Aus meinem Poesiealbum (X) – Frühling

Beckett’s life and work taught others the lesson he said he learned from Joyce: the meaning of artistic integrity. His vision never yielded. Even on a sunny day in London, as he strolled through a park in evident pleasure, when a friend remarked that it was a day that made one glad to be alive, Beckett turned and said, “I wouldn’t go that far.”

William A. Henry III

Aus meinem Poesiealbum (VIII)

»Verrätst du mich aber«, sagte Neary, »so wirst du den Weg Hippasos’ gehen.«
»Des Akusmatischen, nehme ich an«, sagte Wylie. »Seine Strafe fällt mir gerade nicht ein.«
»In einem Pfuhl ertränkt«, sagte Neary, »weil er ausgeschwatzt hatte, daß Seite und Diagonale inkommensurabel sind.«
»So gehen alle Schwätzer zugrunde«, sagte Wylie.

Samuel Beckett
Murphy

Albert Camus: Die Pest

978-3-499-22500-0Der zweite Roman Camus’, der seit 1947 seinen Ruhm zuerst in Frankreich und dann auch rasch europaweit begründete. Erzählt wird von einer fiktiven Pestepidemie in Oran während der 1940er-Jahre. Die Mischung aus der weitgehend realistischen Handlung und den mitgelieferten philosophischen Deutungsangeboten macht sicherlich auch heute noch die Attraktivität des Buches aus. Camus versucht seine philosophische Auffassung nicht zu beweisen, sondern durch Illustration zu verdeutlichen.

Im Gegensatz zu Der Fremde steht diesmal ein sozialer Charakter im Zentrum des Romans: Dr. Rieux, der zugleich als Figur und als Erzähler agiert. Umgeben hat Camus seinen Protagonisten mit einem Ensemble unterschiedlicher Typen, die weniger Personen als vielmehr ethische bzw. soziale Positionen repräsentieren: Der Individualist Rambert, der Christ Paneloux, der politisch Engagierte Tarrou, der Schriftsteller Grand etc. Camus konfrontiert diesmal nicht den Vereinzelten mit seinem gewissen Tod, sondern eine differenzierte Gruppe mit einer Lotterie des Todes, die für die meisten einen negativen Ausgang bereit hält.

Diese existenzielle Grundstruktur des Romans wird offensichtlich von Beginn an unterwandert durch eine Allegorisierung der französischen Gesellschaft unter deutscher Besatzung; nicht nur der zeitliche Rahmen, sondern auch das Defoe entnommene Motto weisen deutlich darauf hin. Nun nützt Ambiguität Romanen oft mehr als sie schadet, und so auch in diesem Fall. Während im Fremden die ideologische Konstruktion den Roman bis auf einige wenige Passagen beherrscht und letztlich alles von der Auflösung der letzten Seiten abhängt, atmet in Die Pest eine deutlich größere Freiheit. Wie entspannend sind etwa die Entwicklung der Freundschaft zwischen Rieux und Tarrou oder die Suche Grands nach dem perfekten ersten Satz für seinen Roman. Insgesamt zeigt das Buch ein deutlich größeres Vertrauen des Autors in das Erzählen selbst als sein Vorgänger.

Albert Camus: Die Pest. Deutsch v. Uli Aumüller. rororo 22500. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 752008. 350 Seiten. 8,95 €.

Albert Camus: Der Fremde

978-3-499-22189-7Eine weitere Lektüre, die nach beinahe 30 Jahren wiederholt wurde. Die äußerliche Geschichte Meursaults dürfte so bekannt sein, dass ich sie hier nicht noch einmal nacherzählen brauche. Mir sind diesmal besonders zwei Dinge aufgefallen: Die Positionen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung während des Prozesses und die allgemeine Belanglosigkeit, mit der der ermordete Araber behandelt wird. Weder treten im Prozess Zeugen von Seiten des Ermordeten auf, noch verschwendet Meursault, der in seiner Zelle mit großer Sorgfalt und Geduld immer wieder die Ausstattung seiner Wohnung in Gedanken rekapituliert, viel Zeit mit Grübeln über seine Tat, geschweige denn über sein Opfer. Von da aus ergibt sich mir die Frage, welche der Figuren dieses Buch überhaupt Menschen repräsentieren.

Wenn der Fall Meursault mehr sein soll als eine Obskurität, wenn er denn tatsächlich etwas besagen soll, was über die Behauptung zufälliger Ereignisse hinaus geht – und so wird das Buch doch gemeinhin gelesen –, so habe ich den Verdacht, dass es sich am Ende um Banalitäten handelt. Die Justiz sucht weder dem Angeklagten noch dem Fall gerecht zu werden, sondern bestätigt im Akt der Verurteilung die öffentliche Moral. Deshalb stempelt sie Meursault zum »moralischen Ungeheuer«. Selbst die Verteidigung spielt nur eine Rolle in diesem Spiel, um den Anschein der Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten.

Andererseits kann Camus nichts weniger gebrauchen als Gerechtigkeit für seinen Protagonisten: Ein wegen Totschlags zu Zuchthaus verurteilter Meursault ist gänzlich unnütz für die existentialistische Zuspitzung des Textes. Nur der zum Tode Verurteilte kann sich heroisch vom transzendenten Trost des Anstaltgeistlichen abwenden, nur er kann seine Erfüllung im Hass der Menge gegen ihn finden, nur er kann die Gewissheit des Todes als Befreiung empfinden usw. usf.

Meursault bleibt bis zum Ende des Buchs ein Einzelner, kein »Mensch mit Menschen«. Selbst die Freundschaft Célestes oder die Liebe Maries berühren ihn nur für einen Moment, bevor er wieder in seine Egozentrik versinkt. Meursault ist letztlich nicht viel mehr als ein Soziopath, der nach der Intention des Autors als Exemplum des Menschen schlechthin dienen soll. Tut er aber nicht.

Albert Camus: Der Fremde. Deutsch v. Uli Aumüller. rororo 22189. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 612008. 159 Seiten. 6,95 €.

Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos

3-499-55090-3Camus heroischer Existenzialismus ist nach beinahe 30 Jahren zu einer blassen Enttäuschung geschrumpft. Ich hatte ohnehin nicht viel erwartet, aber dass es so wenig sein würde, hätte ich nicht gedacht. Ein bedeutender Teil des ohnehin dünnen Büchleins besteht in flachen Auseinandersetzungen mit Positionen anderer, die weitgehend unnötig erscheinen, da sie keinerlei Beweiskraft haben und nur als negative Folie für den einzig dünnen Gedanken des Buches tragen: das Trotzdem. Camus weist natürlich alle traditionellen Angebote der transzendenten oder immanenten Sinngebung zurück. Der Mensch stehe daher dem Absurden seiner Existenz gegenüber. Er antworte auf das Absurde seiner Existenz, indem es ihm nichts ausmache. Obwohl es ihm natürlich etwas ausmacht, denn ansonsten wäre ja auch der Begriff des Absurden überflüssig. Also macht es ihm nichts aus, dass es ihm etwas ausmacht. Welch tiefer Gang zu den Müttern!

Der einzige wirkliche Gedanke des Buches ist, dass Sisyphos in den Momenten am interessantesten ist, wo er bergab dem Stein nachgeht. Dass Sisyphos aber der bewusste »Prolet der Götter« sei, ist schon wieder eine Albernheit mehr.

Erinnernswert scheint, dass dieses Buch noch in den 80-ern des vergangenen Jahrhunderts von uns Jugendlichen emphatisch diskutiert worden ist, also von Menschen, denen die Realität ihrer Sisyphos-Existenz noch gar nicht gegenwärtig war. Als wir anfingen, den Stein zu rollen, war das Buch in uns bereits verblasst.

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die neue Übersetzung von Vincent von Wroblewsky anzuschauen, sondern habe meine alte Ausgabe von Januar 1980 benutzt. Vielleicht liegt es auch daran …

Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos. Übertragen v. Hans Georg Brenner u. Wolfdietrich Rasch. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 226.–235. Tausend, 1980. 151 Seiten.

Brigitte Sändig: Albert Camus

978-3-499-50635-2Aus didaktischem Anlass arbeite ich mich gerade noch einmal in den frühen Camus ein. Die rororo-Monographie von Brigitte Sändig ist eine kurze und präzise Darstellung von Leben und Werk. Die des Lebens folgt dabei weitgehend den autobiographischen Notizen Camus’, wobei die Autorin  zu deren Sentimentalität nur wenig Distanz entwickelt. Die Zusammenfassung und Einordnung der Werke ist angesichts der erforderlichen Kürze einwandfrei. Ich hätte mir eine etwas breitere Behandlung der Rezeption Camus gewünscht, besonders da die gut ausgewählten »Zeugnisse« (ab S. 146) Lust auf mehr machen. Dafür hätte ich gern etwas weniger Wüsten-Sentimentalität in Kauf genommen.

Insgesamt eine gelungene Kurzbiographie.

Brigitte Sändig: Albert Camus. Rowohlt Monographie 50635. Reinbek: Rowohlt, 2000. 159 Seiten. 7,90 €.

J. M. G. Le Clézio: Der Afrikaner

978-3-446-20948-0 Als Jean-Marie Gustave Le Clézio im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekam, war er zumindest in Deutschland wohl einer der unbekanntesten Autoren der Weltliteratur. Einige Feuilletonisten machten sich über die Wahl Le Clézios ein wenig lustig, indem sie andere, ob ihrer Belesenheit berühmtere Feuilletonisten befragten, die ihre Unkenntnis wenn nicht des Autors so doch seines Werks so offen zugaben, als handele es sich dabei um ein Verdienst. Überrascht mussten dann alle zusammen aber feststellen, dass Le Clézios Schriften in einem so bedeutenden Umfang auf Deutsch vorlagen, dass es zu seiner Unbekanntheit in einem nahezu erschütternden Verhältnis stand.

Mir ist nun eher zufällig als erstes ein kleines autobiographisches Bändchen in die Hand geraten: Der Afrikaner ist ein Erinnerungsbuch an Le Clézios Vater, der den Hauptteil seines Lebens als Arzt in Afrika zugebracht hat. Er war durch den Zweiten Werltkrieg von seiner Frau und seinen beiden jungen Söhnen getrennt, die, als sie den Vater im Jahr 1948 endlich kennenlernten, in ihm einen strengen, autoritären Patriarchen fanden, den sie nicht zu lieben vermochten. Le Clézios Buch ist ein Dokument des späten Verständnisses, das der Autor für seinen Vater entwickelt hat. Es schildert das einsame und verzehrende Leben des Vaters in Afrika, geboren aus einer Ablehnung der englischen Gesellschaft und ihres Kolonialismus. Und auch nach seiner Rückkehr nach Europa bleibt der Vater ein isolierter Mann, da ihm seine afrikanischen Erfahrungen eine Eingliederung in die europäische Gesellschaft verstellt.

Ein lesenswertes kleines Buch eines Sohnes, der aus seinem Zorn und seiner Enttäuschung dem Vater gegenüber herausfindet und sein schwieriges Verhältnis zu ihm überwinden kann. Sicher wäre auch manch anderen eine solche Annäherung an den eigenen Vater zu wünschen.

Als Obskurität ist anzumerken, dass sich die Vornamen des Autors nur auf dem Waschzettel, nicht aber im Buch finden lassen.

Jean-Marie Gustave Le Clézio: Der Afrikaner. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. München: Hanser, 22008. Pappband, 136 Seiten. 14,90 €.

Zwei Thomas-Mann-Hörbücher

Nach der großen Anstrengung des Doktor Faustus (1947) schrieb Thomas Mann noch zwei in Ton und Inhalt humoristische und leichte Romane: Der Erwählte (1951) und Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1954). Letzteres blieb insoweit Fragment, als der veröffentlichte Text nur den ersten Teil der Pseudoautobiografie Krulls darstellt und eher unvermittelt abbricht. Dennoch handelt es sich bei den Bekenntnissen um den deutlich prominenteren Text, was sicherlich auch der sehr rasch erfolgten Verfilmung mit Horst Buchholz in der Hauptrolle geschuldet ist.

Der Erwählte ist eine parodistische Neuerzählung des Gregorius des Hartmann von Aue. Es ist die Geschichte eines aus einem Geschwisterinzest hervorgegangenen Knaben, der als Kleinkind ausgesetzt, auf einer der Kanalinseln aufwächst und dort zum Geistlichen erzogen wird. Trotz dieser Ausbildung drängt es ihn, Ritter zu werden, was er auch durchsetzt, als er nach einem handgreiflichen Vorfall mit einem seiner Ziehbrüder von seiner unseligen Herkunft erfährt und die Insel verlässt. Er kehrt unwissentlich in seine Heimat zurück, befreit die Stadt, in der seine Mutter residiert, von einer Belagerung und heiratet im Anschluss seine Mutter, mit der er zwei Töchter zeugt. Als zufällig die verwickelten Verwandtschaftsverhältnisse zutage kommen, verpflichtet Gregor seine Mutter zur Aufgabe der Regierung und zu wohltätigem Dienst, während er selbst sich im Sünderhemd zu einem Exil auf einer winzigen Felseninsel verbannt, auf der er auf wundersame Weise von der Erde selbst genährt wird. Befreit wird er nach 17 Jahren von zwei römischen Gesandten, die sich nach göttlicher Vision auf die Suche nach ihm gemacht hatten, um ihn als Papst nach Rom zu führen.

Der märchenhafte Grundton dieser Erzählung ist bereits in der Vorlage zu finden und wird von Thomas Mann in ausschmückendem Stil und epischer Breite übernommen. Da schon Hartmann nicht die Absicht verfolgt, die Biografie eines konkreten Papstes zu schreiben, kann sich Thomas Manns Text gänzlich im Reich der Ironie bewegen. Kein Satz, keine Szene ist der Ernsthaftigkeit verpflichtet, alles bewegt sich im Spielerischen. Das Faszinierendste dürfte sein, dass der Text sogar dann parodistisch wirkt, wenn der Leser die Vorlage nicht kennt. Von allen Romanen Thomas Manns ist Der Erwählte vielleicht sein freiester und gelöstester überhaupt.

Bekenntnisse des Hochstapler Felix Krull ist im Gegensatz dazu keine Parodie eines konkretes Textes, sondern gleich eines ganzes Genres: des deutschen Entwicklungsromans. Auch hier hat die Parodie in der Hauptsache humoristische und keine literaturkritische Absicht. Erzähler ist der alte Felix Krull, der die Geschichte seines Lebens aufschreibt: Sohn eines Sektproduzenten aus dem Rheingau, der sich den Folgen eines Bankrotts durch Selbstmord entzieht, sieht er sich gezwungen, eine Stellung als Liftboy in Paris anzutreten. Er ist von auffallender Schönheit, und seine Neigung zu gehobener Sprache und Umgangsformen zeichnen ihn ebenso aus wie eine skrupellose Dreistigkeit bei Diebstahl und Betrug. Seine Karriere als Hochstapler beginnt im eigentlichen Sinne, als er einen luxemburgischen Marquis kennenlernt, der ein Double benötigt, das für ersatzweise für ihn eine von seinen Eltern angeordnete Reise nach Südamerika antritt. Felix reist also nach Lissabon, von wo aus er mit einem Schiff nach Argentinien fahren soll. Unterwegs macht er die Bekanntschaft deutschen Professors Kuckuck, der in Lissabon ein Museum leitet. Natürlich wird er auch in die Villa Kuckuck eingeladen, wo er sich sowohl in die Tochter als auch in die portugiesische Frau des Professors verliebt. Leider bricht der Roman gerade an dem Punkt ab, als Felix sowohl bei der Mutter als auch bei der Tochter zum Ziel gekommen ist. Aus dem Fragment heraus lässt sich leider nur vermuten, ob nicht die wirkliche Hochstapelei Krulls darin besteht, sich diesen fantastischen Lebenslauf zuzuschreiben.

Von beiden Büchern – so wie von zahlreichen anderen Romanen Thomas Manns – gibt es ungekürzte Lesungen Gert Westphals aus einer Zeit, als es das Hörbuch zumeist nur im Radio und nur ausnahmsweise als Audiocassette gab. Heute liegen diese Lesungen selbstverständlich auf CD vor, und es steht zu hoffen, dass auch hier bald MP3-Versionen eine kompakte und preisgünstige Alternative liefern. Westphal hat für meinen Geschmack eine ideale Stimme für die Texte Thomas Manns; er befindet sich stets auf der Höhe der Texte – einzig sein Englisch hat einen störenden Akzent – und macht Manns hier und da zu feisten Manierismus durch seine Sprechkunst durchsichtig  und erträglich. Nachdem ich in den letzten Jahren eher Schwierigkeiten hatte, mich mit Manns Spätwerk noch einmal anzunähern, haben diese beiden Hörbücher mir einen neuen Weg eröffnet, und ich werde es demnächst auch einmal mit der Westphalschen Lesung des Doktor Faustus versuchen.

Thomas Mann: Der Erwählte. Ungek. Lesung von Gert Westphal. Berlin: Universal/Deutsche Grammophon, 2005. 10 CDs mit zus. etwa 660 Minuten Laufzeit. Ca. 60,– €.

Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Ungek. Lesung von Gert Westphal. Berlin: Universal/Deutsche Grammophon, 2005. 13 CDs mit zus. etwa 990 Minuten Laufzeit. Ca. 75,– €.

He, Joe, Quadrat I und II, Nacht und Träume, …

beckett_he_joeIn den gedruckten Werken Samuel Becketts gab es bis dato immer eine Werkgruppe, deren Präsentation unbefriedigend blieb. Anders als bei den Dramen Becketts hatte man bei den Texten, die jene späten, in Zusammenarbeit mit dem SDR entstandenen Fernsehstücke repräsentierten, stets den Eindruck, hier würde etwas Wesentliches fehlen. Das lag zum einen an der offensichtlichen Tatsache, dass Beckett bei ihnen auch selbst Regie geführt hatte und also die späten Stücke direkt auf diese spezielle Produktionssituation hingeschrieben hatte. Beckett hatte daher wohl bereits beim Schreiben ein bestimmtes visuelles Konzept für diese Stücke vor Augen, das den reinen Text überstieg. Zum anderen waren die Stücke zum Teil so grundsätzlich visuell – und zum Teil auch akustisch – fundiert, dass Texte prinzipiell unzureichend zur Darstellung bleiben mussten. Diese Lücke schließt nun eine DVD aus der filmedition suhrkamp.

Becketts Fernsehstücke wurden zwischen 1965 und 1985 beim SDR in direkter Zusammenarbeit mit dem Autor produziert und – zumeist zu später Stunde – in den 3. Programmen gesendet. Ich selbst kann mich gut an den umwerfenden Eindruck erinnern, den Quadrat I und II auf mich gemacht haben, als ich es noch zur Schulzeit gänzlich zufällig im Fernsehen gesehen habe. Ich hatte dergleichen nie gesehen und dennoch war mir das Stück unmittelbar einleuchtend. Von Beckett kannte ich zu der Zeit nur Warten auf Godot – dessen Komödien-charakter mir ebenso unvermittelt klar gewesen war – und ein weiteres Theaterstück, wahrscheinlich Glückliche Tage, zu dem ich aber keinen Zugang gefunden hatte. Erst das Erlebnis von Quadrat I und II löste meine erste intensive Auseinandersetzung mit Beckett aus, den ich bis heute für einen der bemerkenswertesten Autoren des vergangenen Jahrhunderts halte.

Die DVD enthält alle vom SDR produzierten Fernsehstücke. Das sind im Einzelnen (mit Jahr der Erstaustrahlung):

  • He, Joe (1966)
  • Schatten (1977)
  • Geister-Trio (1977)
  • … nur noch Gewölk … (1977)
  • Not I (1977)
  • He, Joe (1979)
  • Quadrat I und II (1981)
  • Nacht und Träume (1983)
  • Was Wo (1986)

Ergänzt werden die Filme durch den umfangreichen Essay Erschöpft von Gilles Deleuze (in deutscher Übersetzung durch Erika Tophoven), der schon 1992 eine französische Ausgabe der Fernseharbeiten Becketts begleitet hatte. Qualitativ vermitteln die Filme in etwa den Eindruck, den sie auch bei ihrer Erstausstrahulung gemacht haben dürften; von einer digitalen Überarbeitung hat man offenbar abgesehen.

Samuel Beckett: He, Joe, Quadrat I und II, Nacht und Träume, Geister-Trio … filmedition suhrkamp Nr. 3. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2008. 1 DVD (Länge: 156 Min.) und 1 Begleitheft (60 Seiten). 19,90 € (unverbindliche Preisempfehlung).