Beowulf

beowulf Der Insel Verlag hat pünktlich zur Verfilmung des Beowulf eine Prosaübersetzung des altenglischen Textes durch Gisbert Haefs vorgelegt. Haefs arbeitet auf der Grundlage der Versübertragung von Martin Lehnert, erfindet aber einen Prolog hinzu, in dem das Manuskript des Beowulf von einem Klosterschreiber an seinen Bruder übersandt wird, um es vor dem Zugriff des Abtes zu schützen, der eine frühere Fassung des Textes habe vernichten lassen, da sie zu unchristlich geraten sei. Haefs versucht mit diesem Prolog, die christlichen Elemente des Textes – z. B. die Deutung Grendels als eines Nachkommens der Sippe Kains – als eine spätere, dem eigentlichen Text sekundäre Schicht zu markieren, die der Leser als verfälschende Überlagerung und unzulässige Aneignung des Stoffes wahrnehmen soll. Man mag dazu stehen, wie man will, muss aber wohl anmerken, dass Haefs antiklerikaler und wahrscheinlich auch antichristlicher Impetus nicht viel besser ist als die von ihm markierte Usurpation des Stoffes.

Man kann Haefs Übertragung zugutehalten, dass sie eine knappe und zeitgemäße Version des Stoffes präsentiert, die bei aller rhetorischer Lakonie – viel Formelhaftes der Vorlage wird einfach weggelassen – nicht auf einen markanten Ton und eine elegante, deutlich rhythmisierte Prosa verzichtet. Insoweit eignet sie sich wahrscheinlich für die meisten Leser, die vorerst einmal an der stofflichen Ebene interessiert sind, besser als andere Übertragungen für eine erste Bekanntschaft. Später lässt sich dann ja immer noch auf eine der dem Original näherstehenden Übersetzungen zurückgreifen.

Das Epos selbst ist recht fragmentarischer Natur und erzählt zwei Episoden aus dem Leben des Gauten-Königs Beowulf: Seinen Kampf mit dem Monster Grendel und dessen Mutter und seinen letzten, für ihn tödlich verlaufenden Kampf gegen einen Drachen. Ansonsten werden viele Humpen Bier getrunken und weitere Heldengeschichten zum Besten geben – wie man sich bei Heldens daheim eben so zu unterhalten pflegt: »Weißt Du noch, wie wir damals beim alten Finn die Met-Halle unter Blut gesetzt haben?« Dem Text fehlt eine unheldische Ebene beinahe komplett; nur bei den seltenen Auftritten von Frauen lässt er wenigstens erahnen, dass es noch mehr als Schwertschwingen, Monstererschlagen und Biersaufen im Leben geben könnte. Es scheint mir daher mehr als verwegen, wenn diese altenglische Rabaukengeschichte in einem Atemzug etwa mit Homers Epen genannt wird. Die derzeitige Aufmerksamkeit ist wohl eine Folge der wieder einmal ausgebrochenen Tolkien-Hysterie, da der Autor des Lord of the Rings für die Überbewertung dieses Textes maßgeblich mitverantwortlich ist.

Beowulf. Übertragen von Gisbert Haefs. it 3306. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2007. 136 Seiten. 7,00 €.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca

hamilton-paterson Ein Buch mit zwei Ich-Erzählern als Protagonisten: Gerald, Engländer, der sein Geld als Ghostwriter für Sportstars verdient, und Marta, Staatsangehörige des fiktiven »Woinowien« (wahrscheinlich nach dem polnischen »Woiwod«, Herzog), eine junge Komponistin, gerade dabei einen Film-Score zu schreiben. Beide leben als Nachbarn in der Toskana und finden einander unerträglich. Der Leser kann sich in beide Meinungen leicht einfühlen. Beide zeichnen sich durch »tragische Dummheit« aus, wie der Autor Gerald während einer seiner zahlreichen unerträglichen Raunzerein einmal äußern lässt.

Das Buch weist über die erste Hälfte hin keinerlei erkennbares Thema auf. Da das auch dem Autor aufgefallen ist, versorgt er uns auf der Seite Geralds mit obskuren Kochrezepten und auf Martas mit der Geschichte ihrer Gangsterfamilie. Wenigstens das letztere zeigt im weiteren Gang der Handlung noch einige belanglose Konsequenzen. Ansonsten geistern noch Gerald nächster Kunde, ein zu verbiographierender Popstar, der vor Geralds endloser Arroganz am Ende doch noch Gnade findet, und Martas Auftraggeber, ein italienischer Regisseur, der gesellschaftskritische Pornos dreht. Er ist zwar als einzige Figur in der Lage, wenigstens ein annähernd menschliches Gespräch zu führen, quatscht am Ende aber auch bloß seitenweise Unfug über das Kino und die Gesellschaft daher, der wahrscheinlich witzig gemeint ist.

Klassischer Humor erschöpft sich in einigen bemühten Slapstick-Einlagen und einem zaghaften Versuch, eine Komödie der Irrungen zu starten, mit der der Autor aber gleich seine eigene Gangstergeschichte stört, weshalb er den Versuch nach wenigen Seiten durch eine umfassende Aufklärung abbricht. Ansonsten soll man es wohl lustig finden, dass wer schlecht Englisch spricht, an UFOs glaubt oder ständig im Hubschrauber ankommt und wegfliegt.

Insgesamt wohl ein Buch, das auf ein allgemeines Ressentiment der Leserschaft spekuliert, obwohl zu befürchten ist, dass der Autor dies teilt, es aber durch eine durchgängig ironische Erzählhaltung unkenntlich zu machen versucht. An einer Stelle fällt der Name Hegel und sticht so einsam aus dem ganzen unsäglichen Gequatsche heraus, dass er allein genügt klarzumachen, dass der Autor auch nicht den geringsten Schimmer hat, worüber er da eigentlich schreibt.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. btb 73565. Verlagsgr. Random House, 2007. 364 Seiten. 9,00 €.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister

moers-schrecksenmeister Es scheint beinahe unmöglich, diesem Buch oder besser dem Autor im Fall dieses Buches gerecht zu werden. Nach einem Buch wie Die Stadt der träumenden Bücher (2005) muss einem Schriftsteller die Herausforderung, die nächste Fortsetzung der Zamonien-Romane zu schreiben, von überwältigenden Schwierigkeit erscheinen. Beinahe scheint es, dass sich Moers in der »Anmerkung des Übersetzers« dafür entschuldigt, keinen zweiten Teil der Stadt geschrieben zu haben, sondern auf eine eher kleine, beinahe unscheinbare Geschichte ausgewichen zu sein.

Grundlage des Buches ist Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen, ein »Märchen«, wie Keller selbst es benennt, das aber bei genauerer Betrachtung wenig Märchenhaftes aufweist, sondern sich erstaunlich konkret mit gesellschaftlichen Realitäten des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Mit all dem kann natürlich Moers’ Transfer in zamonische Gefilde wenig anfangen, was auf der einen Seite zu einer Verflachung und Verharmlosung des Stoffes, auf der anderen Seite zu nicht unwesentlichen Eingriffen in den Text geführt hat, besonders was die Länge und das Ende betrifft. Für den Kenner Kellers macht Moers’ Buch den Eindruck, den eine schlechte Verfilmung machen kann, die einen eigentlich ungeeigneten Stoff unter Aufgabe von Sinn und Struktur in das eigene Medium einpresst.

Doch dieser Eindruck ist zumindest insoweit unerheblich, als dass Moers’ Buch durchaus den Anspruch machen kann, ganz für sich selbst zu stehen und Kellers Märchen für nicht mehr als eine Anregung genommen zu haben. Aber selbst wenn man darauf verzichtet, Moers und Keller nebeneinander zu halten, so kommt man nicht umhin, es mit dem Vorläufer zu vergleichen. Und in diesem Vergleich schneidet es enttäuschend ab: Wo Die Stadt der träumenden Bücher überschäumte von Wortwitz, phantastischen Einfällen und skurrilen Figuren, hat Der Schrecksenmeister einen Schuhu mit einer Sprachstörung bei Fremdwörtern, eine Ansammlung literarischer Motive klassischer Schauerromane und als einzige erwähnenswerte Erfindung die Ledermäuse, deren wesentlicher Witz in der wiederholten Feststellung besteht:

Niemand versteht die Ledermäuse! Nicht mal die Ledermäuse!

Würde dieses Buch nicht im Schatten seines Vorgängers stehen, so erschiene all das sicherlich im Rahmen des Gewöhnlichen und würde für ein nicht herausragendes, aber durchaus angängiges Buch ausreichen. Aber so wird Die Stadt der träumenden Bücher wohl zu jenem Fall werden, an dem sich das Schicksal aller folgenden zamonischen Romane entscheiden wird.

Wie der unsterbliche Laurence Sterne bei Anlass des berühmten herausgerissenen Kapitels des Tristram Shandy so richtig schrieb:

Ein Zwerg, der einen Maßstab bei sich führt, um damit seine eigene Länge zu messen, ist – glauben Sie mir’s auf mein Wort – in mehr als einem Sinne ein Zwerg.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister. München: Piper, 2007. Bedruckter Pappband, Lesebändchen, farbiger Kopfschnitt, 384 Seiten. 22,90 €.

McCall Smith: Die verschmähten Schriften …

mccall-smith-schriften … des Professor von Igelfeld ist ein Sammelband der drei kleine Büchlein zusammenfasst, deren gemeinsamer Held der im deutschen Titel genannten Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist. Leider ist der Titel insoweit etwas irreführend, als Professor Dr. Igelfeld keinerlei verschmähte Schriften geschrieben hat und dementsprechend der Band weder solche enthält noch von ihnen zu berichten weiß. Offensichtlich hat sich der deutsche Verlag gescheut, den englischen Sammeltitel The 2½ Pillars of Wisdom zu übernehmen, offenbar weil Lawrences Sieben Säulen der Weisheit den deutschen Lesern nicht mehr präsent genug sind, um die Pointe auszulösen. Das ist allerdings schon der einzige Einwand, der sich gegen die deutsche Ausgabe erheben lässt. Nicht nur ist der Band in einem leichten und angenehmen Stil übersetzt, der Verlag hat sich auch entschlossen, die Illustrationen von Iain McIntosh abzudrucken.

Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist Autor des weltberühmten, grundstürzenden, mehr als 1200 Seiten umfassenden Werkes Portugiesische unregelmäßige Verben, das nicht nur Igelfelds wissenschaftliche Reputation begründet hat, sondern auch den Dreh- und Angelpunkt all seines Selbstbewusstseins darstellt. Und davon hat er nicht zu wenig. Allerdings muss er feststellen, dass seine Mitmenschen nicht immer in der Lage sind, sich Igelfelds Rang und persönlicher Bedeutung – er ist sogar fast ein Baron – angemessen zu verhalten. Deshalb sind auch seine beiden Kollegen Professor Dr. Dr. h. c. Florianus Prinzel (den Igelfeld heimlich beneidet) und Professor Dr. Detlev Amadeus (von) Unterholzer, die zusammen mit ihm romanische Philologie an der Universität von Regensburg lehren, die wichtigsten Bezugspersonen seines Lebens, weil er bei Ihnen sicher sein kann, dass sie ihm nicht nur in Neid und Bewunderung treu verbunden sind, sondern auch seine spezifische Art der Weltfremdheit (man nennt das wohl gemeinhin einen Wertekanon) teilen.

Er konnte sich vorstellen, dass das Leben eines Diplomaten oder selbst eines Schismatikers fast so spannend sein konnte wie das eines Professors für romanische Philologie. Fast, aber nicht ganz.

Diese Clique deutscher Philologen wird nun vom Autor mehr oder weniger gemeinsam in der Welt herumgetrieben und machen dort die mehr oder weniger unvermeidlichen Erfahrungen. Das ganze steht offensichtlich in der Tradition der Prosakomödien P. G. Wodehouses, nur eben ins späte zwanzigste Jahrhundert und die Schicht der deutschen intellektuellen Snobs verpflanzt. Dabei lässt McCall Smith den deutschen intellektuellen Snobs insoweit Gerechtigkeit wider- fahren, als während eines Gastsemesters Igelfelds in Cambridge eine Auswahl englischer intellektueller Snobs als Folie dient.

Eine höchst vergnügliche Lektüre, die nur diejenigen meiden sollten, denen der Gedanke der Misshandlung von Dackeln schwer erträglich ist.

Alexander McCall Smith: Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. München: Karl Blessing, 2007. Pappband, 448 Seiten. 19,95 €.

Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

duerrenmatt-richterEine Schullektüre ist ein Buch, das jede und jeder meint zu kennen, weil es in der Schule gelesen werden musste. Die allermeisten hassen diese Bücher, weil sie die Schule oder auch nur den Deutsch-Unterricht gehasst haben, und schauen nie wieder in eines dieser Bücher hinein. Wahrscheinlich hat es kein einziges Buch verdient, zur Schullektüre zu verkommen, aber bei einigen bedauert man es mehr als bei anderen. Dürrenmatts Der Richter und sein Henker gehört bei mir zu diesen Büchern. Das ist um so erstaunlicher, als ich eigentlich kein Krimi-Leser bin. Der Krimi ist ein Genre, das ich zwar im Film goutiere, das mir aber im Roman in der Regel zu schematisch, langweilig und eindimensional ist – war, sollte ich besser sagen, denn ich lese schon lange keine Krimis mehr.

Die erneute Lektüre von Der Richter und sein Henker (es ist wohl insgesamt die vierte) hat einen didaktischen Anlass: Schullektüre eines Jüngeren. Ich hatte erwartet, einen erzählerisch etwas angestaubten Roman vorzufinden, und war überrascht, was für ein elegantes, schlankes und durchtrainiertes Büchlein sich mir diesmal gezeigt hat. Sicher ist das eine oder andere nicht ganz gelungen, so etwa die Erzählung der Vorgeschichten von Bärlach und Gastmann im Gespräch, wodurch Gastmann für einen Augenblick unnötig geschwätzig und banal erscheint. Oder auch das Gastmahl für Tschanz, das den Roman beschließt und das unnötig überfrachtet ist mit existenzialistischen und moralisierenden Motiven. Da geht der Dramatiker mit dem Prosaautor durch; aber derlei sind Kleinigkeiten.

Dem steht entgegen, wie einfach und schlicht etwa das politische Unterfutter der Bärlachschen Intrige in den Roman eingeführt wird oder wie hübsch sich die beiden Protagonisten Bärlach und Gastmann ineinander spiegeln und ihre Wette am Ende beide zugleich gewinnen und verlieren. Das alles ist gut ausgedacht und zeichnet ein Bild der Schweizer Gesellschaft Ende der 40er Jahre, wie man es lakonischer und zugleich böser in einem populären Roman wohl lange wird suchen müssen. Ein Buch, das an die Tradition großer Schweizer Erzähler anschließt!

Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker. detebe 22535. Zürich: Diogenes, 1985 ff. 180 Seiten. 5,90 €.

Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff

Insel legt mit diesem Buch wenige Tage vor dem 150. Todestag Eichendorffs die fällige neue Biographie des letzten echten Romantikers vor. Der Autor hat durchaus einen guten Namen in Sachen Eichendorff: Er ist Mitherausgeber der großen Eichendorff-Ausgabe beim DKV und hat auch bei Reclam nicht nur die neue, illustrierte Taugenichts-Ausgabe herausgegeben, sondern auch zahlreiche Anthologien betreut und Texte kommentiert. Um so verwunderlicher ist es, dass seine Eichendorff-Biographie in Teilen oberflächlich und uninteressant bleibt.

Schon seine späten Zeitgenossen hatten mit der Wahrnehmung Eichendorffs einige Schwierigkeiten: Seine Werke hatten sich überlebt und schienen bereits einer anderen Epoche anzugehören, seine katholische Grundüberzeugung passte nur ungenügend in die immer säkularere Zeit, und so musste es der alte Eichendorff erleben, bereits vor seinem Ableben literaturgeschichtlich für tot erklärt worden zu sein. Was im Wesentlichen geblieben ist, ist sein Taugenichts, der zu einem erklärten Lieblingsbuch der Deutschen wurde, dem von Fontane und Thomas Mann sogar zugemutet wurde, ein Idealbild der Deutschen zu liefern, und das, inzwischen zur Schullektüre heruntergekommen, bis dato nur selten in seinem motivischen und artifiziellen Reichtum verstanden und erschlossen worden ist. Interessanterweise kann auch Schultz mit dem Text so wenig anfangen, dass er – trotz seiner Herausgeberschaft und seinem Status als Kommentator – nicht einmal in der Lage ist, die Fabel einigermaßen stimmig und vollständig wiederzugeben. Auch scheint er gänzlich taub zu sein für jeglichen Humor Eichendorffs; nur an einer Stelle äußert er den Verdacht, es könne sich um eine »vielleicht sogar ironische gedachte – Darstellung eines literarischen Modells der Romantik« handeln, lässt sich aber in seinen weiteren Ausführungen von diesem Einfall nicht weiter verunsichern. Dafür unterschlägt er beim Nacherzählen die Liebesintrige und den Aufenthalt auf dem Schloss, versetzt die Prager Studenten einfach an eine andere Stelle im Text – es kommt ja ohnehin nicht so genau drauf an, nicht wahr?

Auch ansonsten herrschen allenthalben Oberflächlichkeit und Schlamperei: Da heißt Eichendorffs Versepos Julian auch gern einmal »Julius« oder sein Robert und Guiscard wird zum beinahe schon Kleistschen »Robert Guiscard« verkürzt. Oder Schultz gibt die Nummern der immerhin von ihm mit herausgegebenen Taschenbuch-Bände der DKV-Ausgabe falsch an. Oder der Leser wird mit tiefen Einsichten in die Motivik der Romantik überrascht: »Offensichtlich führte die oft einsame Lage der Mühlen dazu, daß dieser Ort seit je mit Liebesbegegnungen in Verbindung gebracht wurde.« Ja, ja, offensichtlich! Oder zur Geschichte der Romantik: »Heute werden Eichendorff und Heine beide zu den größten Dichtern der deutschen Romantik gezählt, aber es waren eben Dichter und keine Verfasser objektiv abwägender Literaturgeschichten.« Und der Thomas Mannsche Wind zum Taugenichts wird kommentiert: »Thomas Manns ausführliche Charakteristik von Eichendorffs Werk und seinem Helden ist – wie könnte es anders sein – treffend und überzeugend.« Wie es anders sein könnte? Selbstgefälliges Geschwafel könnte es sein, wie so oft bei Thomas Mann!

Bei Werken, zu denen Schultz gar nichts eingefallen ist, zitiert er einfach ausführlich zeitgenössische Rezensionen, ohne klar zu machen, warum die damaligen Urteile für den heutigen Leser erheblich sein sollen. Überhaupt macht das Buch an keiner einzigen Stelle klar, was an Eichendorff 150 Jahre nach seinem Tod für Leser noch von Interesse sein könnte. Es kann sich ja nicht in der Feststellung erschöpfen, dass zahlreiche seiner Lieder heute noch gesungen werden.

Ein Buch, dem man die Lustlosigkeit und Zeitnot des Verfassers allenthalben anmerkt. Es hat einzig den Vorteil, nicht ganz so umfangreich zu sein wie die Biographie von Günther Schiwy (C.H. Beck, 2000), die inzwischen auch an einigen wenigen Stellen überholt ist, ist aber höchstens zur ersten und oberflächlichen Information geeignet. Der Eichendorff-Liebhaber oder gar -Kenner sollte seine Zeit besser verwenden als mit der Lektüre dieses alles in allem doch ärgerlichen Buches.

Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff. Frankfurt/M.: Insel, 2007. Pappband, 368 Seiten. 22,80 €.

Andrew Delbanco: Melville

delbanco-melville Der Hanser Verlag ergänzt seine Werkauswahl Herman Melvilles durch die seit langem fehlende, umfangreiche deutschsprachige Biographie des Autors. Man hat sich dabei für eine aktuelle englische Veröffentlichung über Melville entschieden. Andrew Delbanco ist in den USA ein bekannter Publizist und Herausgeber US-amerikanischer Klassiker, im Hauptberuf Professor an der Columbia University. Soweit ich sehe, handelt es sich um die erste Übersetzung eines seiner Bücher ins Deutsche.

Natürlich hätte sich der Melville-Freund gewünscht, dass auch in Deutschland die monumentale, zweibändige Biographie Hershel Parkers die Grundlage für die Beschäftigung mit Melville bilden würde, aber man kann verstehen, dass sich kein Verlag an eine Übersetzung der beinahe 2.000 großformatigen Seiten Parkers heranwagt; dafür ist Melvilles Bedeutung in Deutschland doch zu gering, was sich auch in dem vergleichsweise hohen Preis von Delbancos Buch niederschlägt.

Delbancos Buch trägt im englischen Original den Untertitel »His World and Work«. Damit ist der thematische Rahmen des Buches weit besser abgesteckt als mit der eher unspezifischen Bezeichnung »Biographie«, die die deutsche Ausgabe trägt. Natürlich bildet die Biographie Melvilles das Rückgrat des Buches, aber zumindest gleichgewichtig liefert Delbanco ein breites Panorama der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit zu Lebzeiten Melvilles und eingehende Darstellungen von Melvilles Schriften. Dabei werden die Werke nahezu immer auf die politische und gesellschaftliche Lage rückbezogen, ohne dass dieser Rückbezug in jedem einzelnen Fall zu überzeugen vermag. Sicherlich ist es so, dass man die Pequod aus Melvilles Moby-Dick auch allegorisch als das Staatsschiff USA auffassen kann, nur führt solch ein allegorischer Ansatz nicht sehr weit und bleibt für den Detailreichtum des Textes unfruchtbar. Mir scheint es zudem unwahrscheinlich, dass Delbancos politischer oder wahlweise soziologischer Zugriff auch nur annähernd ein Spiegelbild der zeitgenössischen Rezeption Melvilles ergibt.

Delbanco markiert dieses Ungenügen sogar selbst, wenn es etwa zu Billy Budd einmal heißt, die »Bellipotent war demnach ebenso wie die Pequod ein schwimmendes Symbol für Melvilles Amerika«, und nur wenige Seiten später ergänzt wird: »Der Unterschied zwischen einer ›juristischen‹ und einer ›eigentlichen‹ Betrachtung der Ereignisse ist der Schlüssel zu Billy Budd«, ohne dass diese beiden Zugriffe auch nur versuchsweise miteinander vermittelt würden. Es mag sogar so sein, dass beide Zugriffe in Melvilles Werk genauso unvermittelt nebeneinander stehen, aber auch dies zu zeigen, verfehlt Delbanco.

Wenn einen der oft beliebig scheinende Wechsel zwischen den allzu weiten und dann wieder sehr engen Zugriffen Delbancos nicht stört, bekommt ein informatives und gut geschriebenes Buch, das über die gesellschaftliche Lage in den USA im 19. Jahrhundert beinahe besser informiert als über das Leben Melvilles. Alle wichtigen Werke Melvilles werden ausführlich dargestellt und im Wesentlichen zutreffend charakterisiert. Für die biographischen Details scheint Delbanco weitgehend auf Parker zurückgegriffen zu haben; hier dürfen Kenner keine Neuigkeiten erwarten. Die Übersetzung von Werner Schmitz ist gut, an einigen wenigen Stellen aber etwas oberflächlich geraten, so etwa wenn es heißt:

Danach schrieb er [Melville], weder zur See noch an Land kein Wort mehr in sein Tagebuch. [S. 325]

Hier müsste es natürlich »sowohl … als auch« statt »weder … noch« heißen. Oder wenn auf S. 130 der Schriftsteller Washington Irving zu »Irving Washington« wird, ein Fehler, der lustigerweise bis ins Namensregister des Buches durchschlägt, obwohl Washington Irving ansonsten im Buch ganz richtig benannt ist.

Insgesamt eine sehr zu begrüßende Ergänzung des deutschen Buchmarktes, die endlich eine Alternative zu der hausbackenen und viel zu kurzen Biographie Elizabeth Hardwicks liefert.

Andrew Delbanco: Melville. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. München: Hanser, 2007. Pappband, 470 Seiten. 34,90 €.

Sigrid Damm: Goethes letzte Reise

Sigrid Damms neues, nettes und weithin belangloses Lesebuch erzählt in dem weitgehend beliebigen Stil, der für Sigrid Damms Bücher inzwischen typisch geworden ist, Goethes letzte Lebensmonate. Den Rahmen bildet, abgesehen vom letzten Kapitel, das von Goethes Sterben berichtet, die letzte mehrtägige Abwesenheit Goethes von Weimar im August 1831. Um den Weimarer Feierlichkeiten zu seinem 82. Geburtstag zu entgehen, macht sich Goethe mit seinen beiden Enkeln Walther und Wolfgang auf die Reise ins nahegelegene Ilmenau, besucht die Jagdhütte auf dem Kickelhahn noch einmal, macht einige Ausflüge und kehrt am 31. August wieder nach Weimar zurück.

In diesen Rahmen passt Sigrid Damm zahlreiche Reflexion zu diversen anderen Themen und Zeiten in Goethes Leben ein: Seine Bemühungen um den Ilmenauer Bergbau, seine letzte Liebe zu Ulrike von Levetzow, das Gedicht Über allen Gipfeln ist Ruh, der Tod seines Sohnes August in Rom, Goethes Glaube an das Fortbestehen des Geistes nach dem Tode, Gestaltung und Inhalt des zweiten Teils des Faust und Vulkanismus contra Neptunismus dürften die wichtigsten sein. Alles wird locker aneinander gereiht und ist mit dem Hauptthema des Buches – als das sich schließlich Goethes Tod, seine „letzte Reise“, erweisen wird – mehr oder weniger eng und sinnfällig verknüpft.

Das meiste gerät dabei zur Nacherzählung der gerade für den Text benutzten Quellen, wobei sich die Redundanzen im Vergleich zu Christiane und Goethe in Grenzen halten, aber auch nicht vermieden werden. Anderes wird einfach daherzitiert und erweckt weniger den Eindruck einer Erzählung als den eines ausgekippten Zettelkastens, so etwa die Geschichte Friedrich Augusts von Fritschs (S. 246 f.).

Die lockere Struktur mag jenen entgegenkommen, die ein eher empathisches als reflektives Verhältnis zu Goethes Werk und Leben pflegen. Nicht umsonst fallen Fragen wie „Stellt nicht diese Dichtung die höhere Wahrheit dar?“ (S. 200), selbstverständlich ohne eine Antwort zu erfahren; die hinweisende Geste verbindet all jene, die gleichen Geistes sind. An anderen Stellen spricht Damm davon, wie „berührt“ oder „angerührt“ sie ist, ohne dass der Text auch nur einen einzigen Schritt über die Emotion hinausgelangt. An einer Stelle bleibt Damms Lektüre der Quelle gar so oberflächlich, dass eine echte Pointe resultiert. Sie zitiert einen Brief Goethes an Amalie von Levetzow, die Mutter Ulrikes:

Dabey, hoff ich, wird sie nicht abläugnen, daß es eine hübsche Sache sey, geliebt zu werden, wenn auch der Freund manchmal unbequem fallen möchte.

Und nun folgen im typischen Damm-Stil einige Fragen, die die Interpretation nicht leiten, sondern ersetzen:

Und der Schluß des Satzes, worauf deutet er? Wohl nicht auf den Troubadour, der vor den Augen der Angebeteten auf den Knien liegt, sondern auf den alten Mann, der ausrutscht und sich nicht wieder aufzurichten vermag? (S. 207)

Damm liest die Wendung „unbequem fallen“ tatsächlich im Sinne von „stürzen“, nicht als „lästig fallen“, wie sie offensichtlich gemeint ist.

An wieder anderer Stelle wird vergessen, was nur wenige Seiten zuvor berichtet worden ist, so wenn auf S. 285 ein Brief des Enkels Wolfgang zitiert wird, der die geplante Rückreise nach Weimar über Schwarzburg und Rudolstadt ankündigt, und Enttäuschung der Enkel darüber vermutet wird, dass man nun doch den gleichen Weg zurück nehmen wird, den man gekommen ist. Auf Seite 317 wird dann spekuliert, dass man diesmal in Stadtilm ein „dem hohen Gast angemessenes Mittagsmahl“ vorgesetzt haben könnte:

Bei der Herfahrt hat man die Bestellung aufgegeben. Da die Gasthofrechnung nicht überliefert ist und auch Krauses Tagebuch keine Auskunft gibt, können wir es nur vermuten.

Ja, vermuten kann man vieles. Warum man allerdings ein Mittagsmahl bestellen soll, wenn man weder den Rückreisetag kennt noch plant, überhaupt auf der Rückfahrt wieder vorbeizukommen, können wir nicht einmal vermuten – nur Sigrid Damm könnte.

Insgesamt nur ein weiteres oberflächliches, unordentlich erzähltes Buch von Sigrid Damm. Inzwischen macht es keinen Unterschied mehr. Für diejenigen, die sich als Goethe-Freunde empfinden und jene, die von Goethe wenig wissen und sich einen ersten, flüchtigen Eindruck verschaffen wollen, sicherlich kein schlechtes Lesebuch. Für den ernsthaft an Goethe und seiner Zeit Interessierten gänzlich unerheblich.

Sigrid Damm: Goethes letzte Reise. Frankfurt/M: Insel Verlag, 2007. Pappband, 364 Seiten. 19,80 €.

Friedrich Dürrenmatt: Der Schachspieler

duerrenmatt_schachspieler Eine Veröffentlichung aus dem Nachlass Friedrich Dürrenmatts ist dieser Entwurf zu einer Kriminal-Erzählung (kein Fragment, wie das Titelblatt suggeriert), der nur wenige Seiten umfasst. Erzählt wird die Geschichte zweier Juristen, eines alten Richters und eines jungen Staatsanwalts, die sich auf der Beerdigung des Vorgängers des Staatsanwaltes kennenlernen. Der Richter kommt mit dem Staatsanwalt ins Gespräch und erwähnt, dass er mit dem Verstorbenen befreundet war und sich mit ihm regelmäßig zum Schachspiel getroffen habe. Auch der junge Kollege spielt Schach und man verabredet sich für den kommenden Sonntag zum Spiel. An diesem Tag ziehen sich nach einem Essen, bei dem auch die Tochter des Richters und die Gattin des Staatsanwaltes anwesend sind, die beiden Herren ins Arbeitszimmer zurück, wo der Richter dem Jüngeren ein mörderisches Geheimnis anvertraut, das hinter dem gemeinsamen Schachspiel steckt … Seltsamerweise sind es bei Dürrenmatt oft Juristen, die dem Wahn verfallen müssen, gottgleich in das Schicksal der Menschen eingreifen zu dürfen.

Ergänzt wird der Entwurf durch einen kurzen Auszug aus einer Rede über Einstein aus dem Jahr 1979, in der Dürrenmatt zur Veranschaulichung einer Differenz zwischen einem »deterministischen« und einem »kausalen« Weltbild die Welt mit einer Schachpartie vergleicht. Die Nähe zum Szenario der Erzählung ist offensichtlich.

Attraktiv wird der Band durch die handwerkliche aufwendige Herstellung und die opulente Ausstattung mit Graphiken des Züricher Graphikers Hannes Binder, die den eigentlichen Gehalt des Bandes ausmachen, da der Entwurf der Erzählung allein, der an sich bloß Ideenskizze bleibt, kaum ein Büchlein füllen würde. Die Illustrationen sind konsequent schwarz-weiß gehalten und spiegeln im Format die Quadrate eines Schachbretts wider. Ästhetisch ist das Bändchen sehr gelungen, inhaltlich ist es etwas schmal geraten. Neben der hier vorgestellten Normalausgabe existieren zwei hochpreisigere Vorzugsausgaben, die nur direkt vom Verlag zu beziehen sind.

Ein Buch für Dürrenmatt- und/oder Schachfreunde.

Friedrich Dürrenmatt: Der Schachspieler. Großhansdorf: Officina Ludi, 2007. Bedrucktes und geprägtes Leinen, Fadenheftung, 28 Seiten (24,5 × 24,5 cm). 27,80 €.

Salman Rushdie: Des Mauren letzter Seufzer

Ich-Erzählung eines indischen Halbjuden, der in den spanischen Alpujarras in Gefangenschaft sitzt und genötigt wird, die Geschichte aufzuschreiben. In der ersten Hälfte ist das Buch eine Variation auf den Familienroman, vielleicht eine direkte Reaktion auf Vikram Seths Eine gute Partie, vielleicht auch auf ein anderes Werk der anglo-indischen Literatur. Nach der Geburt des Erzählers verliert das Buch rasch an Form und nähert sich für eine Weile der Tradition des picarischen Romans an, wird dann zu einer Variation des Mafia-Romans, um schließlich ins Traum- und Alptraumhafte abzuschweifen. Ganz zum Schluss soll die Mär von der Gefangenschaft des Erzählers, der nach einem alten literarischen Muster durchs Erzählen sein Leben erhält, die allgemeine Formlosigkeit und Beliebigkeit des Romans rechtfertigen.

Das Buch ist reich an motivischen Einfällen und lebt von der Reichhaltigkeit seines Personals. Einzelne Motive sind überzeugend durchgeführt, so die Familienlegende von der Abkunft des Erzählers einerseits von Vasco da Gama und andererseits von Muhammad XII., dem letzten arabischen Herrscher Granadas. Andere Motive erscheinen eher willkürlich, was aber auch daran liegen kann, dass ich die entsprechenden literarischen Quellen Rushdies nicht kenne. Für einen in der anglo-indischen Literatur eher nur mäßig Bewanderten ist vieles nicht exakt einzuordnen. Insgesamt war die zweite Hälfte des Romans eine ermüdende Lektüre für mich. Auch sekundär erarbeitete Zusammenhänge mit der Nachkriegsgeschichte Indiens und speziell Bombays machten das Buch für mich nicht spannender, weil mir die entsprechenden historischen Vorgänge nicht vertraut genug wurden. Aber da gehöre ich wohl einfach nicht in die Zielgruppe des Autors.

Der durchgängig phantastische Ton des Romans, der besonders auch gegen Ende recht volle Töne erzeugt, trägt das Buch nicht wirklich – dafür ist es einfach zu lang geraten. Natürlich begründet sich die Länge des Buches aus der oben schon angeführten existentiellen Situation des Erzählers, der um sein Leben schreibt. Interessant wäre es vielleicht, diese Struktur auf das Leben des Autors zurückzuprojizieren: Rushdie befand sich in einem gewissen Sinne in der Zeit der Bedrohung durch die Fatwa in einer ähnlichen Lage wie der, in der sein Protagonist um sein Leben schreibt. Hier ist biographisch sicherlich noch einiges zu heben.

Ein eher anstrengendes Buch, das in einigen Passagen zur »Pflichtlektüre« geriet.

Salman Rushdie: Des Mauren letzter Seufzer. Aus dem Englischen von Gisela Stege. rororo 24121. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006. 619 Seiten. 9,90 €.