar Brocken Handelsmalaiisch auf, pasar Melayu, einen Grundstock an Wendungen, die ihm Nahrung, Schutz und Transport sicherten, dazu ein paar nautische Begriffe. Er lernte das Verhalten und Denken dieses Volks genauer kennen, auch wenn er überwiegend Kontakt mit dessen raueren Vertretern hatte, den Seemännern, mit denen er fuhr. Hugh Clifford, ein Kolonialbeamter und Schriftsteller, mit dem sich Conrad anfreundete, nachdem seine ersten Romane erschienen waren, kritisierte, dass Conrad «von den Malaien nicht die geringste Ahnung» habe. Das räumte dieser auch bereitwillig ein. Sein Interesse war kein anthropologisches. Wie seine Schriften zeigen, war er von dem, was er sah, tief bewegt.

So etwas ist Geschwätz ohne Hand und Fuß, und es ist einfach ärgerlich, solch einen Unsinn aufgetischt zu bekommen.

Hervorzuheben ist aber die schöne Ausstattung des Bandes: Zwar ist er nicht fadengeheftet, verfügt aber über eine leserfreundliche, elegante Typographie und ein schön gestaltetes Vorsatzpapier.

schenkel_conrad Deutlich angenehmer liest sich Elmar Schenkels Fahrt ins Geheimnis. Schenkel verzichtet auf den Versuch, eine chronologisch konsequente Biographie Conrads zu liefern.  Statt dessen kreisen die einzelnen Kapitel jeweils um einen thematischen Schwerpunkt: ein biographische Ereignis, ein literarisches Motiv, eine Reise, eine Person oder ein Werk. Diese Form ist nicht immer streng durchgehalten; so geht etwa das Kapitel über Conrads Beschäftigung mit Napoleon über in eine Betrachtung zu Conrads Geburtsort, Balzac (der dort geheiratet hat) und die Polnischen Teilungen. Aber darüber lässt sich hinwegsehen.

Insgesamt erscheint die Auswahl der Themenschwerpunkte gut und ausgewogen. Auch Schenkels Darstellung leidet natürlich unter dem Mangel an konkreten Lebensdaten für bestimmte Phasen in Conrads Biographie, was bei ihm aber nicht so auffällig wird wie bei Stape, da er nicht der Chronologie verpflichtet ist. Auf der anderen Seite wird es Lesern, die Conrads Leben nicht wenigstens in den Grundzügen kennen, schwer fallen, sich ein einigermaßen geschlossenes Bild zu erarbeiten. Für sie gibt es am Ende des Bandes zwar eine 15-seitige Chronik, die eine traditionelle Biografie aber nicht wirklich ersetzen kann. So ist zu befürchten, dass dieses Buch Einsteiger eher enttäuscht zurücklassen wird. Ihnen wäre zu empfehlen, zuvor zumindest eine Kurzbiographie wie etwa die von Renate Wiggershaus aus der Reihe »dtv portrait« zu lesen.

John Stape: Im Spiegel der See. Die Leben des Joseph Conrad. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Hamburg: marebuchverlag, 2007. Pappband, Lesebändchen, 543 Seiten. 39,90 €.

Elmar Schenkel: Fahrt ins Geheimnis. Joseph Conrad. Eine Biographie. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2007. Pappband, Lesebändchen, 368 Seiten. 24,90 €.

P.G. Wodehouse: Jetzt oder nie!

wodehouse_jetztWieder ein Band in der guten Übersetzung von Thomas Schlachter, von der andere  hier schon vorgestellt wurden.  Er ist nach dem bewährten Strickmuster Wodehouses geschrieben: Ein begrenztes Personal wird auf einem Landsitz – diesmal Claines Hall in Sussex – versammelt, eine Anzahl einer widersprechender Interessen ins Werk gesetzt und dann konsequent ein Reigen der Verwirrungen und Verwechslungen durchgeführt. Der Landsitz gehört in diesem Fall Mable und Howard Steptoe, einem amerikanischen Ehepaar. Mable versucht mit einigem Aufwand vom lokalen Adel anerkannt zu werden, während sich Howard, ein ehemaliger Boxer und Filmstatist, sich in England denkbar unwohl und fehl am Platz fühlt. Mable versucht ihren Gatten mithilfe eines Kammerdieners zur Gesellschaftsfähigkeit zu erziehen, hat damit aber nur begrenzten Erfolg, da Howard einen Diener nach dem anderen vergrault. Auf dem Landsitz leben außerdem noch Sally Fairmile, eine verarmte Nichte der Steptoes, die die Stelle einer unbezahlten Bediensteten ausfüllt, Mrs Chavendar, eine Freundin Mables, und Lord Holbeton, der sich gerade heimlich mit Sally verlobt hat. Holbeton steht nach dem Tod seines Vaters unter der Vormundschaft von James Duff, eines Londoner Schinkenfabrikanten, der zudem noch vor 15 Jahren mit Mrs Chavendar verlobt war.

Alles beginnt nun damit, dass sowohl Mrs Chavendar als auch Sally die Büroräume James Duffs aufsuchen, jene, um sich über die Ungenießbarkeit des Duffschen Premium-Schickens zu beschweren, diese, um Duff über die Verlobung in Kenntnis zu setzen und nach Möglichkeit ein bisschen Geld aus dem alten Herrn herauszubetteln. Beide Damen treffen aber hauptsächlich auf Joss Weatherby, einem von James Duff beschäftigten jungen Malers, der einerseits Duff das Leben gerettet, andererseits Mrs Chavendar porträtiert hat. Joss verliebt sich Knall und Fall in Sally, von der er unter anderem erfährt, dass sie wieder einmal auf der Suche nach einem neuen Kammerdiener für Howard Steptoe ist. Joss erkennt darin eine Chance, Sally den Hof zu machen und fährt sofort nach Claines Hall, um sich auf die Stelle zu bewerben. Duff dagegen setzt es sich in den Kopf, das in Caines Hall befindliche Porträt Mrs Chavendars in seinen Besitz zu bringen, um dieses Konterfei zu Werbezwecken für seine Schinken einzusetzen. Auch er macht sich daher nach Sussex auf und stiftet vor Ort sowohl Sally und Lord Holbeton als auch Joss dazu an, das Bild zu stehlen.

Aus dieser Konstellation heraus entwickelt Wodehouse eine seiner routinierten Prosakomödien, deren Motive der Wodehouse-Kenner sicherlich schon aus dem einen und anderen kennen wird. Dennoch eine angenehme und elegante Lektüre für Zwischendurch.

P.G. Wodehouse: Jetzt oder nie! Mit einem Nachwort von Evelyn Waugh. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Suhrkamp Taschenbuch 3774. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2006. 235 Seiten. 7,90 €.

Joseph Conrad: Jugend / Herz der Finsternis / …

conrad_jugend … Das Ende vom Lied. Drei Erzählungen Joseph Conrads, die in dieser Zusammenstellung zum ersten Mal 1902 erschienen sind. In dem mitgelieferten Vorwort Conrads aus dem Jahr 1917 weist der Autor jegliche Idee einer zyklischen Anlage der Sammlung zurück und betont, dass die Texte nur aufgrund ihrer in etwa zeitgleichen Entstehung zusammengehören. Karriere gemacht hat bekanntlich Herz der Finsternis, das spätestens durch die freie Variation in Apocalypse Now in der westlichen Kultur Kultstatus bekommen hat.

Allerdings lag bislang keine wirklich gute Übersetzung vor. Ich selbst hatte mir nach der ersten Lektüre der englischen Originale Conrads eigentlich vorgenommen, keine weiteren Übersetzungen seiner Bücher ins Deutsche zu lesen. Doch als mir letztens von meinem Buchhändler der hier vorgestellte Band in die Hand gedrückt wurde, war ich erstaunt, wie genau der Ton der ersten Seite von Herz der Finsternis meiner Erinnerung an das Original entsprach. Dieser erste Eindruck hat sich gehalten: Die Übersetzungen haben durchgängig ein hohes Niveau und ein genaues Gespür für die von Conrad tonal erzeugten Stimmungen. Das lässt sich natürlich nicht in allen Fällen nachbilden, ist aber hier besser gelungen, als ich es bislang in irgend einer der älteren Übersetzungen gefunden habe.

Die beiden ersten Erzählungen haben eine Rahmenerzählung, in der Conrads Erzählerfigur Marlow in einem Kreis Londoner Bekannter eigene Erlebnisse berichtet: Jugend von seiner ersten Fahrt als Zweiter Offizier auf einem heruntergekommenen Frachter, der schließlich auf hoher See Opfer eines Schwelbrandes in der Ladung wird, Herz der Finsternis von seiner Zeit als Kapitän auf dem Kongo und seiner Begegnung mit dem Handelsagenten Kurtz, der – halb wahnsinnig, halb hybrider Philosoph – im Kern die Faszination und begriffliche Hilflosigkeit der Weißen angesichts der Konfrontation mit dem schwarzen Kontinent widerspiegelt.

Die wohl insgesamt weniger bekannte Erzählung Das Ende von Lied (deren Originaltitel The End of the Tether den sprichwörtlichen Geduldsfaden mit ins assoziative Spiel bringt), ist die Geschichte des alternden Kapitän Whalley, der sich, um seine verheiratete Tochter finanziell unterstützen zu können, noch einmal für drei Jahren als Kapitän verpflichtet. Dies erweist sich für ihn als ein Wettlauf mit der Zeit und der eigenen Gesundheit. Diese Erzählung kann als ein Musterstück retardierenden Erzählens gelesen werden, denn die Fabel bleibt wesentlich anekdotisch und ließe sich ohne großen Verlust auf zwei Seiten zusammenfassen. Doch die ausführliche Beschreibung zahlreicher Nebenfiguren, ihrer Motive und Geschichte sowie die beinah quälende Verzögerung der Auflösung des Rätsels um Kapitän Whalley machen diesen Text mit beinahe 130 Seiten zum längsten des Bandes.

Wer mit der Lektüre Conrads beginnen möchte, dem sei dieser Band ans Herz gelegt; die anderen, die Conrad nicht im Original lesen, mögen hier nachschauen, was einem sorgfältigen Übersetzer im Deutschen möglich ist.

Joseph Conrad: Jugend / Herz der Finsternis / Das Ende vom Lied. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2007. Pappband, Lesebändchen, 379 Seiten. 19,90 €.

Alan Bennett: The Uncommon Reader

bennett_reader Der Titel spielt auf eine im angelsächsischen Raum recht bekannte zweibändige Essaysammlung Virginia Woolfs an, die The Common Reader überschrieben ist, was wiederum ein Ausdruck Dr. Johnsons ist. Im Mittelpunkt von Bennetts Erzählung steht nun allerdings eine äußerst ungewöhnliche Leserin: Queen Elizabeth II., die beim Gassigehen mit ihren Corgis hinter ihrem Palast zufällig auf einen Bücherbus stößt, der die Dienerschaft ihrer Majestät mit Lesestoff versorgt. Höflich, wie sie ist, betritt sie den Bus und trifft dort auf einen ihrer Küchenjungen, Norman Seakins. Und da sie nun einmal die Gelegenheit hat, entleiht sie als weiteres Zeichen ihrer königlichen Gnade einen Roman von Ivy Compton-Burnett, an deren Adelung sich die Königin noch gut erinnern kann.

Dies ist der Beginn einer neuen Beschäftigung der Queen: Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren liest sie einen Roman, liest einfach nur, um zu lesen. Der junge Norman Seakins wird zum Pagen befördert und mit den königlichen Lektürewünschen betraut. Und Elisabeth II. wird zu einer leiderschaftlichen Leserin; bald sind ihr die öffentlichen Obliegenheiten und Repräsentationspflichten nur mehr lästig, und ihre Majestät kehrt bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihren Büchern zurück. Und als sei all dies nicht schon schlimm genug, denkt sie schließlich darüber nach, selbst ein Buch zu schreiben, etwas im Stil Prousts vielleicht …

Diese kleine Erzählung hat einen wundervollen Humor und transportiert auf ihren etwa 120 Seiten viele Erfahrungen, die jeder ernsthafte Leser im Verlauf seiner Lesegeschichte auch selbst gemacht hat. Sowohl der Widerstand des Hofstaates gegen das veränderte Verhalten der Königin, als auch das gänzliche Unverständnis der königlichen Familie, bieten einen wundervoll ironischen Blick auf das Haus Windsor – besonders Prinz Philip hat mir viel Freude gemacht:

‘We have a travelling library,’ the Queen said to her husband that evening. ‘Comes every Wednesday.’
‘Jolly good. Wonders never cease.’
‘You remember Oklahoma?’
‘Yes. We saw it when we were engaged.’ Extraordinary to think of it, the dashing blond boy he had been.
‘Was that Cecil Beaton?’ said the Queen.
‘No idea. Never liked the fellow. Green shoes.’
‘Smelled delicious.’
‘What’s that?’
‘A book. I borrowed it.’
‘Dead, I suppose.’
‘Who?’
‘The Beaton fellow.’
‘Oh yes. Everybody’s dead.’
‘Good show, though.’
And he went off to bed glumly singing ‘Oh, what a beautiful morning’ as the Queen opened her book.

Das Büchlein erscheint im August in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die souveräne Leserin bei Wagenbach.

Alan Bennett: The Uncommon Reader. London: Faber and Faber, 2008. Paperback, 121 Seiten. Ca. 11,– €.